#20JahreJUICE – ein Jubiläum, das gebührend gefeiert werden will. Über die nächsten Wochen veröffentlichen wir deswegen Meilensteine der JUICE-Geschichte erstmals auch digital. Den Anfang macht die erste Kool Savas-Titelstory aus JUICE #46 (Oktober 2002) zu Essahs Klassikerdebüt »Der beste Tag meines Lebens«.
Die Zeiten von “Pimplegionär” und “LMS” sind wohl endgültig vorbei. So viele optische Lichtreflexe aus HipHop-Deutschland sind mittlerweile auf die Netzhaut des Berliner Rappers Kool Savas getroffen, dass eine Bündelung und Reflexion – Erwachsenwerden im besten Sinne – unumgänglich scheint. “Der beste Tag meines Lebens” ist deshalb persönlicher und besser geworden, als so mancher Hater dies vom Battleking erwartet hätte. Kool Savas hat sich selbst befreit. Von negativen Abhängigkeiten, von Erwartungshaltungen und stilistisch einengenden Vorgaben. In Sachen Flow und Beats eine eigene Liga, ist es deshalb an der Zeit, sich nicht nur optisch auf den neuen Rap-Regenten einzustellen.
Savas, welche Rolle spielt denn “Optik” für dich und wie willst du das durch dein Label vermitteln?
Das Wort wird in Berlin schon lange benutzt: “Schieb’ keine Optik”, “Ich schieb’ Optik”, “irgendwas—Optik”. Aber das hat auch viel mit so ‘nem Typen zu tun, diesem 54—jährigen Kosta, von dem euch auch Desue schon erzählt hat. Der hat uns halt voll auf den Film geschickt, weißt du. Dadurch war dann irgendwann für mich “Optik” das Wort. Und Eko ist genau auf dem gleichen Film gewesen; wir haben wirklich voll krass den gleichen Humor.
Wie kam eigentlich dein Kontakt mit Eko und Valezka zustande?
Dadurch, dass Eko zu seinem 18. Geburtstag eine Party veranstaltet hat und mich nach Mönchengladbach gebucht hat, habe ich ihn das erste Mal rappen gehört und das hat mir auf Anhieb gefallen. Man hat sofort gehört, dass der Typ, auch wenn er erst ein Jahr gerappt hat, unglaublich flowen kann und hypertalentiert ist. Ich hab ihn dann gefragt: Wenn du willst, komm’ nach Berlin, lass‘ uns ein paar Sachen aufnehmen. Ein paar Wochen später ist er dann gekommen und wir haben gleich angefangen, seine EP aufzunehmen. Zur gleichen Zeit haben Melanie und ich besonders viel mit Julian (J-Luv) gechillt, der damals mit Valezka zusammen war. Wir haben uns einfach gut verstanden und Melanie hat dann irgendwann angefangen, mit Valezka Musik zu machen. Das Erste war das Intro von der MOR-Platte. Dann kam “Haus und Boot“: Da habe ich gemerkt, was für ein geiler Kontrast zwischen dem Rappen und Flowen zum smoothen Singen besteht. Nach dem Track sind auch zum ersten Mal Leute aus meinem Umfeld auf mich zugekommen, die alle gesagt haben, dass das jetzt wie ein richtiger Song klinge, eine runde Sache. Ab dem Zeitpunkt habe ich auch den Antrieb bekommen, neue Sachen zu machen. Das waren einfach alles coole Zufälle, dass die Sachen so zueinander gekommen sind. Und man hat einfach gemerkt, dass man gut miteinander klarkommt und dass musikalisch untereinander Respekt für das da ist, was der Andere macht. Niemand hat bei uns eine Boss-Position und sagt dem Anderen, was er zu tun hat. Jeder versucht auf seinem Gebiet der Beste zu sein und dann versuchen wir das einfach zusammenzubringen.
