Bei »Spotlight« stellen wir euch Künstler*innen, Labels und Projekte jeglicher Art vor, die gerade am Anfang stehen oder noch unter dem Radar des Mainstreams stattfinden. In dieser Ausgabe widmen wir uns einem Print-Heft über die spannendste Untergrund-Szene, die Deutschrap in den letzten Jahren hervorgebracht hat – es geht um Memphis Rap, Mane.
»AUSRUF FANZINE. ÜBER DEUTSCHEN MEMPHIS RAP« steht auf dem Cover des DIN A5 Hefts, auf das ich in einer der ungezählten Insta-Stories stoße, die täglich über meinen Handyscreen laufen. Auf dem Cover befindet sich Rapper und selbsternannter Kingpin Skinny Finsta, im Hintergrund scheinen grelle Blitze vor einem düsteren Hintergrund, die bunten Schriftzüge erinnern an Tape-Cover aus dem Dirty South. Das Design spricht mich sofort an und ein Releasedatum für die 75 gedruckten Exemplare des Fanzines steht bereits fest. Folgerichtig sitze ich am 22.04 pünktlich um 20 Uhr vor meinem Laptop und schreibe eine Mail an Liam Tanzen, der das AUSRUF Fanzine herausgibt. Ein paar Stunden bekomme ich eine Antwort, die mir mitteilt, dass mindestens 75 Leute ebenfalls um 20 Uhr ein Mail geschrieben haben und damit schneller waren als ich. Der Andrang auf die limitierten Exemplare war groß, ähnlich wie bei den zahlreichen Kassetten von Rappern, die erst über eigene Shops, Bandcamp oder Insta DMs und später zu knackigen Preisen auf Discogs vertickt werden.
Dass das Fanzine so schnell ausverkauft sein würde, hätte Liam selbst nicht erwartet: »Ich bin sehr vorsichtig gewesen und wollte alles Schritt für Schritt machen. Ich habe das Heft erst fertig gestellt und es zur Druckerei geschickt, bevor ich den Instagram-Account erstellt habe. Damit hatte ich keinen Einfluss mehr auf die Auflage und das Heft an sich. Mit dem Account auf Instagram konnte ich mir schon langsam denken, dass es wahrscheinlich ganz gut laufen wird. Aber da siehst du natürlich auch nur Zahlen und kannst kaum abschätzen, wie viele Leute tatsächlich ein Heft kaufen wollen. Es waren dann sehr viele. Das ist einerseits schön, andererseits sind viele Leute leer ausgegangen. Vielleicht hätte ich das anders gemacht, wenn ich es vorher gewusst hätte. Aber so ist es cool, dass man jetzt eine sehr rare erste Ausgabe vom AUSRUF Fanzine hat.« Liams Faszination für das Genre Memphis Rap, Tapes und Collucis ist eng mit Skinny Finsta verknüpft, der nicht nur auf dem Cover der ersten Ausgabe zu sehen ist, sondern auch dafür verantwortlich zeichnet, dass Kenner*innen mittlerweile nicht mehr »Shoutout«, sondern »Ausruf« sagen. Skinny Finsta aus Heidelboogyberg ist Vorreiter und Aushängeschild von deutschem Memphis Rap. »Skinny Finsta habe ich zum ersten Mal bei Haiytis „Nightliner“ Mixtape auf dem Song „Fiorucci“ gehört«, erzählt Liam. »Ich erinnere mich relativ prägnant daran, „Teich“ gehört zu haben, was ja der erste Untergrundhit von Skinny Finsta und auch eine JUICE Premiere war. Ab dem Punkt hatte ich beisammen, was da los ist, und habe angefangen mich reinzuarbeiten.«
»Streckenweise kennst du dann zwar die Leute, aber kannst deren Musik gar nicht hören, weil die auf Tape-Only-Releases von vor zwei Jahren drauf ist.«
Liam Tanzen über das Diggen von deutschem Memphis Rap
Dieses Aufarbeiten macht den wichtigen Stellenwert von physischen Releases in Form von limitierten Kassetten deutlich. »Tatsächlich habe ich viele Leute bei Instagram gediggt. Streckenweise kennst du dann zwar die Leute, aber kannst deren Musik gar nicht hören, weil die auf Tape-Only-Releases von vor zwei Jahren drauf ist. Dann weißt du, dass es den Typen gibt, aber hast noch nie einen Song gehört. Da gibt es auf jeden Fall noch Sachen nachzuholen, die vielleicht gar nicht nachholbar sind.« Der unkomplizierte Zugang zu Sozialen Medien, wo die Releases von Tapes und anderem Merch kommuniziert werden, steht im Gegensatz zu den raren, analogen Sammlerobjekten, die nur einem kleinen Kreis von Liebhaber*innen zugänglich werden. Selbstverständlich ist aber nicht jedes Tape-Release ein Tape-Only-Releases, weshalb der Dirty South längst eine passende Playlist auf dem Streamingdienst Spotify bekommen hat. »Es gibt die Modus Memphis-Playlist von Skinny Finsta, mit der ich auch gearbeitet habe. Damit ging es langsam los, dass du Sachen wiedererkennst, zum Beispiel Voice-Samples, die in deutschen Songs verwendet werden. Das macht einfach Spaß, weil es eine schöne Suche ist.«
Nachdem das Wissen um die Szene gewachsen ist und die Idee für das Heft steht, kommt der Kontakt zu Skinny Finsta selbstverständlich über ein sehr spezielles Tape zustande: »Ich habe noch geschaut, wie ich ihn anfrage und ob ich ihm direkt ein paar Texte als Referenz mitschicken soll. Aber dann habe ich wegen einem ganz anderen Thema mit ihm geschrieben. Es gab eine Mini-Kassetten-Auflage, vielleicht wirklich nur 2-3 Tapes, von Jan Wehns ALL GOOD Podcast mit Skinny Finsta. Irgendjemand hat das auf Kassette aufgenommen und ihm und ein paar Freunden geschickt. Weil ich das krass fand und das Fanzine eh im Kopf war, habe ich ihm geschrieben. Dabei habe ich ihn nach einem Interview gefragt, was dann sehr schnell geklappt hat«, erzählt Liam.
