Vor fast genau zehn Jahren sitze ich mit meinen Freund*innen an unserem Secret Place »Top of the World«. Ich bin in diesem Moment 15 Jahre alt und genau genommen war dieser ominöse Platz gar nicht so secret. Jeder kann ihn finden. Es ist eins der Dächer des Ihmezentrums in Hannover, Linden. Sagen wir einfach mal, wir sind gerade dabei, uns eine Zigarette zu teilen. Aus irgendwelchen schrabbeligen Handylautsprechern dröhnt »Haze Busters« von Celo & Abdi. Danach: Fressflash. Erstmal ’n Döner.
Zu genau dieser Zeit, vor diesen magischen zehn Jahren veränderten die Frankfurter Celo und Abdi in Thug Life- und Pitbull-Dresscode mit ihrem Mietwagentape deutschen Rap. Die beiden sollten etwas schaffen, was vor ihnen noch niemand geschafft hat: Harten Straßenrap, der Humor hat. In ihren Texten ging es um gesellschaftliche Missstände, die Probleme der kleinen Leute, ihre Heimat Frankfurt und das Leben auf den Straßen. Neben Wortwitz, Rhymes und Flows hatten die beiden politische Haltung. Celo und Abdi treten in ihren Texten nicht ständig nach unten. Ihr Alleinstellungsmerkmal bis heute: Ihre Multilingualität. Sie holten »den Jargon ins Wörterbuch« und sorgten zusammen mit Haftbefehl für eine Normalisierung der Vermischung verschiedener Sprachen und Begriffe, die in Deutschland ohnehin gesprochen wurden.
Heute stecke ich mitten in meinen Zwanzigern. Celo und Abdi sind Legenden des Deutschraps geworden und Bosse ihres eigenen Labels 385idéal. Vergangenes Jahr kündigten sie mit dem »Interlude IV« ganz offiziell den Nachfolger ihres Klassikers an: Das Mietwagentape 2 stand in den Startlöchern.
Nun ist es ja mit solchen Nachfolgern und Fortsetzungen immer eine heikle Angelegenheit: Entweder übertreffen die Künstler*innen sich selbst (Run The Jewels 1-4) oder hauen vollkommen daneben (CCN III & IV). Was also, wenn Celo und Abdi mit ihrem Nachfolger vollkommen daneben hauen würden? Können die beiden den Flair des Mietwagentapes zehn Jahre später nochmal einfangen?
Wer Cover und Tracklist betrachtet, der dürfte auf den ersten Blick nicht zu übersehende Parallelen erkennen: Der deutsche Reisepass, die fortgesetzte Nummerierung der Interludes und die Abfolge der Songs – beide Tapes folgen demselben roten Faden. Bloß ein erstes Indiz dafür, dass Celo und Abdi ihr zehn Jahre altes Mietwagentape in der Gegenwart fortsetzen wollen.
»Auf die Frage, ob ich Deutscher bin, kann ich nur sagen, dass ich in jedem Falle gerne in Deutschland bin«
Auf dem Cover des ersten Mietwagentapes (kurz: MWT) zeigt Abdi mit frechem Blick einen Mittelfinger in die Kamera. Ein Bein auf eine Bank gestellt, den Hoodie halb über die Glatze gezogen. Links von ihm sitzt Celo, die Cap tief ins Gesichts gezogen. Das einzige, was Farbe in dieses schwarz-weiße Albumcover bringt, ist der bordeauxrot leuchtende Deutsche Reisepass. Wer den Texten der Platte über gefälschte Meldebescheinigungen und Co. lauscht, dem werden schnell die skurrilsten Ideen in den Kopf kommen, was es mit dem Pass auf dem Cover auf sich haben könnte.
Für das Nachfolger-Cover ließ das Tandem sich in Farbe ablichten. Frontal gucken beide in die Kamera. Die untere Hälfte des Bildes füllt eine schwarze Motorhaube aus. Celo stützt sich lässig mit dem Ellenbogen auf dem Dach ab, die Augen von einer Sonnenbrille verdeckt. Abdi grinst im weißen Hoodie in die Kamera. Dieses Mal ohne Kapuze, dafür mit Haaren. In der linken Hand präsentiert er – natürlich – den deutschen Reisepass.
