Der Witz ist zu gut, um ihn nicht immer wieder zu erzählen. »Die große Zeit des deutschen HipHops ist vorbei.« Meinte der Schalk tatsächlich den deutschen HipHop? Den, der gerade mit Marteria, Yasha & Miss Platnum die #1 der Single-Charts erklommen hat? Den, der in Kürze bei »Wetten, Dass..?« zu sehen ist? Den, der gerade den Bundesvision Song Contest bei einem großen privaten Fernsehsender inhaliert? Den, der zu so hitzigen wie wichtigen sozialgesellschaftlichen Diskursen anregt? Den, der gerade Alben wie am Fließband in die Charts schießt? Den, den derzeit immer mehr Künstler mit gleichbleibendem Erfolg und, vor allem, stetig wachsender Qualität weiterentwickeln? Die große Zeit des deutschen HipHops wird immer größer. Wir freuen uns und sind im Chaos und in der Ordnung (wie bei unseren aktuellen Titel-Helden Die Orsons!) dabei.
DIE THEMEN DER JUICE AUSGABE #146
Titel: Die Orsons – Künstlerische Differenzen
Dass die Orsons mit »Das Chaos und die Ordnung« mittlerweile ihr drittes gemeinsames Album veröffentlichen, grenzt fast an ein Wunder. Denn das, was bei nahezu jeder verlautbarten Bandauflösung als Trennungsgrund kommuniziert wird, könnte man fast schon als definierendes Merkmal dieses eigenwilligen Schwabenquartetts bezeichnen: künstlerische Differenzen.
Xavas – Königstreffen
Der Legende nach wollte Xavier Naidoo schon ein gemeinsames Album mit Savas machen, da hatten sie noch nicht einmal einen gemeinsamen Song. Bereits einige Jahre vor ihrer ersten Kollaboration auf »One« (»Was hab ich dir getan«, 2005) schwebte dem deutschen King of Soul die Kräftebündelung mit dem deutschen King of Rap vor. »Es hat die Zeit gebraucht«, sagen jetzt beide. »Und jetzt ist der Zeitpunkt perfekt.« Xavier ist durch seine Tätigkeit bei »The Voice of Germany« bekannter denn je und hat mit seinem »Best of« jüngst locker Platin eingeheimst. Und Savas hat nach all den Jahren endlich auch sein Nummer-eins-Album. »Gespaltene Persönlichkeit« ist ein Königstreffen. Nennen kann man es, wie man will: Best of Both Worlds, »unausweichliche Fügung« (Xavier), geschickter Business-Move mit Benefit für beide Seiten oder eines der größten Deutschrap-Kollaborationsprojekte aller Zeiten. Hier treffen sich zwei erwachsene Männer, die sich in sehr vielen Dingen sehr ähnlich sind und in manchen komplett verschieden. Zwei Jungs, die sich schon lange kennen und immer geschätzt haben. Zwei Künstler, die beide ein außergewöhnliches Talent und zwei, drei unbezahlbare Autos besitzen und den Traum vom Musikerdasein leben, dafür aber auch härter gearbeitet haben als die meisten anderen. Hier wird nicht um den Thron gespielt – er wird sich kurzerhand geteilt.
Marteria, Yasha & Miss Platnum – Purple City Kreuzberg
»Wir trinken auf Verlierer, lassen Pappbecher vergolden/feiern hart, fallen weich auf die lila Wolken.« Es dauert einen Moment, bis die verklebten Synapsen
klarkriegen, wer dort rappt: Es ist dieses unvergleichlich coole Surren von Marteria. Und dann im Refrain, das sind doch Miss Platnum und, ja genau, Yasha. Man stellt fest: Das, was die Drei dort in den Kreuzberger Morgen singen, ist er, dieser vielbeschworene Berlin State of Mind. Einer, der offensichtlich nicht lokal gebunden ist: »Lila Wolken« stieg direkt auf die Pole Position der deutschen Single-Charts. JUICE-Autor Jan Wehn erklärt, wie es zu dieser überaus erfolgreichen Ménage à trois kam.
Blumentopf – Back On Track
Es gibt ein neues Blumentopf-Album. Wir müssen reden. An Blumentopf denken ist eine Mischung aus seligem Lächeln und Fremdscham. Der unverrückbare Platz im Gedächtnis einer kompletten, wenn auch überwiegend süddeutschen Generation – mit Hardcore Dependancen in Köln und Hamburg – steht durch zwei nicht besonders überzeugende Alben im Spätwerk mittlerweile in Konkurrenz mit den Insignien alternder Popstars: Zweifel, Irritation, Enttäuschung, Gewöhnung. Früher war alles besser – eh klar, aber hier nicht Thema. Die Frage ist doch: Was kann Blumentopf im Jahre 2012 noch leisten? Oder müssen sie, qua Historie und qua unfickbarer Teil des Deutschrap-Movements (ja, Movements!) das gar nicht mehr? Okay, Hosen runter.
