»Niemand kann mir erzählen, ich bräuchte einen Weißen, um es zu schaffen.« // Dom Kennedy im Interview

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Über Jahre hinweg war das Ziel unzähliger Nachwuchsrapper die Unterzeichnung eines Plattenvertrags. Der Schulterschluss mit der Musikindustrie stand nicht nur für die Möglichkeit, seine Musik an die Massen zu bringen, sondern sinnbildlich für den endgültigen Schritt aus dem Ghetto. Das war einmal. Musikalische Revolutionen kommen heute täglich per Twitter, Tumblr, Facebook, Soundcloud und Blogs. Als Künstler ist ein potenziell unendliches Publikum nur ein Smartphone entfernt. Dom Kennedy aus Leimert Park, Los Angeles ist einer der vielen Rapper, die sich im Jahr 2011 die Frage stellen können, ob man unter diesen Voraussetzungen noch von einem Labeldeal träumen muss.

 

Die Wahrheit ist: Dominic »Dom Kennedy« Hunn hat überhaupt kein Interesse an einem Plattenvertrag. Das ist sein Geschäftsmodell. Er veröffentlicht seine Platten umsonst über ein weitverzweigtes Blog-Netzwerk, spielt Shows in Sneaker-Boutiquen und Szenelokalen in ganz Amerika, verkauft Merchandise über seine Website, lässt sich von den Streetbrands du jour ausstatten und muss sich bei all dem für kein Label verbiegen lassen. Er ist Teil einer neuen Generation, die gar nicht mehr aktiv nach der Musikindustrie als Heilsbringer sucht, sondern sich mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein, Bescheidenheit, autodidaktischem Medienverständnis und überbordender Motivation einfach selbst zu den neuen Genre-Helden macht.

Ein Grund für die neuen Kommunikationswege Dom Kennedys mag in anderen Voraussetzungen liegen, die den Mittzwanziger von seinen Genre-Vorgängern unterscheiden. Genau wie Snoop, Dre, Cube, Eiht und Eazy ist Dom Kennedy zwar aus South L.A., wuchs dort aber im Bezirk Leimert Park auf. Ein lebendiges, multikulturelles Viertel mit eklektischer Kunstszene inmitten der Stadt der Engel, das »Boyz N The Hood«-Regisseur John Singleton, in Hinblick auf den urbanen Kunst- und Lifestyle-Nukleus in New York, das »schwarze Greenwich Village« nannte. In Leimert Park diskutiert man in Kaffeehäusern über die afrikanische Diaspora oder improvisiert Neo-Freejazz bei Jams in Kellerclubs. Project Blowed, der etablierteste Open Mic-Workshop der Welt, findet hier statt, »Moesha«, die in den Neunzigern populäre Sitcom mit R&B-Schäfchen Brandy, spielt hier. Leimert Park ist ein florierendes Kultur-Eldorado mit halb-romantischer Straßenkante. Das war aber nicht immer so: In den Siebzigern kamen die Drogen und das Verbrechen, Anfang der Neunziger tobten die Unruhen in Folge des Rodney-King-Skandals in der Gegend zwischen Crenshaw Boulevard und Slauson Ave.

Dom Kennedy ist Leimert Park. Durch seine stetigen Veröffentlichungen im Netz mauserte er sich zu einem vielversprechenden Newcomer der neu gewachsenen Rap-Blase L.A.s. Mit einem Sound, der die alten Traditionen der Stadt genauso wie ihre neuen Facetten zeigt: die Sonne Kaliforniens, die Palmen und der BMX-Ride in Venice Beach. Aber eben auch »Menace Beach« und die Cousins mit Jheri Curls in ihren Ford ­Mustangs, die immer Geld haben und niemand weiß woher. Geld, mit dem man eigentlich nichts zu tun haben will, sich aber dennoch freut, wenn es in den Händen der Großmutter landet. Dazu klingt Dom Kennedys Sound nach DJ Quik, natürlich nach 2Pac und genauso nach Biggie Smalls. Dom ist Starter-Caps, The Hundreds-Tee, Holzfällerhemd, Dickies-Hosen und Jordan Dreier. Mit all dem ist er einer der neuen Stars der Blog-sozialisierten HipHop-Fans, die immer auf der Suche nach dem nächsten Free Download-Album vor dem Browser hängen. Der zweite Teil von »From The Westside With Love« liegt in der Pipeline und trotz einer bewussten Ablehnung von Industrienormen will sich Dom Kennedy mit den ganz Großen messen: »Ich bin stolz darauf, ein Rapper zu sein, aber mein Album soll besser werden als eine Rolling Stones- oder U2-Platte.«