Mietwagensound trifft auf Mietwagentune
Die ersten Lines des Tapes gehören Abdi. Mit straightem Flow, raffinierten Rhymes, einem schmetternden, modernem Straßenbeat, gibt »HYZ!« ohne viel Schnickschnack die Marschrichtung der Platte vor. Spätestens wenn Celo »Die du trotz Millionendeals schwarzfahrend in der U-Bahn siehst, 385-Imperator, U4, letzter Waggon« auf den Beat ablädt, beamt sich die zehn Jahre alte »Auf Jetzt!«-Ästhetik in die Gegenwart. Das Mietwagentape ist zurück in der Zukunft.
Auf das Intro folgt das erste Interlude. Celo und Abdi treffen sich in einem Wettbüro. Celo zeigt auf den »Jugo am Tisch da hinten«. Sein Neffe hätte in Holland einen Ripp gemacht, der für ihn auf der Intensivstation endete. Nun gilt es die Ware wieder zu beschaffen. Die Bezahlung: Aktien von AC Mailand. Ein Kindheitstraum für die Frankfurter. Los geht’s, auf Kickdown nach Amsterdam. Vor zehn Jahren startete ihre Mietwagen-Tour nachdem Abdi seine Flamme im »Cookies« (Nacht- und Dance Club in Frankfurt) besucht hat. Celo rannte den ganzen Tag nur rum. Das erste Interlude und damit der Startpunkt ihrer Reise mag zeigen, dass die beiden zwar ein wenig erwachsener geworden, aber immer noch dieselben Abenteurer auf der Straße sind.
Was beim letzten Mal noch »Mietwagensound« hieß, trägt nun den Titel »Mietwagentune«. Statt des X6 lenkt Celo nun den X8 auf die Tanke und anstatt sich Weinbrand einzutanken, werden Kaffee, Blättchen und Tabak gekauft. Bei ihrem letzten Zwischenstopp auf einem Parkplatz »bumsten sie assige Mäuschen, dreckig wie Hartplatz«. Dieses Mal gibt’s Schollenfilet und Gambas.
»Gute Quali erkenn‘ ich auf ein Blick wie ’ne TV-Zeitschrift«
Haftbefehl war damals der Mann der Stunde und durfte auf dem MWT selbstverständlich nicht fehlen. Er war es, der Celo und Abdi »das Portal öffnete, durch dass sie gemeinsam gingen«. Auf »Ta Gueule«, einem der zwei Hafti-Features des ersten Tapes erblickten Lines wie »Celo 385, der euch alle bumst« oder »385i sprengt komplett deinen Bunker weg« das Licht der Welt. Zwar gibt es auf dem MWT2 kein Haftbefehl-Feature mehr, doch mit Hanybal und seinem Part auf »Digitalwaagendisplays« übernimmt ein weiteres Azzlack-Mitglied den Job. Ticken bleibt ein zentrales Thema des Songs, der auch die Konkurrenz ins Visier nimmt. Mit Lines wie »Rapper sein heißt nicht nur Instagram-Likes, Kinder, ich weiß, Chicks und Cash sind cool, doch ihr habt nix damit zu tun« richtet Hanybal sich unmittelbar an die nachfolgenden Generationen.
Ein Prinzip, an dem Celo und Abdi sich schon vor zehn Jahren bedienten, ist die gesungene Hook. Auf »A.C.A.B.« sang sie Anoush. In der neuen Version »Hinsetzen, Anschnallen« übernimmt Olexesh diesen Part. Der Sound hat sich weiterentwickelt und kommt in einem zeitgemäßen, modernen Gewand daher. Die Prinzipien, den die beiden in ihrer Musik folgen, bleiben dieselben.
»Willkommen bei FlexFM!«
Während die Interludes vom »Mietwagentape« Gespräche von Celo und Abdi einfangen oder vermeintliche Stimmen aus dem Viertel laut werden lassen, die sich zum Tape äußern, bedient man sich auf dem MWT2 an der eigenen Radiosendung. Richtig gehört: 385i hat eine eigene Radiosendung. Der Radiosender YouFM und 385idéal haben gemeinsam die Flexclusive Cypher ins Leben gerufen, unter anderem moderiert von 385i-Member Samir. Kein Wunder also, dass der Radiosender der Interludes den Namen FlexFM trägt. Im Rahmen des Formates »Laberflash« können Zuhörer*innen anrufen und ihre Meinung zum MWT2 kundtun. Das läuft mal mehr, mal weniger harmonisch ab, ist aber in jedem Fall ziemlich witzig.
