Kings Of HipHop: The Game // Feature

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Er hat zwei perfekte Alben aufgenommen, das riesengroße Erbe seiner Heimatstadt quasi im Alleingang geschultert, Songs mit allen Babos der Szene im Katalog und offenbar immer noch richtig Bock auf Rap. Wenn er sich nicht ganz dumm angestellt hat, ist er zudem reich für immer. Genau da aber liegt das Problem. Denn Game hat nicht nur ein beachtliches Talent für Bilder und Emotionen. Sondern auch jenes, sich regelmäßig ohne jede Not komplett zum Obst zu machen. Er erzählt ständig irgendwelchen Unfug, legt sich grundsätzlich mit den Falschen an und verdeckt seine besten Stücke unter Haufen von Müll. Den Zugang in die Ruhmeshalle der ganz Großen hat ihm das verbaut, vermutlich auf ewig. Der Platz in unseren Herzen aber ist ihm sicher. Weil er real ist. Manchmal fast schmerzhaft real. Ein Loblied auf einen König ohne Krone. Mit einer Träne unterm Auge. Und einer mittendrin.

Es ist zwei Uhr morgens an einem flauen Oktobertag. Jayceon ist daheim in seiner Wohnung in Bellflower, leicht östlich von Compton. Die Wohnung teilt er sich mit seinem Halbbruder George, aber der ist nicht da, also liegt er einfach so rum, zockt eine Runde »John Madden«. Der Blunt in seinem Mund ist fast komplett heruntergebrannt, im Hintergrund flimmert ein altes NBA-Spiel, im matten Schein der Glotze segelt Asche auf den Teppichboden. Jayceon zieht noch einmal an seinem Joint, flippt den Stummel mit dem Finger auf den Couchtisch, wirft ohne hinzusehen den nächsten Pass. 40 Yards, es war ein guter Tag. Plötzlich wird er von einem Läuten an der Tür aus dem Feierabend gerissen. Ein später Kunde, denkt er, warum nicht, schlüpft in seine Chinos und schlendert zur Tür. Er linst durch das Guckloch, sieht diesen Stammkunden, einen harmlosen Junkie, macht auf, easy. Aber der harmlose Junkie hat Begleitung mitgebracht. Drei Typen, die nicht kommen um zu kaufen, sondern um sich zu beschweren. Irgendein geplatzter Deal, irgendwas, das dieser gesagt oder jener nicht bezahlt habe. Es wird laut, hektisch, unübersichtlich, dunkel. Als Jayceon drei Tage später aus dem Koma erwacht, hat er fünf tiefe Schusswunden, die nie ganz verheilen werden, und eine Gewissheit: lieber Eazy-E als Tony Montana, lieber Platten als Platte, lieber eine Hoffnung namens HipHop als die Sackgasse namens Straße. Er weiß, dass er es schaffen kann. Dass er es schaffen wird. Weil er es schaffen muss.

So ist es geschehen an jenem 1. Oktober im Jahr 2001, dem Tag, an dem sich das Leben von Jayceon Terrell Taylor für immer veränderte. Vielleicht ist es auch ein bisschen anders gewesen. Oder ganz anders. Wen interessiert das schon, schließlich ist es eine gute Geschichte. Amerikaner lieben gute Geschichten, und der Rest der Welt liebt, was Amerikaner lieben. So geht Taylors Plan in nur drei Jahren auf. Im Januar 2005 ist seine Geschichte in Stein und Polycarbonat gemeißelt und außerdem das Nummer-eins-Album der Billboard-Charts. Jayceon nennen jetzt alle The Game, nicht mehr nur seine Großmutter, die ihn wegen seines unbändigen Spieltriebs einst so getauft hat. Er hat einen designierten Klassiker und das mächtigste Team der HipHop-Welt im Rücken. The Game ist ein Superstar. Klar wie Kloßbrühe, so klar wie Dinge 2005 eben waren. Aber: Was ist Game eigentlich heute?