Wer ist Dom Kennedy?
Dom Kennedy ist ein Straßenjunge aus Los Angeles, der mit eigener Kraft zu jemand wurde, der den Kids von der Straße seine Stimme leihen kann. Ich hab als Fan von Musik angefangen und bin ein Fan von Musik geblieben. Doch mittlerweile habe ich mich weiterentwickelt und bin mehr als nur ein normaler Künstler. Dom Kennedy steht für alles Gute, was in jedem Jugendlichen steckt, der in der Großstadt aufwächst und dessen Träume für die Zukunft weit besser aussehen als seine Lebensrealität. Seine Wünsche und Träume sind größer als die Umstände, in denen er sich befindet. Dafür steht Dom Kennedy.

Wann hast du angefangen, Musik aufzunehmen? Und wann war der Zeitpunkt, als du nur noch Künstler sein wolltest?
Bewusst aufgenommen habe ich ab 2003 – da habe ich wahrscheinlich zum ersten Mal meine eigene Stimme auf Band gehört. 2006 kam dann mein erstes Projekt, aber erst mit »25th Hour« ist mir erst richtig bewusst geworden, dass ich mich mit anderen messen kann und ich eines Tages der Beste von allen werden will.

Wie kann man sich deinen Schreibprozess vorstellen?
Für mich fängt es mit einem Beat an. Die Musik kommt zuerst. Ich höre mir sehr viel Musik an, um etwas zu finden, was mir ans Herz geht – da ist es völlig egal, ob das jetzt ein schneller Beat, eine lustige Nummer oder was Ruhiges ist. Ich bin immer auf der Suche nach Musik mit Soul.

Wie würdest du deinen Style ­beschreiben?
Er entwickelt sich und wird immer besser. Mein Style ist ziemlich beständig und ist über die Jahre sehr eigenständig geworden. Ich muss mit meiner Musik keinen Trends folgen. Darauf bin ich sehr stolz. Ich mache Musik, die auch Jahre nach ihrer Veröffentlichung gut klingt. Mein Style ist zeitlos.

Was inspiriert dich?
Neben meinem täglichen Leben sind es wohl geschichtliche Ereignisse aus den Biografien anderer. Als Kind habe ich nie wirklich Comics gelesen oder mir »Star Trek« angeschaut. Ich habe Bücher über Menschen gelesen, die vor 100 Jahren gelebt haben. Ich schau mir lieber einen Film über Johnny Cash an als über irgendwelche ­Aliens. Ich bevorzuge die Realität, weil sie mich inspiriert. Wir sind alle irgendwie miteinander verbunden, niemand lebt einfach nur so vor sich hin. Davon erzähle ich in meiner Musik und das treibt mich an.

Wie war deine Jugend in Leimert Park und wie beeinflusst diese Gegend deine Musik?
Ich bin dort ganz normal aufgewachsen, hatte keine außergewöhnliche, aber auch keine schreckliche Kindheit. Ich war eben ein ganz normales Kind. Die meiste Zeit habe ich bei meiner Mutter verbracht. Meine Eltern haben sich scheiden lassen und kurz darauf ist meine Mom nach Leimert Park gezogen. Mein Vater war immer unterwegs, was wahrscheinlich auch der Grund ist, wieso Leimert Park in meiner Musik so viel Platz einnimmt. Hier liegt mein Herz, weil ich dort die wichtigste und sicherste Zeit meines Lebens verbracht habe. Für den Großteil meines 26-jährigen Daseins auf dieser Erde war Leimert Park mein Zuhause. Als Kind kannte ich nichts anderes. Meine Freunde und ich haben über Musik diskutiert und unsere ersten eigenen Tapes mit der Karaoke-Maschine meiner kleinen Schwester in ihrem Zimmer aufgenommen. Diese Erinnerungen aus Leimert Park trage ich tief in mir.

