Stretch And Bobbito: »Wir hatten das Privileg, den Diskurs mitbestimmen zu können.« // Interview

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Die sagenumwobene Golden Era. Ein verwässerter Terminus, der das Schaffen der amerikanischen Rapszene während der späten Achtziger und frühen Neunziger romantisiert und als nie wiederkehrenden Zenit der Subkultur darstellt. Als Rapnerd im Hier und Jetzt knirscht man mit den Zähnen, wenn ewiggestrige Rap-Puristen ihre Anekdoten herauskramen. Allerdings gibt es sie tatsächlich, die Argumentationsgrundlage für jeden »Back in the days«-Sesselfurzer. Sie hört auf den Namen »The Stretch Armstrong And Bobbito Show«. 25 Jahre nach Erstausstrahlung setzen sich die beiden Radiomacher mit der Doku »Stretch And Bobbito – Radio That Changed Lives« nun selbst ein Denkmal. Wir trafen das ungleiche Duo im Rahmen der Deutschlandpremiere zum Gespräch.

Miami, Rotterdam, Bogota, Utrecht, Melbourne, Dublin, Tallinn, Berlin – Adrian Bartos, wie Stretch Armstrong mit bürgerlichem Namen heißt, und Robert »Bobbito« García befinden sich auf Welttournee. Dabei dokumentiert ihr Film die Entwicklung und den Einfluss einer Radioshow, die zwischen 1990 und 1998 in der Tri-State-Area, also Teilen der US-Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut, ausgestrahlt wurde. Doch das, was damals wöchentlich über den Äther ging, war keine stinknormale HipHop-Sendung, wie es sie heutzutage in jeder Metropole der westlichen Welt, weiten Teilen Asiens, Südamerikas und Afrikas gibt. »Stretch And Bobbito« war Türöffner für einige der begabtesten MCs der HipHop-Geschichte: Biggie Smalls freestylte 1991 als 18-jähriger Grünschnabel lange vor seiner Vertragsunterzeichnung bei Bad Boy live in der Show. Künstler wie Nas, Jay Z, Big L und der Wu-Tang Clan taten es ihm später gleich. Jeder New Yorker, der in der Nacht vom Donnerstag auf Freitag zwischen 1 und 5 Uhr morgens nicht mit einem Satz Kassetten vor seinem Radio hockte, um das schwache, vom Funkturm auf dem World Trade Center gesendete Signal von WKCR zu suchen, war kein echter Head. In »Radio That Changed Lives« gibt es viele bezeichnende Szenen, die das verdeutlichen; etwa wenn Busta Rhymes voller Enthusiasmus davon erzählt, wie er statt Drogen lieber Stretch-And-Bob-Tapes auf dem Highschool-Flur vertickte; wenn DJ Premier in Erinnerungen schwelgt, wie er donnerstag­nachts mit KRS-One und Tupac vor dem Rundfunkgerät saß; oder wenn Q-Tip zugibt, seine Produktionen auf »Illmatic« und »The Infamous« mit der Maxime angegangen zu sein, sie sollten in Stretchs Playlist möglichst gut klingen.

Den Job beim Studentenradio der New Yorker Columbia University ergatterten García und Bartos, weil Letzterer sich für das Herbstsemester 1990 an der Uni eingeschrieben hatte und auf gut Glück in den Redaktionsräumen des Senders wegen eines Slots für eine HipHop-Show anfragte. Anfänglich verlacht, durfte das Duo, das sich in den Büroräumen von Def Jam kennengelernt und angefreundet hatte, die Graveyard Shift in der Nacht von Donnerstag auf Freitag übernehmen. Dass der Sender weder wirtschaftliche Interessen verfolgte noch redaktionelle Ansprüche an die beiden Moderationsneulinge stellte, nutze das Duo zu seinem Vorteil. Bereits bestens in der Szene vernetzt, legte man den Fokus auf Live-Auftritte ungesignter Künstler – in allen fünf Boroughs des Big Apple wimmelte es schließlich nur so an rohem Talent. Schnell etablierte man dabei das Sender-Alias 89TEC9, wobei »TEC« als Abkürzung von »Techniques« den Punkt der UKW-Frequenz ersetzte. Skills und Technik waren Grundvoraussetzung für alle Studiogäste, die ihren Auftritt als Sprungbrett ins Business nutzen wollten. Gedanken über die Explizität der vorgetragenen Texte und Freestyles musste sich jedoch niemand machen: anders als im Mainstream-Radio waren die F-, S- und N-Bomben bei Stretch und Bobbito dauerpräsent und prägten den puristischen und unverfälschten Flavor der Show. Als MC konnte man sich zu keinem Zeitpunkt hinter dem Wiederkäuen von Promofloskeln verstecken.