KunstWerkStadt – Samy Deluxe über seine neuen Projekte
Dass man sich zufällig in die »KunstWerkStadt« verirrt, ist eher unwahrscheinlich. In der tiefsten niedersächsischen Provinz lässt es sich ohne Ablenkung srbeiten, deswegen empfängt Samy Deluxe in regelmäßigen Abständen befreundete Musiker und Kreative in seinem abgelegenen Landsitz mit angeschlossenem Studio. Im Mai 2012 ist hier in einer 14-tägigen Jam-Session das »Werk 1« entstanden, der erste Tonträger mit KunstWerkStadt-Emblem, und hier frickelt Samy auch mit der bekannten Detailverliebtheit an seinem geheimnisvollen nächsten Großprojekt »Herr Sorge«. Der passende Moment für ein Gespräch mit Deutschlands eigensinnigstem Rapper, der sich von den Sachzwängen und den selbst auferlegten Grenzen einer Szene längst nicht mehr einschränken lässt – und dabei erfolgreicher denn je ist.
Brainfeeder – Back to the Further
Laut eigener Aussage sind neun von zehn Personen aus Steven Ellisons aka Flying Lotus’ engerem Freundeskreis Genies. Schön blöd, wer bei so einer Quote nicht versucht, möglichst vielen davon eine Plattform zu bieten. 2008 folgte Flying Lotus dem Drang, seine ersten hart verdienten Penunzen aus dem Musik-B.I. clever zu reinvestieren. Er nannte sein Label »Brainfeeder«, nach dem Opener seines zweiten Albums »Los Angeles« und trug fortan maßgeblich dazu bei, dass Producer weltweit als Persönlichkeiten wahrgenommen und vermarktet werden können. Mit vertrieblicher Unterstützung durch die UK-Instanz Ninja Tune versammelt Brainfeeder heute Namen wie Lorn, Samiyam, The Gaslamp Killer, Thundercat, Martyn, Teebs oder Jeremiah Jae – und damit ein paar der größten Talente, die HipHops linke Hirnhälfte in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat. Die wohl größten Galionsfiguren des Labels, The Gaslamp Killer und Flying Lotus selbst, veröffentlichen dieser Tage neue Alben, die merklich den gleichen Spirit atmen, aber unterschiedlicher kaum hätten ausfallen könnten. Feed your brain.
Shoe – Calligraffiti
Vor einigen Monaten berichtete JUICE an dieser Stelle über Don Karl, dessen Buch »Arabic Graffiti« sich an einer illustrierten Kunstgeschichte der arabischen Wandmalerei von der Kalligrafie bis hin zum modernen Graffiti versucht. Überschrift: Calligrafreedom. Doch arabische Writer sind nicht die einzigen, die in ihren Pieces mit der jahrhundertealten Kunst der Kalligrafie arbeiten. Das holländische Urgestein Niels »Shoe« Meulman hat sich ganz einem Stil verschrieben, den er »Calligraffiti« nennt. Dieser Tage erscheint mit »Painter« bereits der zweite Bildband, der sich der Dokumentation dieses Stils widmet. Seine Arbeiten stellt er mittlerweile auf der ganzen Welt aus, unter anderem zählt das Modeimperium Louis Vuitton zu seinen Auftraggebern. Angefangen hat Shoe allerdings ganz unten, auf den Straßen Amsterdams, mit nicht mehr als einem Edding als Arbeitsgerät.
Plan B – London Calling
Ben Drew alias Plan B wuchs im Londoner Forest Gate Council Estate bei seiner Mutter auf. Sein Vater spielte in einer Punkband und verließ die Familie, als Drew fünf Monate alt war. Ben durchlebte so ziemlich jede Station des vermeintlich vorgezeichneten Lebenswegs, Schlägereien, Drogen, Schulverweise und aufgestauter Frust inbegriffen. Als Ventil für all den Missmut fand Plan B glücklicherweise die Musik. Mit dem Film und dem gleichnamigen Album »Ill Manors« setzt er in seiner Karriere einen vorläufigen Höhepunkt. JUICE-Redakteur Ndilyo Nimindé traf Plan B für ein Interview.
Left Boy – Scheiß auf die Vergangenheit
Left Boy, bürgerlich Ferdinand Sarnitz, ist jemand, dem mit steigendem Ruhm stetig größerer Neid und sogar Hass entgegenschwappen wird. Warum? Ganz einfach: Bei oberflächlicher Betrachtung erscheint sein ganzer Werdegang wie ein ständiges Wandern auf Zuckerwatte. Als Ferdinand 1989 in Wien zur Welt kommt, gilt sein Vater, der Chansonnier, Aktionskünstler, Autor und Schauspieler André Heller, als avantgardistische Instanz in der österreichischen Kulturwelt. Klar, dass dem Sohnemann da keine allzu großen Steine in den Weg gelegt werden, so er sich für einen künstlerischen Werdegang entscheidet. Kein typischer Werdegang für einen Rap-Star in spe – so viel steht fest. Aber irgendetwas hat dieser Left Boy. Ist es das unbestreitbare Charisma, das er auch in unserem exklusiven Interview mit Wiener Akzent selbstbewusst zur Schau stellt? Ist es die spitzbübische Dreistigkeit, mit der er sich an Schmalz-Pop von Carly Rae Jepsen (»Call Me Maybe«) genauso wie bei Klaus Badelts und Hans Zimmers »Fluch der Karibik«-Score bedient? Oder ist es einfach das ausgeprägte Gespür für melodische Flows, unruhig flirrende Beats und klebrige Refrains, die die Menschen bereits in Scharen zu Left Boy treibt, obwohl er zum Zeitpunkt der Drucklegung noch gar keinen Deal unterschrieben hat? Ein Exklusivinterview.
