»Ich musste in den Straßen kämpfen und Kriege führen und trotzdem bin ich noch hier« // Gunplay im Interview

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Er trägt ein Hakenkreuz auf dem Rücken spazieren, zog mal Koks direkt vor der Nase eines Polizisten und geht in seiner Freizeit gerne angeln. Wenn ihr Gunplay noch nicht kennt — nun, dann habt ihr etwas verpasst. Der 33-jährige Richard Morales Jr. aus El Paso, Texas, ist einer der kontroversesten, aber auch spannendsten US-Rapper. Konnte man ihn früher noch problemlos als langweiligen Weedcarrier der MMG-Bagage um Rick Ross abkanzeln, so ist er mittlerweile ein ebenbürtiger Sparringspartner für ­Kendrick Lamar und hat seine Rap-Persona als überzeichnete Comicfigur inszeniert, die seinem Boss durchaus Konkurrenz machen könnte.

Die Oberfläche, die Kunstfigur Gunplay, ein hünenhafter Volltätowierter mit Hang zu schrägen Gesichtsausdrücken, überstrahlte seine Musik lange Zeit bei weitem. Das »Triple C’s«-Album mit Rick Ross und Torch war nur mäßig aufregend, auf dem ersten Maybach-Music-Group-Sampler »Self Made Vol. 1« spielte er nur eine Nebenrolle und seine Mixtapes »Inglorious Bastard« und »Off Safety« klangen zu chaotisch, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Doch auf dem Kendrick-Lamar-Tune »Cartoon & Cereal« lieferte Gunplay Anfang letzten Jahres plötzlich die Performance seines Lebens ab. Seine Stimme schlug Kapriolen und Zeilen wie »I ain’t seen the back of my eyelids for about the past 72 hours« und »Nobody can mute me, but I never said nobody can shoot me« drückten gleichzeitig unendlich viel Schmerz und Wahnwitz aus – sie mussten einfach hängenbleiben. In der Folge erarbeite sich Gunplay den Ruf des psychotischen Genies, ähnlich außer Kontrolle wie vor ihm schon Ol’ Dirty Bastard. Plötzlich verstand man, warum King Kendrick bei ihm angeklingelt hatte und ihn unbedingt auf diesem Track haben wollte. »Das ist der größte Song meiner Karriere. Zuvor war ich nur für Gossip und Kontroversen bekannt, jetzt nimmt man mich als Künstler endlich ernst«, sagt Gunplay heute – und liegt damit goldrichtig.

Den nächsten starken Auftritt zeigte Gunplay wenig später auf »Power Circle«, einem der wenigen epischen Brecher auf »Self Made Vol. 2«. Parallel dazu wurden seine Mixtapes stärker und Songs wie »Bible On The Dash« und sein »Guillotine (Swords)«-Freestyle zeigten einen stilsicheren Rapper, der zeitgemäße Banger genauso auseinandernehmen kann wie alte RZA-Schinken. Gunplay strotzte zu dieser Zeit vor Selbstvertrauen. Bald unterschrieb er bei Def Jam und kündigte sein Debütalbum »Medellin« an. Das ist bis heute nicht erschienen. Anfang Mai verkündete Gunplay endlich: Das Album kommt, aber es hört von nun an auf den Namen »Living Legend«. Da kündigt dieser Kerl also sein erstes Soloalbum offiziell an und bezeichnet sich bereits als lebende Legende. Spricht aus diesem Titel nun nur kalkulierter Größenwahn oder echte Verrücktheit? Grund genug, um endlich mal mit dem Rapper zu sprechen, der im wahren Leben genauso freizudrehen scheint wie in seinen Musikvideos.

Hallo, Gunplay. Wie läuft’s?
Erst mal Entschuldigung. Ich habe mein Telefon eben nicht gehört. Meine Freundin und ich haben gerade einen geraucht. Sie ist übrigens einfach Wahnsinn, diese Frau! Jetzt sitzen wir zusammen im Auto, die Sonne scheint und wir fahren Richtung Studio, damit ich weiter an »Living Legend« arbeiten kann.

Ich habe schon gehört, dass du den Titel des Albums geändert hast. Warum?
Weil ich mich im Moment wie eine ­verdammte lebende Legende fühle! Ich musste in den Straßen kämpfen und Kriege führen und trotzdem bin ich noch hier. Jetzt habe ich endlich auch diese verdammte ­Anklage heil überstanden. Es könnte mir nicht besser gehen.

Trotzdem ist das ein sehr selbstbewusstes Statement für ein Debütalbum.
Natürlich ist es das. Aber nenne mir einen anderen Rapper, gegen den es belastendes Videomaterial gab! Ich hatte eine Anklage am Hals, die mich lebenslänglich in den Bau bringen sollte, und bin trotzdem frei. Sag mir irgendjemanden, der so etwas schadlos überstanden hat und dann können wir ­darüber reden, ob das Album nicht vielleicht einen anderen Namen tragen sollte.