Dein ganzes Album hat ja sehr familiären Charakter. Da ist auf der einen Seite deine Optik Crew, auf der anderen Seite dein Bruder, den du wieder featurest. Außerdem der wirklich persönliche Titeltrack, “Der beste Tag meines Lebens”, der die Familie und echte Freunde in den Mittelpunkt rückt. Kannst du diesen Hintergrund näher erläutern?
Das ist etwas, was mir im Laufe des letzten Jahres besonders aufgefallen ist: Wenn von deinen Kollegen oder den Leuten, die sich deine Freunde nennen, keiner mehr da ist, dann ist im Grunde das Einzige, worauf du dich verlassen kannst, deine Familie. Das, was vom Business total unabhängig ist. Das kann auch eine freundschaftliche Familie sein. Wenn du weißt, dass sie mit dir so down sind wie du mit ihnen. Gerade bei meinem ersten Album wollte ich auf diese Sachen ein bisschen aufmerksam machen, weil’s halt so persönlich ist und weil es für mich ein wichtiger Schritt ist. Ich wollte meiner Sache hundertprozentig sicher sein. Wie gesagt, im „Besten Tag meines Lebens“ hab’ ich das ja auch angesprochen.
Magst du vor diesem Hintergrund noch mal etwas über deine Trennungen von Westberlin Maskulin, MOR und Put Da Needle sagen?
Über die konkreten Probleme an sich zu sprechen, das ist jetzt unnötig, weil viele Sachen auch schon groß ausdiskutiert wurden. Mit Taktlo$$ sind persönliche Sachen passiert, nach denen ich gesagt habe: Ich mag den auf jeden Fall nicht mehr, ich hab keinen Bock mehr auf den Menschen. Für mich war es dann ehrlich gesagt auch ein Problem, dass teilweise Jack – oder wer auch immer aus der MOR-Crew – noch mehr oder weniger engen Kontakt zu ihm hatten. Aber eigentlich alle außer Jack den Taktlo$$ durch mich kennengelernt hatten. Für mich war es so: Ey, ich bring euch mit jemandem zusammen, ihr kennt den nicht mal zehn Prozent so gut wie ich, und dann kommt’s darauf an. Obwohl ich von ihm abgetörnt bin, habe ich das Gefühl, dass trotzdem noch alle mit ihm auf Best Friend abgehen. Keine Ahnung, Mann. Ich hätte schon erwartet, dass man sagt: Ey, wir entscheiden uns nur für dich. Ich hab die nie konkret vor die Wahl gestellt, aber ich hab mit Jack geredet und ihm gesagt: Wenn du mit dem chillst, wird sich das bei uns automatisch auseinanderleben, weil ich eigentlich nicht mehr will, dass er mit meinem Freundeskreis umgeht oder dass sich das überkreuzt. Mit Put Da Needle war es so ähnlich. Was mich ein bisschen gestört hat war, dass sie Taktlo$$ gefragt haben, ob er bei ihnen etwas rausbringen will und mir das monatelang nicht erzählt haben. Zumindest hätten sie mich fragen können oder mir davon erzählen! Da kam ich mir auch voll bescheuert vor. Für mich hat zum Schluss auch ein bisschen der menschliche Nenner gefehlt. Dabei ist das ganz wichtig, Alter! Besonders, wenn dir immer gesagt wird, dass das so ein Familienunternehmen ist. Sie haben einfach nicht gemerkt, was für Bedürfnisse ich habe. Am Anfang war für mich Kohle zum Beispiel ein wichtiger Aspekt. Das hat darüber entschieden, ob ich was machen kann oder nicht. Und ich habe Peter wirklich ein Jahr lang gestresst, dass ich irgendwas brauche, worauf ich aufnehmen kann. Andererseits war ich ein bisschen zu schüchtern, um zu sagen: Hey, jetzt latz’ mal zehntausend Mark auf den Tisch, damit ich mir was hole. Mit der Zeit habe ich da schon Frust aufgebaut. Wie gesagt, es war auch eine anstrengende Zeit, in der ich 1ich von so vielen Leuten trennen musste, aber es hat krass viel gebracht, und damit meine ich nicht das Finanzielle. Ich habe einfach folgende Erfahrung gemacht: Du kannst echt nicht so vielen Leuten vertrauen. Das soll nicht dramatisch klingen, aber mein Vertrauenspotential ist jetzt krass eingeschränkt. Und du musst dir ganz genau im Klaren darüber sein, mit welchen Leuten du chillst und wie weit die wirklich hinter dir stehen und ein Teil von dir sind. In der Crew, in der ich jetzt bin, und mit Optik kann ich mich einfach zu tausend Prozent darauf verlassen, dass alle so hinter mir stehen wie ich hinter ihnen.