»Biggie und 2Pac spitten mit Schulabschlüssen«
Mit »IBB« als erstes Single-Release traten Celo und Abdi im Sommer die Tür für MWT2 ein. Bei der IBB handelt es sich um die Ignatz-Bubi-Brücke, eine der bekanntesten Brücken Frankfurts. Zwischen Ansagen wie »Biggie und 2Pac spitten, mit Schulabschlüssen // Unsre Sprüche keine 0815-Mutterwitze« erzählen die beiden mit Lines wie »Oldschool, SB, wir sind von damals noch // Playsi-Eins ausgeliehen, Tomb Raider, Lara Croft // Stadion-Bad, abgefuckt, Frankfurt-Pass, Ferienkarte« Geschichten vergangener Tage und zeichnen so bewusst nostalgische Bilder. Nicht nur mit dem Titel zollen die beiden ihrer Stadt Tribut, auch Biggie und 2Pac sind noch immer fest verankerte Motive ihrer Texte.
Sobald Celo Abdi in der Hook fragt »Ich bin auf Cali, was geht bei dir?«, der mit »Goldstein-Academy, ich repräsentier‘« antwortet und Zeilen wie »Wo Jugendliche Hunnis ticken mit Louis-Gürtel // Ich geb‘ Kickdown auf der Ignatz-Bubis-Brücke« drängt sich einem der Gedanke auf, dass doch irgendwo schon mal so gehört zu haben. Stimmt auch. Auf »Meine Stadt« (MWT) rappten die beiden: »Ich bin auf Haze Joints, was geht bei dir? // Stadtwald Frankfurt ich repräsentier // 1 Pfund Weed weitergereicht, was geht bei dir? // Frankfurt Innenstadt wo ich alles rasier«. Und damit legt »IBB« exemplarisch offen, was sich durch das gesamte Album zieht: Versteckte lyrische Eastereggs. Immer wieder liefern die beiden Anlehnungen an ihr Mietwagentape.
Selbes gilt übrigens auch für die Beats. Die Skizzen scheinen sich stark zu ähneln, wenn sie nicht sogar dieselben geblieben sind: Geschwindigkeiten wurden geändert, veraltete Elemente gegen neuere ausgetauscht und die Samples angepasst. Kurzum: Ein zeitgemäßes Fresh-Up für den Sound des MWT. Besonders gut lässt sich dies erneut an »IBB« und »Meine Stadt« verdeutlichen. Der Beat folgt demselben Schema folgen, Charakteristika wie dumpfe Drums und Bässe, sowie das eindringliche Sample zu Beginn sind geblieben, sie haben lediglich einen neuen Anstrich bekommen.
Neben den Beats und lyrischen Parallelen bleibt die Multilingualität ein signifikantes Alleinstellungsmerkmal. So rappt Abdi auf »Directors Cut« Slang-durchtränkt über Shiba Tee und Badelatschen von FILA. Welche Bedeutung der Name ihres Tracks »Machu Picchu« hat, erschließt sich einem auch erst mit etwas Glück auf den zweiten Blick. »FranzaForta« war damals das erste Release des Mietwagentapes. Klar, dass »Franzaforta Deux« auf der neuen Platte nicht fehlen darf. Französisch dient hier als wiederkehrendes lyrisches Motiv, während Killer Kamal auf »Flodder« die lyrische Reise nach Holland komplettiert.
Ebenso sind die beiden für ihre zahlreichen Features bekannt. Begründet haben sie das mal so: HipHop bedeute immer auch Zwischenmenschlichkeit. Kein Wunder also, dass Deutschlands Straßenrap-Elite ihre Parts zum MWT2 beisteuert, wenn Celo und Abdi einladen. Neben 385i-Membern wie Olexesh und Nimo sind Brudi030, Gringo, HK, NGEE und Bonez zu hören. In alter MWT-Manier bekommen Schubi AKpella und Krime ein ganzer Track ohne ihre Labelbosse zu.
Celo und Abdi übersetzen ihr bekanntes Lebensgefühl aus Straßenweisheiten, Abhängen mit den Jungs, Kulturvielfalt und Humor in die heutige Zeit.
