Der Saudi-Araber Qusai ist einer der großen Namen in der arabischen HipHop-Szene. Im Interview erzählt er, wie er zum Rap kam, wieso er in seinem Heimatland kaum noch auftritt und warum es ihn nach Hollywood zieht.
Du giltst als Botschafter des saudischen HipHop. Wie wird man MC in Saudi-Arabien?
Zuerst bin ich nur im Familienkreis aufgetreten, war aber auch bei einer Talentshow in einem internationalen Sommercamp in der Schweiz. Ich war damals 16, hab mir das Mic geschnappt und drauflos gesungen, gerappt und getanzt. Das kam gut an. Da wurde mir klar, dass ich das als Beruf in Erwägung ziehen sollte.
Du rappst auf Arabisch und Englisch. Womit hast du angefangen?
Mit Englisch. Damals gab es noch keinen Rap auf Arabisch, soweit ich weiß.
Wann kam dein erster Track?
1993/1994. In Saudi-Arabien gab es zu der Zeit noch keine HipHop-Szene. Aber in den Neunzigern war HipHop ein großes Ding und kam auch nach Saudi-Arabien. Es war die Zeit zwischen Gangstarap mit 2Pac und dem kommerziellen Kram wie MC Hammer. Ich fand beides geil. Meine Kumpels und ich haben unsere Autos am Strand oder in Jiddah Downtown geparkt, Musik aufgelegt und gerappt und getanzt. Damals habe ich meine ersten Songs aufgenommen. Die Beats habe ich mit einer kleinen Drum Machine und einem Casio-Keyboard selbst gemacht.
In Saudi-Arabien legen die Menschen viel Wert auf Tradition. Die gesellschaftlichen Normen sind streng und konservativ. Wie fand deine Familie das?
Ich war das schwarze Schaf der Familie, ein Ausgestoßener. Aber später hat meine Familie zu schätzen gelernt, was ich mache.
Der Support ist besser geworden, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Die Auftrittsmöglichkeiten sind gleich Null und HipHop gilt immer noch als Tabu.
Heute bist du der mit Abstand bekannteste HipHop-Künstler Saudi-Arabiens. Wann kam der Durchbruch?
2002. Ich hatte ein Album in den Staaten aufgenommen. Ein Song hieß »Jeddah, My Hometown City«. Ich hatte Heimweh, weil ich eine Weile von zu Hause weg war. Auf einmal hörte man den Song überall in Jiddah. Die Leute kauften die Tapes wie verrückt. Und als alle Kopien weg waren, fingen sie an, den Song auf CD zu brennen und per Bluetooth zu verschicken.
Mittlerweile kann sich die HipHop-Szene in Jiddah durchaus sