»Ich bin halt der Ausländer, der keine Klischees erfüllt.« // MoTrip im Interview

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MoTrip ist der Beweis. Es ist noch nicht das Ende von Straßenrap. Rap über Rap ist nicht langweilig. Und die ­Klischees über Straßenrap stimmen noch immer nicht. Auf kaum einen anderen Newcomer kann sich Rap-­Deutschland derzeit besser einigen als auf Mohamed El Moussaoui – den 23-jährigen MoTrip aus Aachen. Und das, obwohl es nur eine Hand voll Songs von ihm gibt.

 

Die Kids mit Straßenrap-Faible feiern Style und Attitüde oder wahlweise seine Nähe zu Fler. Marteria und Sido lobten die »Albtraum«-Web-Single, Savas-Follower vertrauen auf die frühen Respektsbekundungen ihres Kings und Samy – neben allen anderen, denen das wichtig ist – freut sich über sein Rap-Talent. Ein wenig ignorant hatte MoTrip es selbst bei seiner Aggro-TV Ansage vorweggenommen: »Die Oldschool ist wack, die Newschool ist wack/Das ist Mo, dirty shit, Trip die Zukunft für Rap.« Major Universal, der kürzlich den Wettbewerb um den geschäftlichen Verbleib MoTrips gewann, zeigte, dass Vorschusslorbeeren im deutschen HipHop tatsächlich noch immer zu barer Münze gemacht werden können. Schließlich gab es noch keinen Rapper vor MoTrip, der ohne eine eigene Veröffentlichung zu Gastauftritten von Hochkarätern wie Kool Savas, Fler, Samy Deluxe und Sido geladen wurde.

MoTrip ist aufgeregt. Gestern hat er seinen A&Rs den Großteil seines Debütalbums vorgespielt. Sie fanden alles gut. Natürlich. ­MoTrips Produktionsteam, Paul NZA und Marek Pompetzki, hat während der Aggro-Jahre deutlich schlechteren Rappern echte Hits gebaut. Universal ist zuversichtlich. Müssen sie auch. Als Vertreter der Major-Industrie, die händeringend auf der Suche nach einem neuen goldenen Kind ist, haben sie einen jungen Rapper gesignt, der noch kein einziges eigenes Stück Musik zu Geld gemacht hat. Vielleicht nennt MoTrip sein Album deswegen »Embryo«, weil hier etwas heranwächst, das derzeit noch verletzlich ist, aber wenn alles klappt, bald vor einer großen Zukunft steht. Das Outro von MoTrips Debüt heißt passenderweise »Intro« (und wurde in die Zukunft blickend mit ein paar Dubstep-Wobblern unterlegt) – ­»Embryo« soll lediglich ein Anfang sein.

 

Wie bist du aufgewachsen? Mit fast zwei Jahren kam ich mit meiner Familie aus dem Libanon nach Deutschland, direkt nach Aachen. Meine ersten Erinnerungen habe ich an Deutschland. An den Libanon kann ich mich nicht erinnern. Ich bin in sehr guten Verhältnissen aufgewachsen. Erst mit zwei Brüdern und dann kam in Deutschland noch ein dritter dazu. Wir waren vier Jungs. Ich bin in Aachen zur Schule gegangen, habe in Aachen gearbeitet, hatte in Aachen meine erste Freundin und habe in Aachen angefangen zu rappen.

Wie kommt man in Aachen zu Rap? Durch meinen großen Bruder. Er hat immer Rap gehört, irgendwann dann auch selbst Rap gemacht. Ich habe immer zugesehen und relativ schnell – mit 13, 14 – meine eigenen Sachen gemacht. Mein Bruder hat viel amerikanischen Rap gehört, aber irgendwann haben wir beide »Der beste Tag meines Lebens« entdeckt.

In deinem ersten bekannteren Song rappst du: »Mein Leben ist ein ­Albtraum.« Auf »Albtraum« arbeite ich meine ­Vergangenheit mit verräterischen Freunden, verflossener Liebe und Betrug auf. Das hat die Leute angesprochen, wahrscheinlich weil es persönlich war, weil ich Schwächen gezeigt habe und nicht einen auf hart machte. Es war ehrlich und emotional. Natürlich hat die Leute dann interessiert, was für ein Typ das erzählt, der auch noch rappen kann und Flow hat. Heutzutage ist es ja fast was Besonderes, wenn du einen Rapper entdeckst, der rappen kann. Wenn der dann noch was Cooles vermittelt, dann hast du schon sechs Richtige.