Die Fakten besagen, dass im vergangenen Dezember sein neues Album »Jesus Piece« erschienen ist. Kanye, Lil Wayne, 2 Chainz, Rick Ross, Meek Mill, Trey Songz, Pusha T, Big Sean, Chris Brown, Tyga, Future, Fabolous und Wiz Khalifa sind drauf (also alle, die man so braucht), dazu der Weltstar Jamie Foxx und ein gewisser Kendrick Lamar, der 2011 auf Games »R.E.D. Album« einen seiner ersten großen Auftritte hatte. Das können nicht allzu viele Rapper von sich behaupten. »Jesus Piece« ist auf Platz sechs in die US-Charts eingestiegen und hat sich bei Redaktionsschluss knapp 200.000 mal verkauft. Auch das ist nicht schlecht, gemessen an heutigen Standards. Selbst von den traditionell eher skeptischen Medien gab es neben dem üblichen Genörgel – zu viele Gäste, zu viel Geste, was’n jetzt mit Dr. Dre? – wohlwollende Worte. Für ein klanglich eher konventionelles Konzeptalbum eines nicht mehr ganz grünen Gangsta-Rappers ist das im Jahr 2013 (lies: im Zeitalter von smarten Jungspunden mit musikalischer Universalausbildung und Anschlusspotenzial von URL-Indie bis IRL-Rave) ein veritables Wunder. Game erzählt einfach nur aus seinem Leben zwischen Klunker und Kirche, und man findet es irgendwie gut. Abgefahren.

Gleichzeitig spricht die oben skizzierte Rezeption Bände über Games seltsamen Status als Star ohne Schein. Wenn Leute heute sagen, dass Stücke wie »Can’t Get Right«, »See No Evil« oder »Name Me King« richtig gute Rap-Songs seien, dann meinen sie damit eben auch: erstaunlich gute Rap-Songs. Game hat noch einen großen Namen. Aber er ist längst kein Teil mehr jenes von Industrie und Großblogs hermetisch verwalteten Elitezirkels der angesagten Spitzenkünstler, dem seine Feature-Gäste fast ausnahmslos entstammen. Eher ist er eine Art wandelndes Kuriosum, dessen Fehltritte und sagenhaft belanglose Mixtapes man zunächst belustigt, dann nur noch achselzuckend und schließlich einfach gar nicht mehr zur Kenntnis nahm. Kein DMX. Aber eben auch kein Rick Ross. Einer von früher, einer von ihnen: Ma$e, Busta Rhymes, Ludacris, Ja Rule.

Westside Story

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muss man weit zurückgehen. Denn Game hat es nicht einfach über die Jahre hinweg verloren wie das »The« in seinem Namen. Er hat es womöglich nie gehabt. Game ist Jahrgang 1979. Als Kind hörte er im Radio Egyptian Lover und World Class Wreckin’ Cru. In der Grundschule erlebte er live mit, wie sechs Jungs aus der Nachbarschaft mit ihren Raiders- und Kings-Käppis so reich wurden wie die Anzugtypen in West Hollywood und Beverly Hills – und nebenher den Gangsta-Rap als veritables Genre etablierten. Als Dr. Dre und Snoop Dogg seine Heimat in den frühen Neunzigern endgültig zum Nabel der HipHop-Welt machten, war er im besten Alter für 40s, Kiffen und Kokolores. Seinen High-School-Abschluss feierte er vermutlich zu »All Eyez On Me«. HipHop, vor allem jener von der Westküste, hat Game sein ganzes Leben lang begleitet. Aber Los Angeles ist nicht New York. HipHop umgibt einen hier nicht, man muss ihn sich suchen. Und so war Rapmusik vielleicht Games Soundtrack zum Erwachsenwerden, aber ganz bestimmt kein täglicher Lebensinhalt. Game musste HipHop lernen. Und genau das tat er in jenem verhängnisvollen Herbst des Jahres 2001.

Die Legende will es, dass sich Jayceon von seinem älteren Halbbruder George III (auf der Straße bekannt als Big Fase Hunned) die im HipHop so berühmten »Klassiker« ans Krankenbett bringen ließ, um diese mit wissenschaftlichem Eifer zu studieren: die großen Alben der späten achtziger und frühen neunziger Jahre. Game war fasziniert von dieser Musik, die ihm so unglaublich nah zu sein schien, aber gleichzeitig unerreichbar fern – in dieser Hinsicht erging es ihm nicht anders als uns Rudis und Martins aus der 7b. Einzig die Tatsache, dass diese mysteriösen Superhelden mit der magischen Gabe und den dicken Autos im wortwörtlichem Sinne um die Ecke wohnten, ließ ihn daran glauben, dass es doch möglich sein müsse, auch zu schaffen, was sie geschafft haben. »Marshall Mathers made it, Curtis Jackson made it« – warum nicht auch ich? Also analysierte er die Alben mit der Akribie dessen, der sonst ja ohnehin nichts zu tun hat. Erst die Grundlagen: Wie ist so ein Song aufgebaut, wo setzt man eine Hook, wo eine Bridge, wo wie viele Takte? Und dann das Esoterische: Was ist es, das all diese Platten eint, sie zu etwas so Besonderem macht, dass man sie auch Jahre später immer noch rausholt und einfach gar nicht glauben kann, wie einem ganz normalen Menschen so etwas Perfektes gelingen konnte? Game aß Biggie, trank Jigga, atmete Nas und träumte Snoop. So wurde er zu einem Superrapper zweiter Ordnung. Zu einer Art Meta-Mutanten-MC, der das Beste aus allen Welten in sich vereint, ohne dass er dazu die harte Schule von Freestyle-Runden auf dem Schulhof, unbezahlten Auftritten im Jugendzentrum und langen Nächten auf harten Turnhallenböden hätte durchlaufen müssen. Ein Crashkurs in Rap an der Fernuni Compton. Noch so eine Geschichte, wie sie nicht nur Amerikaner lieben. Als er wenig später aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte er jedenfalls einen Plan – vermutlich zum ersten Mal in seinem Leben.

