Die Freundschaft, der Streit, der Knast und schließlich die Versöhnung: Die Beziehung zwischen Royce Da 5’9“ und Eminem hat alles, was ein echtes Hollywood-Drama ausmacht. Vor 13 Jahren erschien ihre erste gemeinsame Single »Nuttin’ To Do«. Unter dem Namen Bad Meets Evil machten die beiden Detroiter gemeinsam Musik, bis so einiges dazwischenkam: Eifersucht, Missverständnisse, Hinter-dem-Rücken-Gerede – die ganze Palette menschlicher Schwächen und juveniler Dickköpfigkeit eben. Doch seit drei Jahren sind die beiden wieder vereint und haben nun auch musikalisch wieder gemeinsame Sache gemacht. »Hell: The Sequel« ist Mitte Juni erschienen und setzt einen vorläufigen Schlusspunkt unter die wechselvolle gemeinsame Geschichte zweier großartiger MCs.
Doch von vorne. 1997 lernten sich Royce und Eminem bei einem Auftritt kennen, Royces damaliger Manager hatte die beiden einander vorgestellt. Es gab allerdings schon vorher eine Verbindung: Beide waren mit dem später unter tragischen Umständen getöteten Proof befreundet. Ryan Montgomery, wie Royces bürgerlicher Name lautet, hatte erst zwei Jahre zuvor mit dem Rappen begonnen, seine Vorbilder waren Ras Kass und Redman – Einflüsse, die man auf der 1998 veröffentlichten und heute legendären Single »Nuttin’ To Do/Scary Movies« noch recht deutlich heraushören konnte. Das Teil bot düstere Raps mit Untergrundlegende Stretch Armstrong an den Cuts und erschien auf Game Recordings, also dem Label, das es damals schaffte, Untergrund-Attitüde à la Rawkus und den damals aktuellen Mainstream-Style geschickt miteinander zu verbinden: kompromisslose Street-Banger, aber halbnackte Weiber auf dem Cover. Marshall Mathers, der Junge aus dem Trailerpark, steckte zu jener Zeit noch in der absoluten Frühphase seiner späteren Weltkarriere, u.a. trat er auf dem zweiten »Soundbombing«-Sampler von Rawkus (mit einem Intro von den Beat Junkies) und als Feature der ominösen Crew Old World Disorder in Erscheinung, im Kreise so illustrer Künstler wie Sadat X, Mos Def, 7L & Esoteric oder The High & Mighty. Mit seinem Major-Debüt »The Slim Shady LP« ließ er 1999 diese Welt jedoch ebenso rasch wie endgültig hinter sich.
Auch Royce eröffneten sich durch den rasanten Aufstiegs seines Kumpels zum Rap-, ja Popstar neue, erstaunliche Möglichkeiten. Ems Mentor Dr. Dre erkannte das lyrische Talent des jungen Spitters, der im Unterschied zu Eminem in seinen Texten keine allzu schreckliche Kindheit zu bewältigen hatte und daher ganz auf Style und eine erfrischende Dreistigkeit (die man heute Swag schimpfen würde) setzte. Dre ließ ihn für sein »2001«-Album mehrere Texte schreiben, unter anderem »The Message« und eine frühere Version von »Xplosive«. Dummerweise plauderte Royces Manager ein wenig zu offenherzig über das Engagement seines Schützlings als Ghostwriter, worüber Dre wiederum nicht sehr amüsiert war. Dres Aufforderung, diesen Typen sofort zu feuern, lehnte Royce in einem Anflug jugendlicher Dickköpfigkeit jedoch rundweg ab. Ein Ungehorsam, den eine Autorität wie Dre nicht hinnehmen wollte. So endete die gerade erst entstandene Freundschaft – da wäre für den jungen Detroiter womöglich mehr drin gewesen.
Immerhin blieb Royces Beziehung zu Eminem durch die leidige Angelegenheit unberührt. Sie nahmen weiter gemeinsam Musik auf, darunter übrigens auch einen Song namens »Renegade«, der ausschließlich auf Mixtapes zu hören war. Etwas später allerdings fand er sich auf Jay-Zs Album »The Blueprint« unter demselben Namen wieder, einziger Unterschied: Statt Royce rappte nun Hova an der Seite Eminems. Zu dumm aber auch.
