»Ich war einfach an einem Punkt, an dem es nicht mehr weiter ging« // Prinz Pi & Kamp im Interview

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Eine schön hergerichtete Altbauwohnung im vierten Wiener Gemeindebezirk. Der Frühstückstisch ist noch gedeckt, der Raum angereichert mit einem schweren, süßlichen Räucheraroma. Hauskatzen flanieren anmutig über die Sitzmöglichkeiten. Aus den Boxen hallt ein BoomBap-Beat mit prägnantem Pianosample. Auf der Couch sitzt ein bebrillter, jung gebliebener Erwachsener in Jeanshemd und Schal. Auf seinem Schoß liegt ein MacBook Pro. Er murmelt vor sich hin, tippt einzelne Textpassagen in den Laptop, markiert sie, löscht sie wieder und fängt von Neuem an. Im anderen Raum geht ein in T-Shirt und Jeans gekleideter Bursche auf und ab. Er brabbelt vor sich hin, bewegt den Kopf zum Beat, geht zum Schreibtisch, schreibt mit Kugelschreiber einige Zeilen auf und beginnt wieder in Trance zu fallen.

Wer hier Friedrich Kautz und wer Florian Kampelmühler ist, dürfte klar sein. Zwei Rapper, die auf den ersten Blick unterschiedlicher nicht sein könnten und die gleichzeitig zahlreiche Berührungspunkte haben. Beide erinnern sich beim Auftreten von Sprühlackdämpfen an ihre Jugend. Der eine studierte an der Wiener Akademie der bildenden Künste, der andere wählte die strukturiertere akademische Laufbahn mit einem Kommunikationsdesign-Studium auf der renommierten Kunsthochschule in Weißensee. In der Mitte kommt man zusammen: bei der Erkenntnis, das Innere über kreative Kanäle nach außen zu kehren. Sowohl Prinz Pi als auch Kamp haben die Musik aus dem New York der Neunziger studiert, analysiert und verinnerlicht. Auch die ersten Stufen ihrer Rap-Laufbahn beschritten sie im gleichen Rahmen, Pi im Berliner Royal Bunker-Keller, Kamp in den Freestyle-Cyphers der Donaumetropole. Beide repräsentieren – trotz augenscheinlicher Unterschiede – sinnbildlich den Typus Musiknerd. Sie machen Musik um der Musik willen. Inhaltlich steht der Weltverschwörer dem Weltverstörten gegenüber. Rebell ohne Grund trifft Versager ohne Zukunft.

Beide kommen aus dem Bildungsbürgertum, durchlebten nie materielle Ängste oder Not, aber haben dennoch durch Schicksalsschläge die Kompromisslosigkeit des Daseins kennen gelernt. Die gesellschaftliche Realität von Jugendlichen der Mittelschicht in europäischen Großstädten – Prinz Pi und Kamp verstehen es wie kaum andere, diese zu beobachten, zu bezeichnen und in Worte zu verpacken. Sei es Tod, Liebe, Zukunftsangst, Mutlosigkeit oder sonstiger Aderlass. Gleichzeitig aber auch die scheinbar belanglose Freude über den Geruch beim Öffnen eines neuen Schuhkartons. Was für Prinz Pi Nike Blazer und Air Max 1, sind für Kamp Reebok Pumps und Lanvin High Tops. Der eine benutzt als Ausdrucksform den Charakter des verwegenen Berliner Menschenschlags, der andere die hohe Kultur des Wiener Schmähs. Trauer, Schwermut, Frohsinn, Missachtung sowie Shrimps und Heilbutt zum Abendessen. Während Kamp zehn Jahre für die Veröffentlichung seines Debütalbums brauchte, akkumulierte Pi in der letzten Dekade einen Berg an Releases, der seinesgleichen sucht. Wie sagte Josef Hader, Österreicher und wahrscheinlich der begnadetste Kabarettist dieser ganzen kaputten Welt? »Das Leben is’ a Schaas, eine Katastrophe nach der anderen und dazwischen is’ fad.«

