Der Journalist, Autor und JUICE-Kolumnist Juri Sternburg hat ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel »Das ist Germania« und ist am 1. September erschienen. Das Buch knüpft an das YouTube-Format »Germania« von funk, in dem Personen der Öffentlichkeit ihre migrantische Perspektive auf Deutschland schildern. In »Das ist Germania« stehen Rapper*innen im Vordergrund und erzählen von ihren eigenen Erfahrungen, die von Juri Sternburg mit Hintergrundinformationen ergänzt werden. Zum Buchrelease haben wir dem Autor ein paar Fragen gestellt.
Wann ist die Idee entstanden, zusätzlich zu den »Germania«-Videos ein Buch zu veröffentlichen? Wie lange hat die Umsetzung dann gedauert?
Der Verlag kam 2019 auf mich zu und seitdem habe ich daran gearbeitet. Das war ein stetiger Prozess, der manchmal schneller von statten ging und manchmal auch etwas haperte. Alle die mit Rapper*innen zu tun haben, wissen ja, wie kompliziert es sein kann, diese mal ans Telefon zu bekommen oder persönlich zu treffen. Insofern war das Buch nicht nur eine intellektuelle, sondern durchaus auch eine logistische Hürde.
Warum lohnt es sich gerade mit Rapper*innen über Migration zu sprechen?
Es ist nun mal Fakt, dass Deutschrap seit langem zu einem großen Teil migrantisch geprägt ist. Das hat ja Gründe. Unter anderem, dass es für Einige ein Ausweg aus einem oftmals gefühlt vorgezeichnetem Weg ist. Aber es gibt auch Besonderheiten. Wenn du dich in deiner neuen Heimat nicht akzeptiert fühlst und noch nicht den Schritt gemacht hast, Nationalismus und Grenzen zu überwinden, als absurde Konstrukte, dann ist es vollkommen logisch, dass du dich umschaust und fragst: Was gibt es noch? Das Land der Eltern. Wenn dir gesagt wird, dass du kein Deutscher bist, dann fragst du dich vielleicht zurecht: Was bin ich dann? Insofern spielt beispielsweise Nationalismus oder Herkunft im Deutschrap immer wieder eine große Rolle. Dieses »Fahnenschwingen« in Rap-Videos etc., das kommt ja nicht aus dem luftleeren Raum. Und wenn dann beispielsweise ein Fler fragt, wieso das alle anderen machen dürfen, nur die Deutschen nicht, dann muss man ihm eben antworten: Das ist ein kompletter Denkfehler. Es wäre wünschenswert, wenn alle anderen diesen bescheuerten Nationalismus ebenfalls überwinden können.
Wie unterscheidet sich die Herangehensweise zwischen Videos und Buch?
Ich glaube, dass sich durch mein Wirken und durch die spezielle Perspektive ab und zu ein ganz neuer Blickwinkel aufgetan hat. In der Video-Folge erzählt Massiv beispielsweise, wie geil Deutschland eigentlich ist. Und dass es hier jeder schaffen kann, wenn er nur hart genug arbeitet. Das ist natürlich überhaupt nicht meine Sichtweise und widerspricht auch allem, was wir über Kapitalismus oder angeborene Privilegien wissen. Auf der anderen Seite: Wer bin ich schon, ihm seine Erfahrungen abzusprechen? Diese Gratwanderung aus privaten Ansichten der Protagonist*innen und meiner persönlichen Meinung hinzukriegen, das war oft eine Herausforderung.
Neben Rapper*innen kommen auch Schauspieler*innen bzw. Influencer*innen zu Wort. Warum war es euch als Team wichtig, nicht nur Rapper*innen abzubilden?
Es gab einfach Geschichten, die wir beim Sichten des ursprünglichen Materials unglaublich wichtig fanden. Die wir vielleicht nicht auf die ein oder andere Art schon davor erzählt hatten. Hatice Schmidt etwa, hat eine Story, die so unfassbar spannend, anders und brutal ist, dass sie unbedingt in das Buch musste. Wenn sie erzählt, wie sie aus dem beschaulichen Lankwitz ins beinharte Neukölln »migrierte« oder offen wie kaum jemand sonst über die extrem harte – um es mal freundlich auszudrücken – Erziehung zu ihren Gastarbeiter-Eltern spricht, dann sind das genau die berührenden Momente, die man sich für so ein Buch natürlich auch wünscht. Insofern haben wir den Fokus zwar auf Rap gelegt, weil das einfach auch meine Passion ist, aber auch zwei, drei andere Protagonist*innen mit rein genommen, die wir spannend fanden.
Wurden noch andere Artists angefragt? Gab es auch welche, die explizit nicht über das Thema sprechen wollten?
Ja natürlich. Es gab Künstler*innen die gerade eigene Buchprojekte am Start hatten oder verständlicherweise nicht zum tausendsten Mal über ihre Migrationsgeschichte reden wollten. Oder einfach nicht erreichbar waren.
