Dexter: »Die meisten peilen nicht, dass HipHop sich weiterentwickelt« // Interview

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Dexter treibt seine Rapkarriere voran und veröffentlicht am 27. November sein neues Album »Yung Boomer«. Als rappenden Arzt kann man den Stuttgarter mittlerweile nicht mehr bezeichnen, denn seinen regulären Job hat Dexi vorerst an den Nagel gehängt. Sein beruflicher Fokus liegt jetzt in Vollzeit auf Instrumental-Produktionen, Mix- und Mastering-Jobs und dem eigenen Rapalbum. Wie sich diese Veränderung in finanzieller Hinsicht auf sein Leben auswirkt und warum er jetzt alles selbst in die Hand nimmt und auf Label sowie Management verzichtet, haben wir mit Dexter in unserem Talk über Geld »C.R.E.A.M« besprochen. Das Interview könnt ihr mit unserem Digital-Abo lesen, mit dem ihr auch Zugriff auf das JUICE-Archiv mit alten Printausgaben bekommt. Alle Infos dazu findet ihr hier. Im zweiten Teil des Gesprächs geht es um die Chancen, die ein Leben als Vollzeitmusiker mit sich bringt, Dexters Respekt vor jungen und alten Vertretern der Szene und die positive Einstellung, die sich trotz negativer Erlebnisse auf seinem Album widerfindet.

Es ist 10 Uhr morgens, erster Interviewtermin. Bist du normalerweise Frühaufsteher?
Normalerweise nicht, aber ich habe mir das angewöhnen müssen. Ich habe das Glück, dass meine Kinder nicht so krasse Frühaufsteher sind wie bei anderen, aber spätestens kurz nach 7 Uhr muss schon sein. Aber das ist ganz cool, weil ich danach meist direkt ins Studio gehen kann und den Tag gut nutze. Ich habe es einfach gelernt, mein Zeug tagsüber zu machen. Ein bisschen wie ein 9 to 5 Job.

Strukturierst du dir den Tag auch vor, damit du weißt, was genau du schaffen willst?
Nicht so, dass ich mir das aufschreibe. Manchmal gucke ich abends, was anliegt, damit ich den nächsten Tag gut im Griff habe. Aber ich strukturiere ihn nicht richtig durch. Weil ich viele Sachen annehme, zum Beispiel Mixing und Mastering, gerade in der Corona-Zeit, wo keine Auftritte stattfinden, habe ich viel von diesem Zeug gemacht. Da ist es meist so, dass der1 akuteste Fall, der gerade am meisten stresst, gewinnt.

Die werden dann zuerst behandelt?
Ich bekomme immer schon SMS und Anrufe, die Leute sind da ungeduldig und ich weiß dann, was am dringendsten ist. Derjenige, der mich am meisten nervt, kriegt es als erster.

Wann hast du eigentlich genau beschlossen, nur noch Musik zu machen? Und konntest du danach direkt kreativ werden oder hattest du erstmal viel freie Zeit, in der du nichts Produktives gemacht hast?
Ne, Rumsitzen ist ein Fremdwort für mich. Ich kann nicht rumsitzen. Ich denke immer an Musik, man könnte ja noch dieses Plugin probieren oder dieses Tutorial anschauen. Sobald ich irgendwo sitze, ist es selten, dass ich chillen kann. Der Wechsel kam nicht von einem Tag auf den anderen, ich hatte eine Übergangszeit, bevor ich komplett gekündigt habe. Ich war dann in Elternzeit und konnte so schonmal checken, wie der andere Alltag aussieht, ohne den festen Job. Dann habe ich meine Stelle zuerst auf 60-70 Prozent reduziert, was heißt, dass man drei Wochen bei der Arbeit war und danach zwei Wochen frei hatte. Das ist bei uns wegen des Schichtbetriebs so, da kann man nicht mal eben einen halben Tag frei nehmen. Da habe ich mich schon rangetastet, das war auch wichtig, weil ich nicht der Typ bin, der etwas einfach so hinschmeißt. Es war ein Prozess von insgesamt zwei Jahren, bis ich mir gesagt habe, dass ich es probieren und die Familie weiterhin mit ernähren kann. Ich bin ja nicht der einzige Ernährer, meine Frau ist auch berufstätig. Wir können das zusammen schaffen und das Risiko, dass wir es richtig in den Sand setzen, ist quasi gleich Null. Ich könnte ja locker wieder in den Job einsteigen. Ich bin dann schleichend in den neuen Alltag hineingewachsen. Es war nicht so, dass ich dachte »Geil, es ist Montag, ich muss nicht zur Arbeit. Was mache ich jetzt?« Ich war sieben Jahre in der Klinik und der Schichtbetrieb ist eh so krass familienunfreundlich. Es war sowieso keine Zukunftsoption, ewig in der Klink zu bleiben. Ich hätte mir dann überlegt, in eine Praxis zu gehen und mich dort anstellen zu lassen. Daher war das ein guter Cut. Bevor ich das mit der Praxis mache, probiere ich es einfach aus. Kann sein, dass ich in zwei Jahren wieder als Arzt anfange, kann aber auch sein, dass ich gar nicht mehr damit anfange. Es kommt darauf an, wie es sich entwickelt, ich lasse das auf mich zukommen.

