Bei »Spotlight« stellen wir euch Künstler*innen, Labels und Projekte jeglicher Art vor, die gerade am Anfang stehen oder noch unter dem Radar des Mainstreams stattfinden. Rapper Steasy aus Hamburg ist mit Sicherheit kein Neuling in der Szene, aber stellt mit seinem Album »Exit« trotzdem alles auf Null.
Steasys musikalische Anfänge finden sich im Battle-Rap rund um die bekannten Formate RBA und VBT. Damit steht er bei weitem nicht alleine da, mittlerweile gibt es einen durchaus großen Kreis an Künstlern, die ihre ersten Erfahrungen und Erfolge dort gesammelt haben und in ihrer weiteren Karriere als Rapper neue Wege gegangen sind. 2013 gewinnt Steasy das VBT und bekommt größere Aufmerksamkeit, 2017 folgt sein Debütalbum »Statussymbol«. Auf »Exit« lässt Steasy durchblicken, wie er diese Phase seiner Karriere heute einordnet und erklärt uns, warum sich sein Zweitling wie das eigentliche Debüt anfühlt. »Der Entstehungsprozess vom Debütalbum war zäh, krampfig und verkopft und das hört man vielen Songs an meiner Meinung nach. Ich wollte alles richtig machen und das hat mir irgendwann komplett den Spaß am Musikmachen und an der anderen Arbeit für das Album genommen. Es ging nur noch darum, möglichst alles zu bedienen, wofür mich die Leute kannten. Die meisten kannten mich seit dem VBT als arroganten und unnahbaren Battlerapper mit Sonnenbrille und einem starken Hang zu übertriebener Selbstgefälligkeit. Das konnte ich in Battles ziemlich cool und immer mit leichter Selbstironie verpacken. Auf Songs funktioniert das einfach nicht annähernd so gut und so habe ich mich immer mehr in diese Rolle verrannt, die sich letztendlich doch viel zu ernst genommen hat.«
»Mir war klar, dass ich da nur rauskomme, wenn mein Kopf wieder freier wird. Reden und Schreiben hat mir da sehr geholfen.«
Die logische Konsequenz ist der Neustart mit dem Album »Exit«, das gleichzeitig ein Entkommen vom Alten und der Start eines neuen kreativen Abschnitts ist. »Die Päckchen, die jeder von uns zu tragen hat, wurden bei mir gefühlt zu riesigen Paketen und ich konnte kaum mehr für Entlastung sorgen. Die schlechte Physis schlug dann auf die ohnehin schon angeknackste Psyche und wieder zurück. Mir war klar, dass ich da nur rauskomme, wenn mein Kopf wieder freier wird. Reden und Schreiben hat mir da sehr geholfen«, meint Steasy. Die Texte des Albums offenbaren diese schwierige Lage und sind durch ihren starken persönlichen Bezug sehr intim. Denn Steasy macht nicht nur musikalisch ein neues Kapitel auf, sondern verarbeitet seine persönlichen Struggles auf vielfältige Arten.