Ein anderer großer Einfluss auf deine Musik ist DJ Quik, richtig?
Natürlich ist DJ Quik eine Legende. Aber für mich ist er noch mehr. Er macht genau die Musik, von der ich erzähle. Seine Musik sagt mir, welche Musik ich machen soll. Diese Musik kommt genau aus meinem Herzen. DJ Quik war nie der Bekannteste, aber für uns war er der Wichtigste. Er ist vielleicht nicht jedermanns Held, aber er ist unser Held!

Du bist independent unterwegs und deine Fan-Gemeinde wächst mit jedem neuen Song oder Mixtape, das du über das Internet veröffentlichst. Ich bin mir sicher, du hast schon einige Anfragen von Labels bekommen. Was muss ein Major dir auf den Tisch legen, damit du einen Vertrag unterzeichnest?
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nichts. Ich habe keinerlei Interesse an einem ­Plattenvertrag mit einem Major. Ich bin unabhängig und habe meine eigene Firma. Bald werde ich auch andere ­Künstler ­herausbringen. Es gibt nichts, was mir ein Major bieten könnte. Die großen ­Plattenfirmen befinden sich auf einem ­absteigenden Ast, mein Weg geht aber steil nach oben. Wir bewegen uns in zwei ­verschiedene Richtungen. Die Majors versuchen die ganze Zeit herauszufinden, was die Leute hören wollen. Wenn sie es gecheckt haben, sind sie aber schon zu spät dran. Ich bin ein Teil der Masse, ich weiß schon lange vor den Majors, was sie interessiert. Die Majors können vielleicht mein Album in die Läden bringen, also brauche ich nicht mehr als einen Vertriebsdeal. Aber auch wenn das nicht klappt, werde ich weiterhin Musik machen.

Welche Ziele verfolgst du als Künstler und worauf arbeitest du als Individuum hin?
Als Rapper will ich einfach nur das Gegebene besser machen, als es jetzt ist. Der Scheiß, der hier vor mir liegt, muss besser werden. Ich will dem Ganzen wieder etwas mehr Energie und Leben einhauchen. Wenn ich es nicht alleine schaffe, will ich zumindest Teil einer Bewegung sein. Ich bin der Meinung, dass Rap eine starke dokumentarische Funktion hat. Wir liefern geschichtliche Dokumente in Audioform. Wir sind eben ein paar schwarze Kids aus der Großstadt, die Geschichten erzählen. Wer macht das außer uns? Das Fernsehen macht es nicht – in der Kiste läuft »Law & Order« oder »Let’s Dance« und so eine Scheiße, die nur Weiße interessiert. Wo sonst wirst du also etwas über einen schwarzen Jungen aus dem Crenshaw District lernen, wenn nicht von uns? Es gäbe uns überhaupt nicht, wenn wir Rap nicht hätten. Niemand wüsste, dass wir überhaupt existieren. Wenn man sich in 100 Jahren eine Dom Kennedy-Platte anhört, wird man verstehen, wer wir waren. Es ist wichtig zu wissen, wie wir aufgewachsen sind. Außerdem will ich der Außenwelt zeigen, dass die Generationen vor mir erfolgreiche schwarze Geschäftsmänner waren. Niemand kann mir erzählen, ich bräuchte einen Weißen, um es zu schaffen. Mein Großvater, mein Dad und meine Onkel besitzen alle Geschäfte. Ich weiß, wie stolz und vor allem erfolgreich wir sein können.

Was macht dich glücklich?
Wenn Menschen mit meiner Hilfe ihre eigene Größe und ihren eigenen Wert erkennen. Ich bin nichts Besonderes, ich habe keine übermenschlichen Kräfte oder kann etwas, was andere nicht können. Ich gebe lediglich zu jedem Zeitpunkt mein Allerbestes und hoffe, dass ich dadurch andere Menschen anspornen kann. Das perfekte Glück findet man dort, wo man sein Allerbestes gegeben hat. Man glaubt zwar, man wird es nie dorthin schaffen, aber mit der Zeit erkennt man, wie weit man gekommen ist. Genau das versuche ich bei jedem neuen Projekt, das ich anpacke.

Wovor fürchtest du dich?
Bei dem, was ich tue, ist kein Platz für Angst. Meine Ängste habe ich schon vor Jahren abgelegt. Als ich aufgehört habe, mich zu fürchten, ging es mit meinem Erfolg los. Ich fürchte mich vor nichts und niemandem.

 

Text: Alex Engelen
Interview & Fotos: Jorge Peniche

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