Xatars Autobiografie: Exklusiver Einblick in »Alles oder Nix – Bei uns sagt man, die Welt gehört dir«

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»Ich trag von drei Kontinenten Knastgestank«, rappte der Xatar im Mai im Intro seiner Comeback-LP »Baba aller Babas«. Erneut manifestierte sich auf Platte: hinter Giwar Hajabi liegt ein bewegtes Leben. Und überhaupt: realer als in Xatars Texten wird’s im deutschen Straßenrap nicht. Zeitgleich zu den Arbeiten an seiner Nummer-eins-LP begann Xatar, aus seinen Straßenstorys eine große Geschichte zu formen. So erscheint am kommenden Montag seine Autobiografie »Alles oder Nix – Bei uns sagt man, die Welt gehört dir«. Auf mehr als 220 Seiten erzählt er, wie seiner Familie nach längerer Kriegsgefangenschaft im Irak Ende der Achtziger die Flucht nach Deutschland glückte, wie er im Laufe seiner Jugend in Bonn Brüser Berg auf die schiefe Bahn geriet und wie der Traum vom eigenen Musiklabel schließlich den einzigen Ausweg aus dem Straßensumpf darstellte – bevor seine Vergangenheit ihn nach dem berüchtigten Überfall auf einen Goldtransporter doch wieder einholen sollte. Für JUICE gewährt Xatar heute einen exklusiven Einblick in seine Geschichte – an die Änfang seiner Karriere als professioneller Musiker und Labelbetreiber.

KAPITEL 4

Als ich nach Deutschland zurückkehrte, kam ich mit einem ehrgeizigen Plan. Ich wollte Musik machen. Musik, die nicht nur mein Leben, sondern auch das ganze Land verändern sollte. Musik, die es so in Deutschland noch nicht gab. Ich war bereit, für diesen Plan komplett bei null anzufangen. Ich hatte nichts. Nur eine Vision und ein wenig Startkapital. Mein Plan war es, mein Internetcafé zu verkaufen. Dafür würde ich vierzigtausend Euro bekommen. Aus London brachte ich noch mal achtzigtausend Euro mit. Das war mein Erspartes und mein Anteil der Sicherheitsfirma, den ich mir auszahlen ließ. Ich war bereit, alles zu investieren. Meine Mutter und meine Schwester gaben mir die Kraft und die Motivation, diesen Plan durchzuziehen. Ich hatte einfach zu viel gesehen – ich wollte endlich weg von der Straße. Mein Krieg war vorbei.

Ich besuchte meine Jungs vorm Kaiser’s und erzählte ihnen von meiner Zeit in London. Von den Partys, von meiner Firma und von der Schwert-Geschichte im Casino. Irgendwann kam auch Giwara vorbei und klopfte mir von hinten auf die Schulter.

»Heeeey Giwar, wieder im Lande?«, fragte er und wollte mich umarmen. »Giwara, Alter! Da bist du ja! Ich habe dich überall gesucht!«
Ich starrte ihn von oben bis unten an.
»Was ist denn los?«, fragte er skeptisch.
»Mann, Giwara, wie heißt du?«, schrie ich schon fast.
»Wie ich heiße? Ist alles okay mit dir, Giwar?«
»Nein, man! Was denkst du, was ich für ein Stress wegen dir hatte?! Alter, wie heißt
du?«
Giwara hatte überhaupt keinen Plan, wovon ich eigentlich redete, und Shamso bekam
sich kaum noch ein vor Lachen.
»Mann, Giwara, das ist kein Spaß! Wie ist dein richtiger Name?«
»Ich heiße Delda, Mann! Delda! Was ist denn los mit dir?!«
»Alter, warum zum Teufel heißt du Delda???«

Shamso erklärte ihm die Geschichte. Und Giwara oder Delda legte seine Hand auf sein Herz, nickte und fing dann an zu lachen: »Ist doch gut, dass du meinen richtigen Namen nicht angeben konntest. So muss ich jetzt wenigstens nicht die Kosten für den Krankenwagen übernehmen.«