Bereits ein Jahr zuvor konnte Royce seinen ersten Erfolg als Solokünstler verbuchen. Die Single »Boom« löste 2000 einen Riesenhype aus. Zu einem Brett des sich auf dem Höhepunkt seines Schaffens befindenden DJ Premier spuckte Royce Feuerzeilen wie »Niggaz say I found god with the flow/bring the police to the studio and bring the bomb squad to the show«. Seine atemlos gerappten Reimkaskaden standen denen seines berühmteren Freundes Eminem praktisch in nichts nach – lediglich die extrem zugespitzten Inhalte und der gewisse Schuss gepflegten Wahnsinns fehlten ihm, was er aber mit einer für damalige Verhältnisse extrem ausgeprägten Ignoranz wieder wettmachte. »The Source«, damals noch nicht die Farce, zu der Benzino das Magazin später machen sollte, feierte ihn dennoch als »most complete MC«, selbst Vergleiche mit Nas vor dessen Debüt »Illmatic« schienen nicht zu hoch gegriffen. Kurzum: Die Weltübernahme war nur noch eine Frage von Wochen.
Doch stattdessen passierte: gar nichts. Royces fertiges Studioalbum »Rock City« – produziert u.a. von The Neptunes, Red Spyda, DJ Premier und den Trackmasters – wurde erst von Tommy Boy an Columbia verschachert, dort dreimal verschoben, schließlich geleakt. Zu schlechter Letzt erschien es 2002 dann unter dem Namen »Rock City (Version 2.0)« bei Koch Records und verkaufte nur enttäuschende 90.000 Stück. Weltübernahme krachend gescheitert. Doch damit nicht genug: Nach einem unnötigen Streit mit Ems Gruppe D12 erfolgte der persönliche Bruch mit Eminem, der mittlerweile von Erfolg zu Erfolg eilte, während Royces Karriere bestenfalls stagnierte. Der Auslöser für den Beef soll gewesen sein, dass ein namentlich nicht genanntes Member von D12 auf der »Anger Management«-Tour 2001 den Eindruck hatte, einige Zeilen, die Royce für D12 und Eminem geschrieben hatte, enthielten unterschwellige Disses gegen Em – was Royce später stets entschieden bestritten hat. Em allerdings glaubte seinem D12-Kumpel, ohne darüber mit Royce zu sprechen. Vermutlich lag nicht mehr als ein unglückliches Missverständnis vor. Ihren traurigen Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen, als Royce und Proof die Fäuste statt Worten sprechen ließen, was in Polizeigewahrsam und Anklagen wegen illegalen Waffenbesitzes für beide endete.
In der Folge wurde es still um Royce. Aus dem einstigen Shooting-Star war plötzlich eine traurige Gestalt geworden. Seine drei Indie-Alben, die zwischen 2003 und 2005 erschienen, wurden von der Käuferschaft links liegen gelassen, obwohl er nach wie vor mit namhaften Produzenten wie den Neptunes, Just Blaze, Alchemist oder Kanye West zusammenarbeitete. Mit Letzterem allerdings lieferte er sich einen ebenfalls überflüssigen Rechtsstreit wegen eines angeblich nicht bezahlten Beats – egal, was er zu der Zeit anfasste, in seinen Händen wurde es zu Scheiße. Unterdessen lief es bei seinem Ex-Kumpel Eminem genau umgekehrt: Wenn der blasse Junge mit den irren Augen seine Ex-Frau öffentlich mit dem Tode bedrohte, andere Rapper scheinbar grundlos beleidigte oder sich zornig der Staatsmacht widersetzte, schaute die ganze Welt interessiert zu. Davon, dass seine Alben sich wie blöd verkauften, ganz zu schweigen.
