Negrow: »Die Mucke war eigentlich mein Plan B« // Feature

-

Mit freundlicher Unterstützung von Kia

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Negrow und seine Musik in der JUICE-Redaktion für erstes Aufsehen sorgten. Damals stand der Hamburger gerade vor dem Release seiner »City Kids«-EP, die er mitsamt einiger Videos ins Office flankte und damit durchaus auf offene Ohren stieß. Sein Clip zu »Morgens am Hafen« posteten wir noch im Dezember, den zu »Zeichen der Liebe« nur einen Monat später – direkt als JUICE-Premiere. Man konnte sehen und hören, dass der Junge aus Steilshoop Talent und Potenzial hatte, und daran hat sich über die letzten Monate nichts geändert – im Gegenteil.

Im Zuge eines anstehenden neuen Releases kristallisierte sich daher die Idee heraus, Negrow in seiner Hamburger Heimat einen Besuch abzustatten und einerseits in die neuen Songs reinzuhören, andererseits mal die wichtigsten Stationen seines Lebens abzuklappern, um einen besseren Eindruck von dem charismatischen 27-Jährigen zu bekommen. Und so machten wir im 370 PS starken Kia Stinger GT bei einer kleinen Stadtrundfahrt ordentlich Strecke: Steilshoop, Winterhude, Schanze und zurück.

»Pferdestärken unterm Arsch wie im Western«

Wir treffen Negrow, der mit bürgerlichem Namen Musa Jawara heißt, und seinen Manager André wiederum ganz woanders, nämlich an der Mehrzweckhalle am Kurt-Emmerich-Platz in Wilhelmsburg. Dort lernten sich die beiden vor zwei Jahren zufällig kennen – für Negrow eine lebensverändernde Begegnung. »Ich hatte damals eine schwierige Zeit hinter mir und mir vorgenommen, mit der Musik endlich Vollgas zu geben«, beschreibt Negrow die damalige Situation. »Ich war dann hier auf einer Boxgala eingeladen und kam durch einen Bekannten mit André von den Tracksetters ins Gespräch, der sich dort ums Management kümmert. Er hatte von mir und meiner Crew STLZHD sogar schon gehört.« Doch dann passierte erstmal – nichts.

»Ich habe ein halbes Jahr lang nur noch Tracks aufgenommen, zusammen mit meinem Homie Tomo Montana in seinem kleinen Homestudio auf dem Dachboden seiner Eltern. Als ich so 15, 16 Tracks zusammenhatte, habe ich die André geschickt, der irgendwann trocken antwortete: ‚Kann man mit arbeiten.’« Die beiden müssen lachen, dann ergreift André das Wort. »Ich habe in Musa einen Rohdiamanten gesehen, der noch sehr geschliffen werden muss«, schildert André seinen ersten Eindruck von Negrow. »Wir haben uns dann ein paar Mal getroffen und besser kennengelernt. Da habe ich gemerkt: Der Typ ist nicht nur einer dieser Jungs aus Steilshoop. Der ist redegewandt und hat was im Kopf. Den kannst du auch zu ‚Anne Will‘ schicken, und der würde bestehen. Das hat mich beeindruckt.«

Derselbe Eindruck bestätigt sich auch im Verlaufe des Gesprächs mit Negrow, der einerseits die Eloquenz besitzt, jeden seiner Gedanken flüssig in Worte zu fassen, andererseits aber auch Straße genug ist und eine gewisse Roughness mitbringt, die einen interessanten Gegenpol dazu setzt. Als wir in den Wagen steigen, steht das nächste Ziel bereits fest: Der Gropiusring in Hamburg-Steilshoop; dort, wo Negrow aufgewachsen ist. Dabei fängt seine Story eigentlich in Eimsbüttel an.

»Bonjour! Guten Morgen, Deutschland/Ich bin wie Blitzeis ohne Streusand«

Negrow kommt im Oktober 1991 als drittes Kind (drei weitere sollen noch folgen) einer Deutschen und eines Gambiers in der Asklepios Klinik in Hamburg-Barmbek zur Welt. Die Familie wohnt jedoch im gutbürgerlichen Eimsbüttel und kann sich dort, wegen eines alten Mietvertrags, eine schöne, aber recht kleine Wohnung leisten. »Wir waren viele Kinder und hatten außerdem häufig irgendwelche Onkels zu Besuch – da war es oft eng«, beschreibt Negrow den permanenten Platzmangel. »Und als mein kleiner Bruder irgendwann mal ein Zimmer angebrannt hat, mussten wir Kids alle in einem Raum pennen. Nach der Aktion haben wir uns dann nach was Neuem umgesehen – und sind in Steilshoop fündig geworden.«

