Sido – Das Goldene Album // Review

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(Urban / Universal Music)

Wertung: Vier Kronen

Wäre es nicht eine Binsenweisheit, dass alles zwei Seiten hat, sie würde sich als Überbau für die Auseinandersetzung mit Siggis aktuellem Album geradezu anbieten. Denn kaum ein Rapper in Deutschland kann sowohl vom Oben als auch »Ganz unten« ein Lied singen, außer eben Sido – und der tut das auch. Und zwar nicht zu knapp. Er erzählt von den Tiefen, die er zwar durchlebt, aber längst verlassen hat, und von den Höhen, in denen er zwar längst angekommen ist, die aber nicht seiner Trademark-Mittelfinger-­Attitüde entsprechen – zwei Erlebniswelten also, die Sido in seinem künstlerischen Schaffen vereint, obwohl sie nicht weiter auseinanderliegen könnten. Dabei muss man sagen: Inhaltlich ­stehen ihm die Tiefen weitaus besser zu (re-maskiertem) Gesicht, auch wenn sie selten mit Tiefsinnigkeit einhergehen. Aber das macht er souverän durch Atmosphäre wett. Und so tritt er einem den Dreck von »Ganz unten« mit Hanybal auf einem herzklappensezierenden Piano-Loop in die Hirnrinde, droppt zusammen mit Blut & Kasse eindringliche Knastge­schichten auf »Striche zählen« und selbst das Mark-Forster-Feature auf dem selbstmörderischen »Der einzige Weg« wirkt weit weniger suizidal als man befürch­ten würde. Am meisten punktet Sido jedoch nach wie vor, wenn er lausbübisch ­Ellenbogenhiebe verteilt und ­seinen Sinn für Humor durch­blitzen lässt wie auf dem fluffigen »Ja man«, bei dem selbst Sidekick Estikay mit seinem Nico-Suave-Flow eine passable Figur macht, und dem pumpenden »Intro«, auf dem Sido auf wenigen Zeilen mehr Real Talk betreibt als andere in zweistündigen Videointerviews. »Eins, zwei, step ans Mic, pfleg die Tradition«, rappt er da, und das betrifft auch die musikalische Ausrichtung der Platte: Nostalgisch verklärter Golden-Era-Bummtschack ohne progressive Momente oder einer Hinwendung zum Zeitgeist. Das ist einerseits nur konsequent, andererseits aber auch eine Bestätigung all derer, die Sido künstlerisch auf dem Altherrengleis abstellen wollen. Wasser auf deren Mühlen sind dann auch Tracks wie das bereits online­medial vieldiskutierte »Geuner« oder die vollkommen unnötige Kifferhymne »Bljad« feat. Estikay und der Russe. Fazit: Wenn Sido Anfang des Jahres auf »Liebhaber«-Tour geht, hat er für alle Liebhaber ein »Lieberhaber«-­Album im Gepäck, das auch live alle lieb haben werden. Goldene Zeiten eben.

Text: Natascha Marcinczyk