»Es wäre schlimm, wenn wir beide nur noch im Studio wären, weil wir vertragliche Verpflichtungen haben.« // Little Brother im Interview

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Richtig leicht hatten es Little Brother nie. Aus North Carolina stammend, hätte die Band um Rapper Big Pooh, Phonte Coleman und Produzent 9th Wonder sich zu Beginn des letzten Jahrzehnts zwar an dem aufkeimenden Hype um Rap aus den Süden orientieren können, um den schnellen Dollar ­abzugreifen. Doch nichts lag den Jungs aus Durham ferner, als ein blindes Anbiedern und Anpassen an von Industrie und Medien erschaffenen Stereotypen. In einer Zeit, als immer mehr billige Preset-Drums durch ­Küchenradios und Endstufen gejagt wurden, kamen diese College-Jungs aus dem Süden einfach mal mit einem der soulfulsten Alben der letzten zehn Jahre daher. Mit »The Listening« konnte das Trio sowohl den nostalgischen Endzwanziger als auch eine neue Generation von HipHop-Jüngern auf den Trichter bringen, dass es südlich von New Jersey noch mehr gibt als tief hängende Ketten und mit Puder gefüllte Plastiktüten.

Die von 9th Wonder produzierten Instrumentals spielten eine tragende Rolle in der immer ­schneller wachsenden Fanbase des Rap-Trios. Der ­geschickte Einsatz von Soul-Samples und die eingängige Art des Drum-Programmings ließ selbst den dickköpfigsten Verfechter der SP-1200 über den Gebrauch des belächelten Software-Sequenzers Fruity Loops hinwegsehen. ?uestlove, Pete Rock, Jazzy Jeff – alle gaben ihnen die verdienten Props. Für den Nachfolger wurde logischerweise mit ­Atlantic ein Majorlabel als Plattform gefunden, und allen Bedenken zum Trotz veröffentlichten Little Brother dort gerade keine kalkulierte Ansammlung von ein paar BoomBap-Alibisongs und mehreren radiotauglichen Singles, um die Geld­druckmaschine anzuwerfen. Stattdessen wurde »The Minstrel Show« ein kompromissloses, detailverliebtes und mutiges Konzeptwerk, das der einst rebellischen und progressiven Subkultur mit Hang zur Selbstbeweihräucherung schonungslos den Spiegel vorhielt. Denn längst war aus einem vielfältigen, innovativen Musikgenre eine gleichförmige, belanglose Szene ohne jegliche Haltung, Geist oder Substanz geworden, in der verkappte BWLer die Kontrolle übernommen hatten. Für den Erfolg war ihnen jedes Mittel recht, selbst wenn man sich als Afroamerikaner so klischeehaft überzeichnete, wie es selbst die betonköpfigsten Rednecks in ­ihren durchgeknalltesten Büttenreden nicht hätten formulieren können.

Kritiker und Fans waren begeistert von »The Minstrel Show«, doch der kommerzielle Erfolg blieb aus. BET weigerte sich, das Video in Rotation zu nehmen, mit der inzwischen legendär traurigen Begründung, dass es zu intelligent für die eigenen Zuschauer sei. Der damalige Chefredakteur der »Source«, Joshua »Fahiym« Ratcliffe, trat zurück, weil die durch Benzino forcierte Zurückstufung der Höchstwertung für das Album das ohnehin schon randvolle Fass in den Redaktionsräumen des Magazins zum Überlaufen brachte. Hinzu kam, dass der nicht eintreffende Erfolg den Produzenten 9th Wonder in eine schwere Sinnkrise stürzte, die auch das Verhältnis innerhalb der Gruppe nicht unberührt ließ. 9th Wonder wollte sich als Produzent etablieren und widmete sich anderen Projekten von Jay-Z bis Destiny’s Child, Phonte hatte bereits zuvor zusammen mit Nicolay das grandiose Foreign Exchange-Album »Connected« veröffentlicht, und auch Pooh zog bald mit seinem unterschätzten Soloalbum »Sleepers« nach. Als Little Brother sich schließlich an die Aufnahmen zum dritten Album »GetBack« machten, mussten Phonte und Pooh laut eigenem Bekunden viel zu lange auf die Mithilfe ihres Hauptproduzenten warten und arbeiteten stattdessen mit Illmind, Khrysis, Mr. Porter, Nottz und Hi-Tek. Am Ende schaffte es nur ein einziger Beat von 9th Wonder auf das Album, so dass aus dem einstigen Trio ganz unmerklich eine Zwei-Mann-Kapelle geworden war.