Für alle, die ihre Freizeit nicht auf ­WorldstarHipHop verbringen: Richard Morales Jr. musste sich noch am 25. Februar dieses Jahres vor Gericht verantworten. Er wurde des bewaffneten Raubüberfalls (inklusive eines Angriffs mit einer tödlichen Waffe) auf seinen ehemaligen Buchhalter beschuldigt. Doch an diesem Tag wurde die Anklage fallen gelassen – obwohl belastendes Videomaterial existiert, das scheinbar Gunplay dabei zeigt, wie er mit vorgehaltener Waffe einen Raum stürmt und dem Opfer eine Goldkette abnimmt. Aber der Geschädigte weigerte sich auszusagen, erschien nicht vor Gericht und Gunplay war wieder ein freier Mann. Gut möglich, dass man gar nicht genauer wissen möchte, warum sein Opfer nicht gegen Morales aussagte. Zeit für weniger verfängliche Themen, zum Beispiel seine Hobbys. Die präsentierte der Rapper nämlich letztes Jahr im Rahmen einer Videoblog-Serie, die zum Unterhaltsamsten zählt, was dieses Format aktuell hergibt. Für diese Clips verbrachte Gunplay unter anderem einige Stunden in einem Freizeitpark, ­tänzelte zur Musik von Michael Jackson durch ­Sicherheitskontrollen und ging mit einer Person ­namens Captain Fred auf Fischjagd. Hilariöser geht es nicht.

Wann warst du das letzte Mal fischen?
Ist eine Weile her. Ich wollte vor kurzem wieder raus, aber im Moment beißen die Fische bei uns nicht so gut, also habe ich mir was Neues einfallen lassen. Ich werde bald in den Wald gehen, um mit Pfeil und Bogen zu jagen. Ich liebe, es aktiv zu sein und an der frischen Luft zu sein. Ich habe keinen Bock, denselben Mist wie die anderen Rapper zu zeigen, die in ihren Videos immer nur Geld zählen und solchen Quatsch. Ich verbringe meine Zeit lieber draußen in der Natur.

Was müsste ich erwarten, wenn ich einen Tag mit dir im Wald verbringen dürfte?
Eine verdammt gute Zeit, Kumpel! Wir würden sehr viel Gras rauchen, ständig fluchen und ganz hervorragenden Schnaps trinken.

Klingt fantastisch. Früher warst du auch für deinen Konsum harter Drogen bekannt. Damit hast du aber aufgehört, oder?
Genau. Ich rede zwar in meinen Raps weiterhin von Kokain, aber das ist heute zum Glück ein Teil meiner Vergangenheit. Mein altes Ich hatte mit dem Zeug viel Spaß, aber heute bin ich auf größere, bessere Dinge aus. Dabei können mir Drogen nicht helfen. Außerdem bin ich ohnehin ein aufbrausender Mensch und Kokain macht dieses Problem nur noch schlimmer. Wenn ich drauf bin, dann ­bekomme ich heftige Stimmungsschwankungen und manövriere mich in Situationen, die mich in große Probleme bringen können. Ich möchte heute lieber gesund leben, anstatt meinen Körper weiter mit Drogen zu zerstören oder gar im Knast zu landen.

Diese wilde, konfliktfreudige Seite, ist die trotzdem noch ein Teil von dir?
Aber sicher. Das ist so tief in mir drin, so schnell verschwindet das nicht. Zum Glück habe ich es geschafft, diese Schwäche unter Kontrolle zu bringen. Aber wenn ich sie mal brauche, dann weiß ich noch immer, wie ich sie zu meinem Vorteil nutzen kann.

Nach der Sache mit seinem Buchhalter zeigte Gunplay diesen Teil seiner Persönlichkeit im letzten Jahr ein weiteres Mal im Rahmen der BET HipHop Awards. Dort kam es zu einem Wortgefecht zwischen Gunplay und dem G-Unit-Umfeld. Wenig später attackierten mehrere Mitglieder aus der Entourage von 50 Cent Gunplay – dieser war allein und zog den Kürzeren. In einem Radiointerview nannte er Curtis Jackson wenig später einen Esel, dessen Karriere vorbei sei. »Ich stand meinen Mann. So wie ein echter G das sollte, wenn er von fünf Bodyguards, die dich mit einem Finger töten können, angegriffen wird. (…) Sie sahen aus wie Kühlschränke. Aber einen von ihnen habe ich erwischt, ungefähr so wie ein Löwe, der ein Gnu erlegt«, berichtete er damals.

