(TeamFuckSleep / Chapter One / Universal)
PRO
Lange schien es ziemlich en vogue zu sein, Sierra Kidd nicht zu mögen, er wurde für viele zum Feindbild – wäre da nicht einer der unwahrscheinlichsten Hits 2016 gewesen: »Xanny«. Voller übersteuerter Sounds ließ es viele Rapfans erstmals zweifeln: Warum finde ich den noch mal kacke? Sein zweites Album nährt diesen Zweifel und orientiert sich dafür an Vorbildern wie Travis Scott oder Kid Cudi. Schon der Opener »Cutthroat« kracht mit so viel Distortion rein, dass das Knacken noch Minuten in den Ohren nachhallt. Zusätzlich ziehen sich die Bässe durch das Album wie ein Schimmelpilz durch ein baufälliges Holzhaus. Das Mastering hat Kidd persönlich übernommen, vieles klingt unfertig und damit ästhetisch nah am Soundcloud-Zeitgeist. Der junge Mann hat zeitgenössischen US-Rap gefressen, was man auch an einem Wulst von Anglizismen hört. Das wiederum fühlt sich manchmal unnatürlich an und führt in den pathetischeren Songs zu gelegentlichen Cringe-Momenten, wenn Kidd an sich selbst und seinem Grind doubted. Auch ist – entgegen eigener Aussagen – nicht jeder Song ein Hit. »Cobain« oder »Smoke On« verschwimmen zu einer Bass-breiigen Masse, aus der sich nichts freistrampeln kann. Doch für jeden mittelmäßigen gibt es immer einen guten Song – ob »Bag« mit seinen hypnotischen Glockensounds oder der »SAV Freestyle« mit einem auflockernden Flow-Wechsel. Höhepunkt der Platte bildet das emotionale »Don’t Do It Juri«, das sich zum Schluss mit einem Synthesizer wie vom »Drive«-Soundtrack verabschiedet und ein Album beschließt, das zwar nicht alles richtig macht, sich am Ende aber für seinen Mut und seine Ehrlichkeit belohnt. »Wenn ich sterbe, wär’s für viele kein tragischer Verlust«, rappt Sierra Kidd auf dem abschließenden Song. Schade um ihn und seine Musik wäre es allemal, und ausnahmsweise haben die vielen Youtube-Kommentar, die sich jedes Mal unter seinen Videos sammeln, recht: »Sierra Kidd hassen ist so 2014.«
Arne Lehrke
Text: Arne Lehrke
CONTRA
2014 setzte Sierra Kidd mit dem Debüt »Nirgendwer« den eingängigen Weltschmerz eines unsicheren Außenseiter-Teenagers mit intuitivem Hook-Gespür und streitbarem, aber legitimen Kitschfaktor seinem Internet-Hype – auch dank hip-poppigen RAF-Camora-Blockbustern – final die Raop-Krone auf. Drei Jahre, einen steten Imagewandel und die Emanzipation von seinen Ziehvätern später, fabuliert plötzlich ein zugedröhnter Streetwear-Junkie namens Sierra Kidd mit Face-Tat in astreinem Denglisch (inklusive Grammatikfehler) über den Gebrauch von Schusswaffen, bedenklichen Medikamenten-Konsum und, äh, seinen »Bros«. Doch Sierra Kidds zweites Album »Rest In Peace« ist schon durch seine ausschließlich englischsprachigen Tracktitel ein Paradebeispiel für den klassischen Vorwurf, deutsche Rapper würden nur ihre Idole imitieren. Auch wenn man die zeitgeistigen Hochglanz-Trap-Produktionen von Alecto, Ashby, 808Maniac oder Rooq (!?) zwar für gut befinden, aber auch nutzen könnte, um das Nicht-Genre »Travis-Scott-Type-Beat« auszurufen, offenbart der 21-Jährige mit genuschelten Anglizismus-Assoziationen doch vor allem einen beeindruckenden Realitätsverlust: »Counte Cash: Big Racks, Deads wie Kurt Cobain/Deads, ich putte die Goons auf die Map« oder auch »Du weißt, dass das ein No ist/Du weißt, dass ich das notice/ Ich schlaf‘ nicht, wo mein Dough ist«. Danke, ich hätte es nicht besser ausdrücken können. Über die 15 Synthie-Downer reihen sich eingedeutschte US-Rap-Phrasen an pseudoheroische Durchhalteparolen oder peinliche Kampfansagen: »Ist ja alles schön und gut und alles super/Wir machen bisschen Trap, aber was machst du da?«, fragt der Emdener auf erwähntem »Cobain«. Ich versuche, deinen pathetischen Ausführungen über (Selbst-)Hass, Freundschaft und ur-amerikanischem Materialismus zu folgen, Sierra – leider vergebens. Der letzte Anspieler nennt sich irrwitzigerweise »Don’t Do It« und man möchte nur noch hinzufügen: Lasst die Finger von den Drogen, Kinder!
Text: Natascha Marcinczyk