Haiyti – Montenegro Zero // Review

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(Vertigo / Universal Music)

Wertung: Fünf Kronen

Winter 2017: Deutschrap wird gerade 25 Jahre alt und ist schlichtweg überfordert. Wer ist diese Frau? Erst Trap-Queen ohne Kompromisse, dann Emo-Dame mit Hang zur Dramatik, dann wieder White Girl mit Luger und nun abgehobene NDW-Diva im Lambo mit Kalash im Kofferraum? Schon klar, wer Haiyti innerhalb der letzten anderthalb Jahre abschreiben wollte, schob es auf die schier ungreifbare Release-Flut der Hamburgerin. Und ja: Dass seit »City Tarif« erst 18 Mo­nate vergangen sind, ist wirklich schwer vorstellbar. Erfolgversprechende Imagepflege geht womöglich anders. Doch das Spiel, das Haiyti treibt, ist viel größer als der kalkulierte Output irgendeiner vermarktbaren Künstlerpersona. In einem Pascha-Business, in dem Rollen enger abgesteckt sind als ostdeutsche Schrebergärten, ist Haiyti ein notwendiges Vorbild für eine Hälfte der Gesellschaft. Vor allem aber ist Haiyti genau der Kontrollverlust, den Deutschrap nötig hat. Auftritt »Montenegro Zero«: ein Kunststück von einem Album, in dem die bisherigen Erzählstränge einer diffusen Karriere in stringenten 40 Minuten zusammenlaufen. Aus Miami und Ovadoze und Robbery wird endgültig Haiyti; jene ambivalente Figur, die sich nicht zu entscheiden braucht zwischen Straßenecke und Kunsthochschul­atelier, weil sie einfach macht. »Montenegro Zero« ist so viel Rollenspiel wie Therapie­sitzung, so künstlich wie ehrlich, so Pop wie Rap. Eine Gratwanderung, die Haiyti so nur mit KitschKrieg als Produktionsteam beschreiten konnte. Denn wo sich die Hamburgerin Trap als Attitüde zu eigen macht und mit Geistesblitzen nur so um sich ballert, sind KitschKrieg der kühle Kopf, der den Wahnsinn in ein griffiges Ganzes fasst. Das Gewohnte zuerst: »Mafioso«, »Kate Moss« und »Haubi« spielen Haiytis Südstaaten-Know­ledge mit Hi-Hat-Geratter in die Karten und erzählen Geschichten von unterhalb der schönen Oberfläche. Haiyti kontrastiert sie diesmal mit halbironischen Club-Anekdoten, die wahlweise auf einer Ed-Banger-Reminiszenz (»Berghain«) und einem Dancehall-Diktat (»Bahama Mama«) Platz finden. Mit sorgenfreiem NDW-Trap (»Sunny Driveby«) und bleiernem Mike-Skinner-Pathos (»Gold«) wiederum entlocken KitschKrieg Haiyti großmütige Gefühlsgeständnisse. Und dann noch die ­Überraschung: Haiyti gibt auf Uptempo-Ge­klimper (»Serienmo­dell«), 2-Step-Geklapper (»Monacco«) und der abschließenden Songwriter-Ballade »Ame­rican Dream« diesmal auch die unverfrorene Pop-Hit-Maschine. Dass das alles am Ende wie aus einem Guss klingt, ist womöglich der große KitschKrieg-Kniff. Vor allem aber ist auf »Montenegro Zero« ganz viel Platz für die Stimme einer Künstlerin, die in der Vergangenheit auch mal drohte, zwischen kreischenden Synthies unterzugehen. Schwer vorstellbar, dass irgendjemand im deutschen Rap diesen Freiraum mit so viel eigensinniger Attitüde und stilistischem Freigeist zu füllen wüsste wie Haiyti. Als Kind soll die Hamburger Tochter eines Musikproduzenten einmal bei Nina Hagen auf dem Schoß gesessen haben. Gute zwanzig Jahre später ist sie Deutschlands erste Trap-Queen und nennt OJ da Juiceman ihr Idol. »Montenegro Zero« ist eine Rap gewordene Grenzüberschreitung in zwölf Solo­songs, die irgendwo zwischen diesen beiden Polen liegt.

Foto: Tim Brüning

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