»Der Einfluss von Kreativität ist in diesem Zeitalter unaufhaltbar. Diese Macht liegt in uns allen.« // DJ Khalil im Interview

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Kritiker und Fans halten ihn nicht erst seit der Clipse-Single für kinda like a big deal. Von Dr. Dre über 50 Cent und Jay-Z bis Eminem und Slaughterhouse stehen die Big Shots bei DJ Khalil Schlange. Seit 15 Jahren an der Seite des Produzenten aus L.A.: MC Chace Infinite, der mit ihm das Indie-Duo Self Scientific bildet – ein respektables Liebhaberprojekt, das angesichts von Khalils Mitwirkung an »Detox« und »Relapse 2« in den Hintergrund gerät. Nur mit einer schier unmenschlichen Arbeitseinstellung schafft es Khalil neben seinen Tätigkeiten für die Interscope-Mammutprojekte, einem komplett von ihm produzierten M.O.P.-Album und dem eigenen Rockprojekt The New Royales auch noch eine Self Scientific-EP (»Designer Music«) und einen ganzen Longplayer (»Come In Peace, Prepare For War«) in den Release-Plan für 2010 zu quetschen. Ein Gespräch über musikalische und zwischenmenschliche Gratwanderungen.

Weißt du eigentlich, dass du 2004 einen kleinen Hit in Deutschland hattest?
Mit Raptile, richtig? Das habe ich erst ein Jahr später herausgefunden. Durch Xzibit. Ehrlich gesagt hat mich das damals auch nicht interessiert. Ich war komplett im Arbeitsmodus. Ich habe Beats produziert, alles andere war mir unwichtig.

Behältst du eigentlich noch den Überblick über all deine ­Produktionen?

Nein. Mittlerweile bekomme ich aber schon ein wenig mehr mit, vor allem durch die ganzen Blogs und Twitter. Vor ein paar Jahren habe ich einfach nur geackert. Ich wollte, dass meine Musik gehört wird. Ich habe mit jedem zusammengearbeitet, nur um ­meinen Katalog zu füllen. Ehrlich gesagt, ­mache ich das immer noch so. Ich will alles machen – den Underground-Kram, das Mainstream-Zeug und alles dazwischen. Dieser Formel werde ich treu bleiben.

Wie definierst du diese ­Formel, sich scheinbar spielerisch ­zwischen Underground und Mainstream zu bewegen? Ist das eine bewusste Entscheidung oder ein natürlicher Prozess?

Ich komme aus der Underground-Szene. Durch Self Scientific und Strong Arm Steady bin ich nach wie vor ein Teil dieser Kultur. Es ist ein ganz natürlicher Prozess, dem ich mich nicht entziehen kann. Ich kann nicht einfach sagen: Jetzt ist Schluss damit. So lange die Jungs mit mir arbeiten wollen und wir gemeinsam gute Musik machen können, bin ich dabei. Die Leute, die ich seit Jahren kenne, werde ich jetzt nicht einfach fallen lassen. Natürlich ist es eine große Sache, mit Major-Künstlern zu arbeiten, aber deswegen ist mir die Zusammenarbeit mit Underground-Künstlern nicht weniger wichtig. Leute wie Chace Infinite, Krondon und Planet Asia haben meinen größten Respekt. Deswegen will ich weiter mit ihnen arbeiten, während ich mich weiterentwickle und bekannter werde. Mir geht es um die Arbeit selbst. Schau dir DJ Premier an: Er hat für Biggie, Christina Aguilera, Gang Starr und Group Home gearbeitet. Er hat alles gemacht, ohne seinen eigenen Sound dabei zu verlieren. Diese Tradition will ich aufrecht erhalten. Der Untergrund ist innovativ, experimentell und fresh. Wir denken nicht in Schubladen. Ich will aber nicht als reiner Underground-Produzent abgestempelt werden. Ich kann Musik produzieren, die jedem gefällt und dabei aber immer noch meinen ganz eigenen Sound aufweist.

Wie erklärst du diesen ­eigenen Sound, den alle deine ­Produktionen haben?
Meine Programmierung und meine musikalische Herangehensweise ist ein wenig ungewöhnlich und dadurch zu meinem Trademark geworden. ­Alles liegt ein wenig offbeat und macht nur Sinn, wenn alle Elemente ­zusammengesetzt sind. Wenn ein Teil fehlt, stürzt die Konstruktion zusammen. So funktionieren meine Produktionen: Alle Elemente von den Drums über das Sample bis zur Bassline kreieren einen lose zusammenhängenden Groove. Viele MCs haben damit ein Problem, besonders die auf Major-Ebene. Sie mögen den Sound, können aber oft nicht auf den Groove springen. In meiner Musik kenne ich keine Regeln – das ist die Grundlage für alle meine Produktionen.