Mit dem Auto ist es eine halbstündige Fahrt von Eimsbüttel nach Steilshoop, doch dazwischen liegen Welten. Eimsbüttel ist voller Parks, viele Bäume stehen entlang der Straßen, überall Grün. Steilo hingegen, etwa zehn Kilometer weiter östlich, präsentiert sich zu jeder Jahreszeit in einem trostlosen Spiel aus matten Grautönen. Dort, wo früher Kleingärten für etwas Ruhe und Erholung sorgten, wurden in den Siebzigerjahren Großwohnsiedlungen und Plattenbauten errichtet. Die maroden Betonklötze prägen noch heute das bröcklige Bild des Bezirks. »Steilshoop war einfach viel günstiger«, weiß Negrow. »Für denselben Mietpreis bekamen wir gleich zwei, drei Zimmer mehr. Hier«, und er zeigt aus dem Auto nach draußen, als wir Steilshoop erreichen, »bin ich aufgewachsen.«

Foto: Markus Nass / www.markusnass.de

Die elterliche Wohnung lag unweit des Gropiusrings, einem zentralen Straßenring, die Hauptverkehrsader des Viertels. »Steilo ist meine Base, hier hat für mich alles begonnen. Alles, was für mich wichtig war, was mich geprägt hat, habe ich hier zum ersten Mal erlebt«, sagt Negrow, als wir vor der traurigen Kulisse des Steilshoop Centers parken, einer vergilbten Farce dessen, was man landläufig Einkaufscenter nennt. »Hier habe ich viele Leute kennengelernt, das ganze HipHop-Ding gelebt, aber mit 14 auch die erste Anzeige wegen Sachbeschädigung kassiert, als ich in der Steilshooper Allee ein Graffiti an die Bushaltestelle geballert habe.« Negrow muss unweigerlich lachen. Aus einem Hochhaus­eingang, den wir passieren, hallt seine Stimme heiser zurück.

Musik hat Musa immer schon interessiert, aber seine erste Leidenschaft galt damals noch dem Sport: Baseball. »Mein großer Bruder hat gespielt, also hab ich mit sechs Jahren auch angefangen – bei den Kleinen heißt das noch T-Ball.« Musa war ehrgeizig und hatte Talent. Er steckte all seine Leidenschaft ins Baseballspielen, wurde über die Jahre immer besser. So gut, dass er es bis zur Nationalmannschaft brachte – bis eine Schlägerei ihn zurückboxte auf den harten Boden der Tatsachen. »Dabei habe ich mir das Handgelenk zertrümmert. Der Mittelhandknochen ist immer noch schief«, sagt Negrow und zeigt seine Narbe. »Das war richtig dumm – aber gehörte letzten Endes zu meinem Schicksalsweg, zum Maktub.« An dieser Stelle trat Musik wieder verstärkt in Negrows Leben. Den frei gewordenen Platz in seinem Herzen füllte fortan HipHop aus.

»Minimum zwei, drei Goldplatten/Ich bin All-in, keine Zeit für Scheuklappen!«

Auch dafür ist sein Bruder verantwortlich, obwohl der kein klassischer HipHop-Typ war. Aber er drückt Musa irgendwann eine Mix-CD in die Hand, darauf Songs von Notorious B.I.G., Xzibit und DMX. »Ich habe die CD rauf- und runtergehört«, erzählt Negrow mit leuchtenden Augen. »Bis sie am Ende so durch war, dass nur noch drei Songs abspielbar waren.« Von da an fängt er an, selbst Texte zu schreiben – und hat seinen ersten Auftritt bereits in der 3. oder 4. Klasse, in der Aula seiner Grundschule. »Das war geil«, freut er sich. Er lacht: »Danach war ich der Star bei uns.« Im Haus der Jugend in Steilshoop, wo man umsonst Recording-Equipment nutzen und sich ausprobieren konnte, nimmt Negrow, in erster Linie zum Spaß, ein erstes Tape auf. »Aus heutiger Sicht war das natürlich nicht so krass«, gesteht Negrow, findet aber: »Für damalige Verhältnisse war das schon High Level.«

Eine ganze Weile später, mit 17, beschließt Musa zwei Dinge: 1. zu Hause ausziehen. Und 2. das mit dem Rappen ernster nehmen. Er pickt sich Beats aus dem Netz oder kickt seine Reime über die Instrumentals von US-Rappern. Auch seine Freunde fangen an, sich so langsam für HipHop zu interessieren. Und: Negrow beginnt sich zunehmend für Leute zu interessieren, die sich für HipHop interessieren. So kommt er auch zu STLZHD, einem losen, und dementsprechend recht großen Zusammenschluss HipHop-interessierter Jungs aus der Hood, der schon seit Mitte der Nullerjahre existiert. »Wir sind weniger eine Gang, wir sind eher ein Movement«, sagt er. Eine Gruppe, die aus locker fünfzig Leuten besteht, von denen aber nur fünf rappen: Hoodiny, Steez Black, Kero City, MC Ko und eben Negrow.

2013, damals war Negrow noch ein No-Name und hatte lediglich ein erstes Video zum Song »Ich sag nix« veröffentlicht, kommt STLZHD in Kontakt mit Aggro-TV – ein »Halt die Fresse«-Clip wird gedreht. »Die haben unser Movement einfach gefühlt«, so Negrow. »Für mich hat STLZHD da erst richtig begonnen. Da haben wir unserem Viertel eine Stimme gegeben.« Dennoch verlässt Negrow Steilshoop kurz darauf, es zieht ihn wieder westwärts – nach Winterhude.

