2010 verstarb Keith Edward Elam, der unter dem Namen Guru als Teil von Gang Starr nicht nur in HipHop-Kreisen berühmt wurde. In diesem Jahr wäre der MC, der HipHop über Jahre als eine der bedeutendsten Stimmen begleitet hat, 50 Jahre alt geworden. Auf die Nachricht seines Tod reagierte die Szene geschockt, auch wenn sie im Rückblick nicht überraschend kam. Guru war bereits knapp zwei Monate zuvor ins Koma gefallen. Den Unklarheiten und den Problemen, die auf das Ende seines Lebens folgten, möchten wir hier keinen Platz einräumen. Zu groß ist das Vermächtnis von Guru, als dass es Platz für menschlichen Unrat, der nicht im direkten Zusammenhang mit seiner Kunst steht, lassen würde. Rest in Power, Guru!
Um das Lebenswerk des in Boston geborenen Musikers gebührend zu würdigen, haben wir unsere ausführliche Aufarbeitung seiner gemeinsamen Zeit mit DJ Premier, mit dem er unter dem Namen Gang Starr den New York-Sound der Neunziger maßgeblich prägte, aus dem Archiv geholt. In der Review-Sektion findet ihr mit persönlichen Anekdoten angereicherte Kritiken zu allen Studioalben des legendären Duos. Zudem betrachtet der folgende Text, zuerst erschienen im Rahmen unser Heft-Rubrik „Kings of HipHop“ im Jahr 2009, die Geschichte und kulturelle Bedeutung Gang Starrs:
In den Neunzigern war HipHop etwas, was man vor allem echt und rein zu halten hatte. Die fleischgewordene Inkarnation dieses Gedankens war das Duo aus MC Guru und DJ Premier. Heruntergebrochen auf die absolute Essenz der Kultur, definierten Gang Starr in der Dekade zwischen 1989 und 1999, welche ideellen Gesetze in unserem Subkulturkosmos gelten sollten: Von Respektsbekundungen an die Pioniere über die Vier-Elemente-Theorie, die Wichtigkeit der Skillz bis hin zum Festhalten an einer visuellen und klanglichen Ästhetik der Straße erklärten sie uns, wie man als richtiger HipHopper zu reden und laufen, zu hören und leben hatte. Und auch wenn diese Ära unwiederbringlich vorbei ist, haben Gang Starr dem Spiel ihren Stempel so eindrucksvoll aufgedrückt wie kein anderes Duo der HipHop-Geschichte.
Was genau Gang Starr so herausragend macht, lässt sich nicht auf eine einfache Formel herunterbrechen. Es war wie immer in solchen Fällen eine Kumulation günstiger Faktoren zur richtigen Zeit, gemeinhin mit Begriffen wie „Momentum“ umrissen. Am Anfang jedoch stand eine umständliche Suche nach dem richtigen Partner für beide Akteure: Keith Elam, der 1982 als The Guru Keithy E. zu rappen begann, machte in Boston ab 1986 unter dem Projektnamen Gang Starr gemeinsam mit DJ 1,2 B-Down (auch bekannt als Mike Dee) Rapmusik. Seine Beats bekam das Duo von variierenden Produzenten wie Donald D, Mark The 45 King oder J.V. Johnson. Aufgrund eines Demos wurden Gang Starr 1987 von A&R Stuart Fine beim jungen HipHop-Label Wild Pitch gesignt und veröffentlichten dort drei Maxis: „Believe Dat!“, „The Lesson“ und „Movin‘ On“. Die Singles bekamen einige Aufmerksamkeit und überwiegend gutes Feedback aus der Szene, doch innerhalb der Gruppe krachte es bald: Guru und sein DJ Mike Dee trennten sich, auch die Produzenten hatten bis auf 45 King kein weiteres Interesse, mit ihm zusammen zu arbeiten.
