Weird flex but ok: Tierra Whack stellt Rap auf den Kopf // HipHope

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Wenn wir von HipHopes sprechen, meinen wir junge Künstler, die mit spannendem Sound Appetit auf mehr machen. Treffender könnte diese Beschreibung für Tierra Whack nicht sein, denn ihr reichten im letzten Jahr 15 Minuten und ein Musikvideo, um den Rap-Kosmos ein bisschen auf den Kopf zu stellen.

Begonnen hat für das hibbelige Mädchen mit der markanten Zahnlücke alles auf den Straßen Philadelphias. In der Battlerap-Szene machte sie sich als Teenager unter dem Pseudonym Dizzle Dizz einen Namen, rappte minutenlang an Kreuzungen für lokale Youtube-Channel oder in Radiostationen für Meek Mill und A$AP Rocky. Nach zwei Jahren der Selbstfindung in Atlanta performte Tierra Whack seit ihrer Rückkehr in die Heimat unter ihrem bürgerlichen Namen und erlebte noch vor ihrem 20. Geburtstag eine künstlerische Renaissance. Angestaute Songideen entluden sich zunächst in Form einiger vielversprechender Soundcloud-Singles der Kategorie Singsang-Trap plus knackige Punchlines. Mit »Mumbo Jumbo« gelang Tierra Whack dann so etwas wie die Mumble-Rap-Version von »Through The Wire«.

Statt Drähten quer durch den Kiefer wie bei Kanye hatte sie nach ihrer Zahn-OP nur angeschwollene Wangen, gerade deshalb beschloss sie jedoch, ihre eingelallten Zeilen als Single auszukoppeln. Das Ergebnis wurde dann per Video verarbeitet als Albtraumbesuch einer Designerzahnarztpraxis, gemischt mit einer Prise Sozialkritik – und die Kunstrichter waren aus dem Häuschen. Mit nur etwas über einer halben Million Youtube-Aufrufen trat »Mumbo Jumbo« sogar bei den Grammys in der Kategorie »Bestes Musikvideo« gegen Beyoncé/Jay-Z und Childish Gambino an.

Tierra etabliert eine fordernde, humoristische Ebene in ihren Songs, greift auf Übersteigerung des Alltags zurück. Wie sie selbst sagt, fliegen ihr die Ideen einfach so zu. Ihr Debüt »Whack World« zeigt, wie chaotisch es in ihrem Kopf zugehen muss. Jeder der 15 Songs braucht genau eine Minute, um einen Mikrokosmos ihres undefinierbaren Sounds zu erschaffen und wieder einstürzen zu lassen. Das gesamte Album wurde übrigens auch als Komplettmusikvideo inszeniert. Prädikat: Ulkig, aber wertvoll.

Musikalisch in einem solchen Kurzformat zu arbeiten, ist definitiv ein gewagter Schritt, und dennoch wird Beats und Stimmung ausreichend Platz zur Entfaltung gegeben, während Tierra mit ihren knappen Versen und einschneidenden Hooks Punktlandungen hinlegt. Das Tape befasst sich mit dem Erwachsenwerden, enttäuschenden Beziehungen, Verlusten und Selbstwert, geht diese Probleme aber mit einer liebenswerten Melodramatik und Exzentrik an, die ihren Charakter authentisch widerspiegeln. Angeblich ist sie schon seit 2017 bei Interscope unter Vertrag, und nicht erst seit gestern singen Industrieikonen Lobeshymnen auf die junge Rapperin. Janelle Monáe, der Tierra im letzten Jahr den »Trailblazer Award« überreichte, nutzte die erste Minute ihrer Dankesrede, um die 23-Jährige als eine ihrer Inspirationen in dem Himmel zu loben. Den Schlüssel zum Erfolg hat Tierra schon selbst in »Black Nails« verraten: »Best believe I’m gon’ sell/If I just be myself«.

Text: Max Hensch

Dieses Feature erschien in JUICE 191. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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