»Ihr wollt was Politisches, ich sag’: Seehofer ist ein Opfer«
Vor zehn Jahren entschuldigte Abdi sich auf »Verzeih mir Papa« bei seinem Vater, kein Fußballer, sondern Rapper geworden zu sein. Heute rappt er auf »Algorhythmus« davon, von den Erfahrungen anderer zu lernen. Auch Celo zeigt sich reflektiert und lässt die Anfänge auf seinem Solotrack noch einmal Revue passieren: »GTA DVA, Para mit Amnezia (…) Ihr wollt was politisches, ich sag‘: „Seehofer ist ein Opfer“ (…) Ah, von Kalt-Akquise, 200er Nouga-Platten // Haft hat das Portal geöffnet, wir sind gemeinsam durchgegangen«. Im zugehörigen Video zeigt Celo sich mit seinem kleinen Sohn im Block auf dem Arm.
Auf »Flodder« gibt`s den politischen Nachschlag à la Celo: »Du Hinterwäldler, wohin mit deiner Pickelfresse? // Nach ‚m Schweineschnitzel ziehst du dir ’ne Line Speed und chattest // In rechten Channels a la Zschäpe, Hillbillies with attitude // Im Nеtz gegen Kanaken hetzen, Nickname: fils de pute« greift er den gegenwärtigen Rechtsruck in Deutschland auf.
Spätestens nach den Solotracks dürfte außer Frage stehen, dass die Lebenssituationen, Prioritäten und Ansichten der beiden anders klingen als vor zehn Jahren. Celo und Abdi sind erwachsen geworden und das ohne an Kredibilität oder Authentizität einzubüßen. Damit schaffen sie mit Leichtigkeit das, was andere vor ihnen oft versemmelt haben: Ihren Rap mit ihnen wachsen zu lassen.
»WIE B.I.G. VON DER STREET BIS MTV«
Zum Release des MWT2 erschien auch eine letzte Single-Auskopplung. Auf »Keine Fantasie« arbeitet das Tag Team gemeinsam mit Nimo noch einmal die letzten zehn Jahre auf – natürlich nicht ohne eine Anlehnung an den Vorgänger »V.I.P« zu schaffen. Aus »Piko halt’s Maul // Abdi Celo dreht auf // 385i Underground und der Track bounced // Rap bis zum Promistatus wir woll’n hoch hinaus // Kronberg im Taunus räum’n wir eure Villen aus« wurde »Pico, halts Maul, dreh den Sound auf 385 Industries und der Track bounced // Offizieller Promi-Status, wir wollten hoch hinaus // Krombeck im Taunus, such mir bald ’ne Villa aus«.
Celo und Abdi haben in den letzten zehn Jahren ihren ganz persönlichen Aufstieg hingelegt. Sie führen ihr eigenes Label mit Größen wie Olexesh und Nimo unter Vertrag, bieten mit Projekten wie »Von der Straße in die Charts« jungen Künstler*innen nicht nur eine Plattform, sondern auch eine Perspektive und machen selbst weiterhin einflussreiche Musik. Auch was die Entwicklung ihres Privatlebens angeht, halten die beiden sich mit News nicht zurück: Celo ist Vater geworden und Abdi hat geheiratet. Achja, nicht zu vergessen: Ihre Büroräume befinden sich jetzt im Stadion des FSV Frankfurt scheinen die beiden besonders stolz zu machen.
Ein neuer Klassiker
Zehn Jahre später sprechen Celo und Abdi noch immer fließend die Sprache ihres Classicos. Durch ihre Lyrik, Beats und nostalgischen Bilder haben sie es mühelos geschafft, die Emotionen und das Lebensgefühl vom MWT noch einmal einzufangen. Das Mietwagentape 2 ist jedoch keine Neuauflage, es ist eine klare Weiterentwicklung mit eigenem Sound. Eine Neuauflage hätte in meinen Augen auch weder der Anspruch noch das Ziel sein sollen. Celo und Abdi haben mit diesem Tape vorgemacht, wie es sich anhört, mit der Zeit zu gehen, ohne sich untreu zu werden. Das MWT 2 zeigt, wie groß ihr Einfluss auf deutschen Rap auch heute noch ist. Das ist mehr als eine Fortsetzung, das ist ein neuer Klassiker.
Text: Lena Müller
Krass, nach dem Text höre ich das Album anders. Sehr gelungen!