»Viele Rapper kennen einfach die Grenze nicht« // Nate57 im Interview

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Außer ihm hat kaum ein anderer Straßenrapper in den ­letzten zwei Jahren eine solche Aufmerksamkeitswelle erzeugt: Der 19-jährige Nathan Pedreira aka Nate57 konnte für seine Streetvideos zu “Blaulicht” und “Nur die Starken überleben” sogar Props von gestandenen Szenegrößen wie Sido, Jan Delay, Fler oder Samy Deluxe einheimsen. Trotzdem hält der Hamburger es lieber in der Familie: Sein Bruder Blacky White ist nicht nur Labelchef des eigenen Indie-Imprints Rattos Locos Records, sondern auch Produzent des mit Spannung erwarteten Debütalbums “Stress aufm Kiez”, auf dem Nate57 auch sein Umfeld vorstellt: Telly Tellz, Reeperbahn Kareem, Boz und Collin sind mit Features vertreten. JUICE besuchte die sympathischen Hoffnungsträger in ihrem Homestudio im Hamburger Karoviertel.

Wo und wie bist du aufgewachsen?
Nate57: Ich bin im Karoviertel aufgewachsen, seit 1993 lebe ich hier. Der Stadtteil war damals ­extrem berüchtigt. In diesem Viertel wohnten fast nur ­Immigranten und linksalternative Deutsche. Ich komme aus der Unterschicht.

Du bist jetzt 19 Jahre alt. Wie lange rappst du schon?
Nate57: Seit ich 15 bin, also vier Jahre. Ich war aber vorher schon ein richtiger HipHop-Verrückter und habe immer die Texte von meinen Lieblings­rappern mitgerappt. Als uns dann mal eine Gang aus einem anderen Viertel gedisst hat, haben wir uns ein Mic besorgt und die Typen zurückgedisst. Da wir keine Rapper unter uns hatten, habe ich mich verpflichtet gefühlt, das in die Hand zu nehmen. Darauf habe ich sehr gute Resonanz ­bekommen.

Welche Künstler haben dich inspiriert?
Nate57: Hauptsächlich Ami-Rap wie Wu-Tang, Mobb Deep, Biggie, Tupac, die Standardnamen eben. Mich hat immer Musik inspiriert, die zu meinem ­Leben passt. Aus Deutschland waren es Rapper wie ­Charnell oder Kalusha, die ich gefeiert habe.

Wie kommt es, dass du dich als junger Typ überwiegend mit Neunziger-Rap auseinandersetzt?
Nate57: Das liegt wohl daran, dass die Rapper damals in ihrer Musik mehr Wert auf die Realness gelegt haben. In der Zeit zwischen 1994 und 1996 gab es viele gute Platten. Natürlich gibt es auch neue Musik, die ich feiere, aber es sind immer nur einzelne Songs, die ich gut finde. Ich mag es einfach nicht, wenn es musikalisch zu sehr in die poppige Schiene geht.

Wie groß war der Einfluss deiner Familie auf die Entscheidung, selbst Musik zu machen?
Nate57: Sehr groß. Mein Vater war ja auch Musiker. Und mein Bruder hat mich dazu gebracht, die Musik möglicherweise auch als Karriereweg einzuschlagen.

Nur möglicherweise?

Nate57: Ich bin da realistisch und mache mir keine Illusionen. Die Resonanz ist ja schon sehr gut. Die großen Rapper erwähnen meinen Namen, die Klicks im Netz stimmen auch. Das sind Anzeichen dafür, dass es klappen könnte. Aber es könnte auch genauso gut nicht klappen. Es gibt jede Menge B- oder C-Rapper da draußen, die ihr Ding schon seit Jahren durchziehen, obwohl wenig bis keine Resonanz kommt. Als so einer will ich nicht enden. Ich werde wahrscheinlich immer Musik machen, nur ob es so intensiv sein wird wie jetzt, wage ich zu bezweifeln, wenn da keine Rückmeldung kommen sollte.

Hast du eigentlich einen Schulabschluss?

Nate57: Ich gehe jetzt wieder zur Schule und mache meine beiden Abschlüsse an der Abendschule nach. Ich versuche, das parallel zu meinem normalen Leben und meiner Karriere durchzuziehen. Der Abschluss wird vielleicht nicht die Superbombe, aber es ist immerhin ein Abschluss. Ich konnte einfach nicht ohne dastehen, weil man dann schnell als derbe dummer Typ eingeschätzt wird.

Wenn man sich deine Texte anhört, kann man davon ausgehen, dass du schon jede Menge Mist gebaut hast. Wie gerät man in deiner ­Umgebung auf die schiefe Bahn?