Du hast also auch keine Angst vor Konkurrenz aus dem eigenen Haus, die wie Eko immerhin knapp zehn Jahre jünger ist als du?
Also ich sage ganz ehrlich: Für mich ist Eko der talentierteste Rapper, den es in Deutschland gibt. Ich glaube, Eko weiß meine Qualitäten zu schätzen und ich seine. Aber wenn ich jetzt aufhören würde, an mir zu arbeiten, dann könnte ich in ein oder zwei Jahren nicht mehr mit Eko mithalten. Ich habe mich dafür entschieden, dass er mein Bruder ist. Daher gönne ich ihm alles, was geht. Aber ich will natürlich die Hürden mit ihm gemeinsam meistern und die Pokale mit ihm zusammen holen. Deswegen habt ich überhaupt keine Angst, das spornt mich an. Er hat auch neue Aspekte in mir geweckt. Dieser Double-Reim-, Triple-Reim-Kram, über den ich mir raptechnisch früher nie Gedanken gemacht habe ist zum Beispiel etwas, das auf dem Album dazu gekommen ist. Wie bei dem Track mit Royce, bei dem ich einfach darauf geachtet habe, dass sich die Satzpattern auch untereinander reimen. Das is definitiv ein krasser Input von Eko gewesen und ich hoffe, dass ich ihn in manchen Dingen genauso inspirieren kann. Er ist auf jeden Fall ein krasser Typ, einer, von dem ich sage: Ich hoffe, dass das freundschaftlich weitergeht, weil so nen Rapper will man auch nicht als Feind haben. Wenn ich kein Freund von Eko wäre, dann hätte ich jedenfalls keinen Bock, mit ihm Rap-Stress zu haben.
Um zum Album zu kommen. Wie kam deine Single “Till ab Joe” zustande?
Ich hatte eigentlich geplant “Alle in Einem” als erste Single zu veröffentlichen. Aber viele Leute, deren Meinung mir wichtig ist, fanden den Track als erste Single ein bisschen zu normal. Dann hab ich gesagt: Okay, dann muss ich irgendwas anderes als erste Single bringen, um bis zu einen gewissen Maß auch die Erwartungen der Leute zu befriedigen. Für mich hatte ja auch jede Single bisher irgendwas Neues. Und “Alle in einem” hat sich nicht so krass von dem abgehoben, was ich mit “Haus und Boot” gemacht hatte. Daher dachte ich, mach ich was Neues. Ich habe dann versucht, neue Flows zu benutzen und auch der Beat ist ja ein bisschen anders. Einfach wieder etwas, das sich komplett unterscheidet.
Ist “Till ab Joe” auch so eine Kosta-Wendung wie “Optik”?