Auf dem vermeintlichen Zenit fing die Allianz der beiden Jugendfreunde jedoch an zu bröckeln – zwar zog man Mitte der Neunziger von WKCR zu HOT97 um, angekommen beim größten und bekanntesten HipHop- und R’n’B-Sender der Ostküste war man sich jedoch nicht mehr einig bezüglich der Playlist. Schließlich einigte man sich, die Show fortan nur noch im Wechsel zu moderieren – bis man 1998 die Segel strich. Auch diesen Umstand dokumentieren Stretch und Bobbito, deren Aussöhnung bereits einige Jahre auf dem Buckel hat, in »Radio That Changed Lives«. Jedoch legt man den Fokus ganz deutlich auf die glorreichsten Momente. Die Auswahl wird ihnen alles andere als leicht gefallen sein – schließlich schickten Stretch und Bobbito davon hunderte über den Äther.

Wieso wolltet ihr eine Radiosendung machen?
Stretch: Allein, dass die Möglichkeit bestand, im Radio stattzufinden, war schon Grund genug.
Bobbito: Es gab eine Unmenge von Leuten, die sich Hoffnungen auf ihre Radiosendung machten. Radio war ein unglaublich einflussreiches Medium.

Hattet ihr journalistische Vorerfahrung?
Bobbito: Überhaupt nicht.
Stretch: Wir waren beide leidenschaftliche Radiohörer. Bob kannte von Tim Westwood im UK bis zu Sway & Tech an der Westküste so gut wie jeden DJ, weil er bei Def Jam als Radio­promoter arbeitete. Aber wir hatten anfangs keinerlei Ahnung, was wir da machten. Im Film sagen wir, dass wir’s eben einfach gemacht haben und sich daraus dann etwas ergeben hat. Hätte die Möglichkeit nicht bestanden, eine Show bei WKCR zu machen, hätten wir wahrscheinlich nicht versucht, irgendwo anders unterzukommen.

WKCR war ein Studentensender. Wieso war College Radio damals so wichtig?
Bobbito: Lass es mich so erklären: Mein Job als Promoter bestand darin, Künstler wie LL Cool J, Public Enemy, Slick Rick, 3rd Bass und EPMD mithilfe von Airplay im Uni-Radio zu etablieren. Diese Basis an Hörern war ein wichtiger Zwischenschritt, um später bei kommerziellen Sendern gespielt zu werden und Platten verkaufen zu können. Wir hatten wirklich großartige Künstler, mein Job war also leicht. Und für die Künstler hatte das damals noch eine ganz andere Relevanz. Chuck D hat mich auf Tour ständig angerufen, um herauszufinden, bei welchen Radiosendern im Umkreis er für Interviews vorbeischauen konnte. Das lag auch daran, dass Chuck selber mal Moderator einer Show bei einem College-Sender gewesen war, bevor er seinen ersten Plattenvertrag unterzeichnete. Er wusste also, wie elementar es war, sich über diese Kanäle eine Fanbase aufzubauen. Collegesender verfolgen keine kommerziellen Interessen und können dementsprechend viel einfacher unbekannte Künstler spielen. Mit unserer eigenen Sendung haben wir das freie Format, das einem College Radio bietet, noch mal etwas weiterentwickelt.