Seit frühester Kindheit war Game umgeben gewesen von Verlust, Schmerz, Gewalt und der allgegenwärtigen Macht der Gangs. Sein Vater war ein Nutty Blocc O.G., seine Mutter eine Hoover Cripette, fast alle Älteren am Block bei den Santana Blocc Compton Crips, sein Bruder dagegen bei den Cedar Block Piru Bloods. Als Game vier Jahre alt war, sah er seinen ersten Mord. Als er acht Jahre alt war, lernte er von seinem Dad, wie man Crack aufkocht. Als er neun Jahre alt war, schickte ihn das Sozialamt ins Jugendheim, weil der Vater – selbst heroinabhängig – unter dem Verdacht stand, seine älteren Schwestern sexuell belästigt zu haben. Als er 15 Jahre alt war, wurde sein Bruder Jevon erschossen. Die Vorstellung von familiärer Geborgenheit und Liebe war ihm ungefähr so fremd wie der Gedanke, seine Chucks gegen ein Paar rosa gepunktete Gummistiefel einzutauschen. Und was er daheim vermisste, fand er – natürlich – auf der Straße. Als Game 16 Jahre alt war, war er selbst ein Blood. Er war ein exzellenter Basketballspieler gewesen (»He a energy player« bezeugt noch heute der ebenfalls aus L.A. stammende NBA-Profi Baron Davis, der übrigens auch Patenonkel von Games ältestem Sohn ist) und ein überdurchschnittlich begabter Schüler. Aber seine Umgebung war stärker als sein Talent und sein Wille. Also tat er, was er zu tun hatte, und alles andere auch. Bis 2002 die Musik zu einer echten Option wurde.

Game und Fase hatten das Geld, das sie über die Jahre zurückgelegt hatten, in die Gründung eines kleinen Labels gesteckt. Sie nannten es Black Wall Street. Ihr Büro hatten sie im Hinterzimmer eines Ladens am Häuserblock zwischen Brazil St. und Wilmington Ave, der von Fase und den Piru Bloods kontrolliert wurde. Sie rappten, druckten T-Shirts, machten Dinge und Minge, und abends trafen sie sich mit den Jungs bei »Smitty’s Liquors«, um Pläne zu schmieden. Black Wall Street war in allererster Linie ein Name, mehr eine Idee als eine echte Firma. Aber es war ein Anfang. Immer öfter sprachen die Leute in der Westside nicht mehr nur von Big Fase 100, dem Blood, sondern auch von seinem Bruder The Game, dem Rapper. So geriet der an einen Typen namens Fat Rat, der ihn wiederum an einen Typen namens JT The Bigga Figga vermittelte.

How The West Was Won

JT The Bigga Figga war einer jener leicht dubiosen Mittelstands­magnaten, die die HipHop-Geschichte durchziehen wie ein roter Faden. Ein Geschäftsmann mit der Ambition von Russell Simmons, aber eben ohne das musikalische Gespür von Rick Rubin – quasi das Westküsten-Pendant zum legendär halbseidenen Biggie-Entdecker Lance Rivera oder dem Gründer des Slip-N-Slide-Labels aus Miami, Ted Lucas. In San Francisco betrieb er ein kleines Label namens Get Low Recordz und arbeitete mit Bay-Veteranen wie Mac Mall oder San Quinn zusammen, aber auch mit Young Noble aus Tupacs Outlawz-Clique oder Snoops altem Weggefährten Daz Dillinger. Sprich: Künstler von regionalem Rang, aber überschaubarem nationalen, geschweige denn internationalen Renommee. In Game sah er die Chance zum großen Durchbruch. Ein junger Bursche mit massig Street-Credibility, gottgegebenem Charisma, einer klaren Vision und nicht zuletzt einer donnernden Achtzylinder-Stimme, die jeden beliebigen Track binnen weniger Takte zu einem Game-Track verwandeln konnte. Dass er bis auf ein hausgemachtes Mixtape keinerlei Referenzen und zudem kaum klassische Kunstfertigkeit am Mic mitbrachte, störte JT nicht. Vor ihm stand ein Star. Alles andere konnte man lernen, so wie Game gelernt hatte, ein Star zu sein. Gemeinsam nahmen sie rasch das Album »Untold Story« auf, das schließlich im Oktober 2004 über Get Low erschien.