Nate57: Armut. Das entsprechende Umfeld zur ­Armut. Und Rassismus. Wir leben in einem repressiven System, das gegen viele Menschen arbeitet. Es bringt nur manchen Menschen Glück und anderen eben nicht. Diese Umstände machen uns aggressiv und bringen uns dazu, bestimmte Dinge zu tun. Die Aggression, die Gier, alle Übel wurzeln darin. Dann fängt man an, Drogen zu nehmen und gerät immer tiefer in die Scheiße. Aber das hat größere Ursachen, als man allgemein denkt. Viele denken ja, wir machen das aus Spaß oder um cool in der Zeitung zu stehen.

Würdest du dich selbst als aggressiven ­Menschen bezeichnen?
Nate57: In mir steckt viel Aggression, aber ich lebe sie nicht immer aus. Ich versuche, sie so gut wie möglich zu unterdrücken und nur rauszulassen, wenn es unbedingt nötig ist. Musik ist eine große Hilfe ­dabei, das ist ein Katalysator. So kann ich meine Wut rauslassen, und ich verbringe meine Zeit nicht mit anderer Scheiße. Obwohl, die andere Scheiße… Ach, ich will nicht darauf eingehen. (lacht)

Es heißt, dass du als Jugendlicher eine ­dreijährige Bewährungsstrafe bekommen hast und dein Bruder dich daraufhin durch die Musik von diesem Weg abbringen wollte.
Blacky White: Die Verurteilung war nicht der ­ausschlaggebende, sondern nur einer von mehreren Punkten. Ich hatte ja auch meine Konflikte mit dem Gesetz. Musik hat für uns beide und für unser Umfeld eine Möglichkeit geboten, sich anders zu ­beschäftigen. Aber letztlich kann man sich auch nicht durch Zauberei aus dieser Welt herausholen.
Nate57: Das ist das Problem. Wir arbeiten zwar viel, so dass uns die Musik von den kriminellen Dingen ­abhält. Aber wir verdienen eben noch kein Geld mit der Musik, oder jedenfalls nicht genug.
Blacky White: Die Industrie ist am Boden, viele ­haben keine Wertschätzung mehr für Musik. Früher war eine Platte noch etwas total Wertvolles. Heute ­laden die Kids einfach alles runter und wissen gar nicht mehr, wie schwer es ist, eine Platte zu machen.
Nate57: Jedenfalls eine gute Platte, keine ­hingepfuschte, bei der man sich mal eben einen ­Monat hingesetzt hat.

Obwohl in der HipHop-Szene viel Neid herrscht, bekommst du starken Zuspruch von etablierten Rappern wie Sido, Jan Delay, Fler oder Samy Deluxe. Was bedeutet dir das?
Nate57: Wenn ich ehrlich bin, bedeutet es mir nicht so viel, wie es vielleicht einem richtig krassen Deutschrap-Fan bedeuten würde. Aber es bedeutet mir schon viel, dass es die großen Namen sind, die viel für HipHop in Deutschland gemacht haben. Es freut mich natürlich, dass sie mich erwähnen, aber ich springe jetzt auch nicht gleich in die Luft. Ich respektiere es, dass sie meine Musik feiern, und es bestätigt mich noch mal auf eine andere Weise.

Käme da nicht eine Zusammenarbeit in ­Betracht, um deinen Bekanntheitsgrad zu steigern?

Nate57: Nein. Niemals. (lacht) Ich will Musik mit Leuten machen, deren Musik ich mag und bei denen es menschlich passt. Gerade bei den größeren Namen würde ich mich erst mal zurückhalten, weil ich nur durch meine eigene Musik bekannt werden will. Ich will nicht, dass es heißt, ich sei nur bekannt ­geworden, weil ich irgendein Feature gemacht habe.

Die andere Strategie junger Rapper ist es, einen bekannten Rapper zu dissen.
Nate57: Das habe ich bewusst nicht gemacht, weil ich es albern finde. Ich stelle mir dann immer vor, was ich denken würde, wenn ich in der Position des bekannten Rappers wäre. Das ist wie mit Steinchen auf Leute an der Bushaltestelle schmeißen. Es bringt nichts. Natürlich gab es Situationen, wo ich was ­gesehen oder gehört habe und dann dachte: “Digga, den peinlichen Typen, soll ich den nicht mal ­erwähnen und runtermachen?” Aber am Ende ist das nichts wert, ich finde das kindisch. Ich habe Zeitdruck, mir ist nicht so oft langweilig. (lacht)

Aber der Battle-Gedanke ist ja schon ein Teil der HipHop-Kultur.
Nate57: Ich bin ein Typ, der anders mit solchen Sachen umgeht als andere Rapper. Das war vielleicht auch ein Grund, niemanden zu dissen. Denn wenn derjenige dann etwas Falsches antworten würde, müsste ich mit Gewalt reagieren. Und das will ich nicht. Viele Rapper kennen einfach die Grenze nicht. Wenn sie diese Grenze übertreten, dann flippe ich aus. Und ich habe schon genug Probleme an meinem Arsch, da kann ich so was nicht gebrauchen.