Klar. Wenn man diese Sicherheit hat, warum sollte man es dann nicht probieren?
Ich glaube, ich würde mich bis an mein Lebensende in den Arsch beißen, wenn ich es nicht machen würde. Und es war davor auch total schwierig. Man kann nicht einfach so eine Tour spielen, ich musste mir immer Urlaub dafür nehmen. Das geht dann wieder von der Familienzeit weg. Unterm Strich ist das nicht cool. Wenn ich jetzt Terminanfragen bekomme, auch wenn wegen Corona aktuell keine kommen, muss ich mir keine Gedanken darüber machen, ob da Schicht ist oder etwas anderes ansteht. Das ist schon gut.

Deine Musik entsteht hauptsächlich im Homestudio, oder?
Genau, da befinde ich mich gerade. Das ist jetzt unter unserer Wohnung.

Ich habe mich schon gefragt, ob das direkt in die Wohnung integriert ist, oder ob du dafür einen zusätzlichen Raum hast.
Ich hatte es lange in unserer Wohnung und ein eigenes Zimmer dafür. Vor zwei Jahren bin ich ein paar Straßen weiter in ein anderes Studio, da waren allerdings auch viele andere Leute, es war ein geteilter Raum und man konnte nicht immer dann rein, wann man wollte. Unter unserer Wohnung  ist dann eine Werbeagentur rausgegangen und wir haben es zu acht oder neunt gemietet, zusammen mit Freunden, die auch selbstständig arbeiten. Es ist eine Art Co-Working Space und ich habe hinten zum Hof raus mein 12qm-Zimmer, das reicht. Ich kann hier in Jogginghose oder einfach ohne Hose runtergehen, das ist ganz geil. Das ist praktisch und besser, denn man trennt die Bereiche und geht trotzdem irgendwie zur Arbeit.

Hattest du nach dem ersten Album eigentlich direkt vor ein zweites zu machen oder hat sich das erst ergeben, nachdem es relativ erfolgreich war?
Da ist jetzt die Frage, welches du mit dem ersten Album meinst? Das »Palmen und Freunde«-Album oder »Haare nice, Socken fly«?

Für mich ist es schon »Haare nice, Socken fly«. Das andere zähle ich irgendwie noch eher zur Produzenten-Ära.
Ich bin mir da selber gar nicht so sicher. Aber eigentlich ist es für mich schon »Palmen und Freunde«, weil ich da auf fast jedem Song rappe. Aber ich habe das ja schon immer gemacht. Ganz am Anfang war ich DJ, Produzent und Rapper in Personalunion, bei Jugendhaus-Auftritten in den 200ern. Ich war da schon immer drin und in meinem tiefsten Inneren wäre ich schon immer gerne Rapper gewesen. Aber ich habe entdeckt, dass das Produzieren mir noch mehr Spaß macht. Diese ganzen Sample-Welten, in denen ich so krass eintauchen kann, das war einfach mein Ding. Deswegen habe ich da mehr Energie reingesteckt. Ich dachte auch, dass ich kein besonders guter Schreiber bin. Ich konnte schon gut rappen, aber dachte zu dem Zeitpunkt, dass ich nicht gut genug schreiben kann, keine coolen Vergleiche usw. habe. Dann kam ich in dieses Producer-Ding und das hatte eher unerwartet Erfolg. Völlig aus dem Nichts heraus haben sich die Leute plötzlich für Beats interessiert und ich habe mich voll darauf eingeschossen.