In Deutschland hatte das Radio einen viel geringeren Stellenwert für die Entwicklung der Subkultur HipHop. Unsere jüngeren Leser können sich wahrscheinlich schwer vorstellen, wie viel Einfluss eure Sendung mal hatte.
Bobbito: Wenn du das einem Digital Native näherbringen möchtest, sag einfach: »Es gab gar keine andere Möglichkeit!«
Stretch: Stell dir vor, das Internet wäre weg. Wie würde dein Tag aussehen?
Bobbito: Nimm an, du bist unter 18 und kommst nicht in Clubs rein. Um neue Musik zu hören, bleibt nur das Radio, der Weg zum Plattenladen oder Tape-Aufnahmen einer Sendung. So gedieh unsere Show, das war die Basis des Erfolgs. Die Leute verdienten damit Kohle, dass sie unsere Sendungen überspielten und auf Tape verkauften. Talib sagt im Film, wir hätten unser eigenes Internet vor dem Internet kreiert. So mächtig war das.

Welche Reichweite hatten die Tapes mit den Aufnahmen eurer Show?
Stretch: Wir waren vor ein paar Wochen in London, da sprach uns ein Typ an, der jetzt Mitte dreißig ist, und erzählte uns, dass er Fan unserer Show war, obwohl er im Schwarzwald aufgewachsen war. Er nahm damals regelmäßig eine dreistündige Fahrt auf sich, um unsere Shows bei einem Bekannten zu überspielen.

»Wir hatten das Privileg, all das nicht nur aus erster Hand miterleben zu dürfen, sondern auch den Diskurs mitbestimmen zu können.«

Im Vergleich dazu ist heute alles zu jeder Zeit per Mausklick abrufbar, vieles dadurch aber sehr versteckt.
Stretch: Alles ist in Fragmente zerteilt. Jeder kann heutzutage eine Radioshow oder einen Pod­cast online stellen. Ob deine Playlist oder dein Moderationstalent mittelmäßig sind, spielt erst mal keine Rolle – du findest trotzdem statt. Nur, dass nicht besonders viel Rampenlicht auf dich scheint. Früher musste man den Leuten etwas bieten, um on air zu bleiben. Viele Internetradios haben heute das Problem, dass es keine Shows gibt, die wirklich etwas Einzigartiges machen.

Die Einzigartigkeit eurer Show bestand auch in eurem Riecher für Talent. Ihr hattet über 300 ungesignte Künstler zu Gast, die heute zusammengenommen über 300 Millionen Tonträger verkauft haben. Gab es einen Punkt, an dem ihr euch dachtet: »Wir haben mitgeholfen, diese Typen berühmt zu machen und sitzen immer noch hier.«
(Stretch und Bobbito lachen)
Bobbito: Uns beiden geht’s gut, wir können nicht klagen.
Stretch: Du musst eins bedenken: Für jeden Künstler da draußen, der mit seiner Musik Millionen verdient hat, gibt es hunderte, die ihren Lebensunterhalt nicht mit etwas bestreiten können, in dem sie verdammt gut sind. Unglaublich viele Künstler widmen einen Großteil ihres Lebens einer Sache, von der sie nicht leben können. Das muss sich beschissen anfühlen. Wir hingegen sind seit den Achtzigern ununterbrochen in der Lage, von unserer Leidenschaft zu leben.
Bobbito: In den Neunzigern gab’s den »reichen Rapper« so gesehen auch nicht wirklich. Das war alles relativ.
Stretch: Die Obergrenze des Erreichbaren ist heute viel höher. Damals war man eben ein erfolgreicher Rapper. Heute gibt es Rapper, die über das Genre hinaus Superstars sind und auch als solche wahrgenommen werden. Anfang der Neunziger musste man als Rapper entweder ultrakommerziell klingen oder das Glück haben, einen Hit zu landen, der wirklich durch die Decke geht.

