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Ali changed my life

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Davide Bortot war von 2003 bis 2007 Chefredakteur der JUICE. Heute arbeitet er hauptberuflich für die Red Bull Music Academy, daneben noch als freier Autor für unser Magazin. Als junger HipHop-Fan lernte er einst Ali »Rasul« Rakhshandeh beim Vinylshopping in München kennen. Eine Begegnung, aus der sich eine Freundschaft entwickelte. Bei uns erinnert Davide sich an den legendären MC, der im letzten Jahr viel zu jung verstarb. Ein persönlicher Nachruf.

Ali Rakhshandeh changed my life. Nicht wie Dilla, Minnie oder UR. Sondern ganz pragmatisch, fast beiläufig, unbemerkt von uns beiden.

Als ich Ali kennen lernte, kannte ich ihn seit fast zehn Jahren. Es war Mitte der Neunziger, als ich begann, mich über das klassenübliche Maß hinaus ernsthaft für Musik zu interessieren, mit Weggehen und Zeitschriftenlesen und Plattenkaufen. Bei den heiligen samstäglichen Beutezügen stand immer auch Bam Bam Records auf der Route, ein Münchner Plattenladen inmitten des goldenen Touri-Dreiecks aus Rathaus, Deutschem Museum und Hofbräuhaus. Woche für Woche verschluckte das Bam Bam beträchtliche Teile meines bescheidenen Aushilfslohns aus dem Getränkemarkt: ein schwarzes Loch voll mit schwarzem Gold. Im Laden arbeitete auch Ali, ein stadtbekannter Rapper und der große Bruder eines persischen Mädchens namens Sarah, das ich lose aus der Schule kannte. Wobei, was heißt »arbeitete«? Meist saß er mit Kollegen an einem Tisch und spielte Schach, wie sich das zu Zeiten des Wu-Tang-Clans gehörte. Als kleiner Bub ohne größeren Plan wurde man erst mal konsequent ignoriert; wenn man nach der falschen Platte fragte, gab es meist nur ein verächtliches Zähneküssen, das grob übersetzt ungefähr so viel bedeutete wie: Nö. Die harte Shopping-Schule.

Oberflächlich betrachtet war Ali kein einfacher Mensch. Er hatte feste Meinungen und einen festen Glauben an sein eigenes Können. Wer sich seine Musik aus frühen Jahren anhört und mit dem damaligen Standard vergleicht, weiß warum. Dass er in Banausenhausen im Grunde nie den Respekt erfuhr, der ihm zwischen all dem spaßigen Oberstufenrap und den späten Eurodance-Abarten nach eigenem Empfinden zustand, nagte Zeit seines Lebens an ihm. Und dieses Gefühl schlug sich in einer vorsichtigen Distanz nieder, die viele als Arroganz interpretierten. So auch ich – die Maxis »Mind.Body.Soul« und »State Of The Art Pt. 1« kaufte ich trotzdem.

Das Interview zum Square One-Album war mein erstes für die JUICE und mein drittes überhaupt. Wir führten es im Café Schwabing, einem Ort, den ich noch heute nicht betreten kann, ohne Alis Gesicht vor mir zu sehen. Ich war 20, Fan, aufgeregt und vorbereitet, als träte ich ein zweites Mal zur Abiturprüfung an. Square One waren die Dons, latent misstrauisch, zurückhaltend und einem Prüfer tatsächlich nicht unähnlich. Vor jeder Antwort legte Ali den Kopf leicht in den Nacken, formulierte mit einem Blick tausend Gegenfragen und antwortete dann trotzdem, mit Bedacht und größtmöglicher Bestimmtheit. Es war die Zeit, als Bands noch in geschlossener Mannschaftsstärke in der Redaktion einliefen, einfach so, weil sie HipHop waren und die JUICE auch. Man kam, klatschte ab, klebte einen Sticker in den Türrahmen, hinterließ ein Tag in der Kaffeeküche und ging wieder. Mir war diese Welt fremd. Wenn ich überhaupt jemanden kannte, dann vom flüchtigen Zunicken: so auch Square One, von damals halt noch, aus dem Bam Bam.

Als das Interview erschienen war, kamen Ali und Eddie, der DJ von Square One, ins JUICE-Büro, soweit ich mich erinnere, um sich zu beschweren: Die damalige Redaktion um Chris Maruhn hatte ihnen die Höchstwertung von sechs Kronen verweigert. Als Münchner tat man sich mit Münchner Rap traditionell schwer, das vermeintliche Hamburg-Heft »Backspin« galt als warnendes Beispiel für missverstandenen Lokalpatriotismus. Ich hatte nichts zu melden und deswegen auch keine Meinung. Als Ali mich entdeckte, begrüßte er mich altväterlich aber sehr freundlich, mit diesem leicht süffisanten Lächeln, das mir wie wenig sonst von ihm in Erinnerung geblieben ist. Er mahnte zwei Textdetails an, aber sprach mir ansonsten Respekt für den Artikel aus.

Das war der Moment, in dem Ali Rakhshandeh mein Leben veränderte. Der Moment, in dem – zumindest in meiner Wahrnehmung – aus einem Hobby mit übelst geili Gratis-CDs ein Beruf wurde, ein Leben, das mich bis heute nicht losgelassen hat und immer prägen wird. Er hat das bestimmt nicht mit Absicht getan. Und ich habe es damals nicht einmal gemerkt. Aber trotzdem werde ich ihm dafür immer dankbar sein.

Dann verschwand Ali aus meinem Leben, so wie »Walk Of Life« irgendwann aus meinem Discman verschwand. Als der erhoffte Erfolg ausblieb, begann es bei Square One zu kriseln, und um Ali den Rapper wurde es leiser. Ab und an lief man sich über den Weg, flüchtiges Nicken. Aber so richtig kreuzten sich unsere Wege erst wieder, als er mit seinem neuen Team seine Solokarriere lancierte. Er war bei Starting Line-Up untergekommen – dabei sein eigenes Mini-Movement Kings & Crookz um Philipp und Markus vom Label, die talentierten Beatmaker Monroe und Crada sowie die Münchner Homies – und wollte sprechen. Über die JUICE, seinen Platz darin und meine Meinung zu all dem. Über seinen damaligen DJ Scream, einen gemeinsamen Münchner Bekannten, nahm er Kontakt auf.

Wir trafen uns auf dem Splash!, und während um ihn herum die Selbstüberschätzung die veranstaltungsüblichen Kapriolen schlug, imponierte mir die unprätentiöse Ernsthaftigkeit, mit der er die Sache anzugehen schien. Er ritt nicht auf alten Meriten herum, sondern blickte entschlossen in die Zukunft. Radikaler Realismus und schonungslose Selbstreflexion, aber mit Eiern. Eine typische Ali-Kombination. Dass mir die Mucke immer noch gefiel, ist überflüssig zu erwähnen. Was ich anfangs für ein klassisches Lass-mal-mit-dem-JUICE-Vogel-treffen-Ding gehalten hatte, wurden regelmäßige Abende im Café Schwabing. Wir aßen Steak und laberten.

Wenn ich heute über diese kurze, aber intensive Zeit nachdenke, die ich mit Ali verbringen durfte, kommt es mir vor, als hätten wir uns mindestens wöchentlich getroffen, obwohl ich weiß, dass das nicht stimmt. Auch fällt mir auf, wie wenig er oft sprach, sondern einfach nur zuhörte. Wirklich zuhörte, nicht nur darauf wartete, endlich auch was sagen zu können. So kenne ich sein Leben und seine Persönlichkeit bis zum heutigen Tag nur in Ausschnitten. Ich weiß wenig über seine Familie, viel über seine Fam, nichts über seinen Glauben, alles über seine Überzeugungen.

Nachdem er im Spätherbst 2006 zu seiner Familie nach Kanada zog, haben wir uns nie wieder von Angesicht zu Angesicht gesehen, und dennoch würde ich ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, als Freund bezeichnen. Weil er einfach so ein Typ war: intelligent, ehrlich, tiefgründig, direkt, großzügig, respektvoll, warmherzig, ernsthaft und, wenn er wollte, scheißlustig.

Eine Anekdote. Es war wenige Tage vor Alis Abreise nach Kanada, Abschlussparty mit seinen Jungs. Erst Bier im Café Schwabing, dann irgendein Club im Plastikpartyareal Kunstpark Ost. DJ Scream musste das anwesende Jungvolk mit hochgestelltem Hemdkragen und von Papa finanzierter Wodkaflasche bedienen. Es war furchtbar. Irgendwann schlug jemand von den Münchner OGs vor, ins Auto zu gehen, um richtige Musik zu hören. Mir kommt vor, als wäre an jenem Abend jede einzelne relevante Line der späten Achtziger und frühen Neunziger durch das Autoradio gescheppert, voll Inbrunst gedoppelt vom größten Rapfan der Welt und einem meiner Lieblings-MCs, Ali Rasul. Ein Haufen viel zu alter, mit dem Kopf nickender Typen in einem dampfigen Mittelklassewagen. Draußen klatschender Regen und die Vorhölle zur samstäglichen Umlandunterhaltung, drinnen HipHop. Es war vermutlich ein sehr alberner Anblick. Aber es war wunderschön und hat mich tief im Herzen berührt, auch wenn ich zu jedem Zeitpunkt noch fest davon ausging, dass ich Ali ohnehin bald wiedersehen würde, ob in Vancouver, in Brooklyn, in Westschwabing, am Stausee Oberrabenstein oder sonst wo.

Das ist das Bild, das mir von Ali Rakhshandeh im Gedächtnis geblieben ist. Eines glücklichen Menschen im Kreise seiner Freunde, der bald bei seiner Familie sein und offenbar seinen Frieden schließen würde mit einem Leben zwischen so vielen verschiedenen Welten. Der Musik geschaffen hat, die mir so viel bedeutet wie wenig sonst. Und der ganz bestimmt nicht nur mein Leben zum Guten verändert hat. Alles Gute, Homie, wo auch immer du steckst. From the soul, yo.

Text: Davide Bortot

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