Hamza – 1994 // Review

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(Just Woke Up / Warner Music)

Wertung: Viereinhalb Kronen

Zugegeben: Belgischer Rap konnte diesseits des Dreiländerecks bislang wenig Youtube-­Klicks ansammeln, verirrte sich doch allenfalls House-Raopper Stromae zeitweise in deutsche Party-Playlists. Ansonsten: Pustekuchen. Da muss erst der Tastemaker Drake vom anderen Ende des großen Teichs in der 19. Ausgabe seines OVO-Radios den Europäern zeigen, wer die frankophone Stimme der Stunde ist. Doch Hamza ist mehr als der autogetunte »Young Thug Brüssels«, wie ihn spitzfindige Pressetexte schon bezeichneten, wenngleich auch auf seinem ersten Major-Release »1994« die Einflüsse des Thugger unüberhörbar sind: Der Saucegod inszeniert auf »1994« behutsam eine voluminöse Achterbahn der Fühls, nutzt dafür quietschige Adlibs, gehauchten Falsett-Sing-Sang und die niemals alternden Themenkomplexe aus Guap, Gyals und Genussmitteln. Natürlich streift er auch großspurig durch Bobox City, verstaut das Schießeisen unterm Pullover vorm Club und liebt es, animalische Triebe im weiblichen Geschlecht auszulösen. Doch Hamza hat auch eine sensible Seite. In einem ähnlichen Offenbarungsmanöver wie einst Drake, beginnt der Brüsseler nach seinen eher morbid-majestätischen Mixtapes nun die zaghafte Flucht in die Verletzbarkeit. Andere würden das Soul nennen. Die größte Stärke des Albums folgt jedoch dem ehrbaren Weezy-F-Motto: »Real Gs move in silence like lasagna«, denn Hamza gibt seinem emotionalen pointiert-geschrieben Schlagwort-Songwriting und den groovigen Allrounder-R’n’Beats ausufernden Entfaltungsraum. Die Reduktion als Multiplikator. Nach oberflächlichen Kriterien wäre »1994« ein Schäferstündchenalbum aus geschmeidigen Nineties-Synthie-Streichern, morphinen Bassläufen und ­zurückhaltendem Drumplay, das den Zeitgeist-Sound aus Dancehall-Nuancen, Glockenbeat-Trap und Afrotrap-Anleihen fusioniert. In Wahrheit steht Hamzas Vollzeitdebüt aber für etwas, das eine urmenschliche Eigenschaft und – gerade in einer künstlerischen Ausdrucksform – beinahe unverzichtbar ist, das der europäischer Rap aber erst langsam zu Lernen beginnt: Sensibilität.

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