Heute möchte Gunplay über diese Auseinandersetzung nicht mehr sprechen. Allerdings gibt es da noch eine weitere Kontroverse, über die es zu reden gilt. Dieses Mal im Zentrum: ein Symbol. Auf dem Cover zu seinem Mixtape »Inglorious Bastard« posierte der MC, der sich auf Twitter »Adolf Sniffler« nennt, in einer Pen-&-Pixel-inspirierten Umgebung vor einem Panzer und trug dabei eine Wehrmachtsuniform. Diese geschmackliche Entgleisung konnte man damals noch einem überdrehten Grafiker zuschreiben und als überkandidelte Hommage an Quentin Tarantinos Untergangsfantasie des Dritten Reichs abtun. Doch als Gunplay sich dann auch noch ein Hakenkreuz in den Nacken stechen ließ, da regten sich sogar in solchen Dingen eher unempfindliche Amerikaner auf. Gunplay selbst versteht hingegen bis heute nicht, warum man die wahre Bedeutung seines Tattoos nicht versteht.

Warum trägst du dieses Symbol auf deinem Rücken?
Ich möchte die Leute daran erinnern, dass der Mensch immer wieder pure, schöne und positive Dinge wie eine Swastika in etwas Schreckliches verwandelt. Dieses Symbol war mal ein Zeichen für Glück, Liebe, Gesundheit und so etwas. Dann griffen die Nazis es auf und machten daraus ein Zeichen für das pure Böse. Und genauso behandelt auch unsere Gesellschaft seine Kinder, seine Jugend, mich. Wir alle werden pur und gut geboren. Aber dann bombardiert uns die Welt so lange mit Scheiße, bis wir uns in Tiere verwandeln. Dann sperren sie uns in Käfige ein. Sie halten uns am Boden! Leider haben die Leute mein Tattoo falsch aufgefasst. Deswegen habe ich mir mittlerweile, so wie die Hindus das häufig machen, vier Punkte um das Kreuz herumstechen lassen, damit auch dem Letzten klar wird, dass ich kein Nazi bin.

Aber du bist schon fasziniert von den Nazis?
Absolut. Mich faszinieren Menschen wie Adolf Hitler, die so viel Schlechtes getan haben, aber gerade dadurch die ganze Welt so extrem beeinflusst haben. Ihre Namen werden für immer in unserem kollektiven Gedächtnis bleiben, obwohl oder gerade weil sie verdammte Mörder sind.

Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Aber ich komme aus Deutschland. Hier kann man sich nicht einfach ein Hakenkreuz tätowieren lassen, ohne Schwierigkeiten zu bekommen.
Was meinst du? Also, wenn ich nach Deutschland komme und ein Hakenkreuz-Tattoo habe, was wird dann passieren? Breche ich mit meinem Tattoo ein Gesetz?

Es öffentlich zu zeigen, ist strafbar.
(Gunplay fängt gleichzeitig an zu lachen und zu kreischen) Wow, verdammt. Geil! Aber ernsthaft: Als ich mir die vier Punkte in das Zentrum des Tattoos hab stechen lassen, da hat das seine Bedeutung völlig verändert. Du weißt das, oder? Aber egal. Wenn ich dadurch in Deutschland Ärger bekommen sollte, dann haben die Medien wieder etwas, über das sie reden können. Ey, mehr ­Kontroversen für Gunplay, warum nicht?

Du hast auch mal getwittert, die Leute seien Schafe, wenn sie glauben würden, dass die Regierung nicht jede wirtschaftliche Krise seit der großen Depression selbst ausgelöst hat. Was genau meinst du damit?
Das ist alles gespielt, eine dreiste Lüge. Seitdem die Banker die Federal Reserve [die US-Notenbank; Anm. der Redaktion] übernommen haben und sie quasi ein privat geführtes Unternehmen ist, seitdem haben die Banken mehr Macht über das Geld als der Staat und alles ging den Bach runter. Sie spielen mit uns. Es ist alles ein großer Witz, der unschuldige Menschen zu Opfern des Systems macht. Sobald du das verstanden hast, gibt es nur noch eine Frage, die du dir stellen musst: Willst du selbst nach Macht streben oder nicht? Es liegt alles an dir, Bruder.

Wie würde die Welt denn aussehen, wenn du die Macht hättest?
Es würde sehr viel gekifft werden. Überall und immer würde Musik laufen und es gäbe sehr viel gutes Essen. Außerdem würde es viele Dinge gratis geben. Es würde mindestens einen Tag im Jahr geben, an dem jeder seine Waren für umsonst abgeben muss. Oder am besten einen ganzen Monat. Dann hätte jeder Mensch die Chance, wieder auf die Beine zu kommen. Wenn du das nicht schaffst, dann bist du verdammt noch mal nutzlos. Dann gibt es keine Entschuldigung mehr. Dann bist du nur ein Stück Scheiße und kannst aus meinem Land verschwinden.

Wie definierst du Erfolg?
Ich definiere Erfolg als finanziellen, wie auch spirituellen Wohlstand. Erfolg ist für mich kein Ziel, sondern eine Reise. Es geht immer weiter. Sky is the limit! Ich möchte Gott so nahe kommen wie möglich, ohne zu sterben natürlich, und meiner Mama ein großes Haus kaufen. Das wäre ein Anfang.

Text: Sascha Ehlert

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