Little Simz – Stillness in Wonderland // Review

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(Age 101)

Wertung: Viereinhalb Kronen

Was für viele Segen ist, ist für Little Simz ein Fluch: Fame. Schon auf ihrem Debütalbum »A Curious Tale of Trials + Persons« kämpfte die Londonerin mit Dynamiken, die Erfolg mit sich bringt – und stand mehr als einmal kurz davor, sich selbst zu verlieren. Auf ihrem neuen Album zieht sie mit wiedergewonnener Sicherheit eine erste Bilanz über das Leben im Fame-Wunderland. Little Simz findet sich in einer surrealen Welt wieder, schwankt zwischen Realität und Traum, zwischen Bedrohung und Sicherheit. Anders als bei ihrem Debüt ist es nicht sie selbst, die an sich zweifelt – es ist die Welt und es sind die Menschen um sie herum, die sie nicht zu verstehen scheinen und denen sie entgegentritt. So rappt sie über Vertrauensverlust (»Doorways + Trust Issues«), ungesunde Beziehungen (»Poison Ivy«) und Polizeigewalt gegenüber schwarzen Menschen (»LMPD«). Die Themen werden textlich ähnlich schonungslos, selbstreflexiv und teilweise tief skeptisch präsentiert wie auf ihrem Debüt, die Instrumentals hingegen atmen auf, sind nicht mehr überwiegend brachial-hermetisch, sondern lehnen sich melodisch und leicht an Jazz an. Die Performance der Rapperin ist dabei mindestens so facettenreich wie die Musik: Kompromisslose Trap-Drums treffen auf saloppe Gitarren, eine bissige Little Simz auf eine entspannte Simbi. Trotz der Unterschiede fallen die Tracks nicht auseinander, sondern formen ein Ganzes – getragen von einer selbstbewussten Rapperin. Sie ist nicht mehr von den Veränderungen um sich herum überfordert, sondern gestaltet selbst. Dabei ist sie sich bewusst, dass sie nicht allein ist: »It’s all pretty here and everything is lovely/Some fuck shit, too, but real shit is happening and my people need me« (»No More Wonderland«). Die Selbsterkundung führt nicht zum Selbstverlust, sondern zur bewussten Erkenntnis, dass das Wunderland nicht so toll ist, wie es scheint. Am Ende verabschiedet sie sich von dieser Illusion – und damit vom einlullenden Stillstand. So skeptisch die 23-Jährige Fame gegenüber ­steht, so unwahrscheinlich ist es, dass der nach diesem Album weniger werden wird.

Text: Philipp Weichenrieder

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