Compton ist nicht New York. Und Compton ist auch nicht Los Angeles, auch wenn es von L.A.-Zentrum bis nach Compton gerade mal zwanzig Meilen sind. Doch Compton hat sich trotz seiner bescheidenen Größe von nicht einmal 100.000 Einwohnern (weniger als Moers, Bielefeld oder Bottrop) seit Mitte der Achtziger einen dermaßen großen Platz in den HipHop-Geschichtsbüchern gesichert, dass es an der Zeit ist, die Historie der Stadt und seiner weltberühmten Söhne einmal nachzuzeichnen – zumindest grob. Immerhin gehören dazu solche Koryphäen wie Dr. Dre und Eazy-E samt ihren Jungs von N.W.A, MC Eiht und Game, YG und Kendrick Lamar. Sie alle haben es geschafft: Von muthaphukkin Compton in die Welt.
»If Ya Ever In Compton Ya Better Bring A Gun« (King Tee)
Die Anfänge von Compton sowie dessen Bedeutung für die Musikgeschichte allgemein und die HipHop-Historie im Speziellen liegen interessanterweise nicht in Compton, sondern in Watts. Watts ist ein Stadtteil in South Los Angeles, gerade mal eine Zigarettenlänge von Compton entfernt. 1965 wird dort ein junger Afroamerikaner im Auto von einem weißen Polizisten angehalten. Die Situation eskaliert und schaukelt sich in der Folge zu den sogenannten Watts-Unruhen hoch. Dabei ist der beschriebene Vorfall selbst bloß der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und die Bevölkerung in Rage bringt: Arbeitslosigkeit und die damit einhergehende Armut, Rassendiskriminierung und anhaltende Polizeischikanen sind die Ursachen, die zu den schweren Ausschreitungen führen und Watts für sechs volle Tage zum Kriegsgebiet machen (inklusive des Einschreitens der Nationalgarde). Das Ergebnis: 34 Tote, über tausend Verletzte, 4.000 Verhaftungen und ein Gesamtschaden von etwa 40 Millionen Dollar. Als dann in den Siebzigern die großen Fabriken in der Gegend von Firmen wie General Motors und Goodyear schließen, während im Dienstleistungssektor zunehmend billigere Arbeitskräfte aus Zentralamerika eingesetzt werden, ist der Nährboden für kriminelle Karrieren der vorwiegend afroamerikanischen Bevölkerung als nahezu einziger Ausweg aus der anhaltenden Misere bestellt: Die große Zeit der Gangs beginnt, der Crips und Bloods und der oft unerwähnten, aber nicht weniger gefährlichen Sureños, die in South Los Angeles und Compton um die Vorherrschaft kämpfen. Erst sind es nur Schlägereien, dann Messerstechereien, dann Schießereien – und weil ein Krieg auch irgendwie finanziert werden muss, kommen die Drogen ins Spiel. Kokain wird gestreckt und zu Crack aufgekocht, damit sich die darbende Bevölkerung ihre Flucht aus der traurigen Realität auch leisten kann. Die Folge der landesweiten Crack-Epidemie: Mehr Drogentote, mehr Fehlgeburten, mehr Crack-Babys. Und im Zuge der besorgniserregenden Mordrate im Verlauf der schwelenden Gang-Rivalitäten auch mehr Waisen, mehr Verhaftungen, mehr Elend – und zwar nicht mehr nur in Los Angeles und Compton, sondern landesweit.
»Compton’s In Effect« (DJ Quik)
Heute wird häufig Eazy-E, unbestritten einer der wichtigsten HipHop-Akteure in Compton, als »Compton’s Godfather Of Rap« bezeichnet. Doch das ist er nicht. Der Weichensteller, derjenige, der die Saat der Kultur in den trockenen Asphaltboden der staubigen Straßen von Compton gedrückt hat, aus der später noch all die Dres und Games und Kendricks wachsen sollen, ist ein anderer: Mixmaster Spade.
Spade, Jahrgang 61, wächst an der Ecke 156th Street und Wilmington in Compton auf, schafft es als Tänzer aber bereits Mitte der Siebziger (also noch lange vor der einsetzenden Breakdance-Welle Mitte der Achtziger) bis nach New York. Bei einem Auftritt im Big Apple wird Spade Zeuge eines wegweisenden DJ-Sets von Grandmaster Flash, der mit Plattenspieler und Beat Machine mächtig Eindruck auf ihn macht und in der Folge dafür sorgt, dass Spade dieses Schlüsselerlebnis der aufkeimenden HipHop-Kultur in seiner Heimatstadt zu implementieren beginnt. An den Wochenenden schleppt Spade sein Equipment in den Park – das Geld dafür bekommt er von seiner Oma – und gibt mit seinen stetig wachsenden Turntable-Skills an. Zudem beginnt er, erste Raps zu schreiben, ganze Tracks aufzunehmen und Tapes zu recorden, die ab 1984 die Runde machen. Bei einer Party zwischen Thugs und Gangbangern flasht er die Anwesenden dermaßen, dass er sie davon überzeugen kann, ihn zu sponsern. Also nimmt er noch mehr Tapes auf und beginnt, sich auch über die Stadtgrenzen Comptons hinaus einen Namen zu machen.
Doch Spade geht es nicht nur um sich selbst, er möchte seine Begeisterung für HipHop auch an Jüngere weitergeben. Regelmäßig veranstaltet er Workshops, um sein stetig wachsendes HipHop-Knowhow an den Nachwuchs weiterzugeben, zu dem zu jener Zeit auch Leute wie Coolio, King Tee, DJ Pooh, J-Ro und ein gewisser Dr. Dre gehören. Spade und seine Jungs formen The Compton Posse, erspielen sich mit Tracks wie »Batterram«, »Just Say No« und »Genius Is Back« ersten Street Fame und touren in der Folge gleich mal mit der 2 Live Crew und Public Enemy die Westküste lang.
Als eines nicht so schönen Tages im Jahr 1987 plötzlich unangemeldet die Polizei in Spades Garagenstudio einreitet und diese nach einem Schusswechsel, bei dem ein Officer zu Tode kommt, nicht nur ordentlich Kohle, sondern auch eine Mac-10 und haufenweise PCP findet, wandert Spade für einige Zeit in den Bau. Es erscheinen zwar noch ein paar Singles sowie das Tape »Compton’s In Effect«, ansonsten wird es musikalisch aber ruhig um Spade. Lediglich zu einem Possecut mit Snoop Doggs Kurzzeitprojekt Tha Eastsidaz lässt er sich noch mal überreden (»Dogghouse In Your Mouth«, 2001), bevor er nach seiner Haftentlassung an den Folgen eines Motorradunfalls im März 2005 stirbt. Doch er hat viel hinterlassen: Nämlich den Grundstein für alles, was in Sachen Rap und HipHop in der Folge noch aus Compton kommen soll.