Neben der Titelgeschichte gibt es in der ersten Ausgabe vom AUSRUF Fanzine außerdem einen Beitrag zum Genre Dungeon Rap, ein Interview mit Rapper Richieflieger, Reviews und Texte über das Tape-Sammeln und Artworks. Gastbeiträge stammen dabei von @weirdesthiphopcovers, der auf Instagram skurille Alben-Cover sammelt, und @lexy.kon, der seine Tape- und Vinyl-Sammlung sehenswert aufbereitet. Den Großteil der Arbeit hat Liam aber selbst umgesetzt, wobei sein Studium der Illustration ihm das nötige Handwerk für Layouts und Grafiken mitgegeben hat. »Ich wollte den Aspekt der Artworks auf jeden Fall mit dabei haben. Das macht für mich einen großen Teil der Faszination für das Thema aus. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, was alles dazugehört. Ich wollte aber kein überfrachtetes Heft machen, wo alles drin ist. Deswegen gibt es einige Sachen, die noch nicht besprochen worden sind.« Auch die Artworks haben ihre eigene Kultur und Geschichte, die erst einmal aufgearbeitet werden will. Liam hat dafür auf Discogs zurückgegriffen: »Es gibt ja Pen & Pixel, die große Firma aus den Südstaaten, die die meisten kennen. Es gibt in Memphis selber aber auch ein Pendant dazu, das sich „Street Level Graphics“ nennt. Ich glaube, das ist sogar nur ein Typ, der das macht. Er hat sehr viel von den frühen Sachen gemacht, unter anderem auch von der Three 6 Mafia. Auf Discogs kann man sein Künstlerprofil anwählen und sieht dann quasi seine Diskographie von Artworks und Covern. Da habe ich mir bei der Vorbereitung vom AUSRUF Fanzine sehr viel angeschaut.«
»Der limitierte Charakter ist eben auch der Witz und das Besondere an der Geschichte«
Nach dem Erfolg der ersten Ausgabe vom AUSRUF Fanzine soll es keine allzu lange Pause geben. »Ich habe nicht nur Inspiration, sondern schon Material und Anfragen bekommen. Leute haben mir ihre Musik geschickt und es kamen schon konkrete Vorschläge, auf die ich zurückgreifen kann. Es hat sich sehr schnell vieles ergeben, mit dem man arbeiten kann. Ich möchte das zeitnah machen, um den Schwung mitzunehmen. Auch, weil ich schon mit einem Künstler gesprochen habe, der demnächst ein Tape releast und vielleicht auf das nächste Cover kommt«, verrät Liam. Einen festen Veröffentlichungs-Rhythmus wird es nicht geben, aber die Auflage der zweiten Ausgabe soll ein wenig größer werden als die erste. Dass die Exemplare wieder begehrt sein werden, ist nicht schwer vorherzusagen, denn Liam bekommt sogar Anfragen nach einer digitalen Ausgabe des ersten Zines. »Das ist schwierig zu entscheiden. Auf eine Art willst du den Leuten die Texte geben, damit sie gelesen werden. Trotzdem ist es natürlich etwas anderes, ob man das Heft tatsächlich in der Hand hält oder nur die Texte liest. Der limitierte Charakter ist eben auch der Witz und das Besondere an der Geschichte, deswegen bleibt das wahrscheinlich so.« Das AUSRUF Fanzine bleibt rar und ich werde mir auch beim nächsten Drop eine Erinnerung einrichten, die mir mitteilt, wann ich meine Mail abschicken muss. Ob das dann mehr Erfolg als beim ersten Mal hat, sei dahingestellt. Am Ende bleiben wir alle Spieler*innen in diesem Game, das sich konkret um ein Fanzine, aber im größeren Sinne um eine lebendige Untergrund-Kultur dreht, die eigene Wege des Austauschs etabliert hat.
Text: David Regner
Bilder: Liam Tanzen