Aesop Rock im Interview mit Audio88: »Rap ist die einzige Konstante, die ich im Leben habe.« // Interview

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Für mich klingt »The Impossible Kid« so, als hättest du dir viele Gedanken über dein Vermächtnis gemacht, über deine Vergangenheit. Im Song »Blood Sandwich« für deine beiden Brüder sagst du: »Just in case of rough waters/I wanna put one up for my brothers.« Was sind das für unruhige Gewässer, auf die du vorbereitet sein möchtest?
Ich habe für das Album viel über mein Leben nachgedacht; über das, was mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin – im Guten wie im Schlechten. Da lag es nahe, dass auch meine Brüder auf dem Album stattfinden. Ich hab sie zwar hier und da schon mal in Zeilen erwähnt, aber nie so ausführlich und direkt. In meinen späteren Jahren als Rapper habe ich immer versucht, eine Geschichte zu erzählen, und wenn meine beiden Brüder und ich uns sehen, erinnern wir uns oft an die selben zehn bis zwanzig lustigen Familiengeschichten – das wollte ich festhalten. Ich werde dieses Jahr vierzig und dachte mir: »Wer weiß, wie lang ich das noch machen kann.« Ich wollte einfach sichergehen, dass ich etwas davon zu Papier gebracht habe, bevor ich auschecke.

Insgesamt ist das Album überraschend persönlich. Das letzte Mal, dass du so explizit privat geworden bist, war auf »Song Of Four«, den du 2002 als Hidden Track auf der »Daylight EP« versteckt hattest. Woher kam das Bedürfnis, auf deinem sechsten Album plötzlich so intim zu werden?
Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Das ist einfach passiert. Mein Leben hat sich verändert, und Rap ist die einzige Konstante, die ich habe. Ich rappe nicht über das Nachtleben und Ausgehen, weil ich das nicht mache. Ich forme einfach Rapmusik aus all dem, worüber ich nachdenke. Es gibt nicht so viele Role Models über vierzig im Rap, also denkst du darüber nach. Dann denkst du zu viel darüber nach – und dann beginnst du dich zu sorgen: Wer bin ich eigentlich? Wo komme ich her?

 

Deine Musik hat sich damals mit deinem Umzug von New York nach San Francisco merklich verändert. Nun bist du für ein Jahr in eine kleine Hütte im Wald gezogen. Hast du diese Isolation gewählt, um eine Veränderung in deinen Songs zu forcieren, oder war das eine private Entscheidung, in der die Musik eher nebenbei entstanden ist?
Ich war einfach an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich eine Veränderung brauchte. Ich hatte die Möglichkeit, in diese Hütte zu ziehen, und stellte mir das sehr romantisch vor: zurückgezogen im Wald, den Fokus nur auf der Musik. Aber Isolation ist für mich Segen und Fluch zugleich. Ich musste feststellen, dass es nicht immer gesund ist. Ich habe dort zehn der Lieder vom Album angefangen, aber als ich merkte, dass es sich in die richtige Richtung bewegt, bin ich wieder in die Stadt gezogen und habe es dann dort zu Ende gebracht.

War die Hütte eine Art Therapie oder Flucht?
Beides. Ich wollte einfach weg. Aber es war beruhigend zu wissen, dass diese Flucht nur vorübergehend war und ich jederzeit in mein normales Leben zurückkehren konnte.

In deinen Texten und Artworks lassen sich zahlreiche Tiere und Fabelwesen finden. In deiner Web-Serie zum neuen Album lässt du dich von einem Cartoon-Bären analysieren. Des Weiteren sprichst du oft davon, dich deplatziert zu fühlen. Versuchst du dir eine Welt zu erschaffen, in der du dich heimischer fühlst? Und wenn ja: Warum spielen dort Tiere eine so große Rolle?
Im vorliegenden Fall lag das einfach daran, dass ich eine Weile im Wald gelebt habe und dort mehr Tiere waren als Menschen.

Aber Tiere sind kein neues Thema in deinen Texten.
Ja, das stimmt. Ich fühlte mich immer schon zu Tieren hingezogen, habe früher auch gerne Tiere gezeichnet. Dabei fühle ich mich wohl und liebe es, mit diesem Element zu spielen. Ich mag es, mir Menschen als Tiere, als Teil des Tierreichs vorzustellen. Aber im Wald habe ich festgestellt: Das ist auch nicht der märchenhaft-romantische Raum, in dem sich alle Tiere treffen und miteinander unterhalten. Aber sie waren ein großer Bestandteil meiner Isolation zwischen Therapie und Verrücktwerden. Manchmal denke ich auch darüber nach, dass ich anstatt Musik zu machen auch nach Afrika hätte gehen können, um dort Tieren zu helfen.

Du hast mal gesagt, dass es in deinen Texten hauptsächlich darum geht, von allem immer überwältigt zu sein. Das klingt ein wenig wie der Blick durch Kinderaugen. Versuchst du dir diesen Blick zu bewahren?
Ich habe gar keine andere Wahl. Ich komme nie zur Ruhe und habe ständig tausend Gedanken im Kopf. Viele Menschen leben einfach ihr Leben und genießen es, aber ich bin immer gleich von allem überwältigt und vereinnahmt. Ich empfinde den Alltag als herausfordernd, was mich viel Therapie gekostet hat – vermutlich schreibe ich deswegen aus dieser Perspektive. Und ja, ein bisschen auch aus der Perspektive eines Kindes – ich verstehe da deinen Punkt. Allerdings auch aus der Perspektive eines Menschen, der zu jeder Zeit gestresst und ängstlich ist. Ich bin immer dabei, etwas zu bewältigen. Ich fühle mich nie so, als würde ich durch das Leben gehen und es genießen. Es ist eher so, dass ich es toleriere. (lacht)

Du bist bekannt dafür, in deinen Texten unzählige Verweise auf Filme, Bücher, Mythologie, Märchen, Cartoons, Video­spiele und Popkultur im Allgemeinen unterzubringen. Suchst du gezielt nach diesen Links? Wie filterst du, was du letzten Endes einfließen lässt?
Ich glaube, dieser Filter ist nichts, was man trainieren kann. Es muss etwas sein, das etwas in dir auslöst. Ich mache mir immer sehr viele Notizen, wenn ich zum Beispiel einen Film sehe und versuche, für mich herauszufinden, was der besondere Moment darin war, um später darüber rappen zu können. Aber wo man diese Momente verortet, da wird es sehr individuell. Wenn ich in einem Buch oder
Comic etwas lese und mich das auf einer anderen Ebene anspricht, dann möchte ich mich daran erinnern können. So erschaffe ich aus allem einen Sinn, aus all diesen kleinen Puzzleteilen. Am Ende des Tages habe ich dann eine große Liste, und diese Listen setze ich dann wie ein großes Flickwerk zu meinen Texten zusammen. Ich suche aber nicht nach besonders obskuren Dingen zur Inspiration. Das sind einfach die Dinge, die mich interessieren.

Jedes deiner Alben hat einen speziellen Sound – selbst als du dir noch die Produktionen mit Blockhead geteilt hast. »The Impossible Kid« knüpft vom Sound her aber recht nahtlos an den Vorgänger »Skelethon« von 2012 an. Hast du jetzt deinen Sound gefunden?
Dessen war ich mir gar nicht so bewusst. Aber du hast Recht. Ich will mich ständig weiterentwickeln, dabei reagiere ich auf die Welt. So durchlaufe ich zwangsläufig Phasen – und manches aus diesen Phasen bleibt, anderes wiederum verschwindet. Gerade in Bezug auf mein älteres Zeug verstehe ich voll, was du sagst, aber für mich klingt alles ähnlich – mit ein wenig Weiterentwicklung. Das passiert aber unbewusst. Auf »Skelethon« gab es noch viel mehr Gitarren, aber bei den Drums hast du wahrscheinlich Recht – die sind sehr ähnlich. Beim Produzieren ist es wie beim Schreiben, du gehst durch Phasen. Was dich anspricht, setzt du um. Und sobald etwas tot für dich ist, ziehst du weiter.

Hast du so etwas wie eine Grundstimmung der Lyrics im Kopf und versuchst dann, in diese Richtung zu produzieren? Oder experimentierst du herum, und die Stimmung des Beats dient dann als Vorlage?
Das ist unterschiedlich. Ich betrachte das Produzieren als einen Job, den ich zu Beginn des Tages zu erledigen habe. Schreiben kann ich aber nicht immer. Das Schreiben kann ich nicht kontrollieren. Ich setze mich hin und versuche es, aber oft passiert dann einfach nichts. Dann geh ich zum Beispiel in den Supermarkt, und da kommen mir plötzlich die richtigen Zeilen in den Sinn. Das ist etwas, das einfach passiert, wenn es passiert. Das ist auch der Grund, weshalb ich mir so viele Notizen mache – damit ich später darauf zurückgreifen kann. Manchmal höre ich auch einen Beat über Monate und warte darauf, dass sich irgendwas in meinem Verstand materialisiert. Manchmal habe ich wiederum das Thema eines Songs erst, nachdem ich ein paar Zeilen geschrieben habe. Ein anderes Mal habe ich die Idee schon im Kopf, aber weiß nicht, wo ich anfangen soll.

Was macht dir mehr Spaß: produzieren oder schreiben?
Beides. Ich habe Phasen, in denen ich monatelang keine Beats machen will, und wiederum andere, in denen ich nicht schreiben will. Wenn ich an einem Soloalbum arbeite, schraube ich lange an Beats, und wenn ich etwas gefunden habe, das mich anspricht, dann schreibe ich dazu eine Weile, bis ich mich wieder an den Beat setze – ein ewiges Hin und Her. Es hat zwar sehr viel Zeit gebraucht, aber ich bin jetzt an einem Punkt, dass ich mich in beiden Bereichen sehr sicher fühle und Produktion und Lyrics sehr eng zusammenwirken. Deswegen kann ich heute sagen: »Das ist mein Sound.«

Text: Audio88
Foto: Ben Colen

1 Kommentar

  1. Sehr schönes Interview. Man merkt, da steckt der Fan in Audio88 und das mit recht – Aesop Rock ist ein großartiger Musiker und eine interessante Persönlichkeit. Hut ab, selten ein so gutes Interview gelesen.

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