Also “Till ab Joe” hat auch was mit ‘nem Costa zu tun, aber mit dem aus Frankfurt, dem Illmatic. Mel und ich hatten das Gefühl, dass “Till ab Joe” als Spruch in Berlin bereits ganz normal existierte. Aber es kann sein, dass ich das unterbewusst von Costa aufgeschnappt habe, weil er mir da auch immer Stories erzählt hat. Costa ist der festen Meinung — das sag ich jetzt auch, damit er das lesen kann —, dass er und sein Bruder diese Phrase in Bad Pyrmont eingeführt haben und danach der komplette Ort das gesagt hat. Melanie glaubt das nicht. Aber wie gesagt: Ich bin auch so ein Typ, der sagt: Wenn jemand das erfunden hat, muss man das demjenigen auch zuordnen. Das heißt einfach nur “Dreh durch”. “Till ab” wie “Tick aus” und “Joe” so wie “Alter”. Costa ist einfach überwitzig, einer der geilsten…
“Der beste Tag meines Lebens” klingt mit seiner Message über familiären Halt fast so, als würdest du direkt deinen Bruder ansprechen…
Nee, eigentlich nicht… nicht wirklich. Ich habe einfach gemerkt, dass nach den Konzerten wirklich viele junge Kids zu mir kommen, mit mir quatschen oder mich irgendwas fragen. Das waren halt oft so Junge im Alter von meinem Bruder, von daher könnte man das indirekt auf ihn beziehen. Aber für mich war die Überlegung: Was sagt man diesen Leuten, was gibt man ihnen mit? Wenn die das Album hören, auf dem der Großteil vielleicht auch Battlekram ist, dann ist es vielleicht auch gut, am Ende irgendwas Persönliches zu machen. Was, womit sie persönlich etwas anfangen können, etwas, das ihnen ein paar Sachen leichter macht. Für mich war es eine wichtige Herausforderung, einen solchen Track zu machen, ohne dabei sagen zu müssen: Das klingt total ekelhaft oder peinlich.
Hast du dich bei deiner Überlegung, eine Message rüberzubringen, ganz bewusst abgegrenzt von politischen Allgemeinplätzen?
Diesen ganzen politischen Kram sieht man 24 Stunden im Fernsehen und es gibt genug Leute, die sich über so etwas Gedanken machen. Aber gerade über diesen familiären Kram, die Dinge, die bei einem selber anfangen, beim Menschen, darüber wird heute echt nicht mehr so viel gesprochen. Ich wollte einfach etwas Allgemeines sagen können, etwas ganz Normales und Alltägliches, mit dem jeder etwas anfangen kann und das trotzdem echt etwas bedeutet. Wenn ich jetzt über irgendwas Politisches gelabert hätte, was hätte das gebracht? Dann wäre ich Einer von Tausend gewesen. Und das hätte auch nicht so viel mit mir selber zu tun. Klar, ich guck mir auch die Nachrichten an, ich mache mir auch Gedanken über den Kram. Aber das ist jetzt nicht wirklich das, worüber ich etwas hätte
sagen müssen.
Ein Großteil deines Debüts ist trotzdem Battle. Inwiefern sind auch die ganz klassischen Battletracks eine ganz persönliche Sache für dich? Oder geht es da nur ums Entertainen?
Es gibt auf dem Album wenig Rhymes, die ich einfach nur zum Fun geschrieben habe. Das Intro klingt vielleicht battlemäßig, aber das ist mehr so ein Erklärerteil, weißt du? Und bei “Alle in Einem” ist der zweite Teil sehr battlemäßig, aber der erste geht auf die Vorwürfe der Leute ein und bringt zwischendurch noch meine Lines. Natürlich findet sich bei “Till ab Joe” auch Fun-Kram, aber da sind definitiv auch viele ernste Sachen drin, die ich vor einem bestimmten Hintergrund geschrieben habe. Und es wird sich immer jemand finden, der sich dadurch angesprochen fühlt.
…vielleicht, weil du ihn direkt ansprichst?