Games eigentliche Karriere aber passierte parallel woanders. Einige seiner frühen Songs hatten in der Industrie die Runde gemacht. Über die üblichen Talentspäher hatten sie unter anderen P. Diddy erreicht, der für sein Label Bad Boy Records nach einem schneidigen Straßenrapper im Stil des damals omnipräsenten 50 Cent suchte. Die Westcoast aber hielt er für tot, die Gangzeichen und Khakihosen des Kaliforniers für irgendwie aus der Zeit gefallen. Stattdessen schlug also ein anderer zu, der zwar die Hauptschuld trug an besagter Omnipräsenz von 50 Cent, Gangzeichen und Khakihosen aber wohl nie altmodisch finden wird: Dr. Dre, das musikalische Mastermind von N.W.A, der Entdecker von Snoop Dogg, der Produzent hinter den größten Erfolgen von 2Pac. Anders als Diddy wollte Dre ein Pendant zu 50 Cent an der Westküste. Und Game wollte zu Aftermath, der Firma seines Privathelden, dem Label aller Labels. »I had a choice – be like Mike or be like you«, rappte Game einmal in Anspielung auf seinen Mentor und seine Alternativambitionen auf dem Basketballplatz. In Wahrheit aber war die Entscheidung längst gefallen: erst Beats by Dre, dann die Welt.

Mit einem Schlag hatte Game realen Zugang zu allem, was er sich in jenen finsteren Tagen im Krankenhaus erträumt hatte. Er muss sich gefühlt haben wie ein Kind, das aus Versehen im größten Spielzeugladen der Welt eingesperrt wird – und beim Herumtoben zufällig alle fünf goldenen Tickets für Willy Wonkas Schokoladenfabrik findet. Beats von Kanye West, Timbaland und Just Blaze? Kein Problem. Eine Strophe von Eminem? Ehrensache, auch für ihn. Die teuersten Samples von Dionne Warwick und N.W.A? Klärt die Rechtsabteilung des Mutterlabels Interscope. Ein Chevrolet Impala im Video? Na, wenn es die dramaturgische Komposition erfordert. Hooks von Mary J. Blige, Faith Evans und – natürlich – Nate Dogg? Peanuts. Wenn es jemals einen Klassiker vom Reißbrett gab, dann ist es Games Major-Debüt »Documentary«. »‘Ready To Die’, ‘Reasonable Doubt’ and ‘Doggystyle’ all in one«, sagte er selbst auf dem epochalen Schlüsseltrack »Dreams«. Und vergaß dabei lediglich »AmeriKKKa’s Most Wanted«, »Chronic« und »Illmatic«.

Den Entscheidungsträgern bei Interscope aber war dieses von Dr. Dre dirigierte Wunschkonzert noch nicht genug. Denn Game sollte nicht nur erfolgreich sein, sondern das am besten sofort. Deshalb bekam er zusätzlich noch einen weiteren Edelhelfer zur Seite gestellt, der neben seinen vertraglichen Verpflichtungen bei den Kollegen von Shady Records vor allem eine eingebaute Hitgarantie mitbrachte: 50 Cent. Der hatte von Game ebenso viel oder wenig gehört wie alle anderen, die Szene damals aber im Schwitzkasten wie kein anderer Rapper vor oder nach ihm. Er war schlicht überall, und wenn überhaupt noch ein Restzweifel blieb am Laborprojekt J. Taylor, so würde ihn Fiftys Feder, ja die bloße Assoziation mit der Übermacht G Unit beseitigen. Schließlich war 50 Cent auf den ersten drei Singles des Albums zu hören. Zwei davon klangen exakt nach G Unit (»Westside Story«, »How We Do«), auf der anderen (»Hate It Or Love It«) ließ er erstmals in seiner Karriere emotional die Hosen runter und erzählte von seiner unschönen Kindheit in Queens (»Coming up I was confused, my mommy kissing a girl (…) Daddy ain’t around, probably out committing felonies«). Für alle, denen hier die Verhältnismäßigkeiten nicht ganz klar sind: Das ist in etwa so, als würde Cro im ersten Video des neuen Chimperator-Signings die Maske abziehen, während die Krauts und Team Casper den gemeinsamen Gastrefrain von Jan Delay, Peter Fox und Xavier Naidoo schreiben. Wenig überraschend stieg »Documentary« im Januar 2005 auf Platz eins der US-Charts ein, holte Doppelplatin und verkaufte sich weltweit über fünf Millionen mal.

