Chefket: »Ich musste rausfinden, ob ich wirklich so ein Freak bin und alles okay mit mir ist.«

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Technik ist heutzutage ja Standard und Grundvoraussetzung. Auf »Live MCs« karikierst du dieses Doubletime-Syndrom.
Patterns sind mir schon wichtig. Ich mag nur dieses Roboterhafte nicht, wenn man hört, dass das live nicht zu rappen ist. Ich schreibe so, dass ich das direkt auswendig einrappen kann. Man hört ja, wenn Rapper das nicht am Stück aufnehmen. Was bei mir nicht zu ignorieren ist, sind meine Skills. Viele können auf Beats von Farhot und Alan [Ghanaian Stallion; Anm. d. Verf.] nicht rappen, weil sie die Rhythmik nicht ­checken. Mein türkischer Hintergrund und die Musikalität, die ich als Kind mitbekam, helfen mir da extrem.

 
Auf »Rap & Soul« erwähnst du die Blues-Legenden Otis Redding, Eric Burdon und Aaron Neville.
Als ich irgendwann eine Eric-Burdon-Kassette geschenkt bekam, wusste ich gar nicht, was für einen Schatz ich da in der Hand hielt. Dann hörte ich »Who is he?« von Bill Withers und dachte, das kann ich auch. Das war genau meine Stimmlage. (beginnt zu singen) »A man we passed just tried to stare me down. And when I looked at you, you looked at the ground…« Wir haben das dann auch in der Band gespielt und waren im Dorf der Shit, weil es sonst nur Metal-Bands gab. Die Frauen standen drauf, wir waren in jeder Stadtzeitung und dachten, wir wären Stars. Mein Vater war selbst Sänger, und zu Hause hörten wir viel altes Zeug: den türkisch-kurdischen Sänger Ibrahim Tatlises und ­psychedelischen Rock aus der Türkei, wie Barisş Manço. In diese okzidentale Richtung soll auch mein nächstes Projekt gehen.

Vor zehn Jahren bist du dann nach Berlin ­gezogen, um es als Musiker zu schaffen.
Ich habe den Sommer davor bei BMW in München als Putzkraft gearbeitet, um mir einen Computer leisten zu können. Darauf habe ich die »Chef-Ket«-EP aufgenommen, die ich selbst nicht mehr habe und die es auch online nicht mehr gibt. Ich wusste ja nie, ob die Leute klatschen, weil sie mich kennen, oder weil die Musik gut ist. Ich musste rausfinden, ob ich wirklich so ein Freak bin und alles okay mit mir ist. (lacht)

Um das herauszufinden, eignet sich Berlin für einen Zwanzigjährigen natürlich besonders gut.
Ja, weil ich in Heidenheim immer der Freak war und in Berlin völlig anonym unter ähnlichen Leuten gar nicht auffiel. Die Subkulturen, die hier vertreten waren, gab es in der Kleinstadt nicht. Hier wusste es zum ersten Mal jemand zu schätzen, dass ich fünf-, sechssilbige Reime auspackte. So lernte ich Amewu, und auf der Releaseparty meines Debütalbums »Einerseits, Andererseits« dann Marten kennen, der mich auf die erste Marsimoto-Tour mitnahm. Da kamen keine hundert Leute zu den Konzerten. Ich sah das also alles von Beginn an wachsen, hatte aber selbst keinen Plan von den Strukturen, wusste nichts über Promo – und mein Label Edit Entertainment leider auch nicht. Damals wurde ich dafür belächelt, dass ich singe und rappe. Dass ich mir treu geblieben bin, zahlt sich heute aus.

Nach der »Identitäter«-EP und Tourneen als Support-Act hattest du dich eine Weile zurückgezogen. Wie waren dann die ersten Sessions für »Nachtmensch« ?
Mir fehlte noch das richtige Team. Eigentlich wollte ich ja schon 2012 das Album rausbringen und hatte bereits viel geschrieben. Als ich dann mit Farhot an »Identitäter« arbeitete, war klar, dass wir zusammen das Album machen müssen. Bei »Raus aus dem Studio« war ich schon genervt und habe gemerkt, dass alles länger dauert als gedacht.

War das »Guter Tag«-Mixtape dann eine Art Übergangsprojekt für dich?
Ich hatte schon immer vor, dieses Tape zu machen. Dieser Neunziger-Sound, das ist ­meine Komfortzone, der Grundbaustein für alles, was danach kam. Ich vergleiche das gerne mit Skateboarding: Wenn du einen 360-Flip lernen willst, musst du erst mal einen Ollie können. Bei »Guter Tag« bin ich einfach ein bisschen rumgecruist und habe ein paar Ollies gezogen.

Du warst mit Farhot für die Produktion von »Nachtmensch« in Dänemark und Marokko.
Wir sind ins Ausland, damit wir besser und abgeschiedener flashen und ein Konzept entwickeln konnten. Wir fuhren mit einem Auto voller Essen von Hamburg nach Dänemark, haben viel gekocht, Beats laufen lassen und Skizzen ausgearbeitet. Die Landschaft war sehr inspirierend. Es war wichtig, keine Ablenkung zu haben: keine Anrufe, keine Mails, kein Whatsapp.

 
Du hast bis jetzt alles independent veröffentlicht. Wieso nun der Schritt zum Major-Label?
Der einzige Grund, nicht mit einem Major zu arbeiten, waren die Horrorszenarien, die man immer hört: Das Label quatscht rein, will dich verändern und verbiegen. Deswegen dachte ich, es kommt nie dazu. Als das Album aber fertig war, haben meine Leute das einfach mal an einige Labels verschickt, und drei Tage später hatten wir einen Bandübernahme-Vertrag auf dem Tisch, bei dem alle Master-Rechte bei mir liegen. Bei Universal sitzen ja nicht nur böse Menschen, sondern ­Musikliebhaber. Und wenn deine Musik dope ist, stehen die auch dahinter. Was können die dafür, wenn manche Musiker Scheiße abliefern. Ist doch klar, dass sie ihnen dann reinreden müssen. (lacht) Ich habe mit dem täglichen Label-Business glücklicherweise auch gar nichts zu tun und jetzt noch viel mehr Zeit, entspannt an meiner Musik zu arbeiten. Lange genug habe ich Musik umsonst hochgeladen und kann jetzt gerne auch mal dafür bezahlt werden. Und selbst wenn das nicht der Fall ist – wenigstens geht das Album so nicht unter.

Wie anstrengend ist es eigentlich, der glücklichste Rapper der Welt zu sein?
Gar nicht. (lacht) Ich glaube das kommt von meiner Mutter, die mir immer eine andere Perspektive aufgezeigt hat. Alles Positive habe ich von meinen Eltern. Das Negative kam immer von außen – aus der Schule oder der Gesellschaft. Aus dem Glauben, den meine Eltern mir mitgaben, ziehe ich meine Positivität und lasse kaum negative Einflüsse zu. Das ist auch kein gefährlicher Zweckoptimismus, sondern ein logischer: Wenn ich mich darüber aufrege, dass es regnet, hört es ja auch nicht auf. Dann lieber den Regen genießen, die Sonne kommt schon automatisch wieder. ◘

Fotos: Daniel Obradovic

Dieses Feature erschien in JUICE #169 (hier versandkostenfrei nachbestellen).JUICE_Cover_169

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