Wie ist der Kontakt zwischen euch entstanden?
Kamp: Du hast begonnen, mit Whizz zu mailen, oder?
Prinz Pi: Ja, ich war mit Chefkoch in ­Freiburg bei einem Theaterprojekt und mir war sehr langweilig. Dort habe ich das »Versager ohne Zukunft«-Album gehört und fand es richtig geil. Zu dieser Zeit habe ich gerade eine sehr lange Beziehung beendet. Viele Songs des Albums haben einfach sehr zu meiner Stimmung gepasst. Besonders den Song »Fort von mir« fand ich großartig. Ich wollte unbedingt auf diesen Beat rappen. Deshalb habe ich Whizz kontaktiert, auf den Beat aufgenommen und mir immer mehr Beats von ihm geholt. Natürlich wollte ich auch mit Kamp gemeinsam ein paar Songs machen.

Auf den ersten Blick scheint dieses Versager-Image gar nicht zu dir zu passen. Dir kann man ja nicht gerade nachsagen, dass du nichts auf die Reihe bekommst.
Pi: Ehrlich gesagt, fühle ich mich schon so, als ob ich nichts auf die Reihe bekomme. Die meisten Leute aus meiner Schulklasse haben jetzt ihren Doktor oder sind geschäftlich sehr erfolgreich, und ich dümpele halt einfach so rum. Ich mache halt meine Musik und das macht mir auch sehr viel Spaß, aber es ist weiß Gott nichts, womit man viel Geld verdienen kann. Ich bin nach wie vor noch nicht im Erwachsenenleben angekommen, so dass ich einen Job habe, bei dem ich ein normales Gehalt bekomme oder langfristige Pläne habe, die für mich einen Erwachsenen von einem jungen Menschen unterscheiden. Meine ­einzigen langfristigen Pläne sind die Gewissheit, dass ich meine Tochter immer haben werde und der Glaube, dass ich meine Partnerin immer haben werde. Das sind eigentlich meine einzigen Konstanten im Leben.

Kamp, wie hast du reagiert, als die ­Connection zu Pi zustande kam?
Kamp: Ich fand es erst mal natürlich super, dass er Lust hatte, über Whizz’ Beats zu rappen. Ich war schon immer ein Fan von Pis Musik, weil er auch immer schon den samplelastigen, warmen Sound hatte, den wir eben auch gemacht haben. Deswegen fand ich diese Kombination prinzipiell schon mal super. Und natürlich war es toll, dass jemand, der so groß ist und so einen Status in der Szene hat, auf uns zugekommen ist. Das war auf jeden Fall eine Ehre.

War das noch einmal ein ganz anderes Feedback als das, was du von medialer Seite bekommen hast?
Kamp: Total. Das war echt nice, um es mal mit einem anderen österreichischen Rapper zu sagen. (lacht)
Pi: Man muss auch sagen, dass Kamp und ich, umso länger wir uns kennen, immer mehr gespenstische Gemeinsamkeiten entdecken. Wir haben beide früher lange Graffiti gemacht. Wir sind beide krasse Sneaker-Nerds. Wir haben beide eine gewisse Bindung zu Freiburg. Es gibt halt tatsächlich diese Achse Berlin-Wien. Es gibt einfach diese krasse Verbindung zwischen den beiden Städten. Und auch persönlich gibt es etliche Zufälle, bei denen man wieder zusammenkommt.

Die Gemeinsamkeiten sind ja auch ­musikalisch hörbar. Ihr habt beide schon immer einen recht klaren eigenen Sound gehabt. Mit Biztram und Whizz Vienna habt ihr ja auch beide sozusagen eigene Hausproduzenten.
Pi: Genau. Biztram hat ja auch einen sehr warmen Sound. Biztram behauptet zwar immer, dass er nie samplet, aber er lügt bestimmt. Ich liebe einfach genau diesen Sound und darüber rappe ich am liebsten. Kamp und ich können uns ja auch ganz einfach auf bestimmte Klassiker-Alben einigen, die wir gerne hören. Jay-Z zum Beispiel. Und lustigerweise sind wir auch beide große Cam’ron-Fans, obwohl keiner von uns auch nur annähernd zu dieser Dipset-Biter-Fraktion gehört hat. Wir stehen halt beide auf dieses technisch Anspruchsvolle und diese Lässigkeit. Zusätzlich haben wir beide über dieses Graffiti-Ding eine krasse New York-Affinität.

