»Thank God, I ain’t have to smack a bitch today«, schrie Rico Nasty 2018 auf einem unfertigen Beat ihres Haus und Hof Produzenten Kenny Beats. Der Song ging viral. Es war der Moment des großen Durchbruchs für die heute 23-Jährige Maria-Cecilia Simone Kelly. Im Dezember 2020 folgte nun das lang erwartete Debütalbum »Nightmare Vacation«. Die 16 Tracks zeigen, mit welcher Leichtigkeit Rico in ihrer Musik Chaos und Lässigkeit vereint. Sie selbst bezeichnet das als Sugar Trap, andere Kategorisierungen und Genre-Begriffe gibt es dafür nicht. Namhafte Fans wie Nickie Minaj oder Cardi B gibt es dafür viele. »Nightmare Vacation« ist eine laute Reise ins Wunderland, die Alice nicht überlebt hätte. Eine Reise, die 2016 auf einer kleinen Bühne eines Nachtclubs in Washington D.C. begann. Unter den 60 Zuhörer*innen, die damals vor der Bühne standen, war auch unsere Autorin Mia Thordsen. Nun sieht sie Rico wieder. Ein nächtlicher Zoom-Call über eine gemeinsame Jugend in der Rapszene der U.S.-Hauptstadt, Egoismus, Comichelden und verstörende Albträume.
Whats good moe? [Typischer Slang aus Washington; Anm. d. Verf.]
(lacht) Oh Shit, du bist ja auch aus Washington! Mir geht’s gut, danke. Woher genau kommst du?
Ich komme aus PG, genauso wie du. Ich war auf einer Nachbarschule von dir, der Roosevelt School.
Oh wirklich Bitch? Fucking PG! [Abkürzung für den Washingtoner black-district Prince Georges County; Anm. d. Verf.]
Ja absolut. Du warst auf der Flowers Highschool richtig?
Ja und davor war ich drei Jahre auf der Baltimore Bording School.
Bevor wir über dein Debütalbum sprechen, würde ich gerne mit dir in diese Zeit zurückreisen und über unsere Jugend in D.C. sprechen. Was fühlst du heute, wenn du an diese Zeit zurückdenkst?
Ich fühle mich heute wie die coolste Bitch vom Pausenhof. Ich liebe meine alte Schule, ich liebe wo ich herkomme und ich liebe jeden, der mich in dieser Zeit unterstützt hat. Es macht mich stolz, wenn meine alten Schulfreunde heute sagen: Ich bin mit Rico Nasty in einer Klasse gewesen und heute ist sie im Fernsehen. Es bedeutet mir viel aus diesem Viertel zu kommen. Nicht viele aus unserem Viertel haben das geschafft, was ich geschafft habe.
»Als ich damals anfing zu rappen, gab es keine Rapperin in der Szene mit einem Baby. Es gab nicht mal eine ohne Baby.«
Wenn ich an meine Jugend in D.C. zurückdenke, muss ich sagen, mein Leben bestand damals eigentlich nur aus Schule und unzähligen Konzertbesuchen. Ich war gefangen in dieser riesigen Soundcloud-Rap-Bubble, die sich damals im Untergrund von D.C. entwickelte. Einmal war ich auf einer deiner Club-Shows, als du noch unter dem Namen Tacco Bella gerappt hast. Wie sah dein Leben damals aus?
Ich sag dir ganz ehrlich, ich war super faul in dieser Zeit. Wenn ich morgens aufstand, habe ich nur so getan als würde ich in die Schule gehen. Stattdessen bin ich zu Homies gegangen und habe dort abgehangen. Wir lagen einfach zuhause rum und nahmen Songs auf. Ich habe das Leben und mich selbst damals nicht besonders ernst genommen. Schule war mir komplett egal. Ich wusste, dass ich keine Zulassung für die Uni bekomme und ich wusste, dass ich meinen Job hasse. Deshalb war ich bis früh morgens mit Freunden unterwegs. Meine Mutter schrie mich oft an und fragte mich, warum ich nicht in die Schule gehe.
