Kings of HipHop: Public Enemy // Feature

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Sofort nach ihrer Rückkehr begannen Public Enemy mit der Arbeit an ihrem nächsten Album, das ihr unbestreitbares Meisterwerk werden sollte. Wie Chuck D später erklärte, funktionierte die Arbeit im Studio nach einem Prinzip widerstreitender Ansätze: Eric Sadler war der Musiker, Hank Shocklee der Anti-Musiker. Hank und Chuck hatten ein Ziel: Sie wollten Popmusik und die darin verankerten Hörgewohnheiten zerstören. Eric Sadler war derjenige, der zumindest ein gewisses Maß an musikalischer Ordnung in das kreative Chaos brachte, das nicht selten aus über zwanzig übereinander gelegten Schichten von Musik-Samples, Vocal-Schnipseln und Live-Spuren bestand. Das Konzept ging auf: Trotz einer bewussten Ignoranz gängiger Musikindustrieregeln stieg das zweite Album noch höher in die Charts ein als der Vorgänger, »Don’t Believe The Hype« wurde eine moderate Hitsingle und das überschaubare Produktionsbudget von 56.000 Dollar war schnell wieder eingespielt.

Von 1987 bis 1991 hielten Public Enemy die Pop-Welt fest im Würgegriff. Auf »It Takes A Nation« folgte zwei Jahre später das ebenbürtige »Fear Of A Black Planet« und ein weiteres Jahr später das immer noch extrem starke »Apocalypse 91… The Enemy Strikes Black«. 1989, kurz vor dem Erscheinen von »Fear Of A Black Planet«, wurde der Song »Fight The Power« für den Soundtrack zu »Do The Right Thing« verwendet, jenem Film, der dem jungen afroamerikanischen Filmemacher Spike Lee zum Durchbruch verhalf. Gleichzeitig machten Public Enemy sich mit ihren kontroversen Inhalten nicht nur Freunde: 1989 gaben sie der »Washington Times« ein Interview, in dem Professor Griff seiner Sympathie zu den Palästinensern im Israel-Konflikt Ausdruck verlieh. Gleichzeitig wurde die Anschuldigung laut, Griff sei bekennender Antisemit – eine Behauptung, die durch Äußerungen in Interviews befeuert wurde, von Griff selbst jedoch bis heute zurückgewiesen wird. Der mediale und politische Druck auf die Band wurde jedoch so groß, dass sie sich gezwungen sah, Griff zu feuern und stattdessen die afroamerkanische Autorin und Aktivistin Sister Souljah an seine Stelle zu setzen. Die Kritik an Public Enemy wurde lauter, als auch Chuck D Tendenzen zum Antisemitismus und zur Homophobie unterstellt wurden. Dazu passte auch, dass Public Enemy sich oft mit den Theorien von Louis Farrakhan schmückten, dem Kopf der Nation Of Islam, der von seinen Kritikern als schwarzer Nationalist und schwulenfeindlicher Antisemit gesehen wird.

So pervers es auch klingt: Gerade diese inhaltlichen Fragen waren jedoch für europäische Rezipienten wie mich eher nebensächlich. Public Enemy revolutionierten den Sound von HipHop. Das Bomb Squad hatte einen extrem dichten, wütenden Sound, Terminator X einige der besten frühen Scratch-Routines (obwohl diese später zum überwiegenden Teil DJ Johnny Juice zugeschrieben wurden) und Chuck D die wiedererkennbarste Stimme seiner Ära. Vor Public Enemy hatte es mit den Last Poets, Melle Mel und KRS-One bereits Artists gegeben, die ­sozialkritische Themen angesprochen hatten, doch keiner von ihnen konnte damit eine derartige Durchschlagskraft erreichen. Dazu gehörten mit Sicherheit auch Aspekte, die außerhalb der Musik begründet liegen: das martialische Auftreten ihrer S1Ws, die zu Spectrum City-Zeiten tatsächlich als Sicherheitskräfte auf lokalen HipHop-Partys gearbeitet hatten, aber auch die Symbolik ihrer Outfits, ihre Interviews, ja: der unbeugsame, rebellische HipHop-Gestus, der all ihren Handlungen latent innewohnte.

Auf den Public Enemy-Plattenhüllen fanden sich statt der üblichen Dankeslisten praktische Anleitungen für den jungen Hörer, die nicht nur mir den Zugang zur HipHop-Kultur und ihrer zu diesem Zeitpunkt bereits reichhaltigen Geschichte erleichterte (»The Old School«, »The Now School«, »The New School« und »Extra Strength Posse«.) Public Enemy verbreiteten auf diese Weise auch das bewährte HipHop-Prinzip von Credits, Respekt und Props. Melle Mel und Schoolly D hatten Run-DMC und LL Cool J beinflusst, die Chuck D als wichtigste Inspirationsquellen für Public Enemy nannte, ohne die wiederum N.W.A. und ihr »Straight Outta Compton« niemals möglich gewesen wären. Als das Bomb Squad 1990 Ice Cubes politisch ambitioniertes ­Solodebüt »AmeriKKKa’s Most Wanted« produzierte, schloss sich gleich auf mehreren Referenzebenen ein Kreis.