Die längste Zeit deiner Karriere warst du eher unbekannt. Gab es einen Zeitpunkt, an dem dir klar wurde, dass deine Karriere richtig anläuft?

Als meine 50 Cent-Nummer »I’ll Still Kill« mit Akon zur Single wurde und das Label dafür ein Video drehen ließ. Da wurde mir schon klar, dass es in die richtige Richtung geht. Von ­Labelseite kamen einige Anfragen, da habe ich gemerkt, dass ich an etwas dran bin. Der Fifty-Song hat meinem ­Ansehen als Produzent einen dicken Schub verpasst. Es war kein Riesenhit, aber er hat allen gut gefallen. In diese ­Richtung bewege ich mich auch weiter: Ich mache nicht zwangsläufig die dicken Top 10-Singles, aber an meine Tracks erinnern sich die Leute, weil es am Ende ihre Lieblingslieder auf den Alben sind.

Deine Produktionsfirma heißt I Made It Inc. Bezieht sich der Name darauf, dass du es jetzt ­geschafft hast?
Nein, er steht dafür, dass ich etwas erschaffe. Es geht um die Macht der Kreativität und wie wir damit die Welt um uns herum beeinflussen. Wir erschaffen etwas in unseren Schlafzimmern und schicken es raus in die Welt, die wir damit beeinflussen. Wir produzieren Nummer-eins-Hits in unseren Schlafzimmern. Du ­kreierst etwas, stellst es ins Internet und kannst zur neuen großen Sensation werden. Der Einfluss von Kreativität ist in diesem Zeitalter unaufhaltbar. Diese Macht liegt in uns allen.

Was sind deine Stärken als ­Produzent?
Ich bin in der Lage, jeden Sound, den ich höre, nachzuspielen. Gib mir ­einen Synthesizer, spiel mir irgendeine europäische Progressive Rock-Platte aus den Siebzigern vor und ich spiele dir den Sound des Tracks nach. Ich habe ein sehr gutes Ohr für Sounds. Außerdem schaffe ich es, die richtigen Leute gemeinsam an einen Tisch zu bringen, um ein fertiges Produkt zu schaffen – die richtigen Texter, jemanden für die Hook, die Gitarristen, Streicher und Musiker. Ich mache nicht einfach nur Beats, ich kann einen ganzen Song von vorne bis hinten ausproduzieren. Ich saß mit Nas im Studio und habe mit ihm einen kompletten Song konzeptualisiert und aufgenommen. Ich arbeite an Dr. Dres Album – er fragt mich nach meiner musikalischen Meinung. Nur durch meine harte Arbeit bin ich hierhin gekommen. All die Jahre mit Self Scientific in der Underground-Szene waren das Training für meine jetzige Arbeit.

Hast du auch Schwächen?
Ich stehe gerade vor der Herausforderung, einen richtigen Hit zu produzieren. Das habe ich leider noch nicht drauf. Ich kann auf jeden Fall gute Songs machen, aber ich will eben ­herausragende Songs schaffen.

In deinen Produktionen deckst du ein sehr breites musikalisches Spektrum ab. Liegt das an deinem eigenen breiten musikalischen ­Geschmack?

Ja, ich höre eigentlich alles. Mich inspirieren Stereolab, Portishead, Björk, Beatles, Genesis – das ist Musik, die ich liebe. Am liebsten ist mir europäischer Progressive Rock aus den Siebzigern. Diese Musik ist für mich eine Mischung aus allem: Klassik, Jazz, Soul, elektronische Musik und mehr, alles zusammengemischt in einem Genre. Und genau diesen Ansatz versuche ich auch bei allen meinen Produktionen anzuwenden. Ich bediene mich bei ganz verschiedenen Genres, weil ich der Meinung bin, dass sich Musik gerade in diese Richtung bewegt. Es gibt zwar noch unterschiedliche Genres, aber alles wächst immer mehr zusammen. Die perfekte Zeit für die Art von Musik, die ich machen will. Wir leben in der besten Zeit, um im Musikzirkus kreativ zu sein. Seitdem niemand mehr mit Musik großes Geld verdient, dreht sich alles nur noch um die Kreativität.

