Auf dem Intro zum Album rappst du abschließend: »Die HipHop-Szene ist ein bisschen wie das Artemis, was schade ist/Ich beklag mich nicht, doch trotzdem trage ich die Maske wieder«. Das musst du mir in zweierlei Hinsicht erklären.
Das Artemis ist ein Saunaclub. Da geht’s um gekaufte, unechte Liebe. Davor spreche ich darüber, dass man heutzutage bescheuerte Boxen macht, um höher zu charten; und dass Rapper bei Youtubern blasen gehen, damit die deren Videos auf ihren Kanälen posten. Das ist lieblos, ich nenne das »Marketing vor Musik«. Es geht nur noch ums Ficken. Und wie gesagt: Ich beklag mich nicht, aber ich trage deswegen die Maske wieder und sage ein paar Dinge. Der Sido mit der Maske ist schon der rotzigere.
»Mittlerweile gibt es Leute, die aus Spaß ‚Du scheiß Zigeuner‘ schreiben. Die meinen das vielleicht gar nicht Nazi-mäßig, aber das finde ich nicht mehr witzig.«
Die Maske war eine Zeit lang tot. Seit »30-11-80« hast du sie Stück für Stück wiederbelebt.
Die Maske passt zu den Momenten, in denen ich mit der Hand auf den Tisch hauen möchte. Vorher habe ich viele Dinge nicht angesprochen, weil ich ihnen keine Plattform bieten wollte. Über die Jahre hat sich also so einiges in mir aufgestaut. Das wurde dann vor allem in »Hamdullah« kanalisiert. Auch auf dem Rest des Albums gibt es Lines, bei denen jeder weiß, was gemeint ist.
Die Maske ist dieses Mal aus Gold, der Albumtitel greift das auf. Man kann sagen, dass Gold ein Symbol ist, das sich durch deine Karriere zieht.
Ich wollte schon immer ein Album machen, das irgendeine Farbe hat: green, black, yellow – was auch immer. Das hat jetzt auch so gut gepasst, weil ich nicht glaube, dass dieses Album gold gehen wird. Dafür ist alles zu klein. Bis auf dieses Interview hier nutzen wir eigentlich nur mein Social Media. Also sprechen wir mit diesem bisschen Promo nur HipHop-Fans und insbesondere meine Fans an.
Vor »VI« hattest du auf Facebook dazu aufgerufen, dass man deine Seite entliken soll, wenn man mit dir und deiner Musik nichts anzufangen wüsste. Wäre es nicht geschickter, diese Leute gar nicht erst zu erwähnen? Einfach, weil sie dann nicht die Genugtuung bekommen, dass du sie wahrgenommen hast?
Die wissen doch selbst, dass die wahrgenommen werden.
Bei fast anderthalb Millionen Facebook-Fans kann man sich da nicht so sicher sein.
Was meinst du denn, warum ich die erwähne? Wenn ich bei Twitter eine Beleidigung lese, wird der sofort von mir blockiert. Wenn jemand richtig über die Stränge schlägt, kann’s sein, dass ich dem noch mal nen Spruch drücke, bevor ich ihn blockiere – ohne die Chance, dass man mir noch mal darauf antwortet. Auf Twitter kann ich die Spreu vom Weizen trennen: Okay, du bist ein Idiot, also hast du hier auch nichts mehr zu posten. Verpiss dich! Mir ist egal, wie viele Follower ich habe. Das ist kein Statussymbol, sondern ein Promotool. Twitter macht mir Spaß, auch einfach nur, das alles zu lesen oder mal selber was Dummes zu schreiben. Aber es gibt mittlerweile Leute, die aus Spaß »Du scheiß Zigeuner« schreiben. Die meinen das vielleicht gar nicht Nazi-mäßig, aber das finde ich nicht mehr witzig. Diese ganzen Typen mit RU im Namen.
Auf »Ganz unten« gibt es die Line: »Dort, wo sich zwei streiten, ist Pegida nicht weit«. Relativierst du damit nicht das Phänomen als solches?