Classic Material

Die eigentliche Sensation aber war: »Documentary« war gut. So richtig, richtig gut. Das Album ­hatte Tiefe und Hits, Beats aus traditioneller Handarbeit und einen polierten Hochglanz-Sound von schier unrealer Wucht, persönliche Geschichten mit universeller Gültigkeit und das Adrenalinlevel einer guten James-Bond-Eingangsszene. Fifty gab den Affen am HipHop-Stammtisch Zucker. Und Dre pochte streng auf die Einhaltung einer klaren Produktionslinie, wonach alles unbedingt entsorgt werden müsse, das nicht unmittelbar einem höheren Zweck dient. Spötter mögen einwenden, dass Game zu all dem nicht mehr beitragen musste, als seinen Wikipedia-Eintrag über die ausgewählten Luxus-Beats zu verlesen und ab und an den Namen eines berühmten Rappers zu erwähnen, damit die Menschen an den ­Rundfunkgeräten auch was zum Festklammern haben. Doch sie verkennen damit seine Rolle und sein Talent. »Documentary« ist trotz des Starauflaufs vor allem Games Album. Es ist getragen von seinem brüsken Bariton und seiner fast physisch spürbaren Überzeugung; auf Stücken wie »Don’t Need Your Love« oder »Church For Thugs« hämmert er sein Anliegen mit so viel Nachdruck auf die 1 und die 3, dass es einem heute noch kalt den Rücken runterläuft. Er berappt die Beats nicht auf diesem Album. Er besitzt sie. Und immer wieder lässt er Bilder aufziehen, wie sie selbst »Menace II Society« nicht zu bieten hatte. Genau so muss Compton sein. So kaputt, so krank, so wunderschön, wie das Leben selbst.

Nur einer beäugte den Trubel um den jungen Wilden aus dem Westen zunehmend argwöhnisch. 50 Cent hatte Game zwar weder gesignt noch produziert, ihm mit »How We Do« aber zweifellos die tonnenschwere Tür zur Chefetage des Rap geöffnet. Nun sah er in einem Anflug von Paranoia plötzlich seine Felle davonschwimmen. Sein Label drängte auf ein zweites Album nach dem monumentalen »Get Rich Or Die Tryin’«, und je größer der Druck der Deadline wurde, desto mehr spürte er, dass er weit mehr Zeit und Energie in Games Karriere gesteckt hatte als ursprünglich geplant. »How We Do« hätte auch seinem eigenen Album gut zu Gesicht gestanden – so aber hatte er plötzlich Konkurrenz auf seinem ureigenen Territorium. Und Konkurrenz war er nicht gewöhnt, im eigenen Hause schon gar nicht. Game aber positionierte sich in der Öffentlichkeit mehr und mehr als der eigenständige Künstler, der er ja letztlich auch war. Er selbst hatte nach den Vorfällen vom Herbst 2001 seinen Arsch bewegt und sein Leben zum Besseren gewendet. Sich jetzt stillschweigend in seine Rolle als Grasträger von Tony Yayos Schwippschwager zu fügen, war seine Sache nicht. Immer öfter betonte er, dass das mit dieser G Unit ja ganz nett, seine eigentliche Familie aber daheim in Kalifornien sei. Dass er es ganz bestimmt auch ohne 50 Cent geschafft hätte. Und überhaupt. Als sich Game schließlich weigerte, seinem Kollegen und De-facto-Chef in einem PR-Scharmützel mit Jadakiss, Fat Joe und Nas publikumswirksam zur Seite zu springen, schaffte Fifty Tatsachen und suspendierte den als illoyal empfundenen Emporkömmling per Exekutivdurchsage beim New Yorker Radiosender Hot 97. Um sicher zu gehen, warf er ihn am selben Tag bei Power 105 gleich noch mal raus. Es folgten die obligatorischen Gegeninterviews, kolportierte Schießereien, noch mehr Interviews – und eine sich stetig selbst hochschraubende Aufmerksamkeitsspirale. Game druckte T-Shirts mit der Aufschrift »G-Unot«, pinkelte hinter Fiftys Haus in Connecticut und klaute mit einer Bande Bloods seinen Basketballkorb. Fifty fand derweil eine alte Aufzeichnung einer Herzblatt-haften Dating-Show mit Game im Aluminiumhemd, platzierte ungerührt drei Singles in den Top 5 und rechnete genüsslich vor, dass er als Chef von G Unit Records bei jedem von Game verdienten Dollar fürstlicher abkassiere als dieser selbst. Die Details des Beefs lassen sich bei Interesse geschwind im Netz nachlesen. Im Groben verlief er nach altbekanntem Schema. Der eine sagt: Ist mir doch egal, ob du reich bist, ich bin real. Der andere sagt: Halt’s Maul, ich bin reich. Diskussion beendet. Und selbstredend noch genau so lange weitergeführt, wie sich eine ausreichende Menge von Menschen dafür interessiert.

