Rap & Schlager: Der Himmel brennt // Feature

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Schlager-Sängerin Vanessa Mai und Rapper Olexesh

Das vergangene Jahr war ein Jahr voller Missverständnisse. Voller Zwietracht und Streit, ein einziges Tauziehen und Kräftemessen. Deutscher Rap heißt: Grüppchenbildung und Lagerdenken. Doch trotz der unterschiedlichen Stilrichtungen und Fraktionen gibt es einen gemeinsamen Feind: Die Volksmusik. Logisch! Und obwohl ja irgendwer die schlageresken Ausflüge deutscher Rapper streamen und kaufen muss, scheinen sich fast alle einig zu sein: Rap und Schlager, das geht gar nicht! Doch die letzte Bastion, die man bisher noch verteidigen konnte, bröckelt – auch wenn die Verteidiger sich ihre Vinylplatten als Schilder vor den Harnisch halten und mit dem Mikrofon um sich schlagen, als gäbe es kein Morgen.

Natürlich gab es Vergleichbares auch schon in der Vergangenheit. Wenn Bushido mit Karel Gott »Für immer jung« trällert, Die Atzen sich mit Mallorca-König Jürgen Drews ins »Sonnenstudio Marion« legen oder Genetikk eine Kinderschar »Wünsch dir was« schmettern lassen, dann gibt es immer die, die vom Untergang des musikalischen Abendlandes faseln und jene, die sich still und heimlich am Giftschrank des deutschen Rap laben. 2018 hingegen wurden die Türen dieses kleinen Giftschränkchens endgültig aufgestoßen. Ob Olexesh und Vanessa Mai oder »Vagabund« von Bausa – Schlager-Hooks sind längst eine Komponente, wenn nicht sogar Hauptbestandteil der alles dominierenden Spotify-Listen. Folgerichtig war hier also eigentlich ein Text über diese neue Symbiose geplant. Etwas kritisch, vielleicht sogar sarkastisch. Doch da es leider äußerst langweilig wäre, sich klatschend oder schimpfend in den Reigen der »Hate it or love it«-Fraktionen einzureihen, kommt nun meine ganz persönliche Theorie: Rap und Schlager haben mehr gemein als euch lieb ist. Deal with it! Beginnen wir mit einer einfachen Frage: Was verbindet Helene Fischer mit Haftbefehl?

Die Antwort ist so verstörend wie simpel: Sie sind die Ausgestoßenen einer vermeintlich intellektuellen Bildungsbürgerschicht; die, über die man sich gerne lustig macht. Die Witzfiguren der Studenten-WG. Die erstbesten Opfer. Die Zielscheibe derer, die sich von Böhmermanns sozialchauvinistischem Humor abgeholt fühlen, weil es so unglaublich einfach ist. Die sich auf Facebook über falsche Grammatik totlachen, weil: »Haha, guck mal: Der Nazi hatte keine gute Schulbildung.« Die über migrantische Straßenrapper kichern, weil sie kein Abitur haben. Weil es so leichtfällt, über Leute zu lachen, denen man sich aufgrund ihres vermeintlich niedrigen Bildungsstandes überlegen fühlt.

Obwohl bei angeblichem Unterschichtenrap als auch im Schlagersegment greifen die gleichen Mechanismen: Guck mal da, die Proleten

Die Fans von Helene Fischer und/oder Haftbefehl stehen für zwei Seiten des gleichen Prekariats. Und der gebildete Deutsche empört sich gerne über diese vermeintliche Unterschichtenmusik. In beiden Fällen funktioniert diese Empörung einzig und allein als umgedrehter Narzissmus. Durch die Verteuflung eines so massentauglichen und angeblich geschmacklosen Phänomens steht man selbst ziemlich gut da, ohne wirklich etwas Schlaues gesagt oder getan zu haben. Im Endeffekt ist es die Unterdrückung von Menschen, die angeblich dümmer sind, weil sie nicht die gleichen Voraussetzungen hatten.