Während meiner gesamten Zeit auf der Highschool habe ich einfach nur Mixtapes aufgenommen und rausgehauen. Wirklich ernst meinte ich das mit der Musik aber auch nicht. Das war für mich einfach nur Spaß. Ich habe auch keine Shows gespielt. Da ich noch nicht 18 war und meine Mutter nicht fragen wollte, habe ich mich oft illegal auf HipHop-Shows geschlichen. Dort stand ich dann in den dunklen Ecken der Konzerthallen und habe mir gewünscht irgendwann einmal dort oben zu stehen. Wenn jemand mich fragte, ob ich Musik mache oder ob ich ihm meinen Twitter-Name sagen könnte, antwortete ich sofort mit nein und ging weg. Selbstvertrauen in mich und meine Musik hatte ich kaum.
Dann wurde ich Mutter und plötzlich war mir klar: Ich brauche Geld für mein Baby. Von da an nahm ich mein Leben und meine Musik ernst. Erst versuchte ich mich mit Leuten zusammen zu tun und in einer Gruppe Musik zu machen. Aber das funktionierte für mich nicht. Wenn du aus unserer Gegend kommst, gerätst du schnell an mother****ers aus der Szene, die dir erklären, dass deine Musik nicht cool ist und du es auf deine Art nie schaffen wirst. Das klingt jetzt selbstverliebt und egoistisch, aber ich habe in erster Linie schon immer Songs über mich und für mich selbst geschrieben. Ich hatte einfach kein Bock auf andere Rapper oder Features. Also verstand ich schnell, dass ich auf mich allein gestellt war. Normalerweise bin ich eine offene Person, aber bei Musik sagte ich mir: Ich muss das alleine schaffen. Ich mache das in meinem Style oder gar nicht.
Gab es jemanden der dich darin bestärkt hat, dass du es alleine schaffen kannst?
Ja, mein Sohn. Kein Scheiß, als er geboren wurde bekam ich für meine Musik noch kein Geld und hatte keinen Job. Also nahm ich meinen Sohn überall mit hin. Von da an habe ich jedem am Telefon gesagt, wenn du mit mir arbeiten willst, dann will ich dafür Geld sehen.
Du musst wissen, als ich damals anfing zu rappen, gab es keine Rapperin mit einem Baby in der HipHop-Szene von DMV [Distrikt of Colombia Maryland and Virginia; Anm. d. Verf.]. Es gab nicht mal Rapperinen ohne Baby.
Alle anderen Rapper in meinem Umfeld sind ins Studio gegangen und haben da einfach rumgehangen, weil die keine Mäuler zu stopfen hatten. Die konnten es sich leisten erst später Geld zu machen. Aber ich hatte keine Zeit im Studio zu verschwenden. Ich hatte eine Familie zu ernähren. Ich sagte ihnen, wenn ich kein Geld sehe für das Feature, dann komme ich keine zehn Minuten, keine fünf Minuten, nein dann komme ich überhaupt nicht zu dir ins Studio. Jede Sekunde, die ich mit dir abhänge, ist Zeit, die ich mit meinem Baby verbringen könnte. Die Leute waren es nicht gewohnt, dass man so mit ihnen verhandelte. Ich weiß nicht wie, aber es hat funktioniert. Diese mother****ers respektierten mich dafür, dass ich ihnen klare Ansagen machte. Irgendwann verstanden sie, ich gehe nicht einfach in Clubs, um mit meinen Freunden abzuhängen – Bitch ich gehe in Clubs, um Geld zu verdienen. (Kinderschreien im Hintergrund)
Ist dein Sohn zuhause?
Ja, mein Sohn ist momentan den ganzen Tag zuhause.
Wegen Corona?
