Trettmann: »Ich bin noch nie stehengeblieben.« // Interview

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Trettmann ist ein Gutmensch im besten Sinne. Mit zu viel Swag gesegnet, fristet der Leipziger Linke das vielleicht undankbarste Nischendasein dieses Pop-Landes. Immer etwas zu klein fürs Radio, füttert der artist formerly known as Ronny Trettmann seit knapp zehn Jahren die überschaubare und oftmals biedere deutsche Dancehall-Szene mit Timeline-Perlen. Aber auch im Waldstraßenviertel Leipzigs gilt in 2016: Trap regiert den Dance. Und so chantet die ostdeutsche Rudeboy-Schnauze auf ihrer famosen neuen EP »Kitschkrieg«, die mit dem gleichnamigen Kreuzberger Produktionstrio entstand, auf trappigen R’n’B-Hybriden. Aus der Cloud für den Floor. Wir trafen einen der besten deutschen Texter und seinen Studiopartner, Soulforce-Selector und Strassenbanden-Ehrenmitglied DJ Fizzle in ihrem geräumigen Ostberliner Studio-Loft, das sie sich unter anderem mit Seeed teilen.

Wann hast du eigentlich den Wandel vom reinen Dancehall-DJ zum Popkünstler vollzogen?
Diese Trennung gab es für mich so nie. Das ist eine fortlaufende Entwicklung. Ich bin ja etwas älter und komme aus der Funk/Soul- und Rhythm-and-Blues-Ecke der frühen Achtziger, mit Acts wie The S.O.S. Band, GAP Band, Cameo, Parliament. Für uns Ostdeutsche waren Harry Belafonte und »Beat Street« die Initialzündung für HipHop und die Hauptinfoquelle für diese Kultur – neben mitgeschnittenen westdeutschen Radioshows. Als ich 1994 das erste Mal nach Jamaika kam, war das für mich mehr HipHop als alles, was es hierzulande gab. Dort wird gefreestylt, alle können rappen. Man geht auf einen Rave und es läuft Dancehall, R’n’B und HipHop. Das schwappt alles aus den USA rüber. Die Verwandtschaft von Dancehall und HipHop ist schwer zu trennen. Für mich hat das immer zusammengehört. Ein Kool Herc und die gesamte Soundsystem-Kultur kommen von der Insel. Aber zum Beispiel auch Biggies Mutter. Er war jeden Sommer auf Jamaika und ließ sich von der Insel beeinflussen.

 
Wie intensiv verfolgst du noch, was dort musikalisch passiert?
Angesagt sind die Künstler mit Ami-Feature: Popcaan, der mit Young Thug und Dre Skull zusammengearbeitet hat, ist groß. Man merkt, dass Dancehall weltweit kleiner wird. Die Musik funktioniert auf Jamaika und entwickelt sich in den kulturellen Exklaven in Kanada und UK weiter. Aber selbst für mich erschöpft sich das gerade. Was auch daran liegt, dass ich mich seit 25 Jahren fast ausschließlich damit beschäftige – und die Musik hierzulande einfach nicht ankommt.

Ist Autotune noch ein großes Thema auf der Insel?
Wenn du modernen Dancehall hörst, fallen wirklich die Künstler auf, die kein Autotune benutzen. In diesem afrokaribischen Kosmos spielt der Effekt eine wichtige Rolle. Ich bin gerade mit einem jamaikanischen Produzenten in Kontakt, der ein totaler Autotune- und Melodyne-Gegner ist. Er behauptet: Ohne den Effekt wären die meisten Sänger gar nichts. Für mich ist das eher vergleichbar mit der Talkbox von Roger Troutman, die am Anfang auch verschmäht wurde und heute akzeptiert ist.

Wieso ist Autotune hierzulande so als Trash-Effekt verschrien?
Ach, was hat Deutschland denn schon erfunden? Kraftwerk und die Neue Deutsche Welle, die auch nur den New-Wave-Sound aus England übernahm. Den Künstlern wird ja unterstellt, dass sie nicht singen können. Ich feiere Cher, die Autotune benutzte, auch nicht – aber weil mir die Lieder nicht gefallen. Future nuschelt zum Beispiel so stark, dass er dem Effekt ein komplettes Eigenleben verleiht. Ohne Autotune würde die Musik, die er macht, so nicht funktionieren. Die Leute wundern sich auch, dass T-Pain singen kann. Das ist doch ein bescheuertes Vorurteil: Wenn du nicht singen kannst, hilft dir auch kein Autotune. Um Lieder wie »Buy You A Drink« zu machen, um auf diese Harmonien zu kommen, musst du Talent haben.

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