Das habe ich ja gar nicht mehr so oft gemacht. Im Endeffekt kann man mit einer Line ja auch mehrere ansprechen. Es gibt auf jeden Fall Leute, von denen ich den Namen überhaupt nicht nennen würde, nur damit sie sich besser fühlen. Es ist doch so, dass die meisten Leute einen nur dissen, weil sie denken: Geil Alter, ich hoffe, da kommt ‘ne Reaktion, ich hoffe, der macht jetzt einen Song zurück und dann bekomm’ ich Überfame. Gerade das würde ich den Leuten niemals geben. Wenn jemand wirklich ein rapmäßiges Problem mit mir hat und das klären will, dann sollen die auf die Bühne kommen und gegen mich rappen. Aber wenn sich einer hinsetzt, der mich noch nicht mal kennt, einfach irgendwelche Scheiße verdreht oder erfindet und sinnlos disst, in der Hoffnung, dass ich dann irgendwas gegen ihn zurückmache, dann wird das auf keinen Fall passieren. Da ist es am besten, die Leute zu ignorieren und noch erfolgreicher zu sein. Das stört die am meisten.
Ist das eine Fehlentwicklung in der deutschen Battle-Kultur, die da gerade stattfindet? Mittlerweile folgt ja laufend ein Disstrack auf den nächsten, meist sogar öffentlich im Internet.
Icn denke, die Deutschen haben sich von den negativen Aspekten der Amis zu sehr beeinflussen lassen, da wird zu viel gehatet. Ich lasse mich mittlerweile lieber dadurch motivieren, dass ich sage: Verdammt Alter, der ist erfolgreich und wenn ich den gleichen Erfolg haben will, dann muss ich irgendwas an mir ändern, mich weiterentwickeln, mich verbessern. Dann ist das für mich ein krasserer Ansporn, weißt du? Die meisten Leute setzen sich doch hin, kucken irgendeinen Scheiß im Fernsehen an, Videos oder Echo-Verleihung, und regen sich darüber auf, dass da jemand ist, der rappt. Aber wenn einem das alles egal wäre und sagen würde: Ich scheiß eh auf das ganze Business, auf das Game und mich interessiert die Szene überhaupt nicht, dann müsste man sich darüber keine Gedanken machen. Aber ich sage: Wenn Samy krass erfolgreich ist – und ich weiß ja, dass der rappen kann –, dann sag ich mir auch: Okay Alter, “Weck mich auf“ würde ich vielleicht so nicht machen, aber der hat zumindest mit seinem Kopf einen Status erreicht. Oder Xavier: Wenn ich sehe, was da geht, ist das für mich auf jeden Fall ein Ansporn. Schau dir an, wo Moses mittlerweile steht: Das ist ein ganz anderes Level. Das sind Leute, die mich motivieren, zu sagen: Wenn ich geil darauf bin, so einen “Echo” zu haben, dann muss ich einfach einen Track machen, der die Leute so burnt, dass ich den “Echo” auch bekomme.
Willst du denn einen?
Ich hätte kein Problem damit. Ich arbeite aber nicht darauf hin. Ganz ehrlich: Für mich sind Plattenverkäufe natürlich auch wichtig, aber deshalb ich mache nicht Musik. Aber mit dem Album finde ich schon, dass ich es auch verdient habe, Platten zu verkaufen. Wenn es nicht so ist: Kein Problem. Ich werde nicht weinen und sagen: Musik ist in einer Krise und Deutscher Rap ist in der Krise und die klauen mir das Zeug aus dem Netz. Wenn etwas krass ist, dann wird es sich verkaufen. Kuck den Herbert Grönemeyer an. Der hat gechillt, ist mit einem Song rausgekommen und ist auf eins gegangen. Und das ist auch ein Song, hinter dem man stehen kann. Was soll ich dazu noch sagen? Die Leute sollen einfach aufhören, zu haten. Wenn die etwas erreichen wollen, dann müssen sie an sich und an der Sache arbeiten. Es bringt nichts, einfach nur sinnlos auf Leuten rumzuhacken. Das ist scheiße, Alter!
Im Intro sagst du ja, dass die Kids das Zeug momentan einfach scheiße finden und dass das der wahre Grund für die Krise ist, nicht MP3 und Internet. State doch mal vor diesem Hintergrund deine Sicht auf HipHop in Deutschland im Jahre 2002.
