Prinz Pi Interview

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A Prince Among Thieves

Ortstermin in einem Schöneberger Souterrain. Prinz Pi ist euphorisch, denn er hat sein neues Album „Rebell ohne Grund“ so gut wie fertiggestellt. Selbstredend hat er dabei wieder das große Ganze im Blick: Ein Video zur ersten Single „Du bist“ wurde nach seiner Vision bereits umgesetzt, zusätzlich hat er sich persönlich um die Ästhetik des Covers, des Booklets, der Pressefotos und um die zugehörigen Promotion- und Marketingkampagnen gekümmert. Natürlich hat er dafür ein Team von eifrigen Idealisten um sich geschart, doch die entscheidenden kreativen Impulse kommen in vielen Bereichen von Pi selbst. Dazu passt, dass mir sein Verleger einige Tage zuvor beim Mittagessen vom ersten Meeting mit dem Künstler berichtete, zu dem der mit Laptop samt detaillierter Powerpoint-Präsentation anrückte. Wo es anderen Rappern schon schwerfällt, in ihrer Kunst mehr als Plattitüden und Phrasen von sich zu geben, hat Pi einen ganz eigenen musikalischen und visuellen Kosmos erschaffen.

Prinz Pi – Du Bist (OFFICIAL VIDEO) from Keine Liebe Records on Vimeo.

Ich finde es interessant, dass du dich selbst nicht aufs Rappen beschränkst, sondern auch das Drumherum eine zentrale Rolle spielt.

Das kann aber auch sehr behindernd sein. Man wird schnell zu einem Freak, der sich an Details aufhält. Ich könnte mich mit der Druckerei ohne Probleme drei Stunden über die Papiersorte vom Booklet streiten, aber interessiert das irgendwen außer mich selbst? Ich bin halt ein krasser Nerd in vielen Bereichen. Das entrückt einen von der ­Lebensrealität anderer Menschen. Natürlich ist es wichtig, sich in seinem Metier auszukennen, aber man muss aufpassen, sich nicht in Details zu verzetteln. Denn wir machen ja alles selbst.

Das ist ja auch ein Grund­gedanke von HipHop.
Klar. Menschen, die früher mal gesprüht haben oder allgemein diesen HipHop-Gedanken in sich tragen, sind meist Leute, die sich ihren eigenen Weg suchen und nicht alles als gegeben hinnehmen. Man wurde von Jugend an darauf getrimmt zu rebellieren. Ich selbst hatte ja von Haus aus keinen Grund, gegen irgendetwas zu rebellieren. Trotzdem habe ich es getan. Und heute rebellieren wir immer noch, indem wir es einfach anders machen als die Majors. Wir haben kein dickes Bankkonto, aber einen Laptop voller Software, und das ist das Schweizer Taschenmesser von MacGyver, mit dem ich den ganzen Laden in die Luft sprenge. Ihr könnt nichts dagegen machen. Marx hat ja auch gesagt, wir müssen uns in Besitz der Produktionsmöglichkeiten bringen, dann brauchen wir die Großgrundbesitzer nicht mehr.

Der Indie-Weg ist letztlich auch das Gegenteil von entfremdeter Arbeit. Diejenigen, die am Produktionsprozess beteiligt sind, profitieren auch von den Arbeitsergebnissen.
Ganz genau. Oft genug fragen mich Menschen, warum ich das überhaupt noch mache, wo sich doch mit Musik kein Geld mehr verdienen lässt. Aber wenn es mir ums Geld ginge, wäre ich Arzt oder Anwalt geworden. Wir machen das, um zu beweisen, dass wir es können und dass es auch anders geht.

Casper und Bass Boy haben kürzlich in der JUICE gesagt, dass unserer Generation eigentlich überhaupt kein Nährboden für Rebellion zur Verfügung stand, weil unsere Eltern liberale 68er waren.
Das ist bei mir nicht so. Meine Eltern waren relativ streng. Ich war auf einem humanistischen Elitegymnasium, da durfte man die Hände nicht in die Taschen stecken und mit den Lehrern nur auf Lateinisch kommunizieren. Das Feindbild war also durchaus vorhanden. Ich fand das ganze System, was ich in der Schule vorgeführt bekommen habe, einfach nur scheiße. Bei den meis­ten meiner Klassenkameraden war der Lebensweg vorgezeichnet. Denen war es scheißegal, dass es anderen schlecht geht, weil es ihnen selbst ja gut geht. Was ich an HipHop immer gemocht habe, war, dass man dort akzeptiert wird, wenn man clever ist. Da ging es nicht mehr um die Markenklamotten, sondern darum, ein krasses Piece zu malen. Hast du den Mut, auf das Haus raufzuklettern und dort zu malen? Oder vor den Bullen wegzurennen, wenn du einen Traim bombst?