Woher kommt es, dass du auf Rap-Skills Wert legst? Du wurdest in einer Zeit mit deutschem Rap sozialisiert, in der Skills nicht das Wichtigste waren.
Das habe ich Savas zu verdanken. Und Samy und Azad. Azad eigentlich am krassesten. Er hat trotz seiner Straßenbehaftung Rap über Rap gemacht. Ich mag Rap-Rap. Einen Sido mag ich natürlich auch. Klar habe ich auch die ersten zwei Bushido-Alben gepumpt. Aber irgendwann haben alle, die um mich herum gerappt haben, die Kanaken-Scheiße gemacht. Ich ja sogar phasenweise auch. Aber deswegen fand ich Azad immer so krass – weil er es geschafft hat, beides zu machen und cool zu verpacken. Dadurch bin ich ja auch direkt immer aufgefallen. Ich sah nach etwas aus, aber habe nicht so gerappt. Ich hab Savas, Samy und Azad gefeiert, weil sie Skills haben. Darauf kam es mir schon immer an. Ich wollte als Rapper sagen, dass jemand krass ist. Dass irgendwann die krassesten Rapper das über mich sagen, hätte ich mir niemals träumen lassen. Vor dem Erfolg oder dem Geld war es mir immer viel wichtiger, Anerkennung oder Respekt zu bekommen.

Es war sicher nicht immer leicht, an solchen Rap-Tugenden festzuhalten, oder?
Natürlich nicht. Es wäre sehr einfach gewesen, einen auf Gangsta-Rapper zu machen und alle anderen mit Skills in die Tasche zu stecken. Damit will ich hier jetzt auch niemanden angreifen, manche machen ihren Job ja richtig gut. Aber es ist sehr leicht, solche Raps zu schreiben. Da mach ich dir drei Stück täglich. Aber für meine Musik geht das einfach nicht. Da braucht es die Liebe zum Detail. Dabei muss es viel mehr um mich gehen. Wichtig ist, dass ich meine Texte vor dem Spiegel rappen oder meiner Mutter zeigen kann.

Diese Einstellung hat es dir sicher nicht leicht gemacht. Mit simplerem Rap über simplere Themen hätte man in der Zeit schnelles Geld machen können.
Geduld hat sich als sehr wichtiger Faktor in meiner Karriere herausgestellt. Ich habe oft zurückgesteckt und abgewartet. Ich habe ja hautnah mitbekommen, dass Rap, der Wert auf Skills legt, nicht das große Geld bringt. Aber ich wusste, dass die Leute das irgendwann wieder hören wollen. Ich hätte zwar gedacht, dass man nicht so lange darauf warten muss. Aber wer bin ich denn, dass ich jeden Trend mitmachen muss? Ich hatte bereits einige Male gezeigt, dass ich rappen kann. Deswegen habe ich mir einfach gesagt, dass ich dranbleiben muss, weil mir das irgendwann zugute kommt.

Bist du nicht bei deinen Eltern am Tisch gesessen und musstest ihnen irgendwie erklären, was du für die Zukunft planst?
Scheiße, das war früher mein Alltag. Das weckt die schlimmsten Erinnerungen in mir. Meinen Eltern erklären zu müssen, was mein Plan ist, war schrecklich. Du machst da was voller Liebe und hoffst natürlich auch, dass du damit mal deiner Familie was Gutes tun kannst, aber sie verstehen es einfach nicht. Sie wissen nicht, was du machst. Sie wollen es auch gar nicht wissen. Natürlich hat sich mein Vater immer gewünscht, dass ich studieren gehe. Ich habe ja auch Fachabi, ich hätte ja studieren können. Irgendwann hat es sich aber für mich herauskristallisiert, dass es klappen könnte mit Rap. Irgendwas hat mir gesagt, dass ich dranbleiben muss. Und das habe ich dann auch Gott sei Dank gemacht. Mittlerweile hat sich das Verhältnis zu meinen Eltern verändert. Ich bin älter geworden und jetzt sieht man ja auch den Erfolg. Mit 17, 18 oder sogar noch mit 20 haben sich viele gewünscht, dass ich die Scheiße sein lasse und arbeiten oder studieren gehe. Ich habe aber nie mit dem Gedanken gespielt.

Was war denn zu der Zeit dein ­konkretes Ziel?
Ich wollte, dass alle mich kennen. Ich bin ein richtiger Rap-Fan, ich liebe diese Musik. Und ich wollte ein Teil davon sein. Dass das mal so krass wird, wie es jetzt ist, war nicht geplant. Ich bin schon krass übers Ziel hinausgeschossen. Ich wollte in erster Linie, dass Rapper sagen: Es gibt da einen Typ aus Aachen, der krass ist. Und das habe ich viel schneller geschafft als gedacht.