Auf »Versager ohne Zukunft« hat Kamp ja schon ein recht extremes Bild von sich als selbstzerstörerischem Alkoholiker gezeichnet. Hattest du im Vorhinein schon ein Bild von ihm im Kopf?
Pi: Nein. Ich kannte zwar schon einige Geschichten über ihn von gemeinsamen Freunden und wusste dadurch schon recht genau, wie er so ist. Optisch hatte ich kein Bild im Kopf, bis ich dann sein gemeinsames Video mit Nazar und RAF Camora für »Meine Stadt« gesehen habe. Da sah er dann eigentlich recht stylish aus.
Kamp: Danke, aber das krasse Bild, das ich da von mir selbst gezeichnet habe, war auch optisch ein Abbild von mir. Ganz extrem. Das hat sich halt einfach im Laufe des letzten Jahres geändert, seit ich aufgehört habe zu trinken. Ich war einfach an einem Punkt, an dem es nicht mehr weiter ging. Natürlich habe ich Sachen überspitzt gesagt, aber ich bin niemand, der Geschichten und Anekdoten groß ausschmückt oder gar darauf rumreitet, wie viel ich trinken kann. Das kommt mir alles jetzt ziemlich lächerlich vor, aber zu der Zeit war ich schon wirklich so kaputt. Und ich habe auch so kaputt ausgesehen. Die Leute, die mich zu der Zeit gesehen haben oder auch den Aftermath mitbekommen haben, wissen, dass da noch 20 Kilo mehr Wodka-Gewicht auf den Rippen waren. Das hat man mir definitiv angesehen.

Wie kam es konkret dazu, dass diese Verbindung in einer gemeinsamen EP der Achse Berlin-Wien kulminiert?
Pi: Das hat einfach Sinn gemacht. Genau wie Biztram mein Hausproduzent ist, hat Kamp seinen Hausproduzenten Whizz Vienna. Deswegen wollte ich nicht nur auf Whizz’ Beats rappen, sondern auch den Rapper dazu featuren. Man weiß einfach, dass Kamp auf diese Beats passt. Außerdem wollte ich schon immer einen zweiten Teil von »Sneakerking« machen.
Kamp: Das war für mich natürlich eine unglaubliche Ehre. Das ist eine der drei Nummern von Pi, die ich – neben ­»Würfel« und »Keine Liebe« – unendlich feiere. Davon einen zweiten Teil zu machen, war ein Wahnsinn.
Pi: Für das Album haben wir ja davor schon den Song »Marathon Mann« gemacht. Da hat die Stimmung schon perfekt gepasst. Es funktioniert einfach.
Kamp: Ich glaube auch, dass die Leute, die unsere Musik hören, sehr gut zusammen­passen oder sich sehr stark überschneiden.

Ich will dir jetzt nicht unterstellen, dass du Kamp bitest, aber auf der EP klingen deine Raps, als hättest du dich von Kamps Reimstil beeinflussen lassen.
Pi: Na ja, jeder Beat gibt eben immer einen gewissen Style vor, wie man darauf rappen könnte. Kamp hat natürlich die perfekte Formel, wie man über die Beats von Whizz rappen muss. Darum liegt es natürlich nah, diese Instrumentals auch so anzugehen. Ich finde nicht, dass sich unsere Raps gleich anhören, aber die Betonung am Ende einer Line ist schon ähnlich. Das funktioniert auf diesen Beats einfach sehr gut. Kamp hat die Effekte gefunden, um auf diesen Beats krass zu funktionieren. Durch sein unglaubliches Talent hat er das in den letzten Jahren einfach entschlüsselt. Diese Formel habe ich ihm dann ganz schnell geklaut. (lacht) Diese Back-ups und diese verschleppten End­wörter. Das ist schon ein ganz eigener Stil.

