DJ Roundtable 2011

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Am Anfang war der DJ. Dann kamen die MCs und verdrängten die Erfinder von HipHop aus dem Rampenlicht. Doch die letzten Jahre sind von einer DJ-Renaissance gekennzeichnet: Das exzessive Cluberlebnis gibt es eben noch nicht auf Hulkshare. JUICE hat vier der relevantesten hiesigen Berufsaufleger an den runden Tisch geladen, um über den Status Quo der DJ-Kultur in Deutschland zu konferieren. Sie alle bereichern sie nämlich mit ganz unterschiedlichen Ansätzen: Der Wahlhamburger Veteran DJ Stylewarz mit seinen kompromisslosen Hardcore-Sets und seiner Tätigkeit als ein Drittel des DJ Orchesters mit Mixwell und Mirko Machine. Der Frankfurter DJ Kitsune durch Mixtapes, Radiosendungen und kontinuierliche Bookings im Rhein-Main-Raum. Gan-G mit pumpenden Club-Sets im dreckigen Süden und Soundsystem-Gigs mit Rappern wie Kool Savas, Fler oder Kay One. Und DJ Ron aus Chemnitz mit Crunk-Mottopartys, absurden Verkleidungen und einem großartigen Podcast (»Uptown’s Finest«), in dem gerade auch für deutschen HipHop eine Lanze gebrochen wird.

Falk hat kürzlich in seiner Kolumne kein gutes Haar an der DJ-Zunft gelassen. Habt ihr euch da angesprochen gefühlt oder gebt ihr ihm recht?
Stylewarz: Er spricht nur aus, was mir seit Ewigkeiten auffällt. Deutsche DJs sind unkreativ, einfallslos und feige. Viele bezeichne ich auch nicht als DJs, sondern als Hampelmänner. Ein DJ ist ein Künstler, viele sind für mich aber nur billige Dienstleister. Und genau die fühlen sich dann auch angegriffen von Falk. Ich habe eigentlich nur ein Statement von einem DJ gesehen und mir da gedacht: Genau du bist halt auch gemeint. (lacht)
Kitsune: Was war denn eigentlich Falks Hauptkritikpunkt?

Dass die meisten DJs aus einer Selection von ca. 50 sicheren HipHop-Hits auswählen. Und wenn es um Deutschrap geht, dann reden wir sogar nur noch von zehn bis 15 Songs.
Kitsune: Das sind aber nun mal die einzigen Hits, die Deutschrap hat! Oder es ist halt keine Partymucke. Im Club kommt ja keiner und wünscht sich Bushido, auch wenn er der erfolgreichste Rapper in Deutschland ist.

Stylewarz: Hatte ich auch schon. Aber die Leute wissen halt, dass sie von mir dafür nichts als ein mitleidiges Lächeln bekommen. Oder ’ne gerade Rechte. (lacht)

Kitsune: Ich meine ja nur, dass es durchaus erfolgreiche Alben im Deutschrap gibt, aber keine wirklichen Hit-Singles, auf die die Leute im Club tanzen wollen.

Dj Stylewarz banging the 3000! by DJ Stylewarz

Dagegen wenden Rapper oft ein, dass die DJs einfach zu wenig Mut haben und keine neuen Songs ausprobieren.
Stylewarz: Alles kann, nichts muss. Ich finde es schade, dass es immer noch nicht cool ist, deutsche Sachen zu spielen. Es gibt aber auch unglaublich viel Deutschrap-Müll, den ich einfach nicht spielen kann und will.

Ron: Es gibt halt zu wenig deutsche Songs, mit denen man sich gut fühlt.

Kitsune: Ich war mal mit Harris auf einer Party gebucht, wo ich nur deutsches Zeug auflegen sollte. Ich bin echt ins Schwitzen gekommen. Ich wollte ja Harry auch nicht die großen Hits wegspielen. Das Publikum hat nichts von dem gefeiert, was ich gespielt habe. Ich hätte nach 20 Minuten das Handtuch werfen können. Aber Harry hat die Party gerockt.