Was war die Motivation für dich, mit dem Musikmachen zu beginnen?
Wut. Alle Jugendlichen sind doch wütend. Natürlich gibt es auch diejenigen, die vom Papa den Golf zum Abi bekommen, danach BWL studieren und das alles super finden. Aber ich war unfassbar wütend, auf die Schule, die Lehrer, die Polizei, die Erwachsenen im Allgemeinen. Und natürlich auch auf die Rapper, die in meinen Ohren alle Kackmusik gemacht haben. Dieser Wut wollte ich Luft machen.

Aber warum genau mit HipHop-Musik?
Ich komme aus dem Teil von Berlin, der amerikanisch besetzt war. In Zehlendorf gab es so kleine G.I.-Clubs mit Freestyle-Cyphers, wo sich die Amerikaner auf Englisch gebattlet haben. Da bin ich als kleiner deutscher Junge mit Brille natürlich sehr aufgefallen, fast schon „8 Mile“-mäßig. (lacht) Ich wollte mir Respekt holen von Leuten, die drei Köpfe größer waren als ich. Aber die haben mich akzeptiert, weil ich den Mut hatte, ihnen einen coolen Spruch zu drücken. Deshalb fand ich HipHop als alternativen System­entwurf immer schön.

Der Gedanke eines grundlosen Rebellentums war in die europäische HipHop-Rezeption schon von Beginn an eingeschrieben: Wir waren weder schwarz noch unterdrückt oder arm, aber wir haben trotzdem Public Enemy und N.W.A. ­gepumpt.
Exakt.

Was ist heute der Antrieb für dich, Musik zu machen?
Selbsttherapie. Ich kann in Musik einfach am besten die Themen verarbeiten, die mich interessieren. Man kann ja auch zum Psychiater gehen, aber das kostet viel Geld. Wenn du hingegen einfach ins Mikrofon redest und das dann noch aufnimmst, bekommst du unter Umständen sogar noch Geld dafür. (lacht) Auf meinem neuen Album gibt es einen Song über meine Ex-Freundin, die sich umgebracht hat. Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, als ich nach vielen Monaten endlich die richtigen Worte für meine Gefühle gefunden hatte.

Rapper wollen sich in der Regel aber nicht angreifbar machen, sondern sich hinter großen, bedrohlichen ­Fassaden verstecken.
Vielleicht diese Klischee-Rapper, aber zu denen zähle ich mich nicht. Ich hoffe, dass meine Fans nicht glauben, dass ich für sie ein Bild inszeniere, was jemand am Reißbrett entworfen hat. Ich spreche darüber, was mich bewegt und umtreibt. Dabei öffnet man sich natürlich. Alle Musiker und Künstler, die ich bewundere, verarbeiten ihr persönliches Drama, ihre Ängste und Sehnsüchte: ob Bruce Springsteen oder Eminem, Bob Dylan oder The Game. Musik ist erst dann richtig stark, wenn sie nicht konstruiert erscheint. An Eminem interessiert mich weniger, dass er krass rappen kann, sondern dass er es schafft, seine Emotionen zum Ausdruck zu bringen.

Inwieweit interessiert es dich, wie das bei der Masse ankommt?
Ich versuche, das von mir fernzuhalten. Wir sind ja keine Werbeagentur, die sich den Durchschnittshörer ausmalt und Zielgruppen analysiert. Und ich bin auch kein Teil der Pop-Industrie, sondern ich mache persönliche Kunst. Wenn man Glück hat, kann die auch richtig erfolgreich werden. Aber es ist eher Glücksache, dass man seine Hörer findet.

Konnte es deswegen mit einem Majorlabel wie Universal rückblickend gar nicht funktionieren?
Ja, vielleicht kann man das so sagen. Aber ich glaube, jeder Künstler will das gerne mal probieren. Man will sich ja steigern und immer mehr Erfolg haben. Trotzdem habe ich gemerkt, dass man so eine große Plattenfirma in unserem Bereich gar nicht mehr braucht. Natürlich können die einem viel Geld für teure Videos geben, aber unterm Strich kosten sie dich auch extrem viel Zeit. Du diskutierst plötzlich über jede kleine Entscheidung mit ganz vielen Leuten, die ihren Arbeitsplatz letztlich dadurch legitimieren, dass man sie fragen muss. Diese Bürokratie war für mich sehr bizarr. Für mich ist eine kleine Einheit als System viel praktikabler. Es war eine interessante Erfahrung, aber es hat mir auch nicht viel weitergeholfen.