Am Anfang konnte man die ganzen jungen Kids doch einfach verarschen. Man hat irgendetwas rausgebracht, die Leute kannten sich viel weniger mit Produzieren aus, für die war Black Music nicht so ein krasses Thema in Deutschland… Aber was willst du den Kids mittlerweile erzählen? Meine Geschwister sind 15 und 16, die hören den ganzen Tag Black Music und wissen, was läuft und wer wie rappt. Wenn die so jemanden wie Nas rappen hören und daneben irgendeinen deutschen Rapper, ich sag mal Hans oder wen auch immer, da brauch ich gar nichts zu sagen, die lachen sich doch von selbst tot. Die sagen, Alter, was ist denn das? Was willst du den Leuten noch vormachen, denen erzählen? Man macht MTV an und hat den direkten Vergleich.
Ist so ein Chartentry wie der von den Massiven Tönen dann ein positives Signal für HipHop in Deutschland?
Das auf jeden Fall. Das ist positiv für alle, die dauernd sagen: schau doch mal in die Top 10, die Top 20, das ist leer, da ist nichts, HipHop/R&B—Deutschland, damit können wir nichts anfangen. Dafür ist das auf jeden Fall ein cooles Ding. “Cruisen” ist immer noch besser als das meiste von diesem deutschen Quatsch, der rauskommt. Aber ich kann mit dem Thema nicht viel anfangen, ich hab nicht mal ein Auto (lacht). Aber wie gesagt, ich denke auf jeden Fall, dass es positiv ist, wenn der Kram in die Charts geht, aber es sollte halt ein gewisser Qualitätsstandard da sein.
Das bringt uns zur immer wieder ungern geführten Underground-Diskussion. Vor dem Hintergrund, dass du mit Optik jetzt über einen Major rauskommst: Wie definierst du Underground für dich?
Also, ehrlich gesagt, ich hasse mittlerweile dieses Wort, aber für mich persönlich ist “underground” jemand, der sich hinsetzt und nur aus eigenen Mitteln etwas aufbaut, unabhängig von allen Anderen. Eigentlich heißt das dann auch nicht “underground” sondern “independent”. Die neuen Beats, die Timbaland macht, das sind für mich zum Beispiel keine Mainstream—Beats‚ keine typischen Pop-Beats. Die Sachen, die drüben erfolgreich sind, sind meistens tausendmal besser produziert als diese Möchtegern-Undergroundleute das je produzieren könnten. Ehrlich gesagt, ich könnte mit so was wie diesem ganzen Def Jux-Kram nichts anfangen, El-P, Company Flow und so weiter und so fort. Für mich ist das einfach nur ekelhaft, weißte? Ich kann am Tag zehn Underground-Alben machen, wenn das Underground ist, was sich hier in Deutschland Underground nennt — und ich bin noch nicht mal Produzent! Das ist kein Problem, solche Beats kann man sofort machen. Aber geile Beats zu machen, auf die Kids, Erwachsene und HipHop-Heads — dieses Ekelwort — abfahren, das ist viel schwerer. Die Leute, die Timbaland, Swizz oder Neptunes kritisieren, die haben echt keine Ahnung. Die kommen mit dem neuesten Kram, die machen den verrücktesten Scheiß. Allein, dass die Neptunes für alle möglichen Leute Hits machen können und das trotzdem immer Banger sind, dass solche Typen einfach Beats für Britney Spears machen, das ist doch ein Erfolg für Black Music bzw. HipHop und R’n’B. Wenn man will, dass HipHop erfolgreich ist, dann muss es auch ganz normal sein dürfen, dass er die ganzen anderen Szenen und Stile übernimmt. Das ist der eigentliche Sieg, weißt du? Es ist kein Sieg, zu sagen: Ich hab ‘ne Platte, die nur 250 Leute haben, das hat der Typ selber bei sich im Wohnzimmer geschnitten. Damit hast du nichts erreicht und der Musik nichts Gutes getan.
