»Soll ich so tun, als seien alle Weißen Rassisten?« // Spike Lee im Interview

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Wenn von afro-amerikanischem Kino die Rede ist, fällt ein Name stets als erstes: Spike Lee – und das seit über dreißig Jahren. Mit »She’s Gotta Have It« wurde er 1986 über Nacht zum Regiestar, es folgten Filme wie »Do The Right Thing«, »Malcolm X« und »Inside Man«, außerdem gefeierte Dokumentationen (etwa über Hurricane Katrina oder Michael Jackson), eine auf seinem Debütfilm basierende Netflix-Serie sowie ein Ehren-Oscar. Nun meldet sich der 61-jährige mit »BlacKkKlansman« zurück, seinem stärksten Spielfilm seit Jahren.

Dein neuer Film »BlacKkKlansman« spielt in den Siebzigerjahren, doch die Geschichte rund um den Ku-Klux-Klan ist von erschreckender Aktualität. Hätte dich der Stoff auch zu den Zeiten von Präsident Obama schon derart interessiert?
Eine solche Hypothese hat für mich wenig Sinn, denn dass sich Jordan Peele und seine Firma die Rechte an dieser Story gesichert und sie mir angeboten haben, passierte ja nicht grundlos erst nach der Wahl Trumps statt vor fünf Jahren. Unter einem Präsident Obama hätte ein solcher Film natürlich anders gewirkt.

Warum?
Kein schwarzer Amerikaner kann überrascht sein, dass eine Geschichte über den Ku-Klux-Klan in den Siebzigerjahren heute noch relevant ist. Seit unsere Vorfahren damals aus Afrika geholt wurden, kennen wir diesen Hass. Nur weil er über die Jahre immer wieder sein Antlitz veränderte, ist er nicht verschwunden.

Dem schwarzen Protagonisten, auf dessen wahren Erlebnissen der Film basiert, stellst du einen weißen, jüdischen Kollegen zur Seite. Gehörten Juden tatsächlich genauso sehr zum Feindbild des Klans?
Oh ja! »Die wollen unseren Platz an der Spitze der Gesellschaft einnehmen und uns ablösen«, so lautete damals deren Angst. Und »die« waren eben nicht wir Schwarzen, sondern die Juden. Nicht umsonst gab es in der Bürgerrechtsbewegung der Sechziger eine echte Allianz zwischen Afroamerikanern und amerikanischen Juden. Immer wieder gingen Rabbis mit uns auf die Straße.

Eine weitere tragende Figur ist eine Frau: Patrice Dubois.
Die ist eine fiktive Figur, aber sie ist inspiriert von den vielen tollen Frauen, die die »Black Power«-Bewegung mit-geprägt haben wie Angela Davis oder Kathleen Clever. Frauen waren immer an vorderster Front mit dabei. Deswegen war es uns wichtig, eine in »BlacKkKlansman« dabeizuhaben – zumal ich auf Twitter gekreuzigt würde, wenn das ein reiner Männerfilm geworden wäre. (lacht)

»Seit dem Beginn meiner Karriere haftet mir das Label des ‚wütenden Schwarzen‘ an. Als sei das meine Masche«

Am Ende des Films stellst du den schon angesprochenen Bezug zur Gegenwart ganz direkt her, indem du Bilder von den brutalen Neonazi-Aufmärschen in Charlottesville von vergangenem Sommer zeigst. Eine kurzfristige Entscheidung?
Eigentlich hatten wir ein anderes Ende vorgesehen: Ein brennendes Kreuz vor dem Fenster unseres Protagonisten sollte symbolisieren, dass der Rassenhass nie aufhört. Doch als wir gerade im Schneideraum saßen, passierten diese unfassbaren Ereignisse von Charlottesville. Was da vor sich ging, war viel eindrucksvoller und auf tragische Weise treffender als jeder Schluss, den wir uns hätten ausdenken können. Es war fast so, als wollten der Motherfucker im Weißen Haus und all diese Rassisten wie David Duke, der ja ohnehin schon in unserer Geschichte vorkam, unbedingt Teil unseres Films werden.

Eines der letzten Bilder ist das der jungen Frau, die ihr Leben verlor, als einer der Alt-Right-Sympathisanten mit seinem Auto absichtlich in eine friedliche Gegendemonstration raste. Warum?
Das war ein terroristischer Akt – und Heather Heyer ist für mich eine Heldin, die für die Bürgerrechte auf die Straße ging und deswegen sterben musste. Mir haben die Bilder von ihrem Tod das Herz gebrochen. Aber ich hätte die Aufnahmen, die ja tagelang in allen Nachrichtensendungen zu sehen waren, nie verwendet, ohne Heathers Mutter mein Beileid auszusprechen und sie um Erlaubnis zu fragen.

Bei der Weltpremiere von »BlacKkKlansman« in Cannes gab es vereinzelte Stimmen, die sich daran störten, dass du diesen Film über Rassismus damit quasi einer Weißen gewidmet hättest.
So einen Vorwurf empfinde ich als Beleidigung. Soll ich so tun, als seien alle Weißen Rassisten? Was für ein Quatsch! Und Heather Heyer ist nicht die erste weiße Person, die in den Kämpfen der Bürgerrechtsbewegung ihr Leben verloren hat. Für mich ist sie, ganz unabhängig von ihrer Hautfarbe, ein Mensch, der auf tragische Weise für das Gute gestorben ist.

Davon abgesehen ist der Film bei aller Tragik auch ausgesprochen witzig. Siehst du ihn vielleicht sogar als Komödie?
Nein, nein, sicher nicht. Natürlich ist es beabsichtigt, dass die Zuschauer lachen. Aber ‚witzig‘ ist in diesem Kontext das falsche Wort. Ich würde eher sagen: Ich habe mir ernste Themen mit Humor vorgenommen.

Dein Image ist ansonsten ja eher von Verbissenheit und Wut geprägt, oder?
Seit dem Beginn meiner Karriere haftet mir das Label des wütenden Schwarzen an. Als sei das meine Masche oder ein Image, das ich mir zugelegt habe – immer mit dem Unterton, dass ich maßlos übertreibe. Aber als afroamerikanischer Bürger der USA, deren gesamtes Fundament von Anfang an auf dem Genozid an den Ureinwohnern sowie auf Sklaverei basierte, habe ich jedes Recht darauf, wütend zu sein. Doch ich habe auch gute Tage. (grinst)

Hast du mal darüber nachgedacht, dich mit all deinem Engagement auch einer politischen Aufgabe zu widmen?
Bloß nicht! Ich mache genau das, was meine Bestimmung ist – und nichts wird mich davon abbringen! Geld zu verdienen mit einer Sache, die ich liebe, ist ein Segen! Aber natürlich will ich mit meiner Arbeit zumindest dazu beitragen, die Menschen aufzurütteln und mit der Nase auf ein paar Missstände zu stoßen. Der Aufschwung der Rechten und Rassisten ist schließlich nicht erst dem Kerl im Weißen Haus zu verdanken – das sieht man überall auf der Welt. Wir befinden uns gerade in einem gefährlich diffusen Dämmerzustand. Und es ist höchste Zeit, dass wir alle aufwachen!

Text: Jonathan Fink
Foto: Jason Bell

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #188. Die aktuelle Ausgabe gibt’s versandkostenfrei im Shop.

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