Brutalität ist seit jeher faszinierend. Bei Gladiatorenkämpfen im Römischen Reich, in Filmen, Erzählungen, Büchern als Leitmotiv und heute beim Boxen mit Millionen von grölenden Zuschauern. Auch Rap-Battles sind oft brutal. Nicht körperlich, aber lyrisch. Der junge Rapper Capital war bei der Battle-Cypher Rap am Mittwoch im letzten Jahr der Brutalste und gleichzeitig einer der Gewitztesten. Seine Reime beförderten so manchen Gegner in das metaphorische Jenseits. Reaktion: lautes Lachen. War der Tod jemals so lustig? Jetzt hat er ein erstes Album aufgenommen, »Kuku Bra« – ein brutales Debüt.
Als wir uns in einer Berliner Shisha Bar treffen, ist Capital höflich, fragt durch den Nebel mit lang gerolltem R: »Willst du Chai, Bra?«, und lässt sich nach der Begrüßung zurück in die Sofaecke fallen. Es ist Capitals erstes Interview, und das merkt man. Sein Album ist gespickt mit Anekdoten von kriminellen Machenschaften. Darauf angesprochen folgt ein skeptischer Blick, aus den Augen schießt es fragend: »Warum will der das wissen?« Als Capital langsam auftaut, spricht er von seiner ersten Erfahrung bei Rap am Mittwoch: dem Beginn seiner Karriere. Freunde schleppten ihn Ende 2014 in das Bi Nuu, einen Club unter der Berliner U-Bahn, damit er bei der selbst ernannten »realsten Cypher Deutschlands« seine Aggression auslassen – so sehen es einige – oder einfach seinen Spaß haben kann – so sieht er das selbst. Nur, dass er mit seinem Auftreten überhaupt in den Club gelassen würde, damit hatte er nicht gerechnet. »Ich wollte da eigentlich gar nicht hin«, erinnert er sich. »Leute wie ich werden an der Tür meistens abgewiesen.«
Leute wie er? Geboren wird Capital in Sibirien, mit seinen Eltern zieht er weiter in die Ostukraine und landet schließlich in Berlin. Nicht im hippen Gute-Laune-Berlin, sondern in Hohenschönhausen. Da, wo sich Hooligans zwischen den Monolithen die Köpfe einschlagen. Mit denen kam Capital immer halbwegs zurecht, so sagt er. Sogar beim Fußballklub BFC Dynamo Berlin spielte er in der Jugendelf mit. Als einziger Migrant wohlgemerkt, in einem Verein, dessen Fans immer wieder rechte Tendenzen nachgesagt werden. Capital jedenfalls besticht durch Talent. Das beweist er nicht nur mit dem Fuß, sondern auch in Straßenangelegenheiten. Schon früh beginnt er »Mist zu machen«, landet in Jugendhaft. Es geht ums Geld machen, wie auch sein Künstlername plakativ auf den Punkt bringt. Dann, zwischen Shisha-Blubbern und arabischer Musik, sagt Capital folgenden Satz: »Entweder du machst hier Sport, Musik oder bekommst Hartz IV. Wenn es mit Musik nicht klappt, mache ich eben wieder Sachen auf der Straße, Bra«, dann ein schelmisches Lachen, das die Aussage harmloser erscheinen lässt als sie ist. Es klingt wie eine unterschwellige Drohung.
Doch gerade läuft es mit der Musik. Man interessiert sich für Capital. Das Album, das zusammen mit den Hijackers entstanden ist (jenen Produzenten, die einst Flers Trap-Utopie begleiteten), versprüht Hunger. Da geht es um Geld, um Dinger drehen und um Tore schießen bei Fifa. Immer wieder wird geballert, während Hi-Hats hektisch unter der druckvollen Stimme Capitals verschwinden. »Kuku Bra« vereint kontemporären Trap und klassischen Bummtschack, wirkt dadurch zwar unaufgeräumt, untermauert aber die Ambition Capitals, all seine Facetten zu zeigen. Vor allem aber wirkt Capital von Grund auf authentisch. Und fungiert als Spiegel dafür, wie schlecht die Staatsgewalt junge Zuwanderer in Deutschland manchmal behandelt. Capital erzählt von Polizeieinsätzen, bei denen Freunde vor ihren Müttern geschlagen wurden, von Beamten, die sich die Hälfte des gefundenen Kokains in die eigene Tasche steckten. Seine Wut wird verständlich. »Es gibt Rapper, deren Musik ein Film ist. Aber ich bin, was ich erzähle«, sagt er dann. »Wenn mich jemand provoziert und sagt: ‚Hol mal deine Makarow‘, dann fahre ich nach Hause und hole dir meine Makarow.« Lachen. Noch so ein Satz, zwischen Humor und Schaudern, der bestens auf den Punkt bringt, wer Capital ist: einer, für den es keine Kompromisse gibt. Weder in der Musik, noch im Leben.
Dieses Feature ist erschienen in JUICE #173 – hier versandkostenfrei nachbestellen.