B.G. Knocc Out: »Dre und Cube waren nicht mehr mit Eazy befreundet, als er im Sterben lag.«

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Hattest du denn schon Gelegenheit, »Straight Outta Compton« zu sehen?
Ich bin gerade in Spanien, hier läuft der Film erst im November an.

Aber du hast sicher mitbekommen, dass der Beef zwischen Eazy und Dre überhaupt nicht im Film erwähnt wird.
Natürlich. (lacht) Ich glaube, Dre will die für ihn unangenehmen Seiten der Geschichte übertünchen. Er versucht einfach, diese Aspekte so lange zu ignorieren, bis es die Leute ganz vergessen haben.

Wobei man eingestehen muss, dass ein auf einer wahren Begebenheit basierender Film nicht zwingend alle Aspekte des Geschehenen berücksichtigen und abbilden kann.
Das stimmt. Aber wir sprechen hier von einem Film, der angeblich von N.W.A handelt. Aber beispielsweise wird Snoop im Film gezeigt – er kam zur selben Zeit ins Game wie Dresta und ich, war aber genauso wenig Teil von N.W.A und stammt noch dazu gar nicht aus Compton. Das mag alles Ansichtssache sein, aber eins weiß ich sicher: Dre und Cube waren nicht mehr mit Eazy befreundet, als er im Sterben lag. Keiner der beiden kam zu seiner Beerdigung! Ich kann mich auch nicht erinnern, MC Ren dort gesehen zu haben. Ich verstehe Dres Beweggründe dahinter nicht ganz. Aber irgendwas an der Sache ist faul. Eazy hat an »The Chronic« mitverdient, obwohl er darauf gedisst wurde. Ich habe gehört, dass er im Film deswegen weint. Das macht doch keinen Sinn. (lacht) Das ist verlogen. Generell stellt Dre sich dar, als wäre er der Drahtzieher des Projekts N.W.A. Versteh mich nicht falsch: Dre ist ein großartiger Musiker. Aber die Idee, aus diesem Projekt eine Bewegung zu schaffen, kam von Eazy. Und er war nicht nur der Visionär, sondern auch der Geldgeber, dessen Kohle es überhaupt erst ermöglicht hat. Hör dir ein paar Sachen von der World Class Wreckin Cru an, schau dir die Fotos der Band an. So war Dre drauf, diese Musik fand er gut, bevor er Eazy kennengelernt hat. Wenn du einen auf einer wahren Geschichte basierenden Film machst, solltest du versuchen, so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben. Schau dir an, was Dre heute für einen Status hat, was er alles erreicht hat. Wieso sollte er sich für seine musikalischen Anfänge schämen?

Meine Urgroßeltern zogen 1956 als eine der ersten schwarzen Familien nach Compton. Also war meine ganze Familie in der Gang.

Wirst du dir den Film trotzdem ansehen?
Ich habe zwar keine Eile, aber ja, natürlich werde ich ihn mir irgendwann ansehen. Ich weiß, dass es mich wütend machen wird. Ich bin mir relativ sicher, dass ich aktuell der einzige Rapper bin, der unmittelbar an der Geschichte beteiligt war, der den Film noch nicht gesehen hat.

Hast du mitbekommen, dass man sich schon geeignet hat, eine Fortsetzung zu drehen?
Ja, das hab ich. (lacht) In dem Film werden sie dann wohl kaum drumherum kommen, unseren Teil der Story zu erzählen. Ich habe keine Ahnung, wie sie Long Beach in »Straight Outta Compton« unterkriegen wollen. Das ist doch komisch.