In deinen Videos demonstrierst du trotzdem durch dein Umfeld eine gewisse Härte. Woher kommt dieser Drang?
Nate57: Ich muss niemandem was beweisen. Das sind einfach meine Jungs, das ist authentisch. Mich hat es früher auch interessiert, wie die Jungs von ­Tupac aussehen. Wenn das dann für die Leute so rüberkommt, dann ist das eben so. Das passt ja auch zu unserer Musik. Es ist aber nichts Kalkuliertes, um ein paar Klicks mehr zu bekommen.

Trotzdem gibt es natürlich diese ­ghettoromantischen Klischees im Straßenrap: der Kampfhund, die Narbengesichter…
Nate57: Normal. Aber ich bin in so einem Umfeld groß geworden, und das ist auch der Grund, warum ich HipHop höre. In jeder Stadt in Deutschland gibt es solche Gegenden. Man kann es Unterschicht nennen, Ghetto, Brennpunkt, wie auch immer. Überall passieren die gleichen Sachen. Die Jungs haben Hunde und machen Geschäfte damit, oder man ist mit Leuten unterwegs, die Kämpfer sind und deshalb in der Fresse gezeichnet sind. In diesem Umfeld ist HipHop doch überhaupt erst entstanden. In der Vergangenheit haben viele Rapper immer nur einen Image-Abgleich mit Amerika vollzogen. Wir machen einen Abgleich mit unserem Leben. Das ist unsere eigene Interpretation von HipHop.

Bist du ein politischer Rapper?
Nate57: Ja. Das ist auch einer der Gründe, warum ich das überhaupt mache. Ich will einfach unsere Denkweise vermitteln. Ich mache auch viele Lieder, in denen ich Themen eher allgemein beschreibe, damit sich jeder in die Situation hineinversetzen kann. Es hat ja seinen Hintergrund, warum wir so denken, wie wir denken.

Nervt es euch, dass Hamburg in der Rapszene bis heute das Image der mittelständischen Spaßrap-Stadt nie wirklich losgeworden ist?
Nate57: Darüber muss man gar nicht mehr reden. Es gibt viele krasse Gegenden: St. Pauli, Billstedt, Wilhelmsburg, Osdorf, Steilshoop, Veddel. Hamburg ist die zweitgrößte Stadt Deutschlands und auch Hauptstadt des Verbrechens laut Statistik. Aber die Kanaken hier haben früher nie HipHop gehört, die haben Techno, R&B oder türkische Musik gehört. Das hat sich geändert, auch weil die jüngeren Immigranten oft besser Englisch sprechen und daher Bezüge zu ihrem eigenen Leben herstellen konnten. ­Inzwischen gibt es auch Kids, die nur mit Deutschrap oder sogar nur mit Rap aus Hamburg aufgewachsen sind.

Bist du ein ­Lokalpatriot?
Nate57: Auf jeden Fall. Aber das heißt nicht, dass ich alle anderen Städte hassen muss. Nicht mehr jedenfalls. Als kleiner Junge war ich da extremer, damals habe ich sogar andere Stadtteile gehasst. Das ist heute anders. Man kennt mich in vielen Stadtteilen, aber ich repräsentiere immer noch St. Pauli.

Der Stadtteil ist sehr linksalternativ geprägt. Hatte das einen Einfluss auf deine politische Sozialisation?
Nate57: Ja. Der Bauwagenplatz “Bambule” war ­direkt neben meiner Grundschule, ich musste immer mit meinem Fahrrad durch die Scheiße fahren. (lacht) Dieses Hardcore-Extrem-Linke, diese Ich-scheiß-auf-alles-Einstellung, habe ich hier im Karoviertel ­mitbekommen. Dafür ist es ja auch bekannt.

Hast du denn auch wahrgenommen, wie die ersten Yuppies ins Karo- und Schanzenviertel gezogen sind?
Nate57: Klar. Bei uns am Schanzenbahnhof standen ja früher die ganzen Crackdealer. Die haben sie dort mittlerweile auch verdrängt. Heute ist das ein ganz anderes Pflaster. Natürlich sollte man hier immer noch aufpassen, was man macht. Aber es hat sich verändert. Es sind Leute mit Geld hergezogen, die aussehen, als wenn sie kein Geld hätten. Das ist ein bisschen paradox. Die mögen das anscheinend. Und dann bauen sie natürlich neue Häuser, die ­Mieten steigen und so weiter. Das ist ein Kreislauf, diese Gentrifizierung. (lacht)
Blacky White: Die wollen die Probleme in die Randbezirke verdrängen, das ist deutschlandweit so. Ich sage aber: Deutschland wird das Problem nicht ­verstecken können. Schaut euch Frankreich an, da fliegen die Steine und brennen die Autos. Von daher sollen die Politiker bloß aufpassen, was sie da ­machen.

Text: Stephan Szillus

Fotos: Marco Heckler

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