Manche Fans haben dir den Majordeal regelrecht übel genommen.
Ja, ich habe Mails bekommen mit dem Tenor: „Hey Pi, ich bin dein größter Fan und war an meiner Schule der Erste, der dich gehört hat. Jetzt hört die ganze Oberstufe deine Musik. Bitte mach etwas dagegen!“ Ich kenne das ja selbst. Ich war früher krasser Ninja Tune-Fan, habe mir alles von Coldcut und Herbaliser auf Vinyl gekauft. Auf einmal hatten irgendwelche Vögel die Platten auch, das hat mir als Kenner und Nerd den Spaß daran verdorben. Trotzdem kannst du nichts dagegen machen. Wenn etwas richtig gut ist, wird es sich auch verbreiten. Das muss man den Künstlern eben gönnen.

Hat es dich sehr getroffen, dass dir von Fans unterstellt wurde, „Neopunk“ sei eine reine Marketingkampagne?
Das können die Fans nicht wissen, aber das „Neopunk“-Ding war nichts, was mir von Universal aufgedrückt wurde. Im Gegenteil, das war komplett auf meinem Mist gewachsen: Das Artwork, die Ausstellung, das ganze Konzept war von uns schon im Vorhinein erarbeitet worden. Da haben wir uns richtig viel Mühe gegeben. Natürlich ist es schade, wenn so etwas dann nicht angenommen wird. Der typische Major-Move wäre ja gewesen zu sagen: Dein „Donnerwetter“-Album war sehr erfolgreich, mach jetzt genau das Gleiche noch mal. Niemals das Erfolgsrezept ändern, kein Risiko eingehen. Aber wir haben Universal das fertige Konzept vorgelegt, und die haben lediglich ihr Okay gegeben. Bei den Fans ist dann trotzdem nur angekommen: Prinz Pi ist jetzt bei einem Major, und schon klingt seine Musik anders.

Deshalb der offensichtliche Rückgriff auf deine eigene Geschichte? Nach deinem Weggang von Universal kam „Teenage Mutant Horror Show II“, und als du dein ­eigenes Label gegründet hast, hast du es Keine Liebe Records genannt, nach ­deinem ersten Song.
Ja, eine Werbeagentur würde jetzt sagen: Er besinnt sich wieder auf seine Kernkompetenzen. (lacht) Aber letztlich war „Neopunk“ ein Ausflug in eine andere Richtung, und jetzt mache wieder das, was ich über zehn Jahre straight verfolgt habe.

Ein erster Arbeitstitel für das neue Album war „Kreuzberg Blues“. Wie wichtig sind Berlin und speziell der Bezirk Kreuzberg für deine Musik?
Ich bin ja in Zehlendorf groß geworden, einem ruhigen, gutbürgerlichen Randbezirk. Aber mein ganzes Erwachsenenleben habe ich in Kreuzberg verbracht. Es ist ein offener, lockerer Berliner Bezirk, die Leute hier sind nicht aufgesetzt, nicht schickimicki, aber auch nicht ghetto. Hier war das Epizentrum der 68er-Bewegung, alles ist ein wenig alternativ und dreckig, man wurschtelt sich so durch. Es gibt natürlich viele Künstler. Das Album, das ich jetzt gemacht habe, ist eben sehr traurig und melancholisch, und hier verbinde ich mit vielen Orten bestimmte Erlebnisse.

Warum musstest du dann nach Schweden fahren, um das aufzuschreiben?
Weil die Insel, auf der wir waren, extrem abgelegen ist. Da bekommt man einen viel klareren Blick. Hier in Berlin ist immer Hektik, Termine, E-Mails, der Rhythmus der Großstadt beansprucht permanent deine Aufmerksamkeit. Da setzt man sich nicht hin, um über die gro­ßen Probleme des Lebens nachzusinnen. Ich hatte in Schweden kein Internet, kein Handy, kein Fernsehen, nur ein Bett und meine Bücher: Christian Kracht und Ingo Niermann, ein paar Ausgaben von ihrem Magazin „Der Freund“, aber auch Nietzsche und Wittgenstein. So etwas zu lesen, ist für mich wie Joggen gehen oder Kraftsport machen, denn man muss sich wahnsinnig darauf konzentrieren. Auch das befreit den Kopf ungemein. Ich bin aber auch sehr viel gelaufen.


