»Nach meinem ersten Jahr an der Uni konnte ich nicht anders, ich musste alles hinschmeißen und es mit der Musik versuchen.« // Curren$y im Interview

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Auch wenn man sich in der neuen digitalen Musikwelt noch nicht sicher ist, wie ­Starpotenzial gemessen wird, erhebt ein unscheinbarer 30-Jähriger aus New Orleans mit unmenschlicher ­Beharrlichkeit den Anspruch auf einen Platz ganz weit vorne. Während sein alter Kumpel und Weed-Homie Wiz Khalifa mittlerweile auch die Charts on lock hat, ackert Curren$y emsig weiter an seiner ganz eigenen Kombination aus Newcomer-Hunger und Abgeklärtheit eines Veteranen. Eines weiß Curren$y bereits seit seiner Schulzeit: Harte Arbeit zahlt sich aus und zeitloser Stil ist käuflich. »Ich wurde in der Schule für gute Noten belohnt. Deswegen habe ich mich angestrengt, damit ich mir immer die neusten Jordans holen konnte. Das war mir das Wichtigste.« Willkommen im Jet Life, einer neuen Form des ewigen Hustles.

Eine Woche nach seiner gefeierten Performance auf dem amerikanischen Medien-Get-Together SXSW treffen wir den Hot Spitta in New York – einem der Orte, die er sein Zuhause nennt. Er ist locker und gechillt – wie immer –, er personifiziert den von ihm allseits propagierten J.E.T.S.-Lifestyle (»just enjoy this shit«). Wie der 30-jährige Rapper bei seinem fast unmenschlichen Arbeitspensum so ausgeglichen sein kann, ist nur eines seiner vielen Geheimnisse. Seine Fans und all diejenigen, die in den vergangenen Jahren seinen entspannten Flow und seine unprätentiöse Herangehensweise an Rap genießen durften, können von Glück reden, dass Curren$y darauf einen feuchten Dreck gibt. Sein ganz spezieller, betont entspann­ter Umgang mit dem Hustle ist natürlich nicht neu, macht seine Ausdauer aber noch beeindruckender. Gekonnt vermischt er den Hunger eines jungen Newcomers mit der Abgeklärtheit eines Genre-Veteranen.

Sein Katalog erstreckt sich über drei Plattenfirmen, etwa 14 Mixtapes, sechs Studioalben und ganze acht Jahre durch die Höhen und Tiefen des ganz normalen Industrie­wahnsinns, noch bevor er sein erstes offizielles Debütalbum veröffentlichte. Eine Odyssee, die aus dem Jungen aus New Orleans einen Künstler geformt hat, der mit seiner Erfahrung und seinem Sinn für Aktualität im Rap-Genre allein auf weiter Flur steht. Darüber ist er sich in seiner ganz eigenen Art und Weise bewusst, wie es die ersten Zeilen auf »Flight Briefing«, einem Track seiner mehr oder weniger aktuellen Großtat »Pilot Talk 2« beweisen: »Got the fresh scoop from inside/Give you insight on the situation/Cuz I done it twice.« Hierbei handelt es sich um keine so dahergesagte Phrasendrescherei, sondern vielmehr um die auf den Punkt gebrachte Selbstwahrnehmung von einem der geheimen Stars der Szene.

Die Frage ist: Liegt der Grund für die aktuelle Präsenz Curren$ys tatsächlich in seinem außergewöhnlichen Durchhaltevermögen oder ist es vielmehr die Folge des natürlichen Verlaufs des HipHop-Genres im vergangenen Jahrzehnt? Der Exzess der späten Neunziger und angehenden Zwotausender mit seinen dazugehörigen Millionen-Dollar-Videos übertünchte den eigentlichen Genre-inhärenten Struggle-Moment und Eskapismus und zelebrierte einen Lifestyle, der zuweilen wichtiger wurde als die Musik der Künstler selbst. Dies öffnete die Türen für Rapper, die weit mehr beweisen müssen, aber dabei viel weniger zu gewinnen haben. Gerade weil sich das bunte Fantasiegebilde aus Beamer, Benz und Bentley schon lange nicht mehr in die graue Realität übersetzen lässt.

