Im Jahr 2011 begeben sich Tausende von Ägyptern auf die Straßen der Hauptstadt Kairo, um gegen den alternden Machthaber Husni Mubarak zu protestieren. Mit dabei, ein paar junge Männer, die nur mit Mics und Lyrics bewaffnet sind, die aber im Zuge des Umsturzes eine große Rolle spielen. Ein Gespräch mit Ramy Essam, Rush und MC Amin der Rap-Crew Arabian Knightz über die Bedeutung von Worten, Rap und nicht zuletzt von Tupac.
Wir sitzen auf dem Dach eines Berliner Altbaus und Rush erzählt mir seit zehn Minuten von Tupac. Mit echtem Feuereifer erklärt er, wie wichtig er für ihn gewesen sei. Wie wichtig Tupac überhaupt für die ganze Welt war. Wie politisch er war und – davon ist Rush felsenfest überzeugt – dass er deshalb auch einem politischen Attentat zum Opfer gefallen sei. Ich wende ein, dass Tupac auch eine Menge dummer Sachen gemacht hat und ich die Begeisterung meines Gesprächspartners nicht ganz teilen kann. Aber geduldig, wie einem störrischen Kind, erklärt mir Rush die Vorzüge der amerikanischen Rap-Ikone: »Er war smart und hat die Gang- mit der Black-Panther-Mentalität gemischt.
»Wir achten auf unsere Worte, aber wir denken auch, dass sie aus uns keine Märtyrer machen wollen, weil unsere Botschaft noch viel stärker werden würde, wenn sie uns ins Gefängnis brächte.«
Klar, er hatte Probleme, aber das lag an seiner Verbindung zur Straße, die er nie ablegen konnte. Makaveli ist sein Vermächtnis; das, was Tupac hätte sein können. Und ja, lyrisch und vom Flow her war Biggie als MC besser. Aber in Sachen Delivery? Tupac hatte die Delivery. Und das macht ihn in den Augen sehr vieler Menschen zum besten Rapper der Welt.« So sieht das aus. Ein Gespräch unter Rap-Fans. Ein Gespräch, wie es sich ergibt, wenn zwei Menschen mit derselben Leidenschaft aufeinandertreffen. Das Besondere an dieser Begegnung allerdings ist, dass Rush ungefähr 4000 Kilometer von mit entfernt in einem anderen Land mit einer vollkommen anderen Kultur aufgewachsen ist. Und trotzdem sitzen wir hier und unterhalten uns über eine US-amerikanische Legende. HipHop eben. Ganz normaler Move.
Rush stammt aus Ägypten und ist Teil der Arabian Knightz, einer Rap-Crew aus Kairo, die während der ägyptischen Revolution 2011 mit ihrem Song »Rebel«, in dem sie ein Lauryn-Hill-Sample verwendeten, Berühmtheit erlangten. Zusammen mit MC Amin und dem Liedermacher Ramy Essam sind sie in Deutschland auf Tour, um unter Beweis zu stellen, dass die revolutionäre Kraft der ägyptischen Musik noch immer lebendig ist. Denn was vor vier Jahren so hoffnungsvoll begann, hat sich mittlerweile in sein Gegenteil verkehrt: Statt in einer freieren Gesellschaft endete der ägyptische Traum vom Umsturz zunächst in der Herrschaft der konservativen Muslimbrüder und nun in der Präsidentschaft von Abd al-Fattah as-Sisi, der das Land im eisernen Griff einer restriktiven Militärdiktatur hält. Keine gute Zeit für Künstler, die gerne den Mund aufmachen.
»Habt Ihr Angst?«, frage ich deshalb Amin und Rush, weil mehrere Male darauf hingewiesen wird, dass nur Ramy Essam alles sagen kann, was er will. Der Liedermacher, der mit seinem Song »Irhal« (»Hau ab!«) die ultimative Hymne für die Protestbewegung geliefert hat, lebt gerade aufgrund eines Stipendiums in Europa und wird auf absehbare Zeit nicht nach Ägypten zurückkehren. »Klar haben wir Angst«, sagt Rush. »Wir achten auf unsere Worte, aber wir denken auch, dass sie aus uns keine Märtyrer machen wollen, weil unsere Botschaft noch viel stärker werden würde, wenn sie uns ins Gefängnis brächte.«
Wobei: Niemand möchte in Ägypten im Knast sitzen – schon gar nicht aus politischen Gründen. Die besten Köpfe der revolutionären Bewegung von 2011 sitzen jedoch genau dort, während der ehemalige Präsident von Ägypten, Hosni Mubarak, der für den Tod von mehreren hundert Demonstranten verantwortlich ist, mittlerweile von einem Gericht freigesprochen wurde. Es scheint, als habe sich die Geschichte zurückentwickelt, als sei das Klima der Angst zurückgekehrt; ein Klima, in dem sich niemand traut, Dinge direkt anzusprechen oder nur den Namen der Machthaber in den Mund zu nehmen – Voldemort-Style. Jedenfalls keiner außer MC Amin, der dem amtierenden Präsidenten namentlich zum Wahlsieg gratulierte, und das, obwohl die Wahllokale noch gar nicht geschlossen hatten. MC Amin nahm einen Song auf und veröffentlichte ihn im Internet, worauf sich viele Freunde von ihm meldeten, um sich schon mal vorsorglich von ihm zu verabschieden. »Meine Freunde dachten wirklich, dass sie mich jetzt ins Gefängnis stecken. Aber bislang ist nichts passiert. Hoffentlich bleibt das so.«