Ich rede ja nicht von der AfD, sondern von Pegida. Das ist eine Bewegung voller sozial Schwacher. Da geht kein Professor hin. Das ist eine Veranstaltung fürs durchschnittliche Volk, für die nicht besonders Gutbetuchten. Zu der Zeit, als ich diese Line geschrieben habe, hat Pegida genau diese Menschen angesprochen. Mittlerweile macht das auch die AfD. Ich kenne das aus meinem Viertel. Ich bin mir sicher, dass im Märkischen Viertel einige Leute AfD gewählt haben, weil sie eben so nah an diesen Unterschieden dran sind. Beide Seiten machen sich gegenseitig klar, dass sie anders sind. Das sind nicht nur die Migranten, sondern auch die Deutschen. Gleichzeitig geht dieses »wir wollen euch hier nicht« nicht nur von den Deutschen aus. Die Migranten, insbesondere die Türken, mit denen ich aufgewachsen bin, haben mir auch zu verstehen gegeben, dass ich nur ein kleines deutsches Opfer bin. Das meine ich nicht wertend, sondern nur beschreibend – genau wie auf dem Song auch.
Gab’s nicht trotzdem mal die Überlegung, dich auf dem Album oder über die Sozialen Medien gegen die AfD zu positionieren?
Ich habe gestern auf Twitter gepostet: »Liebe AfD-Wähler, die Wahl ist erst morgen« und »Ich bin mir sicher, in Berlin gibt’s keine dummen Menschen, also wird die AfD keine Chance haben.« Da kriegt man natürlich auch Sprüche à la: »Das geht doch zu weit, alle AfD-Wähler als dumm zu betiteln«. Ich glaube aber, dass ich nicht der Richtige für solch politische Statements bin. Ich würde keinen ganzen Song gegen Pegida oder die AfD machen. Aber ich werde immer klarmachen, auf welcher Seite ich stehe. Ich finde es jedoch falsch, diesen Dingen sehr viel Aufmerksamkeit zu widmen. Letzten Endes ist meine Aufgabe Unterhaltung. Wir Musiker sind in erster Linie Entertainer. »Brot und Spiele«, dieses Konzept von Cäsar, um das Volk bei Laune zu halten, gilt auch für uns. Wir sind moderne Gladiatoren.
Anfang des Jahres hast du Elternzeit gemacht. Konntest du dich komplett aus all deinen Verpflichtungen ausklinken?
Ja, ich hab nichts gemacht. Wobei, nichts? Mit einem Neugeborenen macht man viel. Man braucht das auch, wenn man diese Zeit im Leben seines Kindes nicht verpassen möchte. Ich nehme mir ohnehin viel Zeit für meine Familie. Wenn ich längere Strecken auf Tour fahre, gönnen wir uns einfach noch einen weiteren Bus für meine Frau und die Kinder. Auch, wenn das ein Heidengeld kostet. Familie hat heute denselben Stellenwert für mich, den früher die Musik hatte. Dass Musik lange Zeit an erster Stelle stand, war wichtig, andernfalls könnte ich mir heute nicht erlauben, alles so locker zu machen.
Hat dir die Auszeit geholfen, deine Sicht auf viele Dinge zu ändern?
Nicht wirklich. Ich glaube, die andere Sicht kam einfach durchs Heiraten und Sesshaft-werden. Ich bin in der Vergangenheit sicherlich auch über Leichen gegangen, um meine Karriere voranzutreiben. An meiner Entspanntheit hat meine Familie großen Anteil. Nicht dass meine Frau von mir verlangen würde, dass ich mich ändere. Ich fühle mich angekommen.
»Aber so ein Ding einfach nur voller Sticker packen? Und dann hast du dir noch die Mühe gemacht, tausend Autogrammkarten zu unterschreiben? Ich bitte dich!«
Seit einem guten Jahr führst du Goldzweig. Siehst du dich eigentlich als Labelbetreiber?
Nicht so wirklich. Ich sehe mich eher als Kreativabteilungsleiter. Wir machen das ja gemeinsam mit Four Music.
Wie war das damals: Bist du auf Four Music zugegangen?
Ja. Man fragt sich wahrscheinlich, wieso ich das mit denen machen wollte. Vielleicht fragen sich die Leute bei Universal das auch. Aber ich möchte, dass Universal weiter sein Augenmerk auf mich richtet. Ich fand es sinnvoll, das zu streuen. Ich selbst bin bei Universal sehr zufrieden, habe gerade erst wieder verlängert. Das ist wahrscheinlich der letzte Vertrag meines Lebens, den ich da unterschrieben habe.
»In Deutschland weiß jeder, wer Sido ist. Und jeder hat eine Meinung zu Sido.«
Wie viele Alben umschließt der Deal?
»Das goldene Album« eingerechnet insgesamt vier – ohne zeitliche Begrenzung. Die Alben können also über zehn Jahre gestreut sein. Ich werde nach dem jetzigen Album sicher nicht so schnell wieder ein Soloalbum machen.