Aber ist das auch richtig? Oder gar zielführend? Und bevor die ersten hier Schnappatmung kriegen: Das sagt selbstverständlich nichts über die musikalische Qualität solcher Künstler aus. Es sei jedem freigestellt, ob er zu »Lass die Affen aus dem Zoo« oder »Nur mit dir« die Hüften kreisen und den Kopf nicken lässt. Und dennoch fällt auf: Sowohl bei angeblichem Unterschichtenrap als auch im Schlagersegment greifen die gleichen Mechanismen: Guck mal da, die Proleten. Die Unterschicht. Und in letzter Konsequenz: Die Untermenschen.

Der Hang zum Individualismus, egal ob als veganer Instagram-Trend getarnt, als pseudointellektuelle Anti-Haltung gegen alles Mainstreamige oder eben als »Ich hör nur Cr7z«-Attitüde, ist nämlich ein hohes Gut geworden. Helene Fischer also, das deutsche Vorzeigesternchen, das Kräuterbuttermädel, die Fanmeilendirne, ist der Inbegriff des Mainstreams. Finden wir natürlich doof, wir sind schließlich alle Individuen. Haftbefehl wiederum, der Straßenrapper, der euch in der Kindheit auf dem Pausenhof die Milch geklaut hätte und der »Isch« statt »Ich« sagt, ist der Prototyp des von ihm selbst konstruierten Azzlack. Und davon möchten sich Bildungsbürger abgrenzen, schon klar. Sie wollen sich abgrenzen von diesen dummdeutschen Asozialen, diesen klatschwütigen Pegida-Mitläufern und »Dschungelcamp«-Zuschauern. Das sind nicht wir, nein! Und sie wollen sich abgrenzen von Leuten, die weder Paulo Coelho noch Christian Kracht lesen werden und gerne mal etwas ruppiger werden, wenn man ihnen blöd kommt, weil sie es nie anders gelernt haben. Damit haben wir ebenfalls nichts zu tun. Wir sind das bessere Deutschland.

Der Hang zum Individualismus ist ein hohes Gut geworden

Denn wir sind anders. Wir sitzen nachmittags mit einem frischen Ingwertee im Plattenladen und kaufen auch mal Fair-Trade-Hoodies, wenn sie gerade im Angebot sind. Wir haben einen einigermaßen guten Job (oder tun wenigstens so) und unsere Eltern konnten helfen, wenn es mal nicht so lief in der Schule. Wir lesen Zeitungen und gucken »Tagesschau«. Wenn diese Zeitungen dann über das Erfolgsmodell Fischer oder Haftbefehl berichten, liest man in den Kommentarspalten gerne mal Sätze wie »Deutschland schafft sich ab«. Denn mit so etwas wollen wir einfach nichts zu tun haben. Wir gehen lieber auf hedonistische Partys in Holzhütten-Clubs und schicken uns Youtube-Links von Videos total unbekannter schottischer Rapper; Rapper, die Helene Fischer und Haftbefehl garantiert nicht kennen. Und ihr Publikum erst recht nicht, dieses Gesocks aus Dunkeldeutschland und dem Morgenland, dieses ungebildete Prekariarat, das nicht mal unser bildungsbürgertumliches Kartoffeldeutsch spricht. Bloß weg mit denen. Weit weg! Bei Künstlern wie Helene Fischer oder Haftbefehl geht es schon lange nicht mehr um Musik. Es geht um Gut gegen Böse. Es geht um Bildungsbürgertum gegen Hochhausplatte. Es geht um Kunststudium gegen Mindestlohn beim Netto-Markt. Um Bibliothek gegen Shishabar. Und wenn es um all diese Dinge geht, dann weiß ich, wo ich ideologisch lieber stehe. Trefft mich bei Helene in der ersten Reihe, wie ich Hafti-Texte gröle! Und das ohne jeglichen Schulabschluss. Aber mit einigermaßen gutem Job.

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