Die Szene, die du dir erträumt hast, hatte aber nicht so viel mit der Realität zu tun, oder?
So ist es leider. Je weiter ich in die Szene kam, desto mehr habe ich gemerkt, dass es eigentlich gar nicht das ist, was ich will. Ich dachte halt, ich sitze hier in meinen Zimmer, mache meine Musik und irgendwann kommt ein Label mit einem Koffer voller Geld. Dann kann ich mehr Mucke machen, Videos drehen, reich sein und alle lieben mich. So ist es aber nicht.

Die Aggro-Zeit, in der du quasi zum Rapper wurdest, hat teilweise dieses Bild erweckt. Was in dieser Zeit auch kommuniziert wurde, waren ganz bestimmte Images. Glaubst du, man braucht als Rapper heute noch ein Image?
Das stimmt, in der Aggro-Zeit schien es so, als ob man ein Image benötigt. Jetzt glaub ich nicht, dass man eines braucht.

Dennoch hast du dir mit »Kanake mit Grips« quasi selbst eines gegeben.
So wurde ich von anderen genannt. Du bist eben schon aufgefallen, wenn du als Kanake in der 12. Klasse sitzt und gut Deutsch sprichst. Wenn du dann anfängst zu rappen und die Lehrer dir sagen, wie krass du bist, dann fallen halt Bezeichnungen wie »Kanake mit Grips«. Ich sage ja nicht, dass ich der einzige Kanake mit Grips bin. Ich bin froh, dass es so viele Kanaken mit Grips da draußen gibt. Ich bin halt der Ausländer, der keine Klischees erfüllt. Ich rappe aber nicht nur darüber, dass ich der Kanake mit Grips bin. Ich versuche in erster Linie, den Leuten etwas mitzugeben.

Musstest du dich mit Fragen nach einem Image noch einmal mit ­Universal auseinandersetzen?
Natürlich wurde über Positionierung gesprochen und darüber, wo die Reise hingehen kann. Aber, ganz ehrlich, ich war hier im Studio, habe meine Songs aufgenommen und dann Universal vorgespielt. Der Einfluss von Universal war bei weitem nicht so groß, wie man sich das vielleicht denkt. Ich habe einen großen Teil meiner Songs in den Deal ja bereits mitgebracht. Von mir wurde erwartet, dass ich mein eigenes Ding mache.

Auf dem Splash! bist du das ganze Wochenende im Backstage-Bereich gewesen und hast dich mit jedem super verstanden – das scheint eine deiner Stärken zu sein.
Ich glaube, es ist eher eine Schwäche. Ich bin einfach zu nett. In den allermeisten Fällen mein ich es sogar ernst, wenn ich so nett bin. Ich mache das aber gar nicht bewusst. Ich komme einfach mit ganz unterschiedlichen Leuten klar. Sonst könnte ich ja auch gar nicht mit Fler und mit Samy Musik machen. Das geht nur, wenn du dir nichts zuschulden kommen lässt und keinen bewusst abfuckst. Ich mache das nicht. Eigentlich ist das auch selbstverständlich, aber scheint offensichtlich doch die Ausnahme zu sein.

Teilweise wurde es nicht ganz so gern gesehen, dass du erst mit Savas, dann mit Silla und Fler und dann mit Samy abhängst.
Das kann ich nicht verstehen. Ich bin ja nicht doof, klar weiß ich, was dahintersteckt, aber ich kann es nicht nachvollziehen. In den Staaten feiert man, wenn Drake auf jedem Album ist. Ich will jetzt nicht angeben, aber es gibt meines Wissens keinen Rapper, der ohne Release auf Alben von Savas, Fler, Samy und Sido war. Und das fuckt die Leute halt ab. Ich habe keinem von den Jungs jemals irgendwas Böses getan. Das können die alle auch bestätigen. Schau mal, ich bin ein aufstrebender Rapper, komme von ganz unten und will nach oben. Da kommen meine größten Helden und wollen mich auf ihrem Album haben. Soll ich da etwa Nein sagen?

Dennoch gab es konkrete Vorwürfe, dass du auf zu vielen Hochzeiten tanzt.
Den Vorwurf gab es. Das war aber ein ganz persönliches Problem mit einer Kollaboration. Ich werde einen Teufel tun und mit einem Feind eines Freundes arbeiten. So einer bin ich nicht. Ich bin ein loyaler Typ, aber ich will Musiker werden. Da lasse ich mir von keinem Steine in den Weg legen. Solange ich mit dem Herzen dabei bin, lasse ich mir von niemandem reinreden. Ich respektiere jeden Künstler und danke jedem, der mich auf meinem Weg unterstützt hat.