Ja, Homeschooling halt. Das ist schwierig. Ich hab hier einen kleinen Klassenclown. Er ist immer schnell fertig mit seinen Aufgaben und geht dann allen auf die Nerven. Aber ich muss ihm lassen, er ist wirklich ein gottverdammt lustiger Typ.
»Als egoistischer Mensch wirst du am Ende deines Lebens traurig sterben, weil du allein bist.«
»Wenn du berühmt bist, dann stirbst du als Held oder lebst lange genug, um ein Schurke zu werden«. Das hast du in deinem letzten JUICE-Interview gesagt. Unterschreibst du das noch immer?
Auf jeden Fall. Das gilt nicht nur für Rico Nasty. Jeder Mensch verbringt seine Zeit auf der Erde und muss dabei versuchen, nicht egoistisch zu werden. Als egoistischer Mensch wirst du am Ende deines Lebens traurig sterben, weil du allein bist.
Im Moment habe ich viele Fans, die mich bewundern. Doch irgendwann wird auch der Neid auf den Luxus kommen, den ich mir inzwischen leisten kann. Das lustige ist, dass mich dieser Gedanke inzwischen gar nicht mehr interessiert. Alles was mir wichtig ist, ist dass mich mein Sohn als eine Heldin sieht. Ich bin alles was er hat. Er soll irgendwann einmal wissen, dass ich ein cooler Mensch war. Deshalb versuche ich ein guter Mensch zu sein.
Versuchst du auch musikalisch ein Vorbild zu sein? Deine Musik hat einen starken Punk-Einfluss. Nicht nur in hier Deutschland, sondern weltweit ist Punk ein sehr weißes und männlich dominiertes Musikgenre. In deinen Musikvideos verzichtest du hingegen gerne auf weiße Menschen. Versuchst du das Image von Punk durch deine Kunst aufzubrechen?
Keine Ahnung. Das müssen andere beurteilen. Ich zeige einfach mein soziales Umfeld in meinen Videos. Wenn andere das darin sehen, dann freut mich das!
Dein Debütalbum trägt den Titel »Nightmare Vation«. Das klingt nach einem Widerspruch. Was genau meint der Titel?
Es ist etwas gutes und schlechtes zugleich darin. Es meint Balance – Yin & Yang. In dem Album stecken viele gute und schlechte Zeiten.
Ich habe irgendwann gemerkt, dass meine Fans in erster Linie Kraft aus mir und meiner Musik ziehen. Entweder weil sie mich nerven und mich Kraft kosten, oder weil ihnen meine Musik etwas bedeutet und sie daraus Kraft ziehen. Mein Plan war es, kein Album aufzunehmen, das Leute erziehen will. Ich rappe nicht über traurigen Scheiß. Die Leute sollen kein Mitleid mit mir haben. Wenn jemand meine Musik hört, soll er dabei lachen und tanzen, ohne einen Scheiß darauf zu geben, wer ihm dabei zusieht.
Auf dein Album folgt nun dein erstes eigenes Comic, dass du zusammen mit Jarret Williams geschrieben hast. Ich habe gelesen, dass das Lieblingscomic von deinem Sohn Spider Man ist. Als großer Comic-Fan muss ich fragen, hast du ein Lieblingscomic?
Definitiv Batman! Ich bin ein absurd großer Fan. (lacht) Während ich schwanger war habe ich den ganzen Tag »Wayne« von Chief Keef gehört. Da kam ich auf ne abgefuckte Idee. Du kannst gerne nach diesem Interview meine Eltern anrufen. Die werden dir erzählen, dass ich meinen Sohn Bruce Wayne nennen wollte. Und die werden dir auch erzählen, dass das erstes Wort, das mein Sohn gesprochen hat, »Batman« war. Ich hätte ihn wirklich Bruce Wayne nennen sollen. (lacht) Aber alle meinten ich spinne und ich dürfe das nicht tun.
Dein Comic beginnt damit, dass Rico Nasty im Studio bekifft einschläft. Passiert dir das häufig?