Doch damit nicht genug: Auch gab es Probleme mit dem neuen alten Label ABB Records, und am Ende wurde die LP von Phonte höchstpersönlich geleakt. Es folgten gemeinsame Mixtapes, Soloprojekte, ein weiteres Foreign Exchange-Album. Aus der ursprünglich als EP angekündigten Resteverwertung von »GetBack« wurde nun doch ein komplettes, neues und, wie bereits angekündigt, letztes Little Brother-Album. Die Ankündigung öffnete diversen Spekulationen Tür und Tor: War der Erfolg von ­Foreign Exchange und die Grammy-Nominierung ein möglicher Grund für den Split? Schaut nun jeder darauf, seine Schäfchen ins Trockene zu bringen und wenigstens noch etwas Geld für den Wintergarten einzusammeln? Phonte weist solche Behauptungen zurück: »Selbst wenn das Projekt mit Nicolay gefloppt wäre, stünden wir als Gruppe an dem ­gleichen Punkt wie jetzt, da wir beide nach etwas anderem suchen und andere Ausdrucksmöglichkeiten brauchen, als sie mit Little Brother möglich sind.« Genau wie für viele Kids das Tonträgerkonzept »Album« längst ausgedient hat, so sind die beiden MCs der Konstellation als Duo überdrüssig und nehmen nun neue Aufgaben in Angriff. Ob man den Einfluss von Little Brother auf jüngere Künstler mit dem von De La Soul und A Tribe Called Quest gleichsetzen kann, mag zu bezweifeln sein. Großartige Musik veröffentlicht haben sie allemal. Ein letztes Mal schauen Rapper Big Pooh und Phonte Coleman zurück auf sieben gemeinsame Jahre.

»LeftBack« war vorerst als EP mit Über­bleibseln von eurem letzten Album geplant?
Pooh: Ja, aber als uns bewusst war, dass es unser letztes gemeinsames Release wird, dachten wir uns, dass wir es uns nicht so leicht machen können.
Phonte: Daher haben wir alles noch mal überarbeitet, und nun ist ein wirklich gutes Album herausgekommen. Frisches Material. Es war ein Jahr vergangen, und keiner von uns konnte die Lieder noch hören. Zwei Remixe sind drauf, da haben wir aber auch die Lyrics und Beats so verändert, dass sie nichts mit den alten Versionen zu tun haben.

Wie bei »GetBack« habt ihr wieder mit ­Produzenten zusammengearbeitet, die auch außerhalb der Justus League aktiv sind.
Pooh:
Genau, daran können die Fans auch sehen, dass wir es so angegangen sind, wie wir es ohnehin getan hätten. Wir haben uns musikalisch geöffnet und waren bereit, mit Leuten zu arbeiten, die einfach gute Musik bringen.
Phonte: Es hätte auch unter anderen Umständen keinen 9th Wonder-Beat drauf gegeben, egal wie oft die Fans nachfragen. Unsere Zeit als Trio war etwas Besonderes, wir waren jung, haben die Welt noch anders gesehen. Wir haben uns gut gefühlt, deswegen hört sich die Musik so an. Sobald sich der Vibe verändert, klingt die Musik auch anders. Selbst wenn wir einen Beat von 9th drauf gehabt ­hätten, wäre es nicht wie früher. Den Vibe von damals nachzubauen, das funktioniert nicht.