Jerry Heller ist wohl derjenige, der im Film am schlechtesten wegkommt. Wie hast du ihn während deiner Zeit mit Eazy erlebt?
Jerry war ein cooler Typ. Immer, wenn’s ums Geschäft ging, konntest du dich an Jerry Heller wenden. Er hat die Schecks ausgestellt. Und Eazy hat mehr Zeit in Jerrys Büro verbracht als in seinem eigenen. (lacht) Jerry hatte Charisma, er hat sich um alle gekümmert, ich hatte nie Probleme mit ihm. Das einzige, was mich rückblickend ein wenig stutzig macht, ist die Zeit, bevor Eazy ins Krankenhaus kam und mit H.I.V. diagnostiziert wurde. Wir waren damals im Studio und arbeiteten an »D.P.G./K«. Mein Bruder und ich hatten unsere Vocals schon aufgenommen und wir waren kurz davor, Eazys Strophe aufzunehmen. Es war der Tag vor der Albumabgabe von »Real Brothas«. Eazy kam aus dem Krankenhaus ins Studio, weil er sich eine Bronchitis eingefangen hatte und sowieso unter Asthma litt. Als er ankam, wartete ein Haufen anderer Leute in der Lobby; allesamt Künstler, die damals bei Ruthless unter Vertrag standen, und wollten mit ihm reden. Ich ließ ihm also Zeit, um die Gespräche zu erledigen. Das Ganze zog sich hin und ich wurde immer ungeduldiger. Als ich wieder in die Lobby ging, um nachzuschauen, waren die anderen Leute verschwunden und Eazy kauerte in einer Ecke bekam kaum noch Luft. Ich setzte mich zu ihm und er zeigte mir diese Aktenmappe, die voller Dokumente war, die bewiesen, dass Geld von Ruthless-Konten verschwunden war. Außerdem drohte Jerry, ihn zu verklagen. Das hat den Eindruck, den ich von Jerry hatte, negativ belastet. Auch, weil ich die Art und Weise, wie Eazy verstorben ist, nicht nachvollziehen kann. Was genau passiert ist, weiß ich auch nicht, aber an der offiziellen Version ist etwas faul. Er soll AIDS bekommen haben, ohne dass auch nur eines seiner Kinder, seine Frau oder seine Affären angesteckt wurden.

 
Hast du über die Jahre viel darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn Eazy nicht verstorben wäre?
Auf jeden Fall, Mann. Eazy war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus. Er hatte schon 1993 Prototypen für Kopfhörer, er hatte Anfang der Neunziger Drehbücher und Videospiele. Es wäre interessant zu sehen gewesen, wie sich das entwickelt.

Wie gehst du mittlerweile an deine Karriere heran? Siehst du das Rappen mehr als Hobby oder ist es dir wichtig, deine Karriere entsprechend zu pushen?
Rappen war immer ein Hobby. Ich habe 1987 meine ersten Reime geschrieben. Das erste Mal, dass ich was aufgenommen habe, war 1990 bei einem Kumpel zuhause. Da hat man sich nach der Schule getroffen. Ich werde immer rappen, ganz egal, ob ich noch Musik veröffentliche. Wenn sich noch mal was Größeres ergibt, sag ich natürlich nicht nein. Ich habe im Knast zu Gott gefunden und bin zum Islam konvertiert. Dementsprechend versuche ich nicht mehr, irgendwelche Besitztümer anzuhäufen. Ich bin zufrieden mit meinem Leben.

Lebst du denn immer noch im Compton?
Nein, das geht nicht mehr. Das wäre nicht besonders schlau. Ich besuche schon immer noch Homies von mir. Aber auch das ist seltener geworden. Stell dir vor, ich bin in der Hood und irgendwas passiert. Nehmen wir an, jemand fährt vor und eröffnet das Feuer. Wenn ich involviert wäre, würde ich mich dazu verpflichtet fühlen, mich zu rächen. Compton ist unvorhersehbar. Ich habe dort einen Namen, dieser Name bedeutet etwas. Dementsprechend bin ich ein Ziel – wer mich erwischt, bekommt Respekt. Ich würde auch meine Kinder nicht dort aufwachsen lassen. Zu oft sind Kinder Opfer von Schießereien geworden, obwohl sie gar nichts damit zu tun hatten. Nur noch ein paar Cousins von mir leben immer noch dort. Ansonsten sind es nur Freunde. Der Rest meiner Familie ist weggezogen.