Curren$y kennt sich in beiden Parallelwelten bestens aus. Als einstiges Mitglied von Mas­ter Ps 504 Boyz und ehemaliger Wegbegleiter von Lil Waynes Young Money-Camp hat er bei den am härtesten arbeitenden Figuren des Genres zum Millenniumswechsel gelernt. Die Einblicke in zwei der beeindruckendsten Genre-Stammbäume der HipHop-Geschichte kann er jetzt zu seinem Vorteil nutzen. Gerade weil er bei beiden Narrativen auch die Episoden aus der Underdog-Zeit mitbekam. Als ein eben solcher Underdog steigt er jetzt zu einem etwas anders gearteten Ruhm auf – mit einer ganz eigenen Form des im HipHop so wichtigen Storytellings.

Diesen Ansatz lebt der Hot Spitta mit einer Methode aus, die einer Malen-nach-Zahlen-Vorgehensweise gleicht. Er weist bestimmte Projekte jeweils bestimmten Produzenten zu und ordnet jedem daraus entstehenden Album oder Mixtape eine bestimmte Stimmung zu. »Ich bin jeden Tag im Studio und sobald ich mit einem Track fertig bin, kommt er in einen spezifischen Ordner. Mit Ski Beatz arbeite ich an der ‘Pilot Talk’-Reihe und alle Beats von Alchemist verwende ich für ‘Covert Coup’, das als Serie geplant ist. So fällt es mir sehr leicht, über die vielen Tracks einen Überblick zu behalten.« Das im Oktober über diverse Online-Kanäle verbreitete »Jet Files«-Tape präsentiert Curren$y außerdem als musikalisch extrem aufgeschlossenen Hörer. Seine zurückgelehnte Stimme wird sowohl Teil abgefahrener Dubstep-Trips als auch käsiger Achtziger-Synth-Arrangements. Der jeweilige Vibe auf den verschiedenen Projekten repräsentiert verschiedene Stufen seiner Entwicklung. Jede Stimmung, also jedes Projekt, steht exemplarisch für eine Facette seiner Persona und seines Lebens. Seine Beat-Auswahl unterstreicht Curren$ys Vielseitigkeit, ohne dabei aber auch nur ansatzweise die zentrale Markenidentität aus dem Auge zu verlieren. Diese Fähigkeit verhalf dem Rapper zu einer beeindruckenden Diskografie, die man lediglich den allgemein akzeptierten Genregrößen zutrauen würde. Die Formel, durch (musikalische) Abwechslung die Eigenmarke zu stärken, geht für Curren$y auf.

Das dazu nötige Ohr und Verständnis für Beats verdankt er seinem breiten musikalischen Geschmack sowie einer Musikalität, die ihm zwar nicht in die Wiege, aber dennoch auf den kindlichen Plattenteller gelegt wurde. Curren$y wuchs als Shante Scott Franklin in New Orleans zwischen den R&B-Platten seiner Eltern – einem leitenden Fabrikarbeiter und einer Bankangestellten – auf. »Meine Familie hat früher ständig Musik gehört: Smokey Robinson, Peabo Bryson, Jeffrey Osborne, Marvin Gaye. Diese Musik hat mich natürlich auch begleitet, besonders weil ich früher sehr viel Zeit mit meinem Vater verbracht habe. Der stand auch auf Reggae, Steel Pulse und so einen Shit.«

Genau aus diesem angesprochenen »Shit« speist sich die kalkulierte Coolness, für die Curren$y bekannt ist. Swag im wahrsten Wortsinne – eine Mischung aus freudig überzeugter »Yacht Rock«-Attitüde und Straßenkante, als ob Steely Dan den Dougie tanzt. Curren$ys Auftritte auf Alchemists Seventies-Pop-Beatvorlagen für »Smoke Break« oder »Double 07« ihrer aktuellen Free Download-EP »Covert Coup« zeigen dies perfekt, sind aber nur ein Teil der Referenzen, aus denen Curren$y auch lyrisch schöpft. In seinen Raps verwurstet er inhaltlich alles zwischen Siebzigern und Jetztzeit: Gangsterfilme, Hippie-Kräuterkunde, die klassischen Zeichentrickserien unserer Kindheit, die Kindergeschichten seiner frühen Jahre und die »Bill Cosby Show«, getoppt mit einer Begeisterung für den Automobilsektor, die auch am VWörthersee gut ankommen würde. Aus dieser Mischung werden Geschichten, die jeden Hörer einlullen können. Curren$ys Stärke liegt in seiner Art der Übersetzung der eigenen Southcoast-Herkunft und der Sozialisierung durch die Größen der Ost- und Westküste: »Ich bin mit Slick Rick und Snoop Dogg aufgewachsen, eine Zeit lang gab es nichts Wichtigeres als Death Row. Genauso wichtig waren aber auch N.W.A., DJ Quik, Das EFX, Camp Lo und A Tribe Called Quest.« Curren$ys wildes Einfluss-Potpourri tropft zähflüssig aus jeder einzelnen Zeile seines ellenlangen Katalogs. Und wenn wir ehrlich sind, klingt doch nichts cooler als eine zusammengebraute Essenz aus Camp Lo und DJ Quik mit dem Etikett »Jet Life«.