Vielleicht hätten einige erwartet, dass ihr noch mal ein Konzept wie “The Listening” oder »The Minstrel Show« aufnehmen würdet.
Phonte: Ja, aber wir wollten es auf »GetBack« beziehen. Das passt besser für uns als Gruppe, auch musikalisch. Bei »The Listening« wollten wir zeigen, dass es guten und starken HipHop aus dem Süden gibt. Uns hat einfach geärgert, welches Bild die Allgemeinheit von unserer Region und den Menschen, die dort leben, hat. Mit der »Minstrel Show« haben wir den Fans bewiesen, dass wir uns und ­unserer Linie treu bleiben, ohne uns für ein Major­label zu verbiegen. Auch das haben wir geschafft. Auf »GetBack« mussten wir uns wieder beweisen – wir mussten zeigen, dass wir auch ohne 9th Wonder ein krasses Album abliefern können. Wir haben all diese Aufgaben gemeistert und sind mit jedem Album noch bessere MCs und Performer geworden. Ich habe einfach das Gefühl, dass es nichts mehr zu sagen gibt.
Pooh: Weil wir immer so ehrlich zu uns selbst waren, können wir uns das auch eingestehen. Und es mit gutem Gewissen auch den Fans so erklären.

Ihr habt als Band nur ein offizielles Video veröffentlicht, nun wird es eine DVD in limitierter Auflage zu dem Album geben.
Pooh: Ja, die Fans haben bis jetzt eigentlich nicht viel von uns zu sehen bekommen. Wir haben in unserer Karriere das Visuelle ein bisschen vernachlässigt, auch wenn wir das bewusst getan haben. Das »Behind The Scenes«-Material ist ein Bonus für die Fans, da sie die Chance haben, uns von einer Seite zu sehen, die sie bislang noch nicht kannten. Außerhalb der Shows sehen uns die Leute kaum, und wir geben auch recht wenig von unserem Privatleben preis. Das ist sowohl für die Fans als auch für uns etwas Neues.
Phonte: In letzter Zeit haben wir das ja ein wenig geändert. Es gab mehr Lebenszeichen, auf Twitter passiert z.B. einiges. Es kann natürlich sein, dass unsere Karriere anders verlaufen wäre, hätten wir diesem Aspekt mehr Aufmerksamkeit geschenkt – aber so sind wir halt. Wir drängen uns nicht in den Vordergrund. Dafür haben wir andere Dinge getan, z.B. den Podcast mit DJ Brainchild. Das mache ich sehr gerne: Wir spielen schöne Musik, labern Scheiße. Das kommt sehr gut an, das Feedback ist jedenfalls sehr positiv.

Wie war es, das ganze Material für die DVD zu durchforsten?
Pooh: Ich würde nicht sagen, dass wir dabei traurig wurden. Es war eher spannend, die Entwicklung nochmal zu sehen. Es sind ja auch Aufnahmen dabei, auf denen wir richtig jung sind. Die ersten Konzerte, die Zeiten im Studio und auf dem College, der Auftritt vor den Hieroglyphics, der Stress mit dem Label, interne Schwierigkeiten. Das war schon großartig, auf der einen Seite wird man emotional und fragt sich, weswegen man überhaupt aufhört und auf der anderen Seite freut es mich auch, weil wir an einem geeigneten Punkt zurücktreten und nichts bereuen müssen.
Phonte: Es ist ja nicht so, dass wir aufhören, Musik zu machen. Wir sind Musiker mit Leib und Seele. Es wird immer Songs geben, auf denen wir beide zu hören sind. Nur das Projekt Little Brother hat ein Ende gefunden. Wir haben unser Bestes getan, sind uns treu geblieben und haben meiner Meinung nach großartige Musik hinterlassen. Ich bin vollkommen zufrieden. Ich würde uns ein wenig mit Black Star vergleichen, nicht vom Impact und der Musik her, sondern von der Konstellation. Freunde werden wir immer bleiben.

Ihr habt ja sinngemäß geäußert, dass ein ­wesentlicher Grund für die Trennung sei, dass ihr eure Freundschaft nicht fürs Geschäft aufs Spiel setzen wollt.
Pooh: Das stimmt. Wir kennen uns seit Ewigkeiten. Wenn man so gut befreundet ist wie wir, kann man ehrlich genug sein, um sich einzugestehen, dass es keinen Sinn mehr macht, weiter an einer Sache festzuhalten. Es geht einfach nicht mehr in die gemeinsame Richtung. Dadurch ist es nicht mehr möglich, als Gruppe aktiv zu sein. Wir müssen uns nichts vormachen oder versuchen uns zu quälen, damit es bloß irgendwie weitergeht.
Phonte: Es ist wie bei einer Beziehung, wenn man eigentlich nicht mehr zusammen sein will und sich schon längst nach etwas anderen umschaut, aber nicht loslassen kann, weil es zu Hause so schön bequem ist. (lacht) Wir mussten einfach weiterziehen. Wir haben alles getan und alles gesagt, was uns beschäftigt hat. Nun ist Zeit für andere Dinge.