2006 kreuzten sich die Wege der beiden früheren Freunde schließlich wieder, wenn auch unter tragischen Umständen: Ihr gemeinsamer Freund Proof, der immer wieder versucht hatte, zwischen ihnen zu vermitteln, wurde ermordet. Unter dem Eindruck dieses sinnlosen Todes (Auslöser war ein Streit beim Billardspielen) erfolgten Annäherung und Aussöhnung. Eminem zeigte sich später in einem Radio-Interview erleichtert darüber: »Es ist sehr cool, dass wir das endlich klären konnten. Nachdem wir Proof verloren hatten, ist uns klar geworden, wie dumm dieser Beef-Scheiß ist. Wie kurz das Leben doch ist. Es fühlt sich gut an, mit meinem Homie wieder in Kontakt zu sein. Wenn ich mit Royce reime, muss ich mich verdammt anstrengen, denn er ist einer der besten Lyricists, Punkt.«
Zunächst jedoch stand nicht die Musik, sondern die wiedergewonnene Freundschaft der beiden im Mittelpunkt, wie Royce im JUICE-Interview betont. »Em und ich haben am Anfang überhaupt gar nicht über Musik geredet. Darum haben wir uns zuerst gar nicht gekümmert. Die Freundschaft war uns beiden viel wichtiger. Ich habe auch überhaupt nicht daran gedacht, mit Em nochmal Musik zu machen, bis wir dann tatsächlich plötzlich wieder im Studio gelandet sind. Erst, als wir wieder so richtig cool miteinander waren, habe ich mich sicher genug gefühlt, das Thema Musik anzusprechen.«
Bevor er und Em aber schließlich doch wieder zusammen im Bett, nein, natürlich in der Gesangskabine landeten, versuchte Royce noch mal, seine Solokarriere in Schwung zu bringen. Zunächst sah es gar nicht mal so schlecht aus, er schrieb einige Texte für Diddys Patchwork-Album »Press Play« und war als neues Bad Boy-Signing im Gespräch. Dummerweise machte er sich dann wieder selbst alles zunichte, als er mit einer Trunkenheitsfahrt gegen seine Bewährungsauflagen verstieß und für ein knappes Jahr ins Gefängnis wanderte. Doch aufhalten konnte ihn dieser erneute Rückschlag nicht. Direkt nach Verbüßen seiner Haftstrafe startete er 2007 seine »Bar Exam«-Mixtape-Reihe mit DJ Premier und Statik Selektah, auf die er aus heutiger Sicht mit einem milden Lächeln zurückblickt: »Da war ich einfach betrunken und hatte Spaß. Außerdem habe ich den Leuten gezeigt, dass ich auch Humor habe, dass ich überhaupt andere Seiten habe, nicht immer nur wütend bin. Darum ging es, um mehr aber auch nicht.« Zumindest konnte er mit den »Bar Exams« wieder etwas verlorenen Boden bei den Fans gutmachen, genau wie mit seinem neuen Projekt Slaughterhouse mit Joe Budden, Crooked I und Joell Ortiz.
Anfang 2011, Eminem hatte gerade Slaughterhouse bei seinem Label Shady Records gesignt, fanden die ersten neuen Bad Meets Evil-Songs ihren Weg ins weltweite Netz. »Living Proof« und »Echo« ließen aufhorchen und weckten berechtigte Hoffnungen auf eine musikalische Wiedervereinigung der beiden Detroiter Rapper. Ein Interscope-Statement zitierte Eminem im vergangenen April mit den folgenden Worten: »Royce und ich hängen wieder miteinander rum, was unausweichlich dazu geführt hat, dass wir wieder im Studio gelandet sind. Zuerst haben wir einfach nur geguckt, wohin das führt, ohne dabei ein festes Ziel im Kopf zu haben. Aber es sind wie von selbst krasse Songs entstanden, also: Hier sind wir.«
Royce bestätigt, dass bei den Aufnahmen zu »Hell: The Sequel« alles spontan, nichts geplant war. »Wir hatten überhaupt keinen Plan. Wir hatten nie die Idee, ein neues Projekt zusammen zu machen. Das hat sich einfach dadurch ergeben, dass wir ohne Ziel irgendwelche Songs aufgenommen haben. Wir haben sie einfach mal so aus Spaß aufgenommen. Einfach nur so: Du hast ein bisschen Freizeit, ich habe ein bisschen Freizeit – lass uns diesen Song aufnehmen und mal kucken, was dabei herauskommt. Am Ende hatten wir plötzlich sechs oder sieben Songs. Wow! Jetzt haben wir diese Songs, was machen wir damit?« Royce lacht zufrieden. Woher die wiedergewonnene Schaffenskraft stammt, daran lässt er aber keinen Zweifel. »Es tut einfach gut, mich wieder mit Em auszutauschen«, erklärt er am Telefon. »Ich habe die letzten Jahre einfach nur gereimt, weil ich gerne reime. Ich hatte keine richtige Antriebsfeder. Aber seit ich wieder mit Marshall chille, bin ich völlig neu inspiriert. Es war eine Wiedergeburt für mich, ich bin ein ganz neuer MC. Ich weiß ganz genau: Jedes Mal, wenn ich mit ihm zusammen in die Booth gehe, muss ich viel weiter gehen und mich viel härter anstrengen. Das ist meine Inspiration.« Eminem jedoch zu übertrumpfen – diesen Gedanken weist Royce beinahe entrüstet von sich. »Für mich ist Em der Beste aller Zeiten. Es gibt einfach keine Competition, Punkt«, gibt er sich bescheiden mit dem zweiten Platz zufrieden.