Wenn ich ehrlich bin, ja! Manchmal liege ich da einfach eine Stunde rum und schlafe.
Und wenn du aufwachst fühlst du dich besser und fokussierter?
Nein, ich wache auf und denke mir: Fuck Dude, ich schlafe einfach noch etwas weiter! (lacht) Ich schlafe nicht viel und bin immer übermüdet. Wenn ich eine acht Stunden Session im Studio mache und kurz einschlafe, kann ich danach ohne Probleme weitere acht Stunden Recorden. Ich bin immer am arbeiten. Juicy J hat das mal ganz gut zusammengefasst: »Real hustlers don’t sleep«. Ich bin einfach immer eine müde Bitch, schlafe selten und arbeite viel. Keine Ahnung warum. Manchmal fragen sich die Leute im Studio wie das funktioniert, wenn ich so leise wie eine Maus im Studio herumliege, bis ich plötzlich aufstehe, in die Booth gehe und anfange zu schreien. Ich glaube ich bin ein gemütliches und übernächtigtes »working horse«.
Vielleicht bist du irgendwas zwischen einem »working-horse« und einem »cozy girl«?
Ja, ich denke ich bin ein cozy-horse. (lacht) Ich liebe dieses Wort!
»Nickie Minaj schrie mich an. Sie hatte dabei die selbe Stimme wie die Bitch aus Hunger Games«
Apropos »Nightmare Vacation«, was war dein letzter Albtraum?
Oh Fuck. Das war nicht wirklich ein Albtraum, vielmehr ein Traum. Ich habe geträumt, dass ich bei den BET Awards war. Und Nickie Minaj schrie mich an. Keine Ahnung was sie schrie, aber sie hatte dabei die selbe Stimme wie die Bitch aus Hunger Games. Das war eigentlich mehr lustig als angsteinflößend. Ich bin schlagartig aufgewacht und dachte nur: What the f*** was that?! Es fühlte sich an wie ein Fiebertraum.
Ich träume nur solche Scheiße. Gestern war ich in einem Traum die ganze Zeit unter Wasser. Und bin da einfach herum geschwommen wie ich wollte. Ich musste nie auftauchen, um Luft zu holen. Ich war f***ing Aquaman. Warte kurz, ich muss das googeln. [Tippt in ihr Handy und ist kurz abwesend; Anm. d. Verf.]
Oh mein Gott, hier steht etwas! Unter Wasser Träume bedeuten, dass man Angst und Unsicherheit gegenüber Sex und der eigenen Weiblichkeit verspürt.
Das würde ich jetzt nicht besonders ernst nehmen. Du hast schließlich einen Song, der von deiner Pussy erzählt, aufgenommen und bringst Frauen bei, eine gesunde Beziehung zu ihrer Weiblichkeit zu haben.
Unter-Wasser-Träume scheinen eine ernste Sache zu sein. Vielleicht fühle ich mich ja im Moment unsicher mit meiner Weiblichkeit. Immerhin habe ich gerade meine Periode und meine ganze scheiß Küche ist Pink. Keine Ahnung was da gerade los ist! (lacht)
Wenn du das nächste mal im Studio einschläfst, von was für einer Welt willst du dann träumen?
Die Welt ist mir egal. Ich möchte davon träumen, wie ich einfach mit einem Schulfreund in seinem Auto sitze und Gras rauche. Ich glaube jeder hat so einen Moment in seinem Leben, an den er zurückdenkt, wenn er über Frieden nachdenkt. Ich hatte mal einen Freund namens Brendan. Er liebte es, mit mir im Auto rumzufahren, zu rauchen und tiefgründige Gespräche zu führen. Er hat mich nie bewertet oder verurteilt. Er hat einfach nur mit mir gesprochen. Obwohl meine Musik sehr laut und aggressiv ist, bedeutet diese Ruhe für mich Frieden.
Danke Rico und eine gute Nacht dir.
Interview: Mia Thordsen und Lukas Hildebrand