Besonders eindringlich klingt das auf seiner Single »Mein Herz«. Dort gibt Steasy seinen Hörer*innen auf knappen sechs Minuten einen intensiven und detaillierten Einblick in die Diagnose einer Herzneurose und die Folgen der Ungewissheit, nicht zu wissen, wie lange das eigene Herz noch mitmacht. Panikattacken, fehlender Hunger, Angstzustände, Schlafmangel – Steasys Realtalk ist durchaus belastend, aber genau deswegen mitreißend. Er selbst erklärt die Weiterentwicklung seiner Themenwahl so: »Dass sich das Album letztendlich in eine so persönliche Richtung entwickelt, war nicht geplant. Das Schreiben fiel mir einfach wieder viel leichter ohne krampfhaft Punchlines zu kreieren oder belanglose Themen suchen zu müssen. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ich erst jetzt an einem Punkt bin, an dem ich es Songwriting nennen kann.« Die Folge dieser Veränderung ist einerseits die eigene ehrliche Auseinandersetzung mit Problemen, andererseits die Öffnung gegenüber den Fans, die jetzt stärker an Steasys Prozessen der Verarbeitung teilhaben können. »Man sagt, dass sich viele Dinge von selbst regeln. Ich glaube da nach meinen jüngsten Erfahrungen nicht mehr dran. Ich musste viel dafür tun, dass es mir jetzt wieder besser geht und das Schreiben und Zeigen der Songs hat mir sehr geholfen. So kam ich auch erst über einige Themen ins Gespräch. Vorher mit Freunden und jetzt auch mit den Hörer*innen, die relaten können. Die Resonanz auf „Mein Herz“ war krass. Man fühlt sich schnell allein mit solchen Problemen, vor allem, wenn einem von ärztlicher Seite nicht wirklich geholfen wird. Für die meisten Päckchen habe letztendlich meine eigenen Lösungswege gefunden, um aus der Negativität rauszukommen. Aber ich habe auch ganz klar gemerkt, dass ich das alleine wohl nicht geschafft hätte.«
Die Musik und der Austausch über die Kunst, die jetzt nicht mehr einem aufgedrückten Image folgt, sondern Authentizität verkörpert, wird zu einem wichtigen Weg, um psychische und physische Probleme zu thematisieren. Auf »Art Fucks Me« macht der Hamburger aber auch klar, dass die kreative Auseinandersetzung Kraft kostet und nicht beliebig oft eingesetzt werden kann. »Ich versuche mir inzwischen einfach bewusste Auszeiten zu nehmen und mich da auf ganz andere Dinge zu konzentrieren. Das ist schwer, weil es gleichzeitig Stillstand für meinen musikalischen Prozess bedeutet, aber notwendig, um nicht den Kopf zu verlieren«, erklärt Steasy den Spagat zwischen kreativem Output und wichtigen Phasen der Ruhe. Dazu kommt der finanzielle Aufwand, der mit dem Recorden eines Albums einhergeht und der von Steasy getragen wird, ohne auf einen Gewinn nach dem Release zu hoffen – zumindest keinen finanziellen. »Finanziell würde ich ohne Album aktuell sehr viel besser dastehen. Ich habe in den letzten Monaten quasi jeden freien Cent da reininvestiert und vielleicht zahlt es sich doch noch aus. Ich denke da gar nicht zwangsläufig an Geld. Das war für mich nie eine Motivation, auch wenn es sich definitiv sehr gut anfühlt, Geld mit seiner Kunst zu verdienen.«
Der positive Effekt von Schreiben, Recorden und Veröffentlichen liegt weniger im Geld als im eigenen Wohlbefinden, quasi dem eigenen Status nach dem Exit und Neustart. Steasy sagt von sich selbst, dass er nach all den schweren Themen »definitiv gestärkt und positiver aus diesem Album« herausgeht. Seine Kunst ist zum Instrument der Selbstfindung geworden, die er auf dem Album greifbar darstellt. Während dieser Weg für Steasy funktioniert, ist ihm gleichermaßen klar, dass solch eine musikalische Verarbeitung zwar helfen kann, aber wohl nur die wenigsten genau diesen Weg gehen können. Er rät Menschen mit ähnlichen Problem, darüber zu sprechen, sich nicht zurückzuziehen und ein Ventil zu finden. »Bleibt man alleine mit sich und seinen Gedanken, kann das langfristig katastrophale Folgen haben. Klar ist aber auch, dass es für nichts ein Patentrezept gibt. Meine Probleme waren und sind zum Teil sehr speziell, aber letztendlich ist jedes Problem individuell.« Trotzdem macht Steasy vor, wie er seinen Weg gefunden hat, bindet seine Fans dabei ein und hilft somit, Platz für Gespräche über persönliche Probleme und schwierige Phasen zu öffnen. Für die Zukunft bedeutet das, dass dort mehr Platz für leichtere Inhalte ist. »Ich möchte mich einfach musikalisch weiterentwickeln und natürlich an das Album anknüpfen. Das heißt aber nicht, dass es so dramatisch und schwer bleibt. Ein zweites EXIT wird es nicht geben.«
»Exit« erscheint am 21. Mai.
Text: David Regner
Foto: Julian Dahl