Witten Untouchable: »Früher war Deutschrap mehr Selbstverwirklichung als Geschäftszweig.« // Interview

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Lakmann fasst das Gespräch nach einer Dreiviertelstunde wie folgt zusammen: »Eine Abhandlung über soziokulturelle und philosophische Phänomene im Rap-Mikrokosmos, übergreifend auf die Gesellschaft, auf das Battletum und die persönlichen Probleme im Leben.« Tatsächlich sprachen das Wittener Urgestein und seine Kollegen Kareem und Mess weniger über ihr zweites Album als über die Szene und ihre Plätze innerhalb ­dieser. Im Grunde nur konsequent, geht es doch auf »Republic Of Untouchable« um private ­Einsichten und eine allgegenwärtige Kritik an deutschem Rap.

Wie war die Dynamik zwischen euch während des Schreibprozesses? Ist das ein Competition-Ding?
Kareem: Wenn der Beat da ist und der Erste einen Part schreibt, ist es schon wichtig, dass die anderen wissen, in welche Richtung es ungefähr geht. Wer den Vibe am besten catcht, gibt die Richtung vor. Da stimmen wir uns ab. Es ist nicht so, dass wir uns in dieser Hinsicht gegenseitig übertrumpfen wollen.

Wie eng lief denn dieses Mal die Zusammenarbeit mit Rooq ab: Schickt er euch Beats zu, oder arbeitet ihr gemeinsam im Studio?
Lakmann: Es gibt einen regelmäßigen Austausch, die Beats schickt er per Mail. Als es konkret wurde mit dem Album, haben wir dann gezielt nach unserem Stil gesucht, nach Beats, die gut zusammenpassen und einen Spannungsbogen ergeben. Wir haben dieses Mal viel weniger Themensongs auf dem Album. Manchmal ist es wichtiger, dass der Beat dir ein Gefühl dafür gibt, wo die Lyrics hingehen, als dass man zehn Beats zehn verschiedenen Themen zuordnet.

»Republic Of Untouchable« hinterlässt einen sehr Battle-lastigen Eindruck, ohne dass es richtige Battle-Tracks gibt.
Lakmann: Es ist auch immer ein Battle des Lebens, seine Texte zu schreiben. Wir geben beim Schreiben innerhalb der Crew einen Teil unserer Persönlichkeit und unserer Seele preis. Das ist immer auch ein Kampf gegen sich selbst. Aber viele gute Lyrics zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie diesen Battle-Gedanken transportieren können – vom Rap-Struggle auf den Straßen-Struggle oder den persönlichen Struggle.

 
Lyrisch schießt ihr sehr häufig gegen aktuellen Deutschrap. Welche wichtige Eigenschaft hat die Szene in den letzten Jahren für euch verloren?
Lakmann: Das ist schwer zusammenzufassen. Aber die Unschuld hat sie verloren. Deutschrap ist ein Geschäft geworden.

War das denn vor 15 ­Jahren wirklich so anders?
Lakmann: Damals war das noch viel mehr ein Selbstverwirklichungsding als ein Geschäftszweig. Der Unity-Gedanke war stärker als der Business-Gedanke, auf allen Ebenen: menschlich, geschäftlich, auch musikalisch. Man hat immer in Crews gerappt, und heute rappt jemand als Superstar nur noch alleine. Labels haben früher alles aus einer Hand gemacht, heute hat man zig Angestellte, die sich um einen kümmern.

Gibt es für euch denn heute überhaupt noch eine HipHop-Szene, die vergleichbar mit diesem Kulturbegriff ist?
Kareem: Ja, natürlich! Die ist bloß viel größer geworden. Es teilt sich auch so ein bisschen: Jeder Rapper, jede Crew, jede Stadt hat ein ganz eigenes Bild von einer Szene im Kopf. Das ist nichts Einheitliches mehr. Wenn ich an Szene denke, dann denke ich an den Kreis von Musikern, mit dem ich zu tun hab.
Lakmann: Früher waren die Szene-Parameter HipHop-Jugendhaus, Graffiti, Jams und die vier Elemente, heute ist das von Stadt zu Stadt je nach den jeweiligen Umständen unterschiedlich. Die Graffiti-Hochburgen haben meist eine gesunde Underground-Szene, die auch funktioniert und bestehen bleibt, wenn sich alle paar Monate die Musikrichtung im Internet ändert.

Welchen Einfluss hat in diesem Rahmen Witten auf euch?
Lakmann: Witten ist die Insel in dem ganzen Gewässer. Ich weiß nicht, wer nach uns die ­Fackel trägt, aber wir beherbergen keine ­Labels in der Stadt, wir haben keine Major-Acts. Von daher ist Rap hier sehr autark.

Hat euch diese autarke Existenz als Crew beeinflusst?
Lakmann: Guck dir mal Kareem an, wie viel der alleine gemacht hat. Not macht erfinderisch. Wenn du fernab von deinem Produkt am Ende irgendeiner Kette stehst und es ganz lange dauert, bis es zum Endkonsumenten kommt, weißt du gar nicht mehr, wie es aufgenommen wird. Dann bist du in einer eigenen, künstlichen Welt.

 
Ist der Punkt, an dem man so viel als Künstler abgibt, der, an dem die Authentizität verloren geht?
Kareem: In dem Moment, in dem man anfängt, dir reinzureden, änderst du ­etwas, das ansonsten immer funktioniert hat. Wozu jemanden dazuholen, der etwas ­Funktionierendes kritisiert?

Aber wenn man in so einer künstlichen Welt lebt, ist es dann nicht gerade authentisch, solche Musik zu machen, wie sie die entsprechenden Rapper eben machen?
Lakmann: Nee. Das ist ja nicht deine Persönlichkeit, die da drin steckt. Das ist nur dein Klamottenstil, der da drin steckt, dein Umfeld; allgemein Sachen, die dich von außen beeinflussen, statt dem, was du im Inneren trägst. Das Innere nach außen zu tragen ist genau das, was man als Rapper machen sollte, sonst ist alles nur ein Themensong. Aber wenn man es schafft, die Persönlichkeit jedes Rappers herauszukristallisieren, dann hat jeder seine eigene Berechtigung, dann ist jeder ein Unikat.

Teils schwingt in euren neuen Songs neben der Szenekritik auch eine gesamtgesellschaftliche Kritik mit – gerade was die Dominanz von Geld über Kultur angeht, oder?
Lakmann: Das ist vollkommen auf die Gesellschaft übertragbar. Rap ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Und das, was in der Gesellschaft passiert, findet immer auch Ausdruck in den Texten. Sollte es jedenfalls.

Euren Social-Media-Auftritt überstrapaziert ihr nicht gerade. Seht ihr da auch gesamtgesellschaftlich eine Tendenz, im Internet mehr eine Hülle zu präsentieren als tatsächlich Inhalte zu liefern?
Lakmann: Viele klicken nur noch um des Klickens willen oder stellen sich nur noch dar, um des Darstellens willen – und dadurch verliert die Aktion ihren Wert. Die Gesellschaft und Rap globalisieren sich. Alles ist zum kleinen Dorf geworden.

Ist Witten in dem Kontext auch eine Instanz, die euch erdet?
Lakmann: Natürlich. Für mich persönlich ist die Stadt nach zehn, zwanzig Jahren eine Komfortzone. Ich komme immer gerne nach Witten. ◘

Text: Sebastian Berlich
Foto: Mirko Polo

Dieses Interview erschien in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).

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