Black Irish

Wenn Game eines von seinem unliebsamen Teilzeitmentor gelernt hatte, dann, dass ein bisschen Kontroverse nie schadet. Binnen kürzester Zeit zettelte er Streitereien mit unter anderem Ras Kass, Joe Budden, Yukmouth, Xzibit, Memphis Bleek, Suge Knight, Bow Wow, den Young Gunz und Eazy-Es Sohn Lil Eazy E an – mehr absurde Namen lassen sich in einem Halbsatz kaum unterbringen. Parallel schoss er so lange gegen Jay-Z, bis sich dieser endlich zu einem Halbsatz hinreißen ließ. Da mussten allerdings Jahre vergehen. Dazwischen lästerte über das Videoluder Vida Guerra, nahm Mobb Deep in Sippenhaft und überwarf sich schließlich sogar mit seinem Bruder Big Fase. Dabei ging es stets um Grundsätzliches wie geklaute Ketten oder geknöpfte Hemden, eher selten um Geld. Sehr oft ging es auch einfach um gar nichts. Als sich Game 2011 in einem Song Rihanna, Lil B, LeBron James sowie Superman, Hulk und Captain America vornahm, wurde es endgültig diffus. »There’s something about fighting«, rechtfertigte er sich einmal in einem Interview mit »L.A. Weekly«. »It’s like I’m a black Irish.« So kann man die Welt auch sehen.

Das wirklich Wichtige aber verlor Game trotz seiner teils hanebüchenen Scharmützel nie aus den Augen. Denn während ihn der mächtigste Mann im Spiel sowohl öffentlich als auch hinter den Kulissen nach allen Regeln der Kunst zu demontieren suchte, machte Game unbeirrt weiter Musik. Er rappte mit Kanye West und Rick Ross, Scarface und E-40, R. Kelly und Jamie Foxx – und schrieb nebenbei an seinem zweiten großen Album, ohne wirklich zu wissen, wann, wo und unter welchen Vorzeichen dieses erscheinen würde. Noch musste er ja mit dem unausgesprochenen Grundverdacht leben, ohne seine berühmten Freunde nichts wert zu sein. Nun aber, da sich Dr. Dre und Eminem unter dem Druck von 50 Cent in salomonisches Schweigen flüchteten und für Game nicht mehr zu sprechen waren, konnte er es allen zeigen. Und er zeigte es allen.

Im Dezember 2006 erschien, knapp zwei Jahre nach seinem umjubelten Debüt und den turbulenten Folgemonaten, Games zweites Major-Album »Doctor’s Advocate«. Der Doktor, als dessen treuer Gefolgsmann sich Game nach wie vor inszenierte, war aus den Produktionscredits verschwunden; als Label hatte man ihm Geffen Records zugewiesen, das unter dem Dach des Universal-Konzerns zwar von exakt denselben Managern verwaltet wurde wie Interscope, nach außen hin aber streng von der Erfolgsmaschinerie um Jimmy Iovine, Dr. Dre, Eminem und 50 Cent getrennt wurde. Es ging um vornehme Distanz, vor allem aber darum, weiter ordentlich abzukassieren, denn Game befand sich in jenen Tagen auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Auch ohne Fifty hatte er zwei fette Singles aufgenommen: die moderne G-Funk-Hymne »Let’s Ride (Strip Club)« sowie »It’s Okay (One Blood)«, bei dem er über ein markantes Vocal-Sample aus dem gleichnamigen Dancehall-Hit von Junior Reid mit simplen Vokabeln seine Situation zwischen Superstar und Sündenbock aufrollte: »50 ain’t rockin’ with him no more/It’s okay, I get it poppin’.« Außerdem: »I’m the king, and Dre said the west coast need me.« Und überhaupt: »What’s beef when you gettin’ head in the 6-3?« Game, so die Kernbotschaft, ging es gut, es ging ihm sehr, sehr gut. Er hatte zwar sein Team verloren. Aber er hatte immer noch seine erstaunliche Lern- und Anpassungsfähigkeit. Keine drei Jahre hatte er gebraucht, um sich von einem Kleindealer und N.W.A-Fan in einen Platinrapper zu verwandeln. Da musste es doch machbar sein, so ein zweites Album an den Start zu kriegen.