Seit du im Rampenlicht stehst, ­wurdest du immer nach deinem Solodebüt gefragt. Und du hast dich mit tapferer Beharrlichkeit immer dagegen gewehrt, irgendwas auszuplaudern. War das Unsicherheit, Vorsicht oder wusstest du tatsächlich nicht, in welche Richtung es gehen soll?
Ich habe in der Vergangenheit Sachen angekündigt und es ist nichts gekommen: »Schnelles Geld« und mein Soloalbum für Ende des letzten Jahres. Ich wollte nicht wieder ins Fettnäpfchen treten. Natürlich habe ich nicht auf Universal gewartet, aber ich wusste, dass irgendwas noch kommen würde. Schau mal, auf einem meiner ersten Songs habe ich gerappt: »Mach dich für den Trip bereit, mein Mixtape ist endlich am Start/Ich bin nicht gesignt, hab nicht mal einen Handyvertrag.« Damals war ich jung, hungrig, hatte keinen Handyvertrag und war der Meinung, mein Mixtape ist fertig. Das Ding habe ich nie rausgehauen, weil ich nie zufrieden war. Einen Handyvertrag habe ich mittlerweile und Gott sei Dank habe ich nie dieses Mixtape rausgebracht. Ich würde auch vielen Leuten empfehlen, nicht gleich mit dem ersten Song in die Öffentlichkeit zu gehen. Wobei, Savas und Sinan sind auf mich durch meine drei allerersten Tracks aufmerksam geworden.

Wie bist du jetzt an die ­Albumaufnahmen herangegangen?
Das war für mich absolutes Neuland. Ich habe das Glück, dass meine Produzenten auch Perfektionisten sind. Das Aufnehmen war nicht neu, aber ich musste hier jeden Tag mindestens zwei Songs aufnehmen. Das ist alles viel strukturierter als ein ­normaler Tagesablauf von mir. Aber genauso wollte ich es ja. Ich habe das ganze letzte Jahr die Ketchupflasche geschüttelt und jetzt kommt alles auf einmal raus.

Die Texte hattest du ja bereits im Kopf. Wo es musikalisch hingeht, war aber die längste Zeit offen, oder?
Ja, durch den Universal-Deal hat sich erst mal verändert, wo ich aufnehme. Ich bin zu Paul und Marek mit meinen Songskizzen, von denen ich dachte, sie wären fertige Songs, und die beiden haben das Ganze auf ein komplett anderes Niveau gehoben. Die Lyrics haben sich nicht groß verändert. Ich habe jetzt die dicksten Beats meines Lebens auf meinem ersten Album. Darüber bin ich unendlich froh. Es hätte wirklich auch eine Standardplatte werden können.

Paul NZA war einer der Haupt­architekten des Aggro-Sounds, dein A&R ist auch für Sido zuständig. Warst du nicht skeptisch, dass der Sound nur eine Wiederholung von etwas ­Vorangegangenem werden könnte?
Nein, obwohl ich das erste Mal sogar mit Sido hier im Studio war. Als ich aber dann die ersten Beats gehört hatte, merkte ich, dass da alles vorbei ist. Wobei ich zwei, drei Beats sogar abgelehnt habe, weil sie ein bisschen zu sehr nach Siggi klangen. Aber die Jungs hier sind wahnsinnig professionell. Die wissen ganz, ganz genau, was sie tun. Ich habe nie an dem gezweifelt, was die mir zusammenschmieden. Ich habe mit der Zeit nur noch gehofft, dass meine Lyrics mit der Qualität der Beats mithalten können.

Teilweise sind deine Lyrics klassischer Rap über Rap. Im Zuge von Savas’ »Aura«-Album kam die Frage auf, ob diese Form von Rap nicht langweilig sei.
Ich schreibe aus meinem Herzen. Und wenn Rap in meinem Herzen ist, dann rappe ich darüber. Ich würde mich verstellen, wenn ich unbedingt Themensongs machen würde. Dabei bin ich doch viel echter, wenn ich das mache, was mein Herz mir sagt. Warum soll ich mir Themen überlegen, die mich nicht interessieren und darüber rappen, nur damit ich nicht über Rap rappe? Mein Leben besteht aus Schreiben, Musik machen und Rap. Dazu steh ich auch und ich bin mir nicht zu schade, das zu sagen.

Jetzt genießt du erst mal, dass du ein Teil der Szene bist.
Man stellt ja schnell fest, dass es nicht ganz so cool ist. Mein Kindheitstraum ist noch nicht ganz erfüllt. Ich hab ja auch noch keinen Erfolg. Ich habe noch nicht einmal ein Release. Ich habe einen Deal und Skills. Aber womit soll ich denn protzen? Ich habe gerade mal einen einzigen Download-Song.

 

Text: Alex Engelen

 

Fotos: Murat Aslan

 

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