Auch wenn es in Curren$ys Raps scheinbar um nicht viel mehr als unverhohlenen Materialismus und verkiffte Nebelschwadenbilder geht, bringt dieser Junge einen Vibe auf den Punkt, wie es nur wenigen anderen seiner Zunft gelingt. Und er steht dabei stets über den Dingen. Seine freche Gelassenheit lässt dem Hörer keinen Zweifel, wer zuletzt und dabei natürlich am besten lacht. Curren$y hat sein Rampenlicht verdient, weil er – getreu seines eingangs erwähnten Mantras – weiß, wovon er spricht und das alles schon zweimal durchgemacht hat.

 


Curren$y ist ein Spätstarter, hat aber im Alter von 30 Jahren mit den gerade volljährigen Jungspunden der neuen Generation Tumblr einiges gemein. Er versteht den Internet-Hustle, obwohl er die klassische Situation der Labelsuche als Nachwuchsrapper noch mitgemacht hat. Damals, als ihm die Karriereoption Musik während seiner ersten Semester am College erstmals bewusst wurde. »Nach meinem ersten Jahr an der Uni konnte ich nicht anders, ich musste alles hinschmeißen und es mit der Musik versuchen.« Sein Glück: Er konnte den Fußstapfen seines großen Bruders folgen, der als Mr. Marcelo in den Wards von New Orleans bereits einige Erfolge feierte. Mit Hilfe von Marcelo landete Curren$y einen Deal bei Tuff City Entertainment. »Leider wurde ein wichtiges Mitglied bei Tuff City umgebracht, was schließlich auch die ganze Firma zerbrechen ließ. Irgendwann stand C-Murder bei mir vor der Tür und wollte mich auf seinem Label TRU Records signen. Das ließ ich mir natürlich nicht zweimal sagen.« Nur wenige Monate später wanderte C-Murder wegen Mordes in den Bau. Curren$y kam zwar ­direkt bei C-Murders Bruder Master P in seiner Supercrew 504 Boyz unter, fiel jedoch hier zwischen der Vielzahl von Rappern durchs Netz.

»Deswegen habe ich also No Limit verlassen, um mich fortan alleine durchzuschlagen. Irgendwann habe ich Lil Wayne zufällig bei einem Basketballspiel getroffen. Von da an ging alles ganz schnell: Wir sind ins Gespräch gekommen, haben uns über Platten unterhalten, sind gemeinsam nach Miami gefahren, haben dort im Studio in einer Nacht sechs Tracks aufgenommen und uns erst mal überhaupt keine Gedanken gemacht, was daraus wird.« Schnell wurde klar, dass nicht viel mehr daraus werden würde als ein kurzes Schäkern mit dem bald größten Camp des Genres. Auch bei Cash Money war kein Platz für ihn. Trotz der enttäuschenden Episoden mit zwei der größten Powerhäuser des Südens konnte Curren$y aus dieser Zeit seine Lehren für den darauf folgenden Indie-Weg ziehen: Harte Arbeit zahlt sich schlussendlich aus. Und, wie Lil Wayne in der »The Carter«-Dokumentation immer wieder erwähnt: Übung macht den Meister.

Diese Erkenntnisse legten den Grundstein für Curren$ys weiteren Werdegang. 2007 begann der stetige Mixtape-Fluss, der seinen Namen und sein typisches Südstaaten-Nölen, den sogenannten »Drawl«, im Gespräch hielt. 2008 waren es allein sieben Mixtapes. Eines davon geriet 2009 in die Finger des ehemaligen Roc-A-Fella-Kopfes Dame Dash, der mittlerweile – ausgebootet von Ex-Kumpel Jigga – lieber auf coolen Lower East Side-Kunstsammler als Cristal schwingenden Playa machte. In Dashs Creative Control-Bagage und der dazugehörigen DD172-Galerie fand der Spitta sein neues Zuhause, veröffentlichte über deren Kanäle seine beiden »Pilot Talk«-Alben und mümmelte dort im Kunstkeller mit New York-Hipstern und deren Helden wie Mos Def, Dirty Projectors, Jay Electronica und The Black Keys.Und so nahm einmal mehr die Karriere an Fahrt auf. Seit der Veröffentlichung von »Pilot Talk 2« im Oktober 2010 schoss Curren$y das Mixtape »Return To The Winner’s Circle« und seine Alchemist-Kollaboration »Covert Coup« ins Netz, kündigte drei weitere volle Alben noch in diesem Jahr an und fabulierte über eine weitere Zusammenarbeit mit der Cool Kids-Hälfte Chuck Inglish mit dem kolportierten Titel »Puff Daddy«. Ein Berg an Infos, hinter dem fast die Vertragsunterzeichnung bei Warner Brothers mitsamt eigenem Label liegen geblieben schien.

