Luciano – Eiskalt // Review

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(Urban / Universal Music)

Wertung: Viereinhalb Kronen

Top-Fünf-Platzierung in den Albumcharts, dafür aber Fehlanzeige auf Wikipedia. Luciano ist Paradebeispiel eines Paradoxon: Vor circa anderthalb Jahren krachte der Berliner mit an Spätis und Tankstellen gedrehten No-Budget-Videos ins Spiel. Achtzehn Monate später ist er Klickmillionär mit saftigem Majordeal. Dass er während seines rasanten Aufstiegs kaum Informationen über seine Person preisgab, steht exemplarisch für einen neuartigen Hype. Keine Pressetermine, kein großes Promo-Getue: der Straßenjunge mit dem Bulldozer-Flow beschränkt die Kommunikation mit seiner mittlerweile beachtlichen Fanbase auf seine Insta-Story. Dass die diversen Social-Media-Algorithmen ihm wohlgesonnen sind, ist dabei nicht nur Lucianos Talent und Star-Appeal, sondern auch seinem Arbeitsethos geschuldet. Als Zugpferd der Locosquad gönnte er sich nach dem Gang-Mixtape »12812« kaum Verschnaufpausen. So stand gut ein halbes Jahr nach dem Solo-Tape »Banditorinho« bereits Ende November das Majordebüt in den Regalen der Elektronikhändler. »Eiskalt« ist ein kompaktes 808-Bollwerk, das den Hörer mit einer Mischung aus Subbass-Salven und pappsüßen Synthie-Melodien einlullt, bis einen Luciano mit seiner einnehmenden Delivery aus der Trance reißt. Wie ein guter Mittelstürmer schlägt er dabei zur richtigen Zeit Haken, erwischt den Hörer immer wieder mit Flow-­Switches und eingestreuten Gesangspassagen auf dem falschen Fuß. Die Referenzen sind klar: Banlieue-Trap, Atlanta-Zeitgeist, eine Prise Afrobeats. Mit akurat ausgestanztem, hölzernen Alman-808-Geh­versuchen hat das wenig zu tun. Luciano besticht mit eigener Sprache, unverwechselbaren Adlibs und dem Charme eines Pumas, der geschmeidig seine Beute umkreist und dann kaltblütig zupackt. Während er Beat um Beat umpflügt, hält er es auf Platte ähnlich wie im Netz: Nur selten schillern explizit persönliche Passagen durch, die Verweigerung jeglicher Informationen hat System. Je kälter die Kunstfigur, desto weniger Chancen bieten sich dem Menschen dahinter zum Auftauen, lautet das Motto. Nur auf »Geh meinen Weg« behandelt er Jugendtraumata und das Abdriften in die Kriminalität. Dennoch: Die fehlende Tiefe bleibt der einzige Kritikpunkt eines packenden Debüts. »Eiskalt« rechtfertigt nicht nur den Hype, sondern lässt hoffen, dass es in absehbarer Zeit auch mit dem Wiki-Eintrag klappt.

Text: Jakob Paur

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