Amin ist bei weitem der Zurückhaltendste der Gruppe, scheint aber auch der Radikalste von ihnen zu sein. Amin ist ein Streetrapper und macht Musik für die einfache Bevölkerung, die ihn dafür liebt. Schon 2004 schrieb er erste Songs, die er auf Freedownload-Beats oder amerikanische Instrumentals einrappte, mit einem »shitty microphone« und ohne zu wissen, wie man Takte zählt oder einen Song richtig strukturiert. »Manchmal habe ich einfach amerikanische Sachen nachgerappt, aber weil ich nicht so gut Englisch spreche, habe ich alles, was ich nicht verstanden habe, einfach erfunden. Das war so Fantasie-Englisch«, erklärt er und ergänzt, dass ihn Freunde darum gebeten hätten, auch mal auf Arabisch zu rappen. Das tat er – und veränderte kurzerhand das Leben von Ramy Essem, als dieser das zum ersten Mal hörte: »Das war vollkommen neu. Amin rappt in einem Streetslang, den bei uns jeder spricht. Und er hat über Themen gerappt, die mich interessierten. Ansonsten gab es in Ägypten ja nur schnulzige Popmusik.«
Während Amin sich sein HipHop-Wissen mühsam selbst zusammenklauben musste, verlief die HipHop-Sozialisation von Rush vollkommen anders: »Mein Vater arbeitete früher in Oman, und da war ich auf Schulen, auf denen auch die Kinder des Sultans waren. Die kamen mit Wu-Tang-Pullis in die Klasse, brachten CDs mit und irgendwann fingen wir an, auf dem Schulhof gegeneinander zu battlen. Später habe ich jede Menge US-Amerikaner kennengelernt, die untergetaucht sind, weil sie in Amerika böse Sachen gemacht haben. Und Sphinx, unser anderer Rapper, ist sogar in den USA aufgewachsen.« Während Amin also so etwas wie eine originäre ägyptische HipHop-Geschichte repräsentiert, sind die Arabian Knightz die US-Rap inspirierten Styler, die ihre ersten Tapes auch Player-mäßig von ihren eigenen Girl-Streetteams an den amerikanischen Schulen von Kairo verticken ließen. Doch so unterschiedlich der Werdegang der Rapper auch verlief, die Fähigkeit, durch Rap Zeitgeistphänomene zum Ausdruck zu bringen, brachte die Musiker an einem bestimmten Punkt der Geschichte zusammen – wobei auch hier MC Amin der Vorreiter war.
»Die Revolution ist noch nicht beendet. Wer das behauptet, war 2011 nicht dabei.«
Bereits 2007, also noch lange vor der Revolution, sorgte er mit einem öffentlichen Auftritt für einen mittleren Skandal: »Es gab da eine Sendung im ägyptischen Radio, in der die ein Interview mit mir machen und im Zuge dessen auch einen Song von mir spielen wollten. Ich meinte, dass ich lieber live rappen würde – was vollkommen unüblich ist. Als sie fragten, worum es in dem Song gehen würde, meinte ich: ‚Irgendwas Lustiges‘ – und das fanden die okay. Als ich dann dran war, rappte ich den Song ‚Good Morning Egypt‘, der eindeutig gegen Mubarak gerichtet ist. Als ich fertig war, haben mich alle angestarrt und gemeint, ich müsse unbedingt verschwinden. Wahrscheinlich hatten sie auch Angst, dass ihre Show abgesetzt würde, aber dann rief ein sehr bekannter ägyptischer Komponist und Musiker an und fing an, mich live zu loben. Er hätte niemals zuvor so etwas Gutes gehört. Das hat mich wahrscheinlich gerettet.«
Auch wenn die HipHop-Szene in Ägypten selbst sehr klein und überschaubar ist und es insgesamt nur vier wirklich relevante Acts gibt, so lieferten diese doch immer wieder den Soundtrack für Aufruhr und soziale Veränderung. Rush und Amin schätzen die Anzahl der Hardcore-HipHop-Fans auf lediglich zwei- bis dreitausend Leute. Der Einfluss aber, den ihre Worte auf die Bevölkerung haben, ist bei weitem größer. Und da sie es selbst erlebt haben, glauben sie nach wie vor daran, dass Musik die Welt verändern kann. Selbst wenn sich nach dem Sturz von Mubarak nichts verbessert habe, die Saat der Revolution sei gelegt, betont Rush. Und dass es eine dritte und vierte und fünfte Welle der Revolution geben werde, falls notwendig. »Die Revolution ist noch nicht beendet. Wer das behauptet, war 2011 nicht dabei. Natürlich ist es schwierig, sofort alles umzuwerfen, aber vielleicht schaffen wir es ja, heute diejenigen zu inspirieren, die morgen die Welt regieren. Worte sind mächtig. Der Prophet Mohammed hat den Leuten auch nur Worte präsentiert und damit die ganze Welt verändert. Worte haben mehr Kraft als Waffen und selbst der Urknall war nur ein Sound: Bang!« ◘
Dieses Feature erschien in JUICE #169 als Teil unserer Serie »HipHop ʻRound The World« (hier versandkostenfrei nachbestellen). Alle weiteren Art im Rahmen von #HHRTW erschienenen Features und Interviews findest du hier.