Sein manischer Hunger gibt Curren$y die Energie für seine derzeitige Omnipräsenz. Natürlich speist sich die Motivation aus monetären Aussichten, ganz so wie es ihm seine Vorgänger in der Vergangenheit bis ins Absurdeste vorgemacht haben. Trotzdem scheint der Hauptantrieb einem simplen, aber gesunden Wettbewerbsgedanken geschuldet zu sein. In einer Zeit, in der Musik nicht mehr nur überall gehört, sondern auch breitenwirksam visualisiert und gezeigt werden kann, kommuniziert er seine Markenidentität auf einer weiteren Ebene. Dabei bleibt er jedoch eng im HipHop-Kontext verbandelt und vollführt die logische Erweiterung eines Modells, das sich früher so genannte Mixtape-Rapper zu eigen machten. Die in engsten Abständen veröffentlichte Musik wird mit professionell produzierten, dennoch scheinbar hingerotzten Videos bebildert und über digitale Kanäle global gestreut. Mit dem Video-Team Coodie & Chike hat er dafür seine kongenialen Partner gefunden. Das Duo, das im letzten Jahr für seine Creative Control-Bebilderung allerorten gefeiert wurde, hat bereits vor Jahren die frühen Videos von Kanye West und kürzlich das klaustrophob-düstere Schwarzweiß-Meisterwerk für Gil Scott-Herons »Me And The Devil« geschossen. Mit Hilfe von Coodie & Chike bebildert Curren$y seine Raps mit einer ähnlich strengen Qualitätskontrolle, wie er sie auch an seine Musik legt. Für das kommende Album »Muscle Car Chronicles« entsteht gerade aus der Feder der drei ein dazugehöriger Kurzfilm. Auf diese Weise geben qualitativ hochwertig umgesetzte Clips dem »Movement« ein noch breiter angelegtes Momentum.

Diesen Mindstate machen sich auch andere Rapper zu eigen. Curren$ys enger Freund und Vertrauter Wiz Khalifa, mit dem sich der Spitta ein ums andere vergleichen lassen muss, profitiert vom gleichen System. In der Online-Welt, die sich scheinbar selbst zum einzigen Schauplatz für Musik pervertiert und diverse Freshmen so schnell zu Coverhelden macht wie sie sie wieder in der Versenkung verschwinden lässt, avanciert dieser neue alte Mixtape-Weg zu einem der wichtigsten Werkzeuge für das HipHop-Handwerk.

Das allerwichtigste Werkzeug bleibt hierbei jedoch, Word to Weezy: Dedication! Das Engagement, den selbstgewählten Independent-Weg nicht nur mit einer Essenz des, Obacht Ekelwort, »realen HipHop« zu versetzen, sondern auch irgendwie wirtschaftlich funktionieren zu lassen. Wie auch immer dieser Curren$y für sich »real« definiert und verpackt, gelingt es ihm, das eine, alle Rapper verbindende Element in eine für ihn hervorragend funktionierende Art und Weise zu kanalisieren – den Hustle. Daneben profitiert er noch von seinem sich immer weiter professionalisierenden Talent, jedem Beat – egal ob von DJ Drama oder Gold Panda – seinen eigenen Stempel aufzudrücken.

Nach unserem Gespräch packt Curren$y seine Siebensachen zusammen und macht sich auf den Weg in Richtung Flughafen. Bereit für einen Trip zu einem seiner anderen Orte, die er Zuhause nennt. Er will sich einen Monat lang in New Orleans ein wenig Ruhe gönnen, bevor es wieder hoch her geht. Denn bald beginnt seine Jet Life-Tour.

 

 

 

Text: Eavvon O’Neal
Übersetzung: Alex Engelen

 

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