(Heart Working Class/Groove Attack)
»Generation Maybe«: Obwohl ich selbst Mitte zwanzig bin, kann ich diesen Begriff nicht mehr hören. Viel zu oft wird er hervorgeholt, um Untätigkeit und persönliches Zögern zu entschuldigen. Dabei sollten wir eigentlich für die vielen Möglichkeiten, die uns die Welt anbietet, dankbar sein. Gerard hat das zum Glück verstanden. Genau deswegen konnte »Blausicht« ein so gutes, ja, so ein wichtiges Album werden. Weil Gerard sich nicht damit zufrieden gibt, sich in melancholischer Stagnation einzunisten. Er ist nicht gekommen, um sich zu beklagen, sondern um sich das zu holen, was ihm gut und teuer erscheint. »Blausicht« ist ein Album über den Aufbruch, sein Leitspruch lautet: »Wir werden rausgehen und eure Welt erobern.« Trotz des »Wir« ist »Blausicht« eine intime Platte, weil der Texter Gerard mit detaillierten Beschreibungen konkreter Situationen arbeitet. Dadurch gibt er vielen Menschen die Chance, sich in seinen Erzählungen wiederzufinden, obwohl er eigentlich nur von sich selbst berichtet. Dieser Kniff ist es, der aus Songs wie »Alles Jetzt« und »Zünd den Regen an« genau so persönliche wie allgemeingültige Manifeste macht. Gerard schreibt nur für sich, aber gerade deswegen auch für uns alle. Dem unvermeidlichen Casper-Vergleich entkommt Gerard, weil seine Musik mit anderen Referenzen arbeitet. So liegt ein Vergleich mit Mike Skinner näher: Gerards Texte funktionieren auf einer ähnlichen Ebene – anstatt epische Bilder zu zeichnen, arbeitet er mit kleinen Geschichten aus dem Alltag. Zum anderen teilt Gerard mit Skinner eine Vorliebe für schräg gesetzte Garage-Beats. Bisweilen verstolpern sich die großartigen Instrumentals von NVIE Motho, DJ Stickle, Mainloop und Fid Mella, nur um dann so wieder richtig loszulegen. »Blausicht« pendelt zwischen diesen UK-Einflüssen und einem starken Drall in Richtung Cloud Rap. Doch auch diese verträumt-vernebelten Momente fügen sich hervorragend in das stimmige Gesamtkonzept ein. Dieses Album ist ein musikalisches Highlight und ein Plädoyer dafür, im Drama das modernen Lebens nie die Zuversicht zu verlieren.
Sascha Ehlert