Die einen verachten ihn als Sinnbild dummdreisten Pusher-Raps primitivster Machart, die anderen feiern seine ignoranten Street-Hymnen als aggressiven, wütenden und unbedingt partytauglichen Gegenentwurf zum biederen Erwachsenen-Hop der Generation Carter. Waka Flocka Flame ist schon rein körperlich eine beeindruckende Erscheinung: ein finster dreinblickender Zwei-Meter-Rastafari aus der dunkelsten Ecke von Riverdale, einer Kleinstadt nahe Atlanta, in der jeder achte Einwohner unterhalb der Armutsgrenze lebt. Aus seiner aktiven Zugehörigkeit zum Gangverbund der Piru Bloods und seinen ehemaligen Verstrickungen ins Drogengeschäft macht der 23-Jährige keinen Hehl. Keine Frage: Der Typ ist ein waschechter Thug, ein noch durchgeknallteres Update seines Mentors Gucci Mane.
Seine Mixtapes hießen “Lebron Flocka James”, “Salute Me Or Shoot Me” oder “Shootin’ The Breeze, Cookin’ That Fire”: unzensierte Momentaufnahmen aus dem Leben eines jungen, armen und wütenden Schwarzen im Post-Bush-Amerika. Seine Straßenhymnen “O Let’s Do It” und “Hard In The Paint” bieten unverschnittenen Gangsta-Crunk, veredelt von einer an den jungen Busta Rhymes erinnernden Delivery und dem großkotzigen Swagger von Kollegen wie Weezy, Gucci und Soulja Boy. Seine Lyrics sind dünn, dafür umso besser mitzugrölen. Waka Flocka Flame ist kein guter MC im klassischen Sinn, aber ein Monster am Mic, ein Charismatiker vor dem Herrn und ein Typ, mit dem eher nicht gut Kirschen essen ist. Zu distinguierten Newcomern wie J Cole, Drake oder Jay Electronica verhält er sich in etwa wie ein schneller Jägermeister-Shot zu einer Auswahl von Brunellos aus den späten Neunzigern. Auch wenn der italienische Staubwein in letzter Konsequenz das stilvollere Getränk ist, findet man ihn eher selten auf der Karte des Absturzetablissements seines Vertrauens.
Im Oktober veröffentlichte Waka Flocka Flame sein Debütalbum “Flockaveli” über Guccis 1017 Brick Squad-Label im Vertrieb des Majors Asylum/Warner und stieg damit auf Platz 6 der Billboard-Albumcharts ein – auch aufgrund der Zugkraft der Single “O Let’s Do It”, zu der kurzerhand ein Videoremix mit Genregröße Rick Ross, Reviermarkierer Diddy und Ziehvater Gucci Mane eingetütet wurde. Ob Flocka in naher Zukunft das Eintagsfliegenschicksal von Südstaaten-Clubrappern wie J-Kwon, Chingy oder Mims ereilen wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwer voraussehen. Allerdings sind die Parallelen zu dauerhaft erfolgreichen Rappern seiner Kategorie (sprich: Lil Wayne, T.I. oder Young Jeezy) relativ offensichtlich – technische Defizite hin oder her, eine charakteristische Alleinstellung liefern seine donnernden “Flocka”-Adlibs, der beängstigende Kommandoton und der unterhaltsame G-Slang allemal. Ein Gespräch mit Atlantas heißestem wie umstrittenstem Senkrechtstarter der letzten Jahre.
Du bist in Queens, New York, aufgewachsen, aber als Jugendlicher nach Riverdale, Georgia, gezogen. Die beiden Gegenden stehen für einen komplett unterschiedlichen Sound im HipHop. Mit welchem Teil der Geschichte kannst du dich mehr identifizieren?
Ich sehe Riverdale ganz klar als mein Zuhause – auch musikalisch. Trotzdem hat mich New York geprägt, das kann man nicht kleinreden. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Kind täglich den Q3- oder den Q4-Bus nehmen musste, denn ich wuchs in der Nachbarschaft von Run-DMC und LL Cool J auf [zwischen Hollis und Jamaica, Anm. d. Verf.]. Das Haus von LLs Großmutter war ein paar Blocks von meinem Haus entfernt, dort wurden immer Nachbarschaftspartys gefeiert. Irv Gotti, Ja Rule, Biz Markie, Lost Boyz, all diese Leute kannten Mitglieder meiner Familie. Der Run-DMC-Song “Mary, Mary” handelt von meiner Tante! Das weiß aber kaum einer. Ich bin in diesem Umfeld ganz natürlich mit HipHop aufgewachsen.
Wie sah dein Leben aus, bevor du Rapper wurdest?
Ich war Gangbanger. Wir hingen jeden Tag auf der Straße herum und kämpften gegen andere Banden. Um Geld zu machen, habe ich alles verkauft, was ich in die Hände bekam: Hosen, Socken, Süßigkeiten, Drogen. Ich kannte ja nur dieses Leben, mein ganzes Umfeld machte nichts anderes. Wenn ich umgeben von Ärzten und Anwälten aufgewachsen wäre, dann wäre ich vielleicht auch einer geworden. Das Einzige, worin ich wirklich gut war, war Basketball. Ich bin nicht besonders groß, nur 1,96 Meter, also spielte ich meistens auf der Forward-Position. Highschool-Basketball mochte ich allerdings nicht besonders, denn ich kam mit dem Coach nicht klar. Also habe ich lieber in der AAU [Amateurliga für Jugendliche, Anm. d. Verf.] gespielt. Ich war eben sehr unfolgsam und mochte es nicht, mich für jemand anderen zu verausgaben.