Beim Sound haben The Royals und Biztram, aber auch Whizz Vienna gewissen Einfluss auf die Ästhetik des Albums genommen. Im Ergebnis hat es einen Retro-Vibe, ohne nach klassischem BoomBap zu klingen.

Ja. Der Klang ist warm und vintage, wenn man das so sagen kann. Ein großes Soundkonzept gab es aber nicht. Der einzige rote Faden ist: Das sind alles Beats, wo ich sofort den Drang verspürt habe, direkt darüber zu rappen.

Frauen sind das ­allumspannende Thema der Platte. Was ist passiert?
Es gibt eben Punkte im Leben, an denen sich deine komplette Weltsicht verändert. Bei mir haben sich im letzten Jahr viele Weichen gestellt. Einmal die Geburt meiner Tochter, die mein ganzes Leben umgekrempelt hat. Und dann habe ich mich von meiner Freundin getrennt. Das war die größte Lebensveränderung, die mir in den letzten zehn Jahren passiert ist. Für mich ist es das Wichtigste, dass man im Leben einen Partner hat, mit dem man Freude und Leid teilen kann. Wenn du merkst, dass das in der aktuellen Konstellation nicht klappt, dann hebt das deine Welt aus den Angeln. Diese ­Gedanken habe ich auf dem Album eben verarbeitet. Jetzt sagen die Gangsta-Rap-Fans bestimmt, dass ich voll das softe Opfer bin. (lacht)

Ich denke eher, dass du ein Vorreiter für jenen Paradigmenwechsel im deutschen HipHop der letzten zwei Jahre warst. Siehst du das selbst auch so?
Diesen Wechsel gibt es jedenfalls, und ich habe sicher auch schon etwas früher andere Musik gemacht. Wenn man Avantgarde ist, dann kann man ein paar Jahre später sagen: Haha, ich hab’s damals schon gewusst. Und die anderen sagen dann: Haha, aber du hast damals nicht die Platten verkauft, die wir heute verkaufen. Trotzdem finde ich, es gab noch nie so viele gute deutsche Künstler wie jetzt. Deutscher HipHop, speziell Berliner HipHop, definiert sich gerade stark um. Wobei die New School fast nur aus Zugezogenen besteht. (lacht) Marteria, Casper, Tua, RAF Camora…

Interessant, dass du ihn in dieser Reihe erwähnst.
Ja, das ist ein bisschen wie mit David Bowie, der ja in den Siebzigern auch mal für zwei Jahre nach Berlin gezogen ist. Ich meine, in Wien gibt es ja auch eine geile Szene. Kamp ist der österreichische Rapper, der mir mit Abstand am besten gefällt. Dann gibt es dort noch Leute wie Whizz Vienna, Nazar, RAF oder Gerard MC. Mittlerweile bin ich häufig in Wien. Ich mag die ­Theater sehr, ein alter Schulfreund von mir arbeitet auch im Burgtheater.

Du selbst hast kürzlich in Freiburg an einem Theaterprojekt mitgewirkt. Ist es dir wichtig, die HipHop-Mentalität in den etablierten Kunstbetrieb zu tragen?
Absolut. Wobei Chefkoch, der bei dem Projekt auch dabei war, das viel mehr gemacht hat als ich. Der sieht halt auch aus wie ein richtiger HipHopper. (lacht) Aber schau mal, du und ich, wir sind keine Jugendlichen mehr. Dennoch sehen unsere Klamotten nicht extrem anders aus als das, was die Jugendlichen tragen. Ich finde es geil, dass HipHop es so weit in die Gesellschaft hinein geschafft hat. Oder: Was brauchst du heute noch, um Musik zu machen? Einen Computer und ein gecracktes Fruity Loops. Das ist das subversive Element, das ich an HipHop so liebe. Auch Graffiti hat sich weiterentwickelt, jetzt gibt es intelligente, coole Street Art, die gesellschaftliche Entwicklungen kommentiert. Das wird auch im Kunstmarkt anerkannt. Und Rapmusik ist mittlerweile so facettenreich und vielschichtig, das sind nicht nur ein paar Proleten, sondern Menschen mit Ideen, die ihre Geschichte erzählen. Unsere Kunst ist daher auf keinen Fall geringer einzuschätzen als die von Opernsängern oder Theaterschauspielern. ♦

Text: Stephan Szillus
Fotos: Cem Guenes

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