Einerseits bist du der Autor des Buches, auf der anderen Seite geht es natürlich darum, dass die Interviewten ihre persönlichen Geschichten ausführlich erzählen können. Wie bist du an diese Aufgabe herangegangen?
Erst einmal mit der nötigen Vorsicht und Respekt. Das sind nicht meine Geschichten, ich habe Rassismus in dieser Form nie erlebt, wenn überhaupt dann Antisemitismus. Dennoch hab ich natürlich hier und da versucht, meine eigene Sichtweise einzubringen. Das lässt sich gar nicht vermeiden und war ja auch durchaus gewollt. Ich glaube, dass der Vorteil der Buchform ist, dass man das Gesagte noch einmal einordnen kann, es aus dem Auge eines Außenstehenden betrachtet und beschreibt. Ich weiß von ein paar der Portraitierten, dass sie teilweise erst als sie die Kapitel gelesen haben, begriffen haben, was da an bestimmten Punkten in ihrem Leben passiert ist. Einfach weil man das in seiner Jugend etc. erst einmal so hinnimmt. Aber diese Erfahrungen dann schwarz auf weiß zu lesen, das ist oft noch mal was anderes.
»Dass man selber auch mal Scheiße redet, ist kein Grund nicht angehört zu werden, wenn es um die eigenen Erfahrungen mit Rassismus geht.«
Werden die Rapper*innen nicht auf einen Aspekt ihrer Identität beschränkt, wenn das Thema Herkunft so im Vordergrund steht?
Ich denke, dass man gerade bei Menschen, die so sehr in der Öffentlichkeit stehen und die sich so extrovertiert der Welt präsentieren, schnell mitkriegt: Wie tickt so jemand? Was sind so die Themen seiner Texte? Aber das wars ja dann oft auch schon. In Interviews wird meist nach dem neuen Album, dem aktuellen Beef oder der neuen Modekollektion gefragt. Und dann gibt es auch viele MCs, die nun mal vor der Kamera anders sind, als dahinter. Die Erlebnisse in Deutschland und Migrationsgeschichten dieser Künstler*innen und vor allem auch ihrer Eltern zu erzählen, halte ich für extrem wichtig. Weil sie Fans und Szenefremden gleichermaßen vermitteln können, dass Menschen ähnliche Erfahrungen machen und dass man nicht allein mit seinen, oftmals problematischen oder komplizierten Erfahrungen ist. Gleichzeitig entwickeln Menschen, die solche Geschichten vielleicht gar nicht oder ungenügend kennen, ein besseres Verständnis für den struggle.
Und hat es dich gestört, sich bei den Texten auf ein Thema zu fokussieren und andere Aspekte außen vor zu lassen? Geht dabei auch notwendige Kritik, zum Beispiel an sexistischen Texten, verloren?
Diesen Vorwurf habe ich tatsächlich schon von einer Person bekommen – die das Buch allerdings noch gar nicht gelesen hat. Wie ich denn beispielsweise mit Künstlern reden könne, die in der Vergangenheit durch Antisemitismus oder Sexismus aufgefallen sind? Ich hab mir glaub ich in meiner sogenannten Karriere als Rap-Journalist nicht den Ruf erarbeitet, solche Dinge nicht anzusprechen. Ganz im Gegenteil. Viele der Rapper in dem Buch habe ich schon öffentlich kritisiert und attackiert. Dafür hab ich dann auch oft Gegenwind bekommen. Aber hier ging es eben um etwas anderes. Und zwar um die Erfahrungen dieser Menschen mit Deutschland, ihren Eltern oder Rassismus. Da möchte ich ungern ein Ranking erstellen a la »Dieser Migrant ist mir genehm oder ich stimme mit allem überein was er sagt, deswegen darf auch nur der über Diskriminierung berichten«. Dass man selber auch mal Scheiße redet, ist kein Grund nicht angehört zu werden, wenn es um die eigenen Erfahrungen mit Rassismus geht.
Was kann man aus »Das ist Germania« lernen?
Ich denke zuallererst einmal, dass die klassischen Rap-Fans etwas über die Herkunft und Geschichte von Künstler*innen und deren Eltern oder ursprünglichen Heimatländern erfahren können. Ob man jetzt Fan ist oder jemanden komplett ablehnt, ist egal. Denn in beiden Fällen versteht man den oder die Portraitierten danach vielleicht etwas mehr. Und für Menschen außerhalb der Rap-Szene ist es glaub ich eine gute Möglichkeit zu verstehen, dass hinter diesen teils harten Texten oder Aussagen, natürlich auch immer Menschen stehen. Werbetrommel rühren hin oder her – genau das war es, was mich von Anfang an gereizt hat: Verschiedene Szenen und auch Schichten mit diesem Buch anzusprechen.