The Swag is Over – Retromanie, höheres Bewusstsein und Post-Swag-Rap
In Brooklyn passiert etwas. Die heutigen Fackelträger von Flatbushs Rap-Dynastie sammeln sich unter dem Schirm der Beast-Coast-Reimfamilie. Neben der Pro-Era-Crew um Joey Bada$$ zählen zu diesem Kreis auch The Underachievers sowie Juice und Meech von den Flatbush Zombies und deren bevorzugter Inhouse-Produzent Erick Arc Elliott. Die Welle, die derzeit durch Flatbush schwappt, ist vor allem deshalb so bemerkenswert, weil sie einerseits eine erstaunliche Ansammlung von Rap-Talenten an Land spült und andererseits, weil sie für einen weitgreifenden Paradigmenwechsel steht. Die Beast-Coast-Familie, aber auch andere Vertreter wie Manhattans Ratking Posse oder der postregionale Raider Klan stehen nämlich für einen Bruch mit den (Pl)Attitüden des »Swag Rap«. JUICE-Autor Anthony Obst über die neuen Vertreter der Generation Anti-Swag.
Kings of HipHop: Three 6 Mafia – Satanische Verse
Im Sound neuer Mixtape-Heroen wie dem Raider Klan lebt ihr Erbe fort, gleichzeitig ist Three-6-Mafia-Mitglied Juicy J heute einer der angesagtesten Botschafter des Trippy, hat jüngst bei Wiz Khalifas Taylor Gang gesignt und spielt ausverkaufte College-Gigs mit Drake und The Weeknd. Für ihre Heimat Tennessee sind sie Pioniere, für eine komplette Subkultur deutscher Adepten waren sie das Vorbild für ihre Mischung aus realem und fiktivem Horror: Ohne Three 6 Mafia kein SpaceGhostPurrp und kein A$AP Rocky, aber auch kein Basstard und kein Blokkmonsta. Eine Würdigung des Lebenswerks der Oscar-Gewinner DJ Paul und Juicy J aus Memphis.
Darüber hinaus findet ihr in dieser Ausgabe u.a. Features und Interviews mit:
B-Tight
How To Dress Well
Massiv
Laas Unltd. vs. Monroe
Ssio
S3 – Miles Bonny & Brenk Sinatra
Tyler, The Creator
Big K.R.I.T.
Trailerpark
Boys Noize
Callejon
F.R.
Illmatic
Nazar
Chevy Woods
Bico
uvm.
Tracklist JUICE-CD #113
01 Marteria, Yasha & Miss Platnum »Lila Wolken (Stickles Krabbe Remix)« JUICE Exclusive (prod. von: Stickle)
02 Weekend »Ich will das JUICE-Cover« JUICE Exclusive (prod. von Peet)
03 Aphroe »Ruhrpott State Of Mind« (prod. von: Ill Will)
04 Megaloh »HipHop« JUICE Exclusive (prod. von: DJ Khalil)
05 Left Boy feat. Mirakle »A Milli« JUICE Exclusive (prod. von: Left Boy)
06 Muso »Garmisch Partenkirchen« (prod. von: Kontantin Gropper & Pink Ganter)
07 Chefket »Fliegen & Fallen« (prod. von: Nobodys Face)
08 Tyron Ricketts feat. Bico »Fahrtwind« (prod. von: Ive75)
09 Mach One feat. K.I.Z. »Topfpflanze (Remix)« (Prod. von: Kev Beats)
10 Blokkmonsta »Prometheus« JUICE Exclusive (prod. von: Samurai Sounds)
11 Frauenarzt, Schlafwandler, Skinny AL, O.G.P, Smoky, Rako, Sicc, Blokkmonsta, Jayson, Schwartz, Sez 1, Medizin Mann, Schatten »Da Summer (Three 6 Mafia Tribute)« JUICE Exclusive (prod. von: Three 6 Mafia)
12 KunstWerkStadt »Worstcase Szenario« (prod. von: KunstWerkStadt)
Cover JUICE-CD #113
Die JUICE-Ausgabe #146 (Oktober 2012) ist ab dem 27.09. bundesweit für 5,00 EUR inklusive JUICE-CD #113 im Zeitschriftenhandel erhältlich.
Cover JUICE #146