Trotzdem bist du wieder zurück zum Rappen. Weil du dann doch einen passenden Stil für dich gefunden hast?
Bei J Dilla habe ich gemerkt, dass er auch einfach auf seine Sachen rappt. Mit so einer geilen Attitüde und einer coolen Delivery. Und da dachte ich »Ok, rapp einfach auch so über deine Beats«. Ein bisschen abgehoben, sich nicht allzu angreifbar machen, einfach drübergehen, eher wie ein zusätzliches Instrument zum Beat. Wie Madlib, der war auch nie jemand, der zu krassen Anspruch an seine Raps gestellt hat. Das kam mir entgegen und es war nicht so verkrampft wie früher, wenn ich versucht habe, Texte zu schreiben. Das hat sehr gut zum Beatmaking gepasst. Dadurch habe ich wieder mehr Bock bekommen, mal eine Show zu spielen und auch zu rappen. Bis zur letzten Tour habe ich mich als Rapper teilweise krass unwohl auf der Bühne gefühlt. Daran habe ich mich jetzt gewöhnt. Und nach den ganzen Instrumental-Sachen hat es sich so ergeben, dass ich mehr Lust auf ein Rapalbum hatte. Genauso, wie ich jetzt, nachdem das nächste Rapalbum fertig ist, wieder mehr Bock auf Instrumental habe.

Best of Both Worlds.
Ich möchte, dass die Leute das raffen, dass man verschiedene Dinge miteinander kombinieren kann. Dass man 21Savage genauso hören kann wie Sun Ra oder Miles Davis. Man kann genauso gut Migos, aber eben auch Lord Finesse anhören kann. Ich versuche ein bisschen plakativ zu schimpfen, warum man das immer trennen muss. Warum finden die Neuen die Alten scheiße, warum ist der gegenseitige Respekt so klein? Ich habe das Gefühl, dass die neue Generation sogar noch mehr Respekt für die alte hat als umgekehrt. Wenn zum Beispiel Lugatti eine Story macht, in der er »Robby Bubble« komplett mitrappt, dann freue ich mich, dass er etwas mit meinen Sachen anfangen kann. Deswegen kam auch das Feature zustande. Ich habe das total gefeiert, dass Lugatti & 9ine offen sagen, dass sie diese Sachen cool finden. Und aus der alten Generation kommt meistens das Geschimpfe.

Du sagst auf »Yung Boomer« auch direkt, dass du sowohl Lakmann als auch Symba feierst und bringst diese verschiedenen Generationen zusammen.
Ich hatte mal ein Backstage-Situation in Köln, da waren LGoony, Juicy Gay und Retrogott dabei. Die haben alle Gastauftritte gehabt und sich im Backstage alle krass gut miteinander verstanden und verständigt. LGoony ist ja auch kein Typ, der alles mitmacht, der hat seinen eigenen Kopf und socialist auch nicht mit jedem. Und Juicy ist so ein guter Charakter, politisch aktiv usw. Das ist natürlich eine ganz andere Generation, aber es passt einfach. Und ich finde Leute wie Lugatti & 9ine oder BHZ sind jetzt nochmal etwas anderes, aber eben genau die interessanten Charaktere, die etwas vorantreiben.

Suchst du aktiv nach den Leuten, die wieder neue Impulse setzen?
Ich suche immer danach. Wenn ich auf Festivals bin, gehe ich gerne auf die Leute zu oder es ergibt sich etwas aus Gesprächen. Ich bin eher an denen interessiert, die etwas Innovatives vorantreiben. Ich sehe, dass immer wieder gute Sachen kommen. Die meisten peilen nicht, dass HipHop sich weiterentwickelt und meckern dann, dass es den realen HipHop nicht mehr gibt. Aber es gibt alles, es kommt nur immer mehr dazu. Das begünstigt, dass alles mitwachsen kann. Leute wie Cro oder ein Ufo361 sind die Leute im Mainstream, die die Wirtschaftlichkeit des Ganzen hoch halten und das bringt auch einen MC Rene wieder dazu zu sehen, dass Interesse da ist. Die Leute kommen auch zu seinen Shows nach Köln, die dann ausverkauft sind. Ich denke mir dann: »Ihr könnt doch MC Rene anhören, er macht doch weiterhin Musik, vom Style her ungefähr wie früher. Diese Art von HipHop, die ihr hören wollt, ist da.« Es wird alles mitgezogen. Egal ob LoFi-Beats oder BoomBap.