Währenddessen war ein junger DJ namens Waxmaster C im fast 2.000 Meilen entfernten Houston vom HipHop-Virus infiziert und in lokalen Crews wie MCs In Control und Inner Circle Posse aktiv geworden. Er hörte die Maxis von Gang Starr und schickte daraufhin ein 4-Track-Tape mit einfachen Beats, aber um so präziseren Scratches an Guru. Da beide in ihrer jeweiligen Bandkonstellation nicht weiterkamen und überdies gewisse Überzeugungen zu Musik und Kultur teilten, beschlossen sie kurzerhand, fortan in der HipHop-Haupstadt New York an einem gemeinsamen Debütalbum zu arbeiten. Den Deal hatte Guru ja schon, und so erschien das erste Gang Starr-Album „No More Mr. Nice Guy“ 1989 bei Wild Pitch. Wobei Premo später zugab, dass er mit den Produktionen auf diesem Album streng genommen wenig zu tun hatte: Einerseits stammten einzelne Beats immer noch vom 45 King, andererseits kannte Premier zwar gute Platten und Samples, konnte aber noch nicht wirklich die erforderliche Hardware bedienen, sodass das Programming weitgehend noch von Engineer Shlomo Sonnenfeld erledigt werden musste. Erst im Zuge der Arbeit am Nachfolger lernte Premier von Leuten wie Sonnenfeld und seinem Kumpel Large Professor, wie man die Emu SP-12 und die Akai MPC-60 bediente. Seinen charakteristischen Produktionsstil entwickelte Preem schlieAYlich aus dem Zusammenspiel von MPC-60 und dem Sampler Akai S-950.
Selten hat eine Platte mehr Zeitgeist transportiert als dieses Manifest
Amüsant ist an der Frühgeschichte Gang Starrs also vor allem, dass beide Figuren, die man am meisten mit der Geschichte und der Soundästhetik von New Yorker Hardcore-Rap verbindet, überhaupt nicht aus der Metropole am Hudson stammen. Erst zur Produktion ihres ersten Albums zogen beide nach Brooklyn, wo sie gierig den Vibe des Viertels aufsogen und schließlich das vorherrschende Grundgefühl dieses Stadtteils in eine einzige Platte zu kanalisieren vermochten: „Step In The Arena„, der 1990 erschienene Nachfolger zu „No More Mr. Nice Guy“, ist bis heute einer der festen Meilensteine der HipHop-Kultur und der New Yorker Musikgeschichte im Allgemeinen. Selten hat eine Platte mehr Lebensgefühl und Zeitgeist transportiert als dieses Manifest, das auch zwanzig Jahre später noch Bilder jenes typischen Bill Cosby-Brooklyns vor dem inneren Auge entstehen lässt: Die bourgeoisen Treppenaufgänge von Fort Greene und Park Slope, mit Spike Lee und Nelson George als zentralen Figuren des kulturellen Lebens, das war der Schauplatz von „Step In The Arena“, nicht die kargen Backsteinhochhäuser von Bed-Stuy und Brownsville oder die Trostlosigkeit des Brachlands von East New York. Diese Aspekte Brooklyns sollten später erst von befreundeten Bands wie M.O.P., Group Home oder Jeru The Damaja thematisiert werden.
„Step In The Arena“ war der Entwurf eines Sounds zwischen Jazz-Tradition, HipHop-Bewusstsein und Sprache der Straße. Diese Trias an Einflüssen war es letztlich auch, die für Gang Starr das Alleinstellungsmerkmal und damit eine berechtigte Nische zwischen politisch-afrozentrischen Bands wie Public Enemy und Brand Nubian, der aufkeimenden Native Tongue-Bewegung und dem Westcoast-Gangsta-Rap schuf. Gang Starr waren anders: Ihr Sound transportierte die lange Geschichte afroamerikanischer Musiktradition, ohne dabei rückwärtsgewandt oder abgehoben zu klingen. „Jazz Music“ und „Jazz Thing“ waren zwar Ausgangspunkte für spätere Missverständnisse wie Acid Jazz und die Jazzkantine, aber im Prinzip waren Guru und Premier nicht auf Retrospektive, sondern auf Progression fokussiert: Wo andere noch James Brown totsampleten, verwendeten sie schon Loops von Charlie Parker. Kein Wunder, dass Spike Lee den Song „Jazz Thing“ als Titelmelodie für sein 1990er Musikerdrama „Mo Better Blues“ auswählte und dem Duo damit weitere subkulturelle Glaubwürdigkeit verlieh.