An welcher Stelle hat sich das besonders ­bemerkbar gemacht?
Pooh: Das kann man gar nicht genau sagen. Es fühlt sich einfach nicht mehr gut an.
Phonte: Man merkt, dass es nicht mehr funktioniert. Sobald man sich nicht mehr wohl fühlt, sollte man einen Strich ziehen. Es wäre schlimm, wenn wir beide nur noch im Studio wären, weil wir vertragliche Verpflichtungen haben. Mit diesem Album ist es anders. Wir können beide dahinter stehen und sagen, dass es ein Little Brother-Album ist. Wir haben die beste Lösung gefunden – sowohl für uns als auch für die Fans, da wir sie nicht belügen.
Phonte: Wie Pooh schon sagte, werden wir immer wieder zusammen Musik machen.

Wie war es für dich, mit Foreign Exchange zu den Grammys eingeladen zu werden?
Phonte: Das war eine besondere Erfahrung. Schon nominiert zu sein ist ein so großartiges Gefühl. Ich bin froh, diese Möglichkeit gehabt zu haben. Auf einmal bist du in einem Raum mit Menschen, ­deren Musik du gehört hast, als du noch ein Kind warst. Wir waren auf einer Party mit Quincy Jones und ­lauter anderen Legenden. Als wir an der Bar ­standen, konnte ich es kaum glauben. Schön war, dass einige unserer besten Freunde auch ­nominiert waren: Bilal, Eric Robertson, das war wie ein ­Familienausflug in eine andere Welt. (lacht) Als ich davon erfahren habe, war ich noch im Halbschlaf und habe den Inhalt des Anrufs gar nicht richtig ­mitbekommen. Erst später sah ich all die Nachrichten auf meinem Handy, und da hab ich gemerkt, was das eigentlich bedeutet.

Wenn ihr zurückblickt, was waren die schönsten Momente als Band?
Phonte: Es gab so viele. Vielleicht das “Hip Hop Quotable” in der »Source« für »The Yo-Yo«. Aber auch die Reaktionen der Fans. Ich kann’s wirklich nicht nennen.
Pooh: Ja, alles zusammen war ­einfach großartig.

Euer Bandname leitete sich ja von dem ­Umstand ab, dass ihr euch als kleine Brüder der Native Tongue-Bewegung gesehen habt. Seht ihr jetzt Nachwuchskünstler, die eure ­kleinen Brüder sein könnten?
Phonte: Auf jeden Fall: Drake, Wale, Pac Div… Es gibt schon einige, die ihren Weg gehen und sich entwickeln. Bei einigen lässt sich auch erkennen, dass sie unsere Musik gehört haben. Es macht mich glücklich zu sehen, dass es immer weitergeht, dass gute Musik geschätzt wird. Und auch wenn es anmaßend wäre, ihn als kleinen Bruder zu bezeichnen, gefällt mir zur Zeit Jay Electronica besonders gut. Ich bin gespannt, was mit ihm noch passiert.

Welche Pläne habt ihr für nach dem Album?
Pooh: Es wird eine kleine Tour geben. Und dann arbeiten wir daran, uns als Solomarken zu etablieren. Ich habe mein zweites Soloalbum fast fertig, das kommt im Herbst raus. Phonte und Nicolay arbeiten an einem dritten Foreign Exchange-Album. Und soweit ich weiß, wird Phonte auch ein Soloalbum rausbringen, oder?
Phonte: Ja, ich habe aber erst vier Songs fertig, daher wird es wohl noch ein Jahr dauern. Wir machen einfach weiter und versuchen eine Prägung zu hinterlassen. Little Brother war halt ein Teil des Prozesses. Dieses Kapitel schließen wir mit diesem Album ab, und dann widmen wir uns neuen Dingen. Wir bedanken uns bei allen, die uns bis jetzt begleitet haben und die unsere Musik zu schätzen wissen.

Text: Ndilyo Nimindé

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