Für mich wurde das mal ganz passend als Mischung aus Dipset und Cannibal Ox beschrieben. Das macht den Sound relativ zeitlos.
Pi: Zeitlos finde ich den Sound nicht. Für mich klingt die EP, wie geiler Ami-Rap aus dem Jahr 1995 klang – Company Flow und Rawkus. So richtig schöner, warmer BoomBap mit unfassbaren Melodien und Samples. Damals gab es aber in Deutschland keine Leute, die so produziert haben – oder zumindest keine Rapper, die so gut rappen konnten. Für mich ist die Geschichte schon sehr retro. Es stimmt natürlich, dass wir kaum Verweise auf aktuelles Zeitgeschehen haben und dass es vom klassischen Songaufbau recht zeitlos ist, aber das war auch überhaupt nicht beabsichtigt.

Diese Sound-Umschreibung ­durfte eine ganze Zeit lang als üble ­Beschimpfung herhalten: ­hängengebliebener ­Backpack-Rap.
Kamp: Na ja, 1995 noch nicht. Erst ein paar Jahre später, als dann der vierte Rawkus-Sampler rauskam, wurde dieses ­Backpacker-Movement zum Schimpfwort.
Pi: Hilfe, aber wir machen doch keinen Backpacker-Sound.
Kamp: Gemessen an den Maßstäben, die in den letzten Jahren im Deutschrap angelegt wurden, ist das eindeutig eher die Backpacker-Richtung. Aber dafür standest du doch schon immer. Ist natürlich eine doofe Eingrenzung, aber dein Sound war schon immer eher für die Leute, die sich dann doch über die Inhalte ein wenig mehr einen Kopf machen. Die hören gerne auf die Lyrics, werden gerne überrascht und wollen nicht schon am Ende der ersten Zeile wissen, was der Reim der zweiten Zeile ist. Wenn das die Backpacker-Sparte ist, gut, dann soll es eben so sein.
Pi: Ich mache sowohl auf der EP als auch auf dem Album ein ganz konkretes Statement: Ihr bekommt klassischen HipHop. Das ist nichts bewusst Zeitgeistiges mit dicken Synthesizern oder irgendwas anderem, was gerade an vorderster Front stattfindet. Zum Beispiel wollen jetzt auf einmal alle singen und sich eine Live-Band dazu holen. Bei uns gibt es eben glasklaren HipHop, der von der Geschwindigkeit HipHop ist, der vom Sound HipHop ist und der von der Auswahl der Themen so vielfältig ist, wie man das von HipHop kennt. Genau das gefällt mir eben. Wenn mich früher irgendwelche Leute, die nichts mit Musik zu tun hatten, gefragt haben, was ich so mache und ich irgendwas mit deutschem HipHop erwiderte, dann haben die mich angeschaut, als ob ich gerade erzählt hätte, ich würde mir Heroin spritzen. Das ist ein Schimpfwort und Klischee, das immer noch in den Köpfen der Leute festsitzt. Aber deswegen sollte man nicht gleich versuchen, etwas anderes zu machen, sondern dazu stehen und sich darum bemühen, guten HipHop zu machen. So kann man zeigen, dass man es besser kann. Genau das beweisen wir ja auch durch unseren täglichen Lifestyle. Kamp zum Beispiel hat ja einen Job, aber vereint das mit seinem subkulturellen Background. Er kann ja von seinem Wissen, das er über Jahre angehäuft hat, sogar profitieren.
Kamp: Dieser Anachronismus in unserem Sound ist uns ja auch in der Sekunde, in der wir Musik machen, nicht bewusst. Das wird einem erst klar, wenn man in der Rückschau darüber reflektiert. Man geht jetzt nicht bewusst zurück und macht etwas, was es schon einmal gab. Man macht halt einfach. Zumindest hat es sich bei Whizz und mir immer in diese Richtung entwickelt. Der BoomBap-Sound war ja irgendwann auch mal ganz neu. Vielleicht ist es manchmal sinnvoll, zurück zu gehen und etwas, das damals neu war, aufzugreifen und es mit dem jetzigen Wissen zu übersetzen.
Pi: Man sollte einfach den Mut haben, zu diesem ganzen HipHop-Ding wieder mehr zu stehen. Aber dafür braucht es einfach mehr Leute, die Eier haben.
Kamp: Und die coolen Stuff machen und damit auch bekannt werden. Dann wäre es auch keine Schande mehr, zu sagen, dass man selbst Rap macht.

Text: Alex Engelen & Ndilyo Nimindé

Interview: Alex Engelen

Foto: Cem Guenes

 

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