Hör dir ein paar Sachen von der World Class Wreckin Cru an, schau dir die Fotos der Band an. So war Dre drauf, diese Musik fand er gut, bevor er Eazy kennengelernt hat.

Wenn du das Klima der späten Achtziger und frühen Neunziger mit heute vergleichst, ist es schlimmer geworden?
Es gibt immer noch viele Gangs, aber die Regeln der Kultur werden sehr lose interpretiert. Heute ist Snitching an der Tagesordnung, das gab es zu meiner Zeit praktisch nicht. Außerdem gab es kaum Drive-bys, als ich noch aktiv war. Damals war das Ziel, den Feind zu erwischen. Wir sind nie irgendwo vorbeigefahren und haben nur aus dem Fenster geschossen. Wenn wir jemanden haben wollten, sind wir in seine Hood gefahren und haben ihn – und nur ihn – gesucht. Heute fehlt den Leuten der Mumm, um sowas von Angesicht zu Angesicht zu erledigen. Lieber machen sie einen Drive-by, werden erwischt und verpetzen dann alle. Und dann tragen sie Skinny Jeans – das ist mir völlig fremd. Das ist alles nicht mehr so funky wie in den Neunzigern, aber es passieren trotzdem noch genug Sachen.

Als du zum Islam konvertiert bist, bedeutete das auch das Ende deiner aktiven Zeit als Gangbanger?
Jein. Man kann sich als Mitglied nie vollständig von einem Set distanzieren. Du kannst zwar sagen, dass du nicht mehr gangbangst, aber alle Leute, die dich aus deiner aktiven Zeit kennen, werden dich immer damit assoziieren. Ich sehe mich nicht mehr als Gangbanger, aber ich bin trotzdem Gang-Mitglied. Ich habe mein Set auf meinem Körper tätowiert. Meine Großeltern, meine Eltern und der Rest meiner Familie sind oder waren Teil der Gang. Ich kann mich also nicht davon lossagen. Das bedeutet aber nicht, dass ich weiterhin am Block hänge, Drogen verkaufe, Drive-bys mache oder der Gang sonst irgendwie helfe. In der Hood hilft mir die Tatsache, dass ich jetzt Moslem bin, auch relativ wenig. Da laufen sicher immer noch aktive Leute rum, deren Onkel ich irgendwann mal ein blaues Auge verpasst habe. Da kann ich den ganzen Tag »Peace« sagen, wenn jemand nachtragend ist, erschießt er mich wegen sowas. Das ist die Mentalität. Ich kann mir einen langen Bart wachsen lassen und einen Turban tragen. Du kannst trotzdem bei Youtube »B.G. Knocc Out« eingeben und wirst ein Video finden, indem ich mich als Nutty Blocc Compton Crip bezeichne.

Um zur Musik zurückzukommen: Man kann Compton als Epizentrum des Gangstarap bezeichnen. Würdest du sagen, dass jetzt die richtigen Leute die Anerkennung bekommen, die sie verdient haben?
Nein, nicht wirklich. Wobei das Schönste an dem Hype um den Film ist, dass der Fokus wieder auf der Westcoast liegt. Aber The D.O.C. wird im Film kaum erwähnt, obwohl er maßgeblich daran beteiligt war. Dasselbe mit MC Ren. Ich bin der Meinung, dass Dre und Cube das Rampenlicht nutzen, um den Fokus auf ihre Leute zu legen, anstatt die Wahrheit zu erzählen.

Hast du abschließende Worte?
Ja, zwei Sachen: wenn ihr den Film seht, denkt dran, dass es ein Spielfilm ist. Glaubt nicht, dass das dort gezeigte der Wahrheit entspricht. Und zweitens, an die Kinder und Jugendlichen, die Rap hören: Versteht die Musik als Kunst. Versucht nicht, das nachzumachen, was ihr in den Texten hört. Wer einen »Terminator«-Film schaut, geht auch nicht auf die Straße und fackelt alles ab.

Foto: privat

Mehr über Compton gibt’s in unserer aktuellen Titelstory (hier versandkostenfrei bestellen).JUICE-Cover-170-groß