Die Frage kam mir bei einer Szene aus dem Trailer mit Fat Joe, in der er sagt: »You sat here and you watched a bunch of motherfuckers get rich.«
Stretch: Klar. Aber selbst als wir Joe kennenlernten, ging es uns schon gut. Ich legte regelmäßig in Clubs auf, wir hatten beide feste Jobs. Damals wurde man als DJ noch in bar bezahlt. Das war großartig. Wir waren jung und verdienten Geld. Ich glaube, Fat Joe meinte eher, dass wir im Film mit diesen ganzen Superstars zu sehen sind und viele Leute keine Ahnung haben, wer wir sind und welche Rolle wir für die Karriere dieser Künstler spielen. Er wollte damit nicht sagen, dass wir den Kürzeren gezogen hätten. Er beendet sein Statement, indem er sagt: »Was ihr hattet, war unbezahlbar.« Und das war es auch. Wir hatten das Privileg, all das nicht nur aus erster Hand miterleben zu dürfen, sondern auch den Diskurs mitbestimmen zu können.


Hat das auch dafür gesorgt, dass euch ­Vetternwirtschaft oder die Verwendung eures Einflusses zu falschen Zwecken vorgeworfen wurde?
Stretch: Nicht wirklich. Natürlich gab es Künstler, die wir im übertragenen Sinne nicht zur Party einluden. Die Labels und Promoter respektierten uns. Natürlich wurde auch mal versucht, uns unter Druck zu setzen. Ob du bei uns gespielt wurdest, hing nicht davon ab, wie sehr du oder dein Label das wollten, sondern nur von deiner Dopeness.

Als ehemaliger Radiopromoter wurdest du sicherlich auch von Anfang an ernstgenommen, Bobbito.
Bobbito: Nicht nur das. Ich kannte die ganzen anderen Promoter eh schon persönlich.
Stretch: Bob war innerhalb der Industrie bekannter und besser connectet. Wenn bestimmte Leute nur einen von uns kannten, nutzten wir das auch immer wieder zu unserem Vorteil. Er tat gerne so, als hätte er nichts mit der Musikauswahl der Sendung am Hut. Dann hieß es: »Ich geb die Platten an Stretch weiter, keine Ahnung, ob er sie spielen wird.« Meistens war er aber einfach nur ehrlich. Das half.

Solche Ausreden muss man sich als Journalist ab und zu genehmigen.
Stretch: Versteh mich nicht falsch: Wir haben uns tatsächlich alles angehört, was uns zugeschickt wurde.

Was bedeutete das für den Aufwand, den ihr pro Show betrieben habt?
Stretch: Natürlich bekamen wir einen Haufen Sachen von den Labels direkt nach Hause geschickt. Ungesignte Künstler schickten ihre Demos direkt an den Sender. Trotzdem bestand unser Alltag zum Großteil darin, mit Künstlern und Labels zu telefonieren, um Live-Auftritte und exklusives Material für die anstehende Show in die Wege zu leiten.
Bobbito: Ein guter Teil davon war auch Fußarbeit. Wir erledigten unseren Job nicht nur vom Laptop aus. Es gab ja kein Internet, um Songs zu suchen. Wir verbrachten wirklich viel Zeit damit, bestimmte Plattenläden aufzusuchen oder die Musik direkt im Studio abzuholen, wo sie aufgenommen worden war.

Hattet ihr eine bestimmte Herangehensweise an die Interviews?
Bobbito: Formelle Interviews gab es im Rahmen der Sendung nicht. Die Herangehensweise an die Gastauftritte war immer: »Komm vorbei, lass uns Spaß haben und durchdrehen.«
Stretch: Oft versuchten wir, Gastauftritte befreundeter Künstler in derselben Sendung zu arrangieren. Wenn der Gast dann da war, sagte ich gerne auch nicht mehr als: »Yo, kick a verse!« Und dann wurde eben gerappt. (lacht) Wo der Künstler herkam, ob sich seine Mutter gerade Sorgen um ihn machte oder wie er zu Rap gefunden hatte, war uns relativ egal. ◘

Dieses Interview ist erschienen in JUICE #172:
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»Stretch And Bobbito: Radio That Changed Lives« ist u.a. auf Vimeo, Netflix und als DVD erhältlich.

Foto: Matt McGinley

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