Der Input von Mel auf dein Album ist demnach gar nicht hoch genug einzuschätzen, oder?
Du kannst einen guten Beat haben und einen schlechten Rapper und das wird ein Hit. Aber wenn du einen beschissenen Beat hast und einen guten Rapper, dann ist es eigentlich unmöglich, dass das ein Hit wird. Der Beat ist das Gerüst, das Fundament und die Story. Wie das Drehbuch für den Film. Für mich ist es krass wichtig, immer wieder neu herausgefordert zu werden. Und von Melanie werde ich immer wieder überrascht. Das ist immer Zeug, das ich so noch nie gehört habe. Der Beat für den Track mit Kurupt zum Beispiel, das ist für mich und viele andere der beste Beat, der jemals aus Deutschland gekommen ist. “Der beste Tag meines Lebens” wäre ohne den Beat, der mich so was schreiben hat lassen, nicht das geworden, was er ist. Oder der Track mit Royce: Wenn der Beat nicht so wäre, dann wäre ich nicht auf die Idee gekommen, so drauf zu rappen.
Wie reagierst du auf die Leute, die dir jetzt vorwerfen, du würdest zu viele Kompromisse eingehen?
Wenn jemand so was wirklich denkt, kannst du ihn nicht so lange belabern, dass er umdenkt. Aber ich finde, ich bin bei meinem Album keinen einzigen Kompromiss eingegangen. Ich habe ein Album gemacht, das in erster Linie mir selbst gefällt. Es gibt keinen Song, den ich scheiße finde. Ich hab mir zu jedem Track Gedanken gemacht. Das ist mein Album. Die Leute, die mich kennen, wissen, dass ich bei so was niemals Kompromisse eingehen würde. Wenn ich jetzt nur 1.000 Stück verkaufe, dann ist es vielleicht das beste Album, wahrscheinlich ein Klassiker. Wenn ich 100.000 verkaufe, dann ist das klar, natürlich, der hat ja auch voll den Schwuchtelscheiß gemacht. Was soll ich sagen? Wird eh so sein, weißt du.
Also ein für alle mal: Die Tatsache, dass du inhaltlich nicht mehr ganz so krass rüberkommst, ist Teil einer persönlichen Entwicklung und nicht Teil eines Kompromisses?
Darauf habe ich schon versucht, mit “Haus und Boot” hinzuweisen. Ich bin bei den Texten überhaupt keine Kompromisse eingegangen, sondern habe neue Sachen dazugeholt. Und sogar für die Leute, die sich immer beschwert haben, ich sage zu wenig “fick” und „fuck”, habe ich bei “Till ab Joe” noch ein paar Sätze. Irgendwas wird schon für die dabei sein. Aber die Leute, die meine Mucke eh nur gehört haben, um so ‘nen Porno-Soundtrack zu haben, die kann ich auf jeden Fall nicht mehr bedienen, das sag ich ganz ehrlich. Für die Leute, die ein gutes HipHop-Album haben wollen, mit guten Vergleichen, mit guten und abwechslungsreichen Flows, wird mein Album hoffentlich etwas sein. Ich habe wirklich versucht, auf keinem Track zweimal gleich zu rappen. Ich habe vier, fünf verschiedene Flows aufs ganze Album verteilt und versucht, das wirklich professionell durchzuziehen. Wenn die das nicht zu schätzen wissen, brauchen die gar nichts zu sagen oder sie sollen es besser machen, wenn sie mir beweisen wollen, dass ich jetzt scheiße bin. Ich sage ganz ehrlich: Dieses Album ist auf jeden Fall die Spitze all dessen, was ich bisher gemacht habe. Das toppt alle meine besten Tracks. Sei es “Neongelb”, “LMS”, “Haus und Boot” usw. Ich hab aus allen das Beste geholt und glaube, dass das Material das beste ist, das ich bisher gemacht habe.
Text: Christopher Büchele
Fotos: Tina Wunsch