Wie bist du zum Gang-mitglied geworden?
Als ich noch in New York lebte, war ein Cousin von mir bei den Bloods. Ich hing viel mit ihm herum und wurde dadurch ebenfalls ein Teil dieser Welt. Meiner Familie gefiel das natürlich nicht, also schickten meine Onkel mich zusammen mit meiner Mutter nach Georgia – um mich von diesen Dingen fernzuhalten. Aber auch dort traf ich ein paar Verrückte, die in Gang-Kriege verstrickt waren. Da ging es aber nicht mehr um Bloods und Crips, sondern einfach nur um Streitigkeiten zwischen Nachbarschaften.
Deine Mutter ist Debra Antney, die auch Gucci Mane und Nicki Minaj gemanaget hat. Hat sie deine Karriere immer unterstützt?
Sie war immer für mich da, sie ist ein sehr verständnisvoller Mensch. Allerdings bin ich nicht ihr Sohn, wenn wir über Business reden. Ich bekomme keine Sonderbehandlung. Wenn ich nicht fleißig war, kümmerte sie sich auch nicht um meine Karriere. (lacht) Ich musste hart arbeiten, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Sie sagte mir auch an einem Punkt, sie würde kein Geld in einen Straßengangster stecken. Also musste ich meinen Lebensstil von Grund auf verändern. Ich habe ja erst vor zwei Jahren mein erstes Mixtape “Salute Me Or Shoot Me Vol. 1” veröffentlicht, das hatte ich nur mit einem PC und einem Mikrofon in der Garage meiner Mutter aufgenommen. Da waren nur ich und mein Kumpel Tay beteiligt, der ein paar Beats produziert hat. Von da an nahm alles seinen Lauf.
Es heißt, du hättest erst durch Gucci Mane zum Rap gefunden.
Wenn meine Mutter ihn nicht getroffen hätte, dann hätte ich auch nie mit dem Rappen begonnen. Wahrscheinlich würde ich immer noch versuchen, auf der Straße einen schnellen Dollar zu machen. Gucci hat mich ins Spiel gebracht, und nachdem mein erster Song “Planes” direkt so ein Erfolg wurde, wusste ich, dass ich Vollzeit als Rapper arbeiten will. Ich bekam die ersten Auftritte und hatte plötzlich sogar so etwas wie Fans.
Das Video zu “Hard In The Paint” hast du in einem berüchtigten Teil von Inglewood, Los Angeles, gedreht, der als “The Jungles” bekannt ist. Am Ende des Videos sieht man auch T. Rodgers, einen respektierten O.G. aus der Blood-Community.
Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Er sagte mir, dass er meine Musik und mein Movement mag. Das bedeutet mir eine Menge, zumal es von einem Menschen wie ihm kommt. Es bringt mir viel, mit ihm zu reden, denn er ist ein weiser Mann, der in seinem Leben schon eine Menge erlebt und gesehen hat.
Dein Album heißt “Flockaveli”, was viele als Referenz an Tupacs klassisches “Makaveli”-Album interpretiert haben.
Nein, das ist falsch! Niemand hat meine Musik inspiriert, außer ich selbst. Mein Titel bezieht sich auf die Werke von Macchiavelli [italienischer Staatsphilosoph der frühen Neuzeit, Anm. d. Verf.]. Wer seine Bücher liest, wird verstehen, warum mein Album “Flockaveli” heißt und was ich in meinem Leben durchgemacht habe. Viele denken nur: “Oh, er kopiert Tupac.” Aber da steckt viel mehr drin. Es ist mein Debütalbum, also musste ich eine Menge loswerden. Ich habe einfach versucht, ein realistisches Bild meines Lebensstils und des Weges zu zeichnen, den ich bis hier gegangen bin.
Was war die Inspiration zu deinem größten Hit “Hard In The Paint”?
Ich liebe diesen Song, hatte aber ursprünglich nicht gedacht, dass er so groß werden würde. Ich weiß noch, dass ich ihn geschrieben habe, nachdem ich einen Nachmittag viele Internet-Kommentare gelesen hatte und daraufhin sehr wütend war. Daraus entstand die Motivation, so einen Song aufzunehmen. Es war ein Ventil – anstatt rauszugehen und irgendwem etwas Schlimmes anzutun, habe ich meine ganze Aggression in diesen Song gesteckt. Das hat mir eine Menge Stress erspart.
Ein Song auf deinem Album heißt “Fuck The Industry”. Ein mutiges Statement auf einem Debütalbum.
Die Musikindustrie ist wie ein Haus voller Kakerlaken. Ich bin ein echter Nigga von der Straße, die Industrie hingegen ist von faken Niggas durchsetzt. Viele behaupten, sie wären Gangbanger, hatten aber nie was mit dieser Welt zu tun. A lot of niggas snitchin’ and shit. Dieser Song ist für sie. Allerdings richtet er sich an die ganze Industrie, nicht an einzelne, bestimmte Personen. Ich würde niemals jemanden persönlich dissen, ohne seinen Namen zu nennen. Oder einem einzigen Menschen einen ganzen Song widmen. Das ist einfach nicht mein Ding.
Wie soll die Welt dich mal in Erinnerung behalten?
Als einen echten Nigga. Nicht als großartigen Rapper, sondern einfach als großartigen Menschen. Und als einen der Realsten, den das Spiel je hervorgebracht hat.
Interview: Jorge Peniche