Also studierte Game »Documentary«, so wie er Jahre zuvor »Ready To Die« und »All Eyez On Me« studiert hatte. Und machte sich daran, seine erste Platte möglichst exakt zu spiegeln. Von Scott Storch und dessen Mini-Me J.R. Rotem holte er sich die spiegelblank polierten Piano-Banger, für die zuvor Dr. Dres Studiosklaven Mike Elizondo und Focus zuständig gewesen waren. Swizz Beatz ersetzte Timbaland mit einem Song für die Clubs. Snoop, Nate Dogg und die Dogg Pound machten in Westcoast. Bei Just Blaze orderte er erneut dreckigen Gangsta-Funk. Und mit Hi-Tek nahm er eine Art zweiten Teil des überlebensgroßen »Runnin’« auf: »Ol’ English«, erneut mit Sänger Dion, erneut mit kristallinen Harmonien direkt aus dem Himmel der Gangbanger. Wer sich nur ein klein wenig Mühe machte, konnte tatsächlich zu fast jedem Song von »Documentary« eine mehr oder weniger offensichtliche Eins-zu-eins-Entsprechung ausmachen, bis hin zum Titel- und Schlüsseltrack »Doctor’s Advocate«, der faktischen Fortsetzung von »Dreams«. Mit brüchiger Stimme und Busta Rhymes wendete sich Game hier an den Förderer und väterlichen Freund, der sich von ihm abgewendet hat und der doch immer in seinem Herzen bleiben wird. »When Doc say it’s a wrap, it’s a wrap/It’s still Aftermath, and ain’t nothing after that.« Game mochte kein guter Diplomat sein. Aber großes Kino lag ihm im Blut.

So geschah erneut Erstaunliches. Was längst zum Scheitern verurteilt war, ging im großen Stil auf. Über 350.000 Einheiten wanderten in der ersten Woche alleine in den USA über den Ladentisch, die »New York Times« adelte »Doctor’s Advocate« als bestes HipHop-Album des Jahres 2006. »Why you hate the game?«, fragte der heutige »The New Yorker«-Autor Kelefa Sanneh in seiner exzellenten Rezension in Anspielung auf den knapp zehnminütigen Albumtrack gleichen Titels. Und gab die Antwort gleich selbst: Weil er ein überheblicher Angeber sei, ein nimmermüder Namedropper, doppelzüngiger Provokateur, schlampiger Rapper, humorloser Witzbold und schamloser Speichel­lecker. All das stimmt. Aber genau das macht den Reiz von Games Musik bis zum heutigen Tag aus. Dass er der Inbegriff von HipHop ist: plakativ, impulsiv, emotional, unlogisch, politisch inkorrekt und unbedingt faszinierend.

Wenn man ehrlich ist, kann Game genau zwei Arten von Rap. Erstens: aggressiver, autobiografisch gefärbter Gangsta-Rap mit überbordendem Regionalpatriotismus und möglichst vielen Querverweisen auf die HipHop-Historie. Zweitens: nachdenklicher, autobiografisch gefärbter Gangsta-Rap mit überbordendem Regionalpatriotismus und möglichst vielen Querverweisen auf die HipHop-Historie. Das hat dazu geführt, dass man seiner irgendwann überdrüssig wurde. Auch sein drittes Album »L.A.X.« hatte tatsächlich noch große Momente. Wie Nottz auf »Ya Heard« den Newcleus-Klassiker »Jam On It« flippte oder Kanye West mit »Angel« einen Song des unlängst verstorbenen Proto-MCs Gil Scott-Heron rekontextualisierte, war herausragend und gehörte locker zum Besten, was das HipHop-Jahr 2008 zu bieten hatte. Mit »Letter To The King« bot die Platte sogar eine waschechte Game-Hymne in der Tradition von »Dreams« und »Doctor’s Advocate«. Doch spätestens mit dem Outro hatte sich das ewige Spiel mit den Verweisen auf die Vergangenheit und den Sounds der Gegenwart totgelaufen. Ohne das Moment des heißesten Rappers der Stunde wirkte all das Pathos plötzlich seltsam leer, das Drama gekünstelt, der Hass sinnlos, die Liebe wohlfeil. Game kann den hungrigen Hustler und den König der Welt. Alles dazwischen kann er nicht: Seine wuchtige Volksmusik am emotionalen Daueranschlag verträgt nicht mal den Anflug von Mittelmaß. Mit »LAX« ließ Game noch einmal seine Brillanz aufblitzen. Aber man konnte, man wollte sie nicht mehr als solche erkennen.