Nach 1991, vielen Auszeichnungen und mehreren Welttourneen, wurde es langsam ruhiger um Public Enemy. 1992 erschien zwar noch »Greatest Misses«, eine Sammlung von Outtakes und Remixen, doch es sollte bis 1994 dauern, bis mit »Muse Sick-N-Hour Mess Age« ein weiteres Album mit komplett neuem Material erscheinen sollte – allerdings ohne Mitwirkung der originalen Mitglieder des Bomb Squad. HipHop hatte sich inzwischen in eine andere Richtung weiterentwickelt, neben G-Funk an der Westküste hatte man auch in New York inzwischen einen neuen Stil von Rap-Musik entwickelt, der auf langsam dahinfließenden BoomBap-Beats basierte. Hinzu kamen widerstreitende geschäftliche Interessen im Zuge einer potenziellen Labelgründung, Sadler sagte sich daraufhin wegen eines Burnouts vom Musikbetrieb los, Hank Shocklee hatte PE ohnehin immer nur als Drei-Alben-Projekt gesehen. Und Flavor Flav hatte seine ganz eigenen Probleme, da er in eine handfeste Drogenabhängigkeit geraten war, was ein Fortbestehen der Band in ihrem ursprünglichen Line-up unmöglich machte.

Aufnahmen zu einem neuen Album scheiterten an der Auflösung des Produktionsteams, Auftritte der Band waren zu diesem Zeitpunkt aber ebenso undenkbar geworden, da Flavor Flav sich entweder im Knast oder in der Entzugsklinik aufhielt. Logische Konsquenz dieser Entwicklung war, dass sich jedes Mitglied auf seine Soloprojekte konzentrierte: Terminator X veröffentlichte zwei Soloalben, darunter das hervorragende »Valley Of The Jeep Beats«, Professor Griff brachte es in den Neunzigern auf insgesamt vier Soloalben, und Chuck D brachte 1996 sein Soloalbum »The Autobiography Of Mistachuck« heraus, das mit »No« sogar einen veritablen Hit enthielt. 1998 veröffentlichte Spike Lee seinen Film »He Got Game«, zu dem Public Enemy den kompletten Soundtrack beisteuerten. Gleichzeitig war es das letzten Album, das die Band ihrem Label Def Jam schuldete. In den folgenden Jahren verpassten Public Enemy es auf kreativer Ebene, neue Impulse in einer Zeit zu setzen, in der HipHop diese durchaus nötig gehabt hätte. Dass Terminator X die Band 1999 verließ und durch DJ Lord ersetzt wurde, kann als zweiter Wendepunkt in der Bandgeschichte gewertet werden.

Kurz darauf machten sich Public Enemy selbständig und gehörten damit zu den ersten Künstlern, die versuchten, sich das digitale Vertriebsmodell zunutze zu machen, anstatt hilflos gegen illegale Downloads anzukämpfen: So gründeten sie ihr eigenes Label Slamjamz, das sich vor allem auf digitale Technologien fokussierte. Als ich 2002 ein ausführliches Interview mit Chuck D führte, wurde er nicht müde, die Vorzüge von Internet und File-Sharing zu preisen und die herkömmliche Musikindustrie für tot zu erklären. Mit solchen Prophezeihungen war er aus heutiger Sicht früh dran, dennoch konnten »Revolverlution«, »New Whirl Odor« und »Rebirth Of A Nation« musikalisch wie inhaltlich kaum neue Ausrufezeichen setzen.
Gleichzeitig besiegelte Flavor Flav, seiner jahrelangen Drogensucht durch Entzug und Umzug nach L.A. entkommen, einen Image-GAU durch die unsäglichen Reality-Soaps »The Surreal Life« und »Strange Love« (wobei Letztere seine disfunktionale Beziehung zu Brigitte Nielsen dokumentierte) sowie der Dating-Show »Flavor Of Love«, die den ehemaligen Agitator lediglich als alternden Lustmolch darstellte. Auf die musikalische Entwicklung von Public Enemy hatte Flav ohnehin längst keinen Einfluss mehr. Sein 2006 im Zuge des relativen Erfolgs von »Flavor Of Love« erschienenes Soloalbum war ein musikalisches Fiasko, das einmal mehr bewies, dass der ehemals charismatische Hypeman kreativ am Ende war. Trotzdem raufte er sich schließlich mit Chuck D, Professor Griff und dem Rest der Band wieder zusammen und nahm das 2007 erschienene und bislang letzte Album »How You Sell Soul To A Soulless People Who Sould Their Soul?« auf.

Chuck D ist heute 48 Jahre alt und beschäftigt sich neben PE mit Vorlesungen, Autorentätigkeiten und politischem Aktionismus. Flavor Flav ist soeben 50 geworden und wartet auf »Flavor Of Love 4«. Hank Shocklee treibt sich in der Dubstep-Szene herum, Terminator X betreibt eine Straußenfarm in South Carolina. Public Enemy-Konzerte sind im Jahr 2009 keine revolutionären Messen mehr, aber immerhin auch keine zahnlosen Vergangenheitsreisen wie etwa die Shows der Rolling Stones. Public Enemy ist eine Band, die zu einer bestimmten Zeit im HipHop so wichtig und relevant war, dass kein noch so langweiliges Album, keine noch so peinliche TV-Soap ihren Ewigbestenstatus brechen kann.

Text: Stephan Szillus

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