Auch Dilovan stand bei den Jungs. Aber zwischen uns hatte sich etwas verändert. Ich hielt Distanz zu ihm und dafür hatte ich gute Gründe. Ich versuchte, mir meinen Ärger zwar nicht anmerken zu lassen, solange ich nicht wusste, wie ich wirklich mit ihm umgehen sollte und welche Konsequenzen das haben würde – aber es wurde immer deutlicher, dass wir uns entfremdet hatten.
Eines Nachmittags stand ich mit Dilovan dann alleine vorm Kaiser’s. Vielleicht war es Zufall, vielleicht war es aber auch Schicksal, dass genau in diesem Moment meine Mutter vorbeikam und sich zu uns stellte.
Meine Mutter und Dilovan kannten sich, aber meine Mutter wusste nicht, in was für Geschäfte er verwickelt war. Für sie war Dilovan nur ein alter Freund von mir.
Ich erzählte den beiden von meinen Label-Plänen. »Die Sache ist die«, begann ich. »Wenn es funktioniert, werde ich alles radieren. Wenn Deutschland wirklich checkt, dass hier ein Gangster steht, der wirklich das rappt, was er erlebt hat und keine von diesen ausgedachten Geschichten wie alle anderen, dann kriegen sie das realste und musikalisch Qualitativste, was es in diesem Land je gegeben hat.«

»Und was ist, wenn sie es nicht raffen?«, fragte mich Dilovan.
Ich überlegte. »Dann war alles umsonst.«

Dilovan war komplett gegen meinen Plan. Das Geld könne man viel sinnvoller nutzen, fand er. Meine Mutter war neutral, sie versuchte, zwischen uns zu vermitteln und alle Argumente sachlich abzuwägen.

»Warum willst du so ein unnötiges Risiko eingehen?«, fragte sie mich.
»Du weißt es doch, Daya, was hatten wir denn, als wir hierhergekommen sind? Nichts außer Hoffnung. Unser ganzes Leben ist immer ein Risiko gewesen.«
Meine Mutter nickte. »Es ist deine Entscheidung, Giwar. Du bist mein Sohn und ich werde hinter dir stehen, egal, was du tust.«
»Ich will es wirklich, Daya.«
»Dann mach das. Zieh es durch. Alles oder nix.« Sie umarmte mich und machte sich auf den Weg. Sie hatte mir ihren Segen gegeben.
Nur Dilovan war noch immer nicht überzeugt. »Es ist ein unnötiges Risiko«, sagte er.
»Du redest von Risiko? Mann, Dilovan, unser ganzes Leben lang bewegen wir uns auf dünnstem Eis. Wir riskieren jeden Tag alles mit den Geschäften, die wir machen. Das weißt du. Das weißt gerade du. Und jetzt, wo ich ein legales Risiko eingehen will, sagst du, das wäre unvernünftig?«

Dilovan musste lachen. Ich hatte meinen Punkt gebracht. »Du hast recht, Giwar. Du hast recht. Geh den Weg, den du gehen musst.«
Das war für mich die Bestätigung. Ich war entschlossen. Die Entscheidung, mein eigenes Label zu gründen, war eine Entscheidung, die mein gesamtes Leben verändern würde. Ich war jetzt vierundzwanzig Jahre alt und musste irgendwie anfangen, mein Geld auf legalem Weg zu verdienen. Ich konnte nicht ewig auf der Straße sein. Ich hatte so viele Dinge in meinem Leben gesehen und erlebt, meine Seele mit so viel Gewalt und Schlechtem belastet, dass ich jetzt die Hoffnung hatte, diese Narben umdeuten zu können. Aus ihnen etwas Positives zu machen. Ich konnte mir durch die Dinge, die mich die Straße lehrte, etwas erschaffen. Sie in Kunst verwandeln. Alles oder nix. Eine Woche später meldete ich eine GmbH und einen Labelcode auf diesen Namen an. Und war nun offiziell CEO einer eigenen Plattenfirma. Bei uns sagt man, du gehörst nicht der Welt, die Welt gehört dir. Und ich war bereit, mir zu nehmen, was mir die Welt zu bieten hatte.

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Neben meiner Familie gab es noch eine Person, die mir die Entscheidung erleichterte, mit meinem Straßenleben zu brechen. Shirin. Ein Mädchen vom Brüser Berg. Ich kannte sie schon viele Jahre, aber erst als ich aus London zurückkam, lernte ich sie wirklich kennen. Sie war nicht nur bildhübsch und klug, sie hatte ein so herzliches und vereinnahmendes Wesen, dass ich ihr komplett verfiel. Shirin kam aus meinem Viertel, daher wusste sie, wer ich bin. Das machte für mich viele Dinge leichter. Aber nicht bei ihr.
Sie kam aus einem guten Elternhaus, sie konnte nicht einfach einen Drogendealer anschleppen. Und das wollte sie auch nicht, dafür hatte sie zu viel Klasse. Shirin und ich trafen uns regelmäßig und es war ungelogen die größte Herausforderung meines Lebens, sie davon zu überzeugen, dass ich mich ändern würde. Auch wenn ich all die Scheiße nicht erlebt hätte, für sie hätte ich es trotzdem getan. Irgendwann hatte ich sie überzeugt, mir zumindest eine Chance zu geben. Wir gingen miteinander aus.

Sie sah in mir nie das, was die anderen sahen. Einen Gangster. Sie sah in mir mein Potential. Die Summe meiner Möglichkeiten. Und das motivierte mich wahnsinnig, ihr zu beweisen, dass mehr in mir steckte.
Ich war zum ersten Mal in meinem Leben richtig verliebt. Und ich wollte dieser Frau bis an mein Lebensende treu sein. Ich sollte aber erst noch erfahren, was der Begriff »Treue« wirklich bedeutete, lange nachdem wir schon zusammengekommen waren.

Während wir uns langsam näherkamen, entfernte ich mich immer stärker von Dilovan. Unser Treffen vorm Kaiser’s war eine meiner letzten brüderlichen Begegnungen mit ihm. Das Klima zwischen uns kühlte immer weiter ab. Nicht ohne Grund. Als Murat mich damals bei den Bullen verpfiffen hatte, wäre es Dilovans Aufgabe gewesen, sich um alles zu kümmern. Er hätte den Anwalt bezahlen und mir Geld schicken müssen, außerdem war er dafür verantwortlich, sich um meine Familie zu kümmern. Das ist eine goldene Regel in diesem Business. Wir waren schließlich eine Firma. Und in einer Firma hat ein Chef seine Angestellten ordentlich zu behandeln. Es wäre auch in seinem eigenen Interesse gewesen.
Zum einen, weil ich für ihn gearbeitet habe und ihm gutes Geld ranbrachte, zum anderen sollte er seine Mitarbeiter gut behandeln, damit sie ihn im Knast nicht wegzinken. Wenn sie wissen, für sie und ihre Familien ist gesorgt, halten sie die Füße still. Aber Dilovan wusste, dass ich der Typ war, der eher im Knast verrotten würde als irgendwen zu verraten. Darum hat er mich mir selbst überlassen.
Das kam nicht gut an auf der Straße. Es wurde viel geredet. Wir distanzierten uns immer mehr voneinander. Für ihn war das eine Katastrophe. Sein Name wurde angekratzt. Es ging um seinen Arsch. Irgendwann war das Klima so vergiftet, dass er mit seinen Brüdern in mein Café kam, das ich damals noch hatte.
Sie fingen an, meine Scheiben zu zerschießen. Es war eine Kriegserklärung. Der Laden war voll, da waren Kunden drin, die mit unserer Sache nichts zu tun hatten. Sie liefen panisch raus, als die Schüsse fielen. Ich war nur mit Shamso und Raffy im Café, wir hatten keine Waffen, nichts. Was für ein Schock, als ich Dilovan sah, wie er mit seinem Ballermann auf unseren Laden zielte. Den Laden, in dem ich jahrelang Packets für ihn bunkerte. Ich schaute mich um, ob ich irgendeine Art von Waffe finden könnte. Aber da war nichts. Also nahm ich den Blumenkübel meiner Palme und schmiss ihn auf einen von den Jungs, die mit ihm waren. Dann rannte ich zu dem anderen und gab ihm so eine Faust, dass er in den Büschen vor meinem Laden hängenblieb. Shamso und Raffy gingen auf Dilovan drauf, der noch immer eine Knarre in der Hand hielt und schrie und versuchte sich zu wehren: »Zwingt mich nicht zum Äußersten.« Doch er konnte nicht abdrücken.
Und wir konnten ihn nicht schlagen. Es war eine miese Situation. Wir konnten nicht einfach erbarmungslos aufeinander losgehen. Wir waren doch Brüder. Es war richtig ekelhaft. Viele Familienmitglieder von uns kamen und versuchten zu schlichten. Alle flehten uns an, wieder Frieden zu schließen. Aber es war aus. Seit diesem Tag haben wir nie wieder miteinander geredet. Wir wohnten noch nebeneinander, aber wir waren wie Fremde. Das ganze machte mich fertig. Ich tat das, was ich von nun an immer wieder getan habe: Ich versuchte die ganze Scheiße, die ich erlebt habe, in meinen Songs zu verarbeiten:

»Ich habe an die Straße geglaubt/ der Straße vertraut, hab mir viel aufgebaut / so kam es dann, in mein Café seit ihr einmarschiert / es ist passiert / an dieser Stelle sage ich besser nicht zu viel / ich sage nur, aus Freunden können Feinde werden und auch Krieg / Egal wer siegt / Wir waren beide Verlierer / Wir haben es nicht geschafft, Vergangenheit zu respektieren«

Auf dem Brüser Berg bildeten sich nun zwei Lager. Wir versuchten, uns so gut wie möglich nicht in die Quere zu kommen.

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Das gelang uns zunächst auch ganz gut. Ich verkaufte das Café und legte meinen Fokus nur noch auf mein Label. Als Erstes nahm ich Shamso unter Vertrag. Ich wusste, dass er ein großartiger Sänger war. Außerdem war er einer meiner besten Freunde. Es war klar, dass wir alles, was wir machten, zusammen machen würden. Direkt nachdem wir die Details geklärt hatten, setzten wir uns in meinen 7er und fuhren nach Tannenbusch. Ich brauchte noch einen weiteren Rapper und mir war klar, dass ich dafür zu einer ganz bestimmten Person musste. Zu diesem einen Rapper, der mich so krass geflasht hatte, wie noch nie jemand zuvor. Sein Name war SSIO.
Ich kannte ihn seit Ewigkeiten. Er hat schon als Jugendlicher unnormal gut gerappt. Als er zwölf Jahre alt war, hat der Junge mir ein fertig produziertes Album in die Hand gedrückt. Mit Skits, Konzeptsongs und allem drum und dran. Ich hatte mir damals fest vorgenommen, sein Talent zu fördern. Als ich in London war, schickte mir sein Bruder sein neues Mixtape rüber. Als ich es hörte, bekam ich Gänsehaut, so gut konnte der Junge flowen.
Wir holten ihn in Tannenbusch ab. Im Auto machte ich ihm direkt eine klare Ansage: Ich habe ein Label gegründet und ich will, dass du bei uns einen Vertrag unterschreibst. Es war ein kurzes Gespräch. »Lass nicht viel reden, Giwar. Lass machen. Ich habe nur darauf gewartet, dass es endlich losgeht.« Sein Bruder Sohail hatte damals ein Online-Forum für SSIO-Fans programmiert. Das war schon eine krasse Sache, obwohl er noch nie offiziell etwas rausgebracht hat, hatte er schon mehrere Hundert Fans. Sohail habe ich dann auch direkt verpflichtet. Er sollte das Management übernehmen. Unser Team stand.
Und ein paar Tage später bekam ich auch die passende Inspiration für unser Logo. Ich saß mit ein paar Jungs vorm Kaiser’s und bei uns war ein kleiner Junge vom Brüser Berg. Er war vielleicht sieben oder acht Jahre alt und etwas zu klug und vorlaut für sein Alter. Wir sprachen gerade über meinen Nachbarn Giwara, der seit einigen Tagen im Knast saß.
Er war jahrelang auf der Straße unterwegs, aber vor ein paar Monaten hat er den absoluten Coup gelandet. Er ist bei einer Firma eingestiegen und hat dort einen Tresor mitgehen lassen. Ein blauer Tresor. Niemand wusste, wieviel Geld da drin bunkerte, aber allen war klar, dass es verdammt viel sein musste. Die Bullen haben Giwara irgendwann gecatched, aber den Tresor haben sie niemals gefunden. Dieser blaue Tresor war eine Legende. Alle wussten, dass er existierte. Aber niemand wusste, wo er war.
Auch bei uns haben einige Jungs versucht, das Ding zu finden. In der Garage unserer Siedlung standen alte Autowracks rum. Irgendwelche Typen aus der Nachbarschaft sind gekommen und haben die Teile komplett auseinandergenommen. Die haben wirklich alles angestellt, um irgendwie an diesen Schatz zu kommen, von dem jeder wusste, dass er irgendwo sein musste.
Der kleine Junge, der bei uns saß, fing an, sich in unser Gespräch einzumischen. »Wann kommt Giwara raus?«, fragte er mich.
»Keine Ahnung.«
»Alle reden von seinem Tresor. Wieso soll der eigentlich blau sein?«
»Keine Ahnung, woher soll ich das wissen? Vielleicht mochte der Vorbesitzer die Farbe«, sagte ich und versuchte, ihn zu ignorieren.
Aber der Kleine ließ nicht locker. »Giwara hält sein Geld noch immer fest in den Händen. Aber seine Hände liegen in Ketten. Wie traurig«, sagte er.