Was genau auf den drei Gang Starr-Platten zwischen 1990 und 1994 passierte, die heute als stilprägende Trilogie gesehen werden, ist mehr als die Summe ihrer Teile. DJ Premier samplete sich durch die swingende schwarze Musikgeschichte und entwickelte in diesem Zuge seine charakteristische Beat-Formel, die spätestens auf „Daily Operation“ von 1992 weitgehend ausgereift war, in der Folge nur noch verfeinert wurde und mit „Moment Of Truth“ von 1998 ihren qualitativen Höhepunkt erreichte. Guru hingegen war der Inbegriff des coolen Masters of Ceremony: Mit seinem rauchigen Organ, zurückgelehnter Delivery und einem inhaltlichen Spannungsfeld zwischen überlegener Consciousness und selbstbewusstem Bragging & Boasting zog er die Hörer unwiderstehlich in seinen Bann – auch wenn er selbst darauf schwor, dass es „Mostly Tha Voice“ sei, die ihn von anderen MCs unterscheide. Wie groß der Einfluss von Gang Starr auf zeitgleich heranwachsende Rap-Gruppen in New York war, zeigt sich daran, dass DJ Mr. Len von Company Flow kürzlich erzählte, welche Musik im Backstage-Raum vor einer Co-Flow-Show in den mittleren Neunzigern in der Regel lief: DJ-Routines von Roc Raida (R.I.P.) und Gang Starrs „Hard To Earn“. So waren Guru und Premier in Sachen Style und Attitude ideelle Vorreiter für den New Yorker Underground zwischen Rawkus, Lyricist Lounge und Nuyorican Poets Cafe2, der die zweite Hälfte der Neunziger kreativ dominierte. Alles, was der aufrechte HipHopper in Timboots und Carhartt-Jacke damals an Regelwerk im Kopf hatte, das hatte er letztlich von Gang Starr gelernt.
Hinzu kam, dass Premiers Produktionen plötzlich auch jenseits des Gang Starr-Kollektivs auf großes Interesse stießen. Guru hatte bereits nach dem dritten Album begonnen, neben dem gemeinsamen Schaffen eigene Kollabo-Projekte umzusetzen und dabei das musikalisch zwar nicht unbedingt schlechte, aber in der Außenwirkung verheerende „Jazzmatazz„-Projekt anzugehen, während DJ Premier 1994 mit Jazz-Trompeter Branford Marsalis für dessen Projekt Buckshot LeFonque kollaborierte. Doch wurde Jazz in der Folge zu einem immer hintergründiger auftretenden Einfluss in Premos Arbeit. seine Beats wurden minimalistischer, staubiger, drückender, düsterer und härter – eine Entwicklung, die in einer Reihe grandioser Longplayer für Gang Starr Foundation-Mitglieder wie Jeru The Damaja („The Sun Rises In The East“, 1994), Group Home („Livin‘ Proof“, 1995) und M.O.P. („Firing Squad“, 1996) gipfelte. Tatsächlich war Preem wohl der gefragteste HipHop-Producer einer Ära, in der Timbaland und die Neptunes irgendwo in Virginia an ihrer späteren Machtübernahme feilten. In den späten Neunzigern war ein Premo-Beat die gröstmögliche Soundveredlung für ein Rap-Album. Der Meister arbeitete nicht nur für befreundete Underground-Acts, sondern auch für die Big Shots von The Notorious B.I.G. und KRS-One bis Nas und Jay-Z. Was Dr. Dre in der ersten Hälfte des Jahrzehnts für die Westküste dargestellt hatte, war DJ Premier in der zweiten Hälfte für New York und die komplette Ostküste.
Seinen Sound entwickelte Preem in den New Yorker D&D Studios, die mit seiner kA?nstlerischen Biografie bis heute eng verwoben sind. Das 1984 gegründete Studio lag im Garment District von Manhattan (320 West 37th Street) und war die ganzen neunziger Jahre hindurch so etwas wie das zweite Wohnzimmer von DJ Premier: Nicht selten kam es vor, dass in einem Studio Afu-Ra aufnahm, während nebenan auf der Couch die halbe Boot Camp Clik chillte, die Beatminerz nach Samples diggten und Premo hinter den Boards saß. Anfang der Zweitausender verschuldeten sich die Studiobetreiber leider immer mehr, ließen die Räumlichkeiten in der Folge verkommen und mussten sie am Ende schließen. 2003 verkaufte jedoch DJ Premier sein Privathaus, um mit dem Erlös das Studio zu kaufen und sanieren und renovieren zu lassen. Zur Wiedereröffnung benannte er es nach seinem ermordeten Freund HeadQcourterz, einem ehemaligen Promoter bei den Underground-Rap-Labels Payday und Rawkus.