Wo wir gerade beim Business sind: Du äußerst dich als erster Rapper dieser Größenordnung negativ über Premiumboxen.
Das ist Verarsche. Sicherlich gibt es Leute, die sich wirklich Mühe geben und etwas Schönes machen. In meiner letzten Box lag ein Cap von Cayler & Sons bei, das normalerweise 40 Euro kosten würde. Das war ein Angebot, mit dem ich niemanden verarscht habe. Aber so ein Ding einfach nur voller Sticker packen? Und dann hast du dir noch die Mühe gemacht, tausend Autogrammkarten zu unterschreiben? Ich bitte dich! Dafür 40 oder 50 Euro zu verlangen, ist Verarschung. Viele Fans wissen nicht, dass es bei den Charts nur um den Umsatz geht. Es ist also völlig irrelevant, wie viele Platten jemand verkauft hat. Deswegen weiß ich auch, dass ich jetzt nicht hoch charten werde. Das werden einige zum Anlass nehmen, mir zu erklären, dass es vorbei ist. Aber das ist ja alles einkalkuliert. Ich würde aus allen Wolken fallen, wenn das Album tatsächlich auf Platz eins einsteigt – gerade zu diesem Datum. Ich kann mir sogar vorstellen, dass Shindy in der zweiten Woche mehr verkauft als ich in meiner ersten.
Glaubst du denn, dass die Bündelung der Vorverkäufe auf die erste Chartwoche mithilfe der Premiumboxen Deutschrap ein Stück weit kaputtgemacht hat?
Es hat Deutschrap kommerzialisiert – viel mehr, als Aggro das je geschafft hat, was uns immer vorgeworfen wurde. Wir haben aus dem, was wir hatten, das Beste gemacht und es glorifiziert. Aber diese ganzen Weiber, die Autos, diese Statussymbole – das hatten wir wirklich alles. Das war nicht nur einfach irgendwo geliehen. Wir waren tatsächlich die Ersten, die das haben konnten – legal wohlgemerkt. Heutzutage ist das die erste Überlegung, wenn’s um die Mucke geht: Wie bekomme ich dieses Auto? Das war nicht unser Antrieb, Mucke zu machen. Das sollte auch nie die Intention sein. Darunter leidet automatisch die Authentizität der Musik. Deshalb habe ich jetzt auch wieder einen Majordeal unterschrieben: Ich möchte mich nicht selbst um mein Business kümmern. Meine Musik würde darunter leiden, wenn ich mir einen Kopf darum machen müsste, wie ich sie am besten verkaufe.
Du strahlst insgesamt eine Gelassenheit aus. Bedeuten dir diese Statussymbole wie ein erster Platz in den Charts überhaupt noch etwas?
Es reicht mir schon, das einmal gehabt zu haben. Das ist doch alles, was man braucht. Was bedeutet das schon, immer wieder Platz eins zu sein? Je älter man wird, desto peinlicher wird es auch, sich an so etwas zu klammern. Man muss dann einfach mit den Fans leben, die man sich erarbeitet hat. Ich bin mir sicher, dass da keine neuen Leute mehr dazukommen. In Deutschland weiß jeder, wer Sido ist. Und jeder hat eine Meinung zu Sido. Ich bin ein gefestigter Künstler. Wenn ich wieder einen Radiohit mache, werde ich circa 200.000 Platten verkaufen. Darüber geht’s nicht. Deswegen bin ich wahrscheinlich auch so entspannt. Ich bin mir meines Status, egal ob im Leben oder in der Szene, bewusst. Ich fühle mich auch nicht größer, als ich bin. Ich bin voll zufrieden.
Ist das deine Interpretation von dem, was die Amis »Grown Man Rap« nennen? Also in Würde zu altern?
Für mich ist es das. Ich möchte nicht unbedingt irgendwann aufhören, Mucke zu machen. Aber ich will irgendwann aufhören, das Business zu betreiben. Ich bin mir sicher, dass das mein letzter Vertrag ist. Für mich ist dieser Kampf vorbei, den alle Newcomer annehmen müssen: am Ball zu bleiben, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Ich kann fünf Jahre nichts machen, wenn ich wiederkomme, wissen die Leute trotzdem noch, wer ich bin. Diesen Status habe ich mir über die letzten 15 Jahre hart erarbeitet. Mein jetziges Klientel werde ich immer haben. Wie ein Grönemeyer, wie ein Lindenberg. ◘
Foto: Universal/© Murat Aslan Bln 2016
Dieses Interview erschien als Titelstory in JUICE #177 (hier versandkostenfrei nachbestellen).