Ich dachte kurz darüber nach. Krass. Er hat vollkommen recht. Giwara hatte immer noch sein Geld. Aber er saß damit im Knast und es brachte ihm einen verfickten Scheiß. Dieser Achtjährige hat in einem Satz das ganze Dilemma von unserem Lifestyle beschrieben. Wir häufen Reichtümer an, nur um gut zu leben. Aber wenn wir im Knast sitzen, bringt uns weder das Geld etwas, noch das, was es uns ermöglicht. Das war die Idee für das Logo von meinem Plattenlabel. Zwei Hände voller Geldscheine, die aber in Ketten gelegt sind.
Ich hatte nun also ein Label, ein Logo und starke Künstler. Ich brauchte nur noch einen Künstlernamen. Mein Vater hatte zwar keine Ahnung von Rapmusik, er wollte aber auf keinen Fall, dass ich den Namen, den er mir gegeben hat, mit so etwas beschmutze. Mir sollte es recht sein, ich hatte sowieso schon einen Künstlernamen im Ohr. Xatar. Das war Bonner Straßenslang und bedeutet übersetzt soviel wie: Gefahr. Wir nutzten es in jeder Situation. »Das Auto da ist Xatar, Bruder.« Geil. Gefährlich.

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Wir wollten Songs aufnehmen, also brauchten wir ein Studio. Durch Zufall bekam ich den Kontakt von dem Freund eines Freundes, der mir tatsächlich etwas organisieren konnte. Das alte Studio von Eko Fresh wurde gerade frei. Eko war dabei, mit seiner German Dream-Crew in Köln sein eigenes Label zu pushen, und zog in das Studio direkt nebenan. Wir waren also in guter Gesellschaft, dachte ich mir.
Mein Produzent Maestro und ich kamen mit einem kleinen Karton voller Equipment und einem PC. Ich hatte mir ein billiges Zweihundert-Euro-Mikrofon gekauft. Ich hatte überhaupt keine Ahnung von der Technik und mir war nicht klar, warum ein Mikrofon für zwanzigtausend Euro mehr können sollte, als ein Mikrofon für zweihundert Euro. Ein Mikrofon hatte für mich nur die Funktion, die Worte, die ich rappte, aufzunehmen. In meiner Schulzeit in Köln hatte ich das mit einem Neun-Euro-Headset gemacht. Und da hat sich auch niemand beschwert.