Zum Zeitpunkt des Interviews war »Hell: The Sequel« noch nicht erschienen, deshalb war auch noch nicht klar, ob der Neustart von Bad Meets Evil auf eine angemessene Resonanz treffen würde. Royce zeigte sich aber vorsichtig optimistisch: »Ich bin gespannt auf die Reaktionen. Das lyrische Level, das auf dem Album zu hören ist, begeistert mich selbst. Als HipHop-Fan bin ich euphorisch, wenn ich es höre. Ich frage mich nur, ob das allen anderen auch so gehen wird.« Nun ist »Hell: The Sequel« mittlerweile lange draußen, auf Platz eins der amerikanischen Billboard-Charts eingestiegen und hat Royce endlich auch, neben all den schönen Props, die aber leider keine Miete und keine Baby Mama bezahlen, den ersehnten monetären Erfolg eingebracht. Natürlich ist vom konspirativen Geist vergangener Tage so gut wie nichts übrig geblieben. Statt irgendwelchen obskuren No-Names sorgen dieses Mal Bangladesh oder DJ Khalil für den Breitwand-Sound, auf der arg seichten Pop-Single »Lighters« singt Mainstream-Barde Bruno Mars die Hook. Auch inhaltlich bleibt das ganze sehr vage und beliebig. Kurz: »Das ist natürlich kein Untergrund-Sound mehr«, wie Royce es ohne Umschweife ausdrückt. Immerhin: Die Skills der beiden Protagonisten sind nach wie vor über jeden Zweifel erhaben. So bieten Tracks wie »Welcome To Hell«, die erste Single »Fast Lane« oder »Loud Noises« herrliche Doubletime-Hochgeschwindigkeits-Abfahrten, die ausgefeilten Reimpatterns von Royce und Em greifen immer wieder perfekt ineinander.
Natürlich hegt Royce die berechtigte Hoffnung, dass »Hell: The Sequel« genau der Turbo sein wird, der seine erlahmte, langsam wieder Fahrt aufnehmende Karriere endgültig dahin zurückbringt, wo sie eigentlich auch hingehört: auf die verdammte Überholspur. Ende Juli soll bereits sein nächstes Soloalbum »Success Is Certain« erscheinen, danach hat er alle bestehenden vertraglichen Pflichten erfüllt und kann sich mit neugewonnener Souveränität als Free Agent verdingen. »Dann werde ich mal schauen, wohin ich gehen will. Ich habe das Gefühl, dass dieses Projekt viele Dinge für mich geändert hat«, fügt er lapidar hinzu. Man muss allerdings kein allzu begabter Prophet sein, um mit einigem Recht anzunehmen, dass dieser Weg letztlich zu Shady Records führen wird. Womit sich der Kreis aus verpassten Chancen und irrsinnigem Talent endlich mit einem Happy End schließen würde.
Royce aber besteht darauf, dass sein ganz persönliches Happy End durch seine Versöhnung mit Eminem bereits erreicht wurde. In warmen, beinahe demütigen Worten beteuert er, wie wichtig ihm diese Wiederannäherung menschlich gewesen sei. »Ems Freundschaft und sein Vertrauen zurückgewonnen zu haben – das bedeutet mir mehr als alles andere. Unser Projekt, unsere gemeinsame EP, ist für mich zweitrangig, wenn es um unsere Freundschaft geht. Mann, die bedeutet mir mehr als alles andere auf der Welt.« Und Heinz Rühmann hätte es nicht treffender formulieren können.
Text: Oliver Marquart