Man merkt dir die positive Einstellung in Bezug auf die Szene an, die sich auch ganz generell durch dein Album zieht. Man merkt, dass du zufrieden und durchaus glücklich mit deinem Leben bist. Es gibt fast durchgängig positive Vibes, bis auf den letzten Song vielleicht, wo du deinen Schlaganfall thematisierst.
Aber selbst der Song hat eine Positivität.

Stimmt, er hat ein positives Ende.
Mir ist bewusst, dass ich ein Privileg habe, es so machen zu können, wie ich es eben mache. Dass mit meinem Elternhaus alles cool war und ich keine psychischen Issues habe. Viele aus meinem Freundeskreis haben mit ganz anderen Sachen zu kämpfen, zum Beispiel mit Depressionen und Panikattacken. Ich merke, dass ich zumindest bis jetzt wenig Probleme in diese Richtung habe. Dadurch wirst du ein positiv gestimmter Mensch. Wenn Leute aus meinem Umfeld, die keine Pop-Ikonen sind, die traurige Tracks schreiben, um sie zu verkaufen, solche Songs machen, kann ich es mittlerweile viel besser nachvollziehen. Ich bin dann froh, dass ich solche Songs nicht schreiben muss. Wenn du dir einen Döll anhörst, der ganz offen über seine Probleme rappt und die real sind, dann habe ich davor krassen Respekt. Es ist auch eine Art von der Seele schreiben, die ich früher unterschätzt habe. Früher habe ich sowas als Depri-Songs abgestempelt, die ich mir nicht geben wollte. Jetzt bin ich froh, dass ich diese Art der Selbsttherapie nicht machen muss. Meine Musik ist für mich eher, und das hört sich jetzt ein bisschen pathetisch an, eine Art Danksagung, wie wenn man in der Kirche ist und Gott dafür dankt, dass es einem gut geht. Ich will damit nicht angeben, die Musik ist dafür da, Danke zu sagen, dass man dieses Privileg hat. Und ich höre auch oft, dass es bei Leuten, die schlecht drauf sind, genauso rüberkommt. Auch wenn es mit dieser Rap-Attitüde manchmal ein wenig überheblich wirkt, kapieren die Leute schon, wie ich das meine. Das gibt ihnen auch etwas und die Musik kann sie auf andere Gedanken bringen. Das hat sich aus diesem »Ich rappe jetzt wieder mehr« ergeben.

Hat es dich dann Überwindung gekostet, so ein ernstes Thema auf »Apoplex« zu verarbeiten?
Es hat mich schon Überwindung gekostet, einen Song über meinen Schlaganfall zu machen. Beziehungsweise weniger, den Song an sich zu machen, sondern eher, ihn auf das Album zu packen. Er ist schon sehr persönlich und es war ein schwierige Zeit. Aus heutiger Sicht ist es aber total gut ausgegangen, ich werde nicht mehr Probleme als andere Menschen haben. Und das ist wieder diese Dankbarkeit, denn man realisiert dann, dass man in diesem Moment gar nicht sterben wird. Ich wollte zeigen, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat und woraus man Positivität schöpfen kann. Auch wenn einige Leute gesagt haben, dass sie schon schlucken mussten, als sie den Track gehört haben. Trotzdem ist er eher positiv und man hätte das Thema viel trauriger aufbereiten können. Alleine durch die Wortwahl bekommt er Positivität. Zum Beispiel, wenn ich dem Taxifahrer nach dem Weg zum Krankenhaus sage, dass er bitte eine Quittung machen soll. Was ich ihn übrigens wirklich gefragt habe. Ich habe echt gedacht, dass das vielleicht meine letzte Fahrt irgendwohin ist. Aber nimm‘ besser mal ne Quittung mit, falls nicht. (Lacht) Total bescheuert, aber genau das ist der Humor, der im Track einfach stattfinden sollte.

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