Xatar-Bio

Eko und sein Team waren im Studio gegenüber eingemietet. Wir klopften an und fragten, ob sie uns helfen könnten, alles aufzubauen und anzuschließen. Sofort kamen die beiden German Dream-Produzenten Kingsize und Prodycem mit rüber. Das waren damals große Nummern. Kingsize produzierte auch für Bushido. Die ganze GD-Crew kam gleich mit. Farid Bang, der gerade selbst sein erstes Album aufnahm, Summer Cem, Eko, alle guckten zu, wie uns die Jungs beim Einrichten halfen. Prodycem schaute sich die Kiste mit unserem Equipment an. Dann sagte er: »Sorry Jungs, das ist wirklich nicht böse gemeint. Aber das könnt ihr echt vergessen. Euer Equipment ist totaler Schrott. Damit könnt ihr niemals ein Album aufnehmen. Echt nicht.« Ich sah die Blicke von den anderen Jungs, die mich anschauten, als würden sie sagen wollen: Warum versucht ihr hier etwas, was ihr nicht könnt?
Das hat wirklich stark an meinem Ehrgefühl gekratzt. Ich war auf der Straße und ich war auf der Straße erfolgreich. Deutscher Rap war für mich ein Kindergarten. Und jetzt stellten mich ausgerechnet diese Leute als jemanden hin, der es nicht draufhätte? Was wollten die mir denn erzählen?
Ich musste handeln. Also rief ich ein paar Jüngere vom Brüser Berg an. Eine Clique von Jungs, die bei uns einen gewissen Ruf für ihre Fingerfertigkeiten hatten. Ich bat sie, vorbeizukommen. Ich wollte mit ihnen ein paar Studios casten. Tatsächlich fanden wir in Bonn ein richtig fettes High-Tech-Studio. Die hatten die beste Technik, die man für Geld kriegen konnte. Wir erzählten dem Besitzer, dass wir Interesse hätten, hier ein paar Demos aufzunehmen, und ließen uns alles zeigen. Die Jungs merkten sich alles.
Als ich mit Maestro abends wieder im Studio saß und wir gemeinsam ein paar Beats produzierten, bekam ich einen Anruf von den Jungs. »Hi, Giwar, wir haben was für dich. Wir sind gleich da.« Fünf Minuten später kamen drei Sechzehnjährige mit dem Industrieaufzug zu unserem neuen Studio hochgefahren – und hatten zwei vollgepackte Rollwagen mit High-End-Equipment dabei. Alles war voll mit schwarzen Geräten, schwarzen Boxen, schwarzen Koffern.
Die German Dream-Jungs kamen neugierig rüber. »Was ist denn das?«, fragte Prodycem.
»Unser neues Studio«, antwortete ich.
Der Junge stand kurz vor dem Herzinfarkt, er freute sich wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal Weihnachten erlebte. Und seine Freude war ansteckend. »Die Boxen! Das ist der Shit, Bruder! Wo habt ihr das her?« Dann öffnete er einen schwarzen Koffer. »Diese Mikros. Unfassbar! Die sind so unfassbar gut. Die kosten Zehntausende! Und ihr habt gleich sechs davon. Können wir eins davon haben? Bitte Mann, ihr braucht ja keine sechs.«
»Natürlich, Mann«, sagte ich. »Bedient euch! Nehmt, was ihr braucht. Sorgt nur dafür, dass heute noch alles angeschlossen ist.«
Wir hatten nun unser Superstudio. Und wurden endlich ernst genommen.

Xatar-Cover»Xatar – Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir« erscheint am 12. Oktober als Hardcover (224 Seiten) (19,99 € (D); 20,60 € (A); sFr. 27,90) im riva Verlag (ISBN 978-3-86883-755-1)

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