Ron: Ich muss Falk trotzdem recht geben, nicht nur auf Deutschrap bezogen: Viele DJs spielen einfach immer dasselbe Set. Ich versuche, den Leuten gute Musik nahe zu bringen. Ich streue immer Sachen ein, die ich persönlich geil finde. In Chemnitz schaffen wir es teilweise sogar, eigene kleine Hits zu kreieren.

Stylewarz: Es geht halt generell darum, wie du dich als DJ siehst und was du unter deiner Aufgabe verstehst. Ein DJ ist für mich wie gesagt ein Künstler, kein Dienstleister.

Kitsune: Die meisten DJs sind irgendwo dazwischen anzusiedeln. Wenn du Live-DJ für Künstler XY bist, dann bist du in meinen Augen ein knallharter Dienstleister.

Stylewarz: Ey, 2011 legst du doch nicht mehr für einen Rapper auf. Das ist das Dümmste und Profilloseste, was du machen kannst. Ganz ehrlich: Es gibt in Deutschland genau keinen Rapper, für den ich das machen würde. Die haben doch alle keinen Anspruch mehr an eine geile Show. Vielleicht fände ich das geil, wenn ich 19 wäre.

Und davon bist du weit entfernt.
Stylewarz: Allerdings. (Gelächter)
Gan-G: Aber wenn ich für einen Rapper auflege, dann bringe ich mich schon aktiv ein. Trotzdem bist du in der Situation natürlich mehr ein Dienstleister.

Du machst Soundsystem-Gigs mit Kool Savas, Fler oder Kay One. Ist dabei der Anspruch ein künstlerischer oder willst du damit einfach nur Geld verdienen?
Stylewarz: Ich könnte jetzt was sagen, aber ich lasse es. (lacht)

Gan-G: Beides natürlich. Aber ich suche mir schon aus, mit wem ich das mache. Und ich bin auch nicht unbedingt darauf angewiesen, da ich mit meiner Booking-Agentur Major Movez ohnehin viele Shows mache.

Aber für die Rapper ist es eine Möglichkeit, zwischen ihren Touren Live-Geld zu verdienen. Allerdings frage ich mich immer, wo der Mehrwert fürs Publikum ist, wenn mit dem Namen des Rappers auf dem Flyer geworben wird, der aber letztlich nur »hostet« und keine eigenen Songs spielt.
Gan-G: Ja, deswegen hat es sich vom reinen Hosting eher dahin entwickelt, dass der Rapper quasi ein Mini-Konzert mit eigenen Songs spielt. Natürlich ist das für den Rapper auch eine weitere Geldeinnahmequelle.

Stylewarz: Aber sorry, ­damit bescheißt ihr euch doch komplett. Ein Booking eines Soundsystems ist billiger als das Booking eines Konzerts. Der Rapper kommt für die Hälfte seiner Gage, spielt aber dann trotzdem ein Konzert. Das ist Selbstbetrug.
Gan-G: Aber die Leute, die in die Clubs gehen, würden überwiegend nicht zu einem richtigen Konzert des Rappers gehen.

Kitsune: Dann verstehe ich nicht, warum der Clubbetreiber die Rapper überhaupt bucht.
Gan-G: Das Stammpublikum kommt ohnehin. Und dann kommen vielleicht noch ein paar hundert mehr, um den Rapper zu sehen. Außerdem geht es für den Clubbetreiber ums Image.

Es hält sich ja das hartnäckige Gerücht, dass Stylewarz vor seinen Gigs ­Setlists verschickt mit der Ansage, dass er nichts anderes spielt.
Stylewarz: Bitte was?! Nee, das habe ich nie gemacht. Wer erzählt denn so was?

Kitsune: Das Gerücht kannte ich auch.
Ron: Mir hast du doch die Liste geschickt, erzähl doch nichts. (lacht)
Stylewarz: Krass. Das kommt jetzt erst bei mir an. So ein Quatsch.

DJ Ron & DJ Shusta Intro by Phlatline Rec

Aber muss man nicht Kompromisse machen und auch mal spielen, was die Leute wollen, wenn man z.B. in einer Dorfdisko an der Autobahn auflegt?
Gan-G: Man muss sehen, dass das Publikum in den Clubs und bei Konzerten hauptsächlich 16 bis 20 Jahre alt ist. Die wollen das hören, was sie kennen. Und das sind nun mal nicht irgendwelche Oldschool-Classics.

Ron: Bei mir gibt es da Grenzen. Ich mache nicht alles mit. Man kann die Leute immer auch mit anderen Songs begeistern.

Gan-G: Bei diesen Diskos kommt am Ende ohnehin immer der Kommentar, dass es viel zu hart war, wie man aufgelegt hat.

Stylewarz: Ich lege in solchen Läden nicht auf.
Kitsune: Ich wurde auch noch nie von einer Großraumdiskothek gebucht. Ich spiele lieber in kleinen Clubs, wo 300 bis 500 Mann reinpassen. Dafür bin ich auch sehr dankbar.

Ron: Ich lege schon in größeren Clubs auf. Die Mischung macht’s für mich. Ich finde es arrogant zu sagen, dass die Leute dort keinen guten Sound verdient haben.

Stylewarz: Trotzdem gibt es für die Leute dort eine andere ­Motivation wegzugehen, als coole Musik zu hören.

Ron: Ja, dass sie billig saufen können. Das stimmt meistens schon. Aber es entwickelt sich gerade schon wieder in eine andere Richtung.

Gibt es regionale Unterschiede, was das Club­publikum angeht? Ich höre ja, dass es gerade in ­Süddeutschland eine ganz ­eigene, US-geprägte ­Clubszene gibt, wo man ganz selbstverständlich die ­absurden Tänze aus den Soulja Boy-Videos nachtanzt.

Kitsune: Klar, in den Gegenden, wo die Amis stationiert waren und sind.

Gan-G: Bei uns gab es einen kleinen Laden an der Armybase, da konnten wirklich nur drei oder vier DJs auflegen, weil die wussten, was die Leute hören wollen. Es ist schon eine andere Stimmung, wenn da 1.000 Amis auf der Tanzfläche sind. Und selbst als die Amis abgezogen wurden, musste man diese Sachen immer noch in die Sets einbringen. Inzwischen gehen aber diese Diskos an den Autobahnausfahrten fast alle unter.

Ich finde es absurd zu wissen, dass dort am Wochenende 2.000 Leute in eine Disko gekommen sind, wo D4L oder Dem Franchize Boyz aufgetreten sind und in einem 30-Minuten-Set viermal ihren einzigen Hit performt haben.
Kitsune: Die Leute wären aber auch gekommen, wenn die da nicht aufgetreten wären. Roey Marquis hat früher auch Boombap-Partys in Frankfurt gemacht, wo er die Missin’ Linx gebucht hat, die zwar keine Sau interessiert haben – aber der Laden war eh voll. In Frankfurt wurden die Amis ja schnell abgezogen, aber im Umland gab es überall noch Kasernen. Daher ist dieses Ami-Ding zu so einer Dorfdisko-Schiene geworden. In der Großstadt waren keine Amis und auch keine Ami-Clubs mehr. Dafür in Kaiserslautern oder Bamberg. Bei uns heißt es ja auch immer noch »Weezy F. Baden«. (lacht)

Gan-G: Es gibt auch Läden wie das ­»Matrix«, wo am Freitag ein normales, deutsches Publikum kommt und am ­Samstag ist es der härteste Ami-Laden.

Kitsune: Ganz genau. Aber am Freitag traut sich dann wieder keiner, dass Schweißband noch über das Bandana zu ziehen. (lacht)

Stylewarz: (heult auf) Krass, so was gibt es immer noch? Bei uns in Bremerhaven gab es diese Ami-Schiene auch, aber das ist für mich so unglaublich durch.

Ein Phänomen, das erst seit ein, zwei Jahren richtig groß ist, sind die Neunziger-Rap-Partys. In Berlin laufen momentan gerade vier parallele Veranstaltungen unter diesem Motto und alle sind gut besucht.
Stylewarz: Ich finde das grundsätzlich gar nicht schlimm. Das heißt für mich ja nur, dass der ganze Schrott, den die anderen in der Zwischenzeit gespielt haben, keine Sau mehr interessiert. Aber die Musik hängt mir teilweise halt aus’m Arsch. »MC’s Act Like They Don’t Know« höre ich im Club, seit diese Platte rausgekommen ist. Für mich gehören die Neunziger trotzdem genauso in ein Set wie neue geile Rap-Sachen. Ich spiele ja häufig in meinem Lieblingsclub Cassiopeia in Berlin. Die wollen da auch eher 90s hören, aber ich spiele Drum & Bass und Dubstep und die Leute drehen total durch. Ich lasse mich von diesen LRG tragenden J Dilla-Wichsern doch nicht einschränken oder regulieren.

Ron: Für mich sind solche Partys immer eine willkommene Abwechslung. Das Problem ist nur, das da auch immer die gleichen 50 Songs laufen. Und wenn du nicht »Big L, rest in peace« spielst, sondern was von den Cella Dwellas, dann kennt das keiner. Da sind meistens auch nur kiffende Kopfnicker auf den Partys, vor allem aber nur Typen. (lacht)

Stylewarz: Mir ist das trotzdem lieber, als wenn da so Teehausrappertypen rumstehen.

Kitsune: Der Punkt ist doch ein anderer: Alle spielen »Big L, rest in peace«, aber keiner spielt Big L. Die brüllen den Anfang von »Full Clip« mit, kennen aber nicht einen Song von Big L.

Ron: Ich war neulich auf einer Golden-Era-Party in Bielefeld, da konnte ich sogar Afu-Ra oder RAG spielen und die Leute haben es gefeiert. Das hat richtig Spaß gemacht. Ich finde es spannend, wenn man vom Publikum überrascht wird. Wenn ich »Da Rockwilder« spiele, dann weiß ich ja, was gleich passiert.

Kitsune: Der schönste Moment ist, wenn man sich bei einem Song unsicher ist und die Leute total drauf abgehen.

Stylewarz: Das erlebe ich momentan am meisten bei Songs, die für viele gar nicht als HipHop gelten. Geh mal auf den Notting Hill Carnival in London. Wenn das Soundsystem da einen uralten Barrington Levy-Tune spielt, dreht der 60-jährige Opa genauso durch wie das 14-jährige Kid. Hier heißt es dann: Der spielt ja Reggae, dabei ist er doch ein HipHop-DJ. Ja, genau! Vollhorst!

Vor ein paar Jahren wollten ja alle ­plötzlich Electro- und House-DJs sein, weil A-Trak das so vorgemacht hatte. Wie hat sich dieser Trend entwickelt?

Gan-G: Viele DJs haben sich wahrscheinlich gesagt: Ob ich nun »Pretty Boy Swag« oder irgendeinen Techno-Song spiele, macht jetzt auch keinen Unterschied mehr. Identifizieren kann man sich mit beidem nicht wirklich.

Kitsune: Ich habe das Gefühl, dass die Hälfte gerade zurückkommt, weil es sich für sie nicht ausgezahlt hat. Die andere Hälfte bleibt, weil da mehr Geld drin ist.

Stylewarz: Viele sind auch einfach genervt und gelangweilt vom HipHop-Publikum. ­Diese Musik hat eben eine andere Energie.
Ron: Ich hab nie da rübergeschaut, aber ich kann das nachempfinden. Dubstep hat für mich die Härte und Rohheit, die HipHop früher mal hatte.

Stylewarz: Das ist der Punk! HipHop ist nicht mehr rebellisch. Diese Energie finden die Leute im Dubstep halt wieder.

Kitsune: Früher lief ja ­Miami Bass und House ganz ­selbstverständlich in den Clubs neben HipHop.

Stylewarz: Ganz früher haben wir ohnehin alles außer HipHop gespielt. Nur weil du Rap-Platten spielst, bist du ja noch lange kein HipHop-DJ. Für mich bist du nicht HipHop, nur weil du 50 Cent spielst.
Kitsune: HipHop aufzulegen und 50 Cent zu ignorieren, ist aber auch bescheuert. Diese Scheuklappen-DJs, die nur Mid-90s spielen, nerven mich genauso.

Stylewarz: Darum geht es nicht. Es macht dich auch nicht mehr HipHop, wenn du Gang Starr spielst.

Du sprichst davon, dass die Ursprünge der HipHop-DJ-Kultur darin liegen, dass man alle möglichen Musikrichtungen gespielt hat, aber eben nur bestimmte Stücke oder Teile der Songs, und mit einer bestimmten Attitüde gemixt hat. Dieses Verständnis von HipHop gibt es aber kaum noch. Wenn du heute eine HipHop-Party veranstaltest, dann wollen die Besucher dort Rapmusik hören.
Kitsune: Als ich 15, 16 Jahre alt war und in die Clubs gegangen bin, wollte ich auch nur den Kram hören, der damals aktuell war: Biggie, Jay-Z oder Nas. Dann haben die Grandmaster Flash gespielt und ich habe gekotzt. Ich dachte nur: Verdammt, diese Oldschool-Scheiße wieder. Ich wollte das hören, was für mich cool und neu war. Den Zugang zu 80s-Rap habe ich ewig nicht gefunden. Erst über die Sample-Kultur der Neunziger habe ich den Bogen über 70s-Soul und -Funk hin zu 80s-Rap gefunden. Wenn ich einen alten Rakim-Song gehört habe, dachte ich: Die Drums laufen nicht rund und scheppern und Eric B. kann nicht scratchen.

Stylewarz: Das ist der Punk, von dem ich sprach. Heute wird alles schön rund gemacht, aber damals haben sie einen Fick gegeben.

Kitsune: Das gibt es heute auch noch. Waka Flocka gibt auch einen Fick darauf, was wir von ihm und seiner Musik denken.

Ron: Das war vor ein paar Jahren das Gleiche mit Dipset oder Crunk. Das hatte eine revolutionäre Stumpfheit. Als ich zum ersten Mal in Erlangen oder Bayreuth auf einer Party war, wo alle auf Lil Jon ausgerastet sind, hat mich das fasziniert. Wir haben dann angefangen, in Chemnitz auch Crunk-Partys zu machen. Das hatte bizarrerweise irgendwann einen echten Jam-Charakter. Da kamen Leute mit Bussen aus dem Ruhrpott angereist. Inzwischen haben wir das soundtechnisch aber geöffnet. Da läuft Petey Pablo genauso wie Wiz Khalifa oder Busta Rhymes.

Wie sehr deckt sich euer privater ­Musikgeschmack mit dem, was ihr im Club spielt?
Stylewarz: Ich spiele eh nur das, worauf ich Bock habe. Ich höre halt viel Drum & Bass und Dubstep, und das haue ich dir dann auch auf deiner Neunziger-Party um die Ohren.

Ron: Es gibt Songs wie »Party Up« von DMX, da regt sich bei mir gefühlsmäßig überhaupt nichts, wenn das anfängt. Aber man hat den Song mal gefeiert und die ­Leute wollen ihn immer noch hören.

Gan-G: Privat höre ich eher alte New York-Sachen, aber ich gehe auch mal zu Pur auf ein Konzert. Und wenn ich mit meiner Tochter im Auto unterwegs bin, dann läuft Spongebob.

Kitsune: Da bist du dann ganz Dienstleister! (Gelächter) Ich spiele jedenfalls nur ­Sachen, die ich mag. Klar gibt’s auch Songs, die ich nicht mehr hören kann, die aber trotzdem gut sind. »Juicy« ist ein krasser Song, den ich immer ­spielen werde, aber ich kann ihn ­eigentlich nicht mehr hören.

DJ Kitsune 1-2-3-4 Vol.2 – Melodies by DJ Kitsune

Dann sitzt hier also keiner am Tisch, der auch mal Taio Cruz spielt, wenn es ­gewünscht wird.
Stylewarz: Ich reagiere überhaupt nicht auf Wünsche. Da bin ich knallhart. Du kannst da eine Stunde vor dem Pult rumstehen, das ist mir egal. Und wenn du dann noch komisch rumgestikulierst, dann bist du kurz davor, ein Problem zu bekommen.

Kitsune: Aber manchmal sind die Wünsche doch auch okay. Mehr als vier, fünf pro Abend kommen doch eh nicht.

Gan-G: Na ja, in den Großraumdiskos schon.

Stylewarz: Es geht nicht darum. Es ist einfach nicht cool, einem DJ zu erzählen, was er spielen soll. Ich erzähle dir doch auch nicht, wie du deine Frau bumsen sollst. Nee, ist nicht.

Kitsune: Aber du bumst sie doch vor einer Webcam. Du bumst ja für die Öffentlichkeit. Weißt du, was ich meine? (lacht)

Stylewarz: Wenn ich auflege, habe ich den Anspruch, das Publikum mitzunehmen. Klar, das kann auch mal schiefgehen. Aber Wünsche annehmen, das kreiert diese Jukebox-Mentalität. Das geht einfach nicht.

Es gibt ja auch absurde Wünsche, so wie: »Spiel doch mal was Schnelleres!«
Kitsune: »Spiel mal was Ausländisches!«

Gan-G: »Spiel mal das Lied, wo Beyoncé in der Flasche tanzt!« (Gelächter) Und wenn du dann den Kopf schüttelst, dann kommt: »Der DJ, der sonst immer hier auflegt, spielt das aber.«

Stylewarz: Ganz genau. Und diese Entwicklung ist das Problem. Diese 150-Euro-Jobber, die es geil finden, am Wochenende aufzulegen, nur um ’ne Alte flachzulegen.

Was haltet ihr von Celebrity-DJs?
Kitsune: Da gibt es ja auch Unterschiede. Giulia Siegel kann das sogar ein bisschen, aber so eine Naddel, das ist natürlich ganz krass. Ich verstehe nicht, warum die einer bucht. Wegen der kommt doch keiner.

Stylewarz: So weit musst du gar nicht gehen. Mir reichen schon Rapper, die auflegen und es sich rausnehmen, über echte DJs zu urteilen. Da denke ich oft: Deine Rap-Karriere ist vorbei, nur deswegen legst du jetzt auf. Einige davon sind okay, so wie Harris oder Denyo. Torch war ja auch schon DJ, bevor er gerappt hat. Aber Jan [Delay, Anm. d. Verf.] zum Beispiel, den respektiere ich in seinem Bereich voll, aber als DJ – nee, sorry. Gut, das muss es alles geben, genau wie es diese Großraumdissenclowns geben muss. Aber dadurch werden die Preise gedrückt und es vermittelt die Haltung, dass eigentlich jeder auflegen kann.

Kitsune: Dadurch sinkt das Niveau, was die Leute im Club erwarten. Es ist normal, wenn du in den Club gehst und der Typ dort legt nicht geil auf. Da wird nicht gemixt oder gescratcht, da werden einfach nur Songs nacheinander abgespielt. Bei uns in Frankfurt gibt es mittlerweile sogar Veranstalter, die meinen, sie könnten ja auch das Geld für den DJ sparen und einfach selbst auflegen. Die fliegen aber richtig hart auf die Fresse.

Liegt das auch an den neuen Möglichkeiten, die Systeme wie Traktor oder Serato bieten?
Stylewarz: Ja. Ich nutze das ja auch. Aber dadurch musst du dich noch viel mehr anstrengen, um eine gute Selection am Start zu haben. Ich finde es schlimm, wenn ein DJ kein Profil hat. DJ AM war ein Celebrity-DJ, aber der hatte ein Profil.

Kitsune: Und wenn es nur das Profil war, dass er die Party zerlegt hat. Egal, welches Genre. Der hat auf Techno-Partys nur New York-Indierap gespielt und die Leute sind durchgedreht.

Ich war letztes Wochenende mit einem guten Freund unterwegs, der aus Prinzip nur mit Vinyl auflegt. Wir hatten die Rückbank und den Kofferraum voll mit acht schweren Plattenkisten.
Stylewarz: Sorry, aber das finde ich albern. Wenn man nur einmal im Monat auflegt, dann geht das vielleicht. Aber ich bin permanent unterwegs und da ist das Digitale so eine krasse Erleichterung.

Kitsune: Ich denke, wir haben alle irgendwann entschieden: Okay, es ist nicht perfekt, aber die Vorteile überwiegen die Nachteile.

Stylewarz: Ich bin auch Vinylfetischist und kaufe immer noch Platten wie blöd. Aber alles, was du machen willst, funktioniert genauso mit den digitalen Systemen.

Ron: Man braucht halt ein neues Ordnungssystem. Früher habe ich meine Platten an den Hüllen erkannt und wusste genau, welches Stück wo drauf ist.

Kitsune: Wir sind ja alle noch durch die Welt geflogen, haben jahrelang unsere Ersparnisse ausgegeben, um bestimmte Platten zu finden. Wie viel Geld ich in New Yorker Plattenläden und am Lufthansa-Übergepäckschalter gelassen habe, ist unvorstellbar. Heute laden die Leute sich das alles ganz einfach runter.

Stylewarz: Aber einen musikalischen ­Horizont kannst du nicht runterladen.

Kitsune: Es kommen sogar Typen im Club zu mir und fragen: Hey, ich würde mir gerne deine Festplatte kopieren.

Was willste denn haben dafür? (lacht)
Stylewarz: (lacht) Das ist, als wenn einer kommt und dein Haus, dein Auto, deinen Swimmingpool und deine Frau haben will.
Kitsune: Ich sage dann immer: Hey, da habe ich zehn Jahre lang alles reingesteckt, was ich habe. Das ist meine Seele. Klar kann ich dir das kopieren, aber ich will nicht. Du Arschloch, so viel Geld hast du nicht einstecken.

Selbst wenn, könnte er damit auch gar nichts anfangen. Super, jetzt hast du auf einmal ein Terabyte Musik. Und nun?
Kitsune: Auch so ein Standardspruch von DJs. »Ich habe 50.000 Songs dabei!« Ich schaue dann bei mir auf dem Laptop nach und sehe 3.500 Songs. Was will ich denn mit 50.000 Songs?

Gan-G: Ich komme mir da immer richtig dumm vor, wenn ich nur 3.000 oder 4.000 Stücke habe.
Ron: Aber wir kommen auch noch aus einer Zeit, wo der DJ sich über seine Plattensammlung definiert hat. Diese Mentalität ist komplett verloren gegangen.

Eingangs hat Stylewarz gesagt, er wolle nicht meckern, es gehe ihm ganz gut. Wo ist nun also der Stand der DJ-Kunst anzusiedeln?
Ron: Genau wie im Rap. Es gibt wenige, die eine Daseinsberechtigung haben, ganz viel Durchschnitt und noch mehr darunter.

Kitsune: Ich finde es trotzdem besser als noch vor zwei, drei Jahren. Ich habe nie rumgeheult, aber das war echt der Tiefpunkt. Ich glaube, das liegt auch daran, dass MTV und Viva als vorselektive Instanz weggefallen sind und die Leute ihre Musik über YouTube und Blogs beziehen. Sie feiern das, was sie gut finden. Es ist wieder wie Anfang der Neunziger. Die wünschen sich primär Songs, die nicht im Radio oder im Fernsehen laufen. Schlimm war es um die Jahrtausendwende, als MTV und Viva richtig viel HipHop gespielt haben. Die haben nach deutschen Popstandards vorselektiert. Da hatte ich das Gefühl, im Club funktionieren nur noch die Songs, die dort laufen.

Stylewarz: Ich finde es gerade auch extrem angenehm. Es gibt viele frische Sachen. Und die Leute checken und feiern das auch. Diese Scheuklappen fallen weg, sie lassen sich auf Neues ein. Ich hatte aber immer geile Partys. Ich halte mich nämlich immer fern von Hype-Sounds, da fühle ich mich nicht wohl. Ich glaube manchmal, ich lebe in einem Paralleluniversum. Die neue Jay-Z-Nummer ist mir egal und ich brauche auch kein neues Dr. Dre-Album.

Text: Stephan Szillus
Foto: Kike

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