Samy Deluxe: Alles in Butter auf’m Kutter // Feature

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Im April 1991 gab es zum ersten Mal Rap bei »MTV Unplugged«: LL Cool J, MC Lyte, De La Soul und A Tribe Called Quest enterten in New York nacheinander die Bühne des noch recht unbedeutenden Formats. Von einer Rapkarriere war der junge Samy Sorge damals ähnlich weit entfernt wie Long Island vom Hamburger Hafen, aber manchmal findet eben zusammen, was zusammengehört. Im selben Jahr wie »Deluxe Soundsystem« kam das erste Deutschrap-Unplugged mit den Fantastischen Vier, und jetzt, 18 Jahre – und dank Sido, Max Herre und Cro drei weitere Deutschrap-Ausgaben der Reihe – ­später, drückt endlich Samy Deluxe der Marke seinen Stempel auf. »SaMTV Unplugged«, darunter macht er’s nicht.

Hamburg spielt die Hauptrolle, daran lässt Samy keine Zweifel, wenn er als Kulisse der großen Akustikshow den gar nicht so riesigen Schiffsbauch des Museumsschiffs MS Bleichen auswählt. Alte Kräne, historische Kutter und nie langweilig werdende hanseatische Industrieromantik bestimmen das Bild im Kleinen Grasbrook an der Norderelbe, kurz bevor abends die Aufzeichnung startet. Keine prunkvolle Konzerthalle, kein Kiezkult, kein großer Rahmen. Nur ein alter Stückgutfrachter und ein paar der größten Rapstars Deutschlands, deren Köpfe schon hier und da hinter der Absperrung auftauchen.

Es passieren ziemlich viele gute Dinge bei »SaMTV Unplugged«. Eines davon ist, dass das Gros der unvermeidlichen Boots-Wortspiele und Seefahrer-Floskeln – und die fallen Samy berufsbedingt containerweise ein – schon auf dem Opener »Flagge hissen/Anker lichten« abgehandelt wird, eingebettet in ein Zitat der »Das Boot«-Filmmusik von Klaus Doldinger. In dem neuen Song schwelgt Samy in eskapistischen Bildern von Aufbruch, Auswandern und der einsamen Insel und testet dafür gleich mal das ganze klangliche Repertoire durch, das die zum DLX Ensemble gewachsene Band mit Streichern, Chor, Zweitdrummer und allem Pipapo für diese Show bietet. Aber natürlich steckt darin ziemlich viel Seemannsgarn, denn ein Unplugged-Konzert ist schon prinzipiell eher die große Hafenrundfahrt und nicht das Wagnis auf dem Forschungsschiff. Das Ziel ist also recht klar, der Weg aber nicht unspannend: Welche Route nehmen wir? Die breite Fahrrinne der größten Hits oder auch mal die weniger touristischen Kanäle links und rechts? Welche Anekdoten erzählt der Käpt’n? Wer fährt mit? Knöcheltief oder bis zum Hals?

Schon die 34 Songs umfassende Tracklist des dazugehörigen Albums zeugt von einer ziemlich ausführlichen Runde, und es gibt tatsächlich keine Phase aus Samys Karriere, die ausgelassen wird – bis auf die Autotune-Eskapaden als Herr Sorge, aber der hat bei einem Analogevent nun mal an Land zu bleiben und wird auch nicht schmerzlich vermisst. Der Zickzack-Kurs führt zunächst in die Nullerjahre, wo das Ensemble mit Killa Kela als Beatbox-Bonus »Dreist« und »Der Guteste« abstaubt und dann für »Pures Gift« und »Wie jetzt« noch weiter zurückschaut.

Wenig später tauchen sie auf der proppevollen Bühne auf, die ersten Gäste, und fast drei Konzertstunden lang macht jeder Feature-Partner eine neue Facette dessen auf, was Samy Deluxe sich in über zwanzig Jahren erarbeitet hat. High-Tech-Silbenzähler-Flows und das ewige Streben nach Rap-Perfektion? Kool Savas und Curse sind zur Stelle. Spätneunziger-Killerstrophen, wie sie damals nur Sam Semilla auf die Maxis der Nation spucken konnte? Max und die Stieber Twins sorgen per »Malaria«-Schutzimpfung für die realste Gänsehaut soweit. Später stanzen die Beginner mit ­»Füchse« und »Grüne Brille« noch einmal das Eimsbush-Logo in die Unplugged-Historie, so nachdrücklich, dass DJ Mad in der Akus­tikgrauzone mit Scratches auf einem tragbaren Plattenspieler durchkommt. (Der kurze Style-Liga-Ausflug »Das Derbste« macht nicht nur Samy und Eizi sichtlich Spaß, fehlt aber leider in der Album-Tracklist.) Völlig unerwartet schält sich sogar Patrice aus einem Strandkorb und joint Samy für die frühe Kollabo »Lots Of Signs«.

Und es hört nicht auf, denn Samy verfolgt offenkundig den Plan, wirklich alles zu zeigen, was er kann (und wen er kennt), bevor die Reise zu Ende ist. Dazu gehören die intimen, leisen und gesungenen Töne wie »Eines Tages« und »Poesie Album« und der große Pop-Schulterschluss mit Nena ebenso wie der politische Herr Deluxe. Das »Adriano«-Update kommt mit neuer Megaloh-Strophe und partieller Brothers-Keepers-Reunion inklusive Urvater Torch und Xavier Naidoo, der inzwischen leider eher ambivalente politische Gefühle weckt. »Mimimi« dann in Mammutfassung mit Eko Fresh, MoTrip, Chefket und natürlich dem Partner in Crime, mit dem bis zum letzten Ton standesgemäß abgerissen wird, mit oder ohne Strom: Afrob. ASD ballern sich durch ­»Champions«, »Hey du« und »Antihaltung«, und dass »Sneak Preview« erst ganz zum Schluss ins Hafenbecken ballert, ist dramaturgisch nun wirklich keine Überraschung. Es zeigt aber: Wie weit Samy auch ausholt und wie groß die Geste, wie karriereumfassend das Best Of gefälligst zu sein hat, wenn man schon mal ein eigenes »Unplugged« spielt, am Ende ist Samy Deluxe immer noch einer der großen und charismatischen Entertainer, die Rap hierzulande hervorgebracht hat. Und der könnte nie mit sich vereinbaren, mit etwas anderem als dem größtmöglichen Knall von der Bühne zu gehen, auch wenn die klein und voller ungewohnter Instrumente ist und ein wenig im Wellengang des Hafenbeckens schaukelt.

Im ersten Song heißt es auch: »Wir fahren mit dem Boot dahin/Weil ich ein Mann mit Visionen bin (…)/Wir haben gelernt, gegen den Strom zu schwimmen.« Der schöne Vorsatz droht recht schnell über Bord zu gehen, wenn statt Visionen in Wirklichkeit die letzten zwei Jahrzehnte im Mittelpunkt stehen. Aber mal ehrlich. Wo sonst gehört ein gesundes Maß Retromanie hin, wenn nicht in eine Show wie diese? Gegen den Strom geschwommen ist Samy tatsächlich immer wieder. Dass er aber auch den Mainstream für sich vereinnahmt hat, ist für »SaMTV Unplugged« unerlässlich. Ist also alles in Butter auf’m Kutter.

Text: Ralf Theil
Foto: Janick Zebrowski

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #188. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Shop bestellen.

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