Da man als deutscher Durchschnitts-HipHopper Ende der Neunziger vor allem die Ostküste feierte (gewisse Randerscheinungen in Osnabrück und Westberlin ausgenommen), wurden Gang Starr hierzulande zum einfachen Sinnbild für den echten Scheiß. Mit ihrem Opus Magnum „Moment Of Truth“ zementierten sie diesen Status 1998, und als im darauffolgenden Jahr die Doppel-CD-Werkschau „Full Clip: A Decade Of Gang Starr“ mit dem namensgebenden TrueSchool-Klassiker inklusive Respektsbekundung an den gerade verstorbenen Big L erschien, war jedem Beobachter klar, dass dies der absolute Zenit der Karriere von Gang Starr war. Sowohl Guru als auch DJ Premier waren keine einfachen Charaktere, die zwischen ihren gemeinsamen Produktionen immer mehr Abstand voneinander brauchten: Zwischen „Hard To Earn“ und „Moment Of Truth“ vergingen vier Jahre, in denen sich beide Gang Starr-Mitglieder hauptsächlich ihrer Solokarriere und externen Projekten widmeten, zwischen „Moment Of Truth“ und dem letzten Gang Starr-Album „The Ownerz“ lagen weitere fünf Jahre, in denen sich das Duo Infernale offenbar immer weiter auseinander lebte.
Guru wird nachgesagt, in dieser Zeit ein problematisches Verhältnis zum Alkohol entwickelt zu haben, während sich Premier um sein Label Year Round, sein ewig angekündigtes Producer-Album „A Man Of Few Words“ und gelegentliche Ausflüge in den Mainstream, u.a. für Christina Aguilera, kümmerte. Sowohl Premier als auch Guru hatten nach „The Ownerz“ geäußert, dass die Band eine Auszeit bräuchte – wobei Premo in jüngeren Interviews bekräftigt hat, dass dieser Wunsch in erster Linie der seines MC-Partners gewesen sei und dass sich Guru nur bei ihm melden müsse, sobald er bereit für ein neues Gang Starr-Album sei. Guru allerdings hat sich in eine von Fans und Kritik mit Argwohn betrachtete Zusammenarbeit mit dem „Super Producer“ Solar verrannt und mit diesem inzwischen schon drei weitgehend irrelevante Alben produziert. Keith Elam ist gerade dabei, die eigene Legende mit qualitativ minderwertigem Spätwerk zu besudeln, während DJ Premier seinen selbstaufgestellten Regeln treu bleibt und weiterhin mit alten Recken wie Big Shug oder NYGz, aber auch Jungspunden wie Termanology oder Skyzoo zusammenarbeitet.
Nun ist auch Premier mit seinem Sound und seinen Vorstellungen weitgehend in der Vergangenheit gefangen. Es vergeht kein Interview, in dem er nicht den Zustand aktueller Rapmusik beklagt, die Vorzüge analoger Technologie gegenüber digitalen Produktionsmethoden anpreist und die eigene Sozialisation mit echter, handgemachter Soul-, Funk- und Jazzmusik betont. Angesichts solcher Einstellungen mag man als Auto-Tune– und Aggro Berlin-sozialisierter HipHopper nur müde lächeln, doch DJ Premier wird seiner Vorstellung von rohem New Yorker Rap-Sound wohl immer die Stange halten. Und letztlich lieben ihn seine Fans auch für diese Konsequenz, die man allerdings genau so als ewiggestrige Starrköpfigkeit auslegen könnte.
Unabhängig von ihrem heutigen Schaffen und ihren internen Querelen lässt sich vor allem feststellen, dass alle vier großen Gang Starr-Alben, die in den neunziger Jahren entstanden sind, extrem gut gealtert sind und bis heute klare Meilensteine des HipHop darstellen. Gang Starr sind und bleiben die reinste Essenz unserer Kultur. Und sie stellen bis heute den Prototyp des ultimativen HipHop-Duos dar: ein MC und ein DJ, jeder in seiner jeweiligen Disziplin mit reichlich Skills und Knowledge gesegnet. Und die eine ganze subkulturelle Dekade mit ihrem Sound und ihren Inhalten geprägt haben. Wahre Kings of HipHop eben.
Text: Stephan Szillus