Bewegst du dich also ­zwangsläufig weg von einer ­traditionellen HipHop-Formel?
Nein, HipHop wird immer die Grundlage sein. Das habe ich studiert, da steckt meine Liebe drin. Aber dennoch bin ich in erster Linie ein Fan von Musik. Ich werde HipHop immer treu bleiben, egal woran ich arbeiten werde. Aber ich will auf jeden Fall meinen Horizont erweitern. Denn natürlich bin ich mit HipHop aufgewachsen, aber ich habe genauso David Bowie, Cindy Lauper und Culture Club gehört. Ich setze mich als Produzent mit zu vielen verschiedenen Sachen auseinander, als dass ich mich von einem Genre einengen ließe. Ich will mit anderen Genres experimentieren, weil mir genau das dabei hilft, mich selbst immer wieder neu zu erfinden.

Kannst du dein Verhältnis zu Chace Infinite erklären?
Wir sind beste Freunde. Er gibt mir Rückhalt im Musikzirkus. Wir stehen uns gegenseitig immer bei, als wären wir Brüder. Als Self Scientific war es uns nie wichtig, viel zu veröffentlichen. Ich bin kein großer Freund davon, Musik nur rauszuhauen, um zu zeigen, dass man noch lebt. Ich will es richtig machen. Wir nehmen uns viel Zeit zwischen unseren Alben. Heute mehr denn je. Wir haben zwar viel aufgenommen, aber der Vibe hat einfach nicht gepasst. Das waren nicht wir. Es ist eine Gratwanderung: Manchmal musst du ein Projekt einfach weglegen, damit es dann beim zweiten Versuch klappt. Und genau an diesem Punkt sind wir jetzt gerade. Die Produktionen sind jetzt zehnmal besser. Und mit dem aktuellen Erfolg von Conscious-Rappern wie Jay Electronica oder Mos Def ist der Zeitpunkt perfekt. Jetzt können wir anspruchsvolle Musik machen und damit auch etwas erreichen. Durch meinen Erfolg sind wir natürlich auch in der Lage, neue Fans zu finden, die mit einer ganz anderen Einstellung an Self ­Scientific herangehen. Es haucht uns als Gruppe neues Leben ein.

Welche Priorität genießt Self Scientific denn in deinem offensichtlich sehr vollen Terminkalender?
Natürlich ist es mir wichtig und hat deswegen schon eine gewisse Priorität. Aber wir müssen eben auch Rechnungen bezahlen. Mittlerweile nimmt die Arbeit Gott sei Dank nicht mehr so viel Zeit in Anspruch. Ich schicke Chace Beats, er schreibt drauf, und im Studio reißen wir dann die Aufnahmen runter. Es ist eine ziemliche Belastung – nein, keine Belastung – aber es ist schon schwierig für mich, an Self Scientific zu arbeiten, wenn jemand wie Dr. Dre auf einen Auftrag wartet. Ich habe einen Job und Verpflichtungen außerhalb von Self Scientific. Aber es ist mir ­natürlich sehr wichtig, weil ich seit Jahren daran arbeite und ich nach wie vor daran glaube. Dass ich mich eher auf die großen Produktionen konzentriert habe, hat unserer Gruppe nur geholfen. Mein Ansehen ist gestiegen, was auch unser Album attraktiver für viele Hörer macht.

Hast du denn ein schlechtes ­Gewissen, wenn du deine Beats nicht Chace, sondern bekannteren Rappern gibst?
Chace wollte das früher auch nicht so richtig verstehen. Aber mittlerweile ist es ihm klar: Weil ich diese großen Aufträge an Land ziehe, geht es auch der Gruppe besser. Punkt. Es wäre egoistisch von ihm, diese Beats einzufordern. Es ist ja in erster Linie auch eine Chance für mich. Chace hat das schon immer kapiert, aber es gab auf jeden Fall Momente, in denen er sich dachte: Verdammt, das hätte unser Song sein können. Aber schau mal, wo wir jetzt sind! Es geht um den Blick für das große Ganze. Wir ­müssen die richtigen Entscheidungen treffen, um an unser Ziel zu kommen. Es hat nichts gebracht, wie wir es früher gemacht haben. Wir haben großartige Musik gemacht. Aber keine Sau wollte sie hören. Wir müssen das Bild ­ändern, das die Leute von Self Scientific haben. Und genau das machen wir gerade. Nimm Guru und DJ ­Premier. Premo musste einfach mit Biggie und Nas aufnehmen, damit es weiter Gang Starr-Platten geben konnte.

Text: Alex Engelen

 

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