»Brauche Knete, mache Pakete in der Gegend platt/Braucht paar Wege, bis du Jenes dann im Schädel hast«

Als wir in Winterhude ankommen, halten wir vor einem Backsteingebäude mit kleinem Vorgarten. »Dort«, Negrow zeigt auf einen Hauseingang, »habe ich gewohnt. In einer krassen Wohnung, mehr als 200 Quadratmeter über zwei Etagen. Unten war ein übles Studio. Da haben wir heftige Sessions gehabt, auch mit Leuten wie Nate57 und den 187-Jungs – für beide habe ich später ja auch Support-Shows gespielt.«

Foto: Markus Nass / www.markusnass.de

Dazu muss man wissen: Winterhude ist das Gegenteil von Steilshoop. Dort stehen Villen statt Plattenbauten, der Stadtteil gilt eher als Akademiker-, weniger als Arbeiterviertel. Eine Bude im gutbürgerlichen Winterhude, und dann noch in der Größe, die muss man sich erst mal leisten können. Darauf angesprochen, grinst Negrow. »Ich hatte damals eine sehr lukrative Sache am Laufen – die war bloß kriminell.« Näher möchte er nicht darauf eingehen. »Die Mucke war eigentlich mein Plan B. Aber das LKA hat die Bude irgendwann dichtgemacht.« Er hält kurz inne, dann sagt er: »Ich bin sehr gut aus der Sache herausgekommen und habe eine zweite Chance gekriegt. Das war göttliche Fügung, damit ich endlich meinen Arsch hochbekomme und nur noch Musik mache.« Kurz darauf trifft er dann seinen heutigen Manager André – und die Rapkarriere beginnt Fahrt aufzunehmen.

Wir steigen wieder in den Kia Stinger. »Ich habe bisher ja schon ein paar Tapes rausgehauen, darunter ‚Louis Beton‘ mit HTTNBR, dann die ‚Natcho‘-EP 2016 – und dann bin ich eben auf André und die Tracksetters gestoßen. Das Ergebnis war die ‚City Kids‘-EP Anfang dieses Jahres.« Negrow schaut aus dem Fenster, während wir Richtung Schanze fahren. »Das war das erste Mal, dass ich zu 100 Prozent hinter einer Veröffentlichung stand – und auch heute immer noch stehe. Denn das ist der Negrow, den ich den Leuten zeigen möchte.«
Den Entstehungsprozess der »City Kids«-EP hat Negrow damals komplett begleitet, nicht nur seine Sechzehner und die Hooks geschrieben, sondern auch Input im Studio gegeben und sich voll kreativ eingebracht. Dementsprechend ist die EP nicht nur sehr facettenreich ausgefallen, sondern auch geflutet von Herzblut. »Mein nächster Release«, sagt Negrow und deutet an, dass es bis dahin nicht mehr lange dauern kann, »wird den eingeschlagenen Weg noch weiter verfestigen. Ich kann dir schon ein paar Sachen vorspielen«, sagt er und schließt sein Handy an die Anlage im Auto an.

Foto: Markus Nass / www.markusnass.de

Es wummert. Engmaschige Bässe hämmern gegen die Scheiben, lassen sie erzittern. Die Beats drücken uns in den Sitz. Das speziell für den Kia Stinger entwickelte 720 Watt starke Harman Kardon Premium Soundsystem im Wagen lässt die Songs über die 15 Lautsprecher klingen, als stünde man gemeinsam mit Negrow auf der Bühne – QuantumLogic-Surround nennt Harman Kardon diese einzigartige Technologie. Eine weitere Technologie namens Clari-Fi sorgt dafür, dass die Tracks genau so wiedergegeben werden, wie sie im Studio aufgenommen wurden. »Im Deutschrap ist die Liebe zum Detail verlorengegangen. Das möchte ich wieder ändern: mit mehr Ästhetik, mehr Vibe, mehr musikalischer Offenheit«, erklärt Negrow, als wir an der roten Flora halten, dem autonomen Kulturzentrum am Schulterblatt, um dort in einer der umliegenden Bars den Abend ausklingen zu lassen. »Es gibt auch schon einen Titel für den Release: ‚Morgen’«, verrät er: »Das ist mein Name in Spiegelschrift. Die Platte soll mir schließlich ein besseres Leben im Morgen ermöglichen – als eine Art self-fulfilling prophecy.«

Und wer einmal einen Blick in Negrows Augen werfen konnte, die er die meiste Zeit hinter den verdunkelten Gläsern seiner Sonnenbrille verbirgt, der weiß, dass er es ernst meint. Wie lautet doch der Titel eines alten Bond-Movies: »Tomorrow Never Dies«.

Foto: Markus Nass

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #189 – jetzt am Kiosk oder versandkostenfrei im Shop bestellen.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein