The Mystery of Unboxing: Wie Deutschrap sich seinen Weg in die Charts bahnt // Kommentar

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Kennt ihr den schon? Treffen sich ein Benzinfeuerzeug, drei Kondome, ein Schal, ein ­Anglerhut und ein Kartenspiel in den Albumcharts. Nicht gerade ein Sparwitz, denn genau diese Beigaben kann man gerade nebst Autogrammkarten, Shirts (aber nur in L), Bonustracks und DVDs in den obligatorischen Premium-Editionen deutscher Rap-Alben kaufen oder vorbestellen. So sind 30, vereinzelt über 50 Euro für ein ­ausstaffiertes Album zu durchaus gängigen Endpreisen geworden. In einer Zeit, in der das Albumformat schon hundertfach totgesagt wurde, lohnt sich ein Blick auf diesen Trend, bei dem Rap aus Deutschland ganz vorne mitspielt. Tatsächlich scheint die Boxen-Tickerei eine gebetsmühlenartig wiederholte Weisheit des Musikgeschäfts zu bestätigen: Premium geht immer. Echte Liebhaber sind bereit, für mehr Inhalt und Haptik auch mehr zu bezahlen.
 
Es gibt aber einen willkommenen ­Nebeneffekt, der selten Erwähnung findet, wenn im Wochentakt neue Chart-Triumphmeldungen verbreitet werden. Denn die ­deutschen Albumcharts interessieren sich nicht für verkaufte Einheiten, sondern ausschließlich für den Umsatz, der mit einem Produkt erzielt wird. Auf dieser Grundlage ermittelt die GfK Entertainment GmbH für den Bundesverband Musikindustrie e.V. die offiziellen Charts. Ergo: Eine Limited-Box für 39,99 Euro hat auf die Charts die gleiche ­Auswirkung wie vier iTunes-Downloads à 9,99 Euro. Und weil diese Boxen immer irgendwie »limitiert« sind – ein dehnbarer Begriff –, ­werden sie natürlich besonders fleißig vorbestellt und für die erste Chartwoche gewertet.
 
Auf den ersten Blick eine schöne Win-Win-­Situation: Der Fan bekommt ein schönes ­Paket und der Künstler einen merklich ­höheren Charteinstieg, als wenn er die gleiche Anzahl bloß einfacher CDs verkauft hätte. Auch unterhalb der Top 10 macht sich das bemerkbar – ein beachtlicher Top-40-Einstieg wie der von Absztrakkt wäre ohne die Fan-Box seines Albums (knapp 40 Euro) vermutlich ein paar Plätze niedriger ausgefallen. Ein Erfolg wie zuletzt das Comeback von Curse auf Platz 5 erscheint auch in einem anderen Licht, wenn man weiß, dass die teuerste Version von »Uns« noch unter 17 Euro Verkaufspreis* lag.
 
Ob die dicken Boxen am Ende auch entsprechend mehr Gewinn abwerfen, hängt im Einzelfall von den Produktionskosten ab; aber der Gedanke liegt nahe, dass schon so mancher Chartplatz auf diese Weise subventioniert wurde. Die Einschränkungen im GfK-Regelwerk sind überschaubar: Verkaufspreise werden nur bis zur Höhe von 50 Euro angerechnet, dürfen aber darüber liegen, und die Beigaben dürfen »aus Sicht der Verbraucher« nicht mehr wert sein als der Tonträger. Letzteres lässt sich über eine zweite CD und/oder DVD relativ einfach aushebeln.
 
Ein paar Anmerkungen drängen sich auf. In erster Linie wird dadurch ganz effektiv verhindert, dass neue Musik günstiger verkauft wird, denn wer Preise senkt, ­verringert nicht nur die Gewinnspanne, sondern verschlechtert in diesem Marktumfeld auch die Chartperformance. Auch der Käufer darf sich verschaukelt fühlen, wenn er in seiner Premium-Kiste zwar Krimskrams und drei Bonus-Tracks findet, aber für die ­Instrumentals trotzdem die iTunes-Deluxe-Edition kaufen muss. Exklusivitäten für einzelne Händler, ­online wie offline, führen so zu noch mehr Qual der Wahl für den Fan, denn nicht alle sehen das auf Label-Seite so wie Thomas Burkholz von Selfmade Records: »Wir fahren schon seit einiger Zeit recht gut damit, dass nur eine Albumversion existiert. So werden Käufer der Standardvariante oder des digitalen ­Produktes nicht benachteiligt und müssen nicht die limitierte Edition ­erwerben, um alle Songs zu bekommen.«
 
Der Markt für Tonträger und Downloads zeigt insgesamt keine Tendenz zur Preissenkung, sieht man von den üblichen Sonderangeboten lange nach Release ab. Daran dürfte die Zählweise der Charts und der Trend zum Premium-Bundle ebenso mitschuldig sein wie an der Meldung, dass der deutsche Musikmarkt 2013 erstmals seit 15 Jahren wieder gewachsen ist – 77 Prozent des Umsatzes kamen damals von physischen Tonträgern. Noch interessanter als die Zahlen für 2014 könnte aber die Frage sein, ob Deutschrap auch 2015 so dominant im Feld der Premium-Editionen bleibt. »Ich gehe davon aus, dass sich das in naher Zukunft egalisieren wird«, meint Thomas Burkholz. »Mittlerweile hat nämlich auch der Pop-Bereich erkannt, dass eine Nachfrage nach limitierten Produkten besteht.« Das neue Helene-Fischer-Box-Set kommt übrigens mit 2 CDs, DVD, Blu-Ray, Pass, Schlüsselband, Stoffbeutel und Poster.
 
Illustration: Christian Wegerich
 
*Tatsächlich existiert auch von »Uns« ein knapp 40 Euro teures, limitiertes Box-Set.
 
Dieser Text war Teil unseres Jahresrückblicks in JUICE #164 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
 
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