Pleiten, Purp und Pannen

Nach dem Album trat Game endgültig in die Karrierestufe der Wahllosigkeit ein. In den Jahren 2010 und 2011 erschien gefühlt ­wöchentlich ein neues Mixtape. Stets waren 50 bis 180 Stücke drauf, das Aufgebot an Gast-Stars spottete jeglicher Beschreibung und hätte anderen für drei ganze Alben gereicht. Mal gab es T-Pain, mal gab es Akon; mal gab es Timbaland, mal gab es Pharrell. Er spuckte 300 Bars, 360 Bars, 400 Bars. Er disste Jay-Z und die G Unit, versöhnte sich mit Gott und der Welt. Er klemmte sich an Trends mit Titeln wie »Purp & Patron«, nur um im nächsten Moment trotzig Big Daddy Kane und KRS-One zu featuren. Zwischendurch veröffentlichte er Singles, auf denen Justin ­Timberlake oder das Leitmotiv des Stadiontrance-Gassenhauers »Kernkraft 400« zu hören waren. Hängen blieb: genau gar nix. Außer ­vielleicht der Eindruck, dass hier einer in einer Art öffentlichem Feldversuch ein Album aufzunehmen versuchte, das eigentlich keiner mehr brauchte.

Heute ist Game all das eher peinlich. Die Mixtapes und das dazugehörige »R.E.D. Album« von 2011, sagt er, entstammten einer Phase, in der er zerstreut und generell gelangweilt von Rap gewesen sei. Das mag sogar stimmen, ist andererseits aber Teil einer Masche. Game hat Fehler stets offenherzig eingeräumt. Das macht ihn glaubwürdig und gleichzeitig wahnsinnig unglaubwürdig. Nur eines konnte man ihm trotz all seiner Spagate und Wendehalsmanöver nie absprechen: In einer Zeit, in der sich die großen ideologischen Kämpfe des Pop in einem riesengroßen Unentschieden aufgelöst haben, hält er unverdrossen die Stellung. Die (da oben), wir (da unten), das nimmt er schon noch persönlich. Er mag heute einen Mercedes S-550 durch die Vorstadtidylle steuern, aber er hat nie vergessen, wo er herkommt. Seine Zuhörer übrigens auch nicht, denn er sagt ihnen vorsichtshalber immer mal wieder durch: »Nigga, I’m from Compton.« Vielleicht ist es diese Beharrlichkeit, wegen derer Game immer noch als einer aus dem Volk gesehen wird. Vielleicht ist es aber auch einfach nur sein zerknautschtes, vom Leben gezeichnetes, quasi naturvernarbtes Gesicht, das so wunderbar korrespondiert mit seiner furchig-ledernen Stimme. Game hat quasi permanent zu viel getrunken gestern. Und zwar nicht diese sagenhaften Zauberschnäpse aus den Minibars von Usher und Chris Brown, die man gleich literweise wegspülen kann und am nächsten Morgen trotzdem pünktlich um acht zum Zumba-Kurs auf der Matte steht. Sondern halt genau den einen Jägi, den auch du und ich immer nicht ausschlagen können: Jayceon Taylor, einer von uns.

Dabei zielt er mit seiner Volksnähe nicht einfach auf die niederen Instinkte der zu kurz Gekommenen ab wie so viele Rapper in Deutschland, die mit pathetisch verstellter Stimme und faden Alltagsgeschichten aus ihrem Kiez das Erbe der Böhsen Onkelz verwalten. Vielmehr geht es ihm um Prinzipien. Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, zu den Guten gehören, so was halt. Dass er dabei stets ein bisschen was durcheinanderbringt und selbst nur in den seltensten Fällen mit gutem Beispiel vorangeht, verzeiht man ihm gern. Weil er es ­zumindest ehrlich meint. Und weil er einen ­immer wieder genau dann zu überraschen versteht, wenn man das endgültig nicht mehr für möglich hält.

Der Blogger Jeff Weiss nannte Game einmal »ein offenes Buch mit einem unverlässlichen Erzähler«. Damit traf er den Nagel auf den Kopf. Games Geschichte ist so komplex, dass sie jeder versteht, so absurd, dass sie eigentlich nur wahr sein kann.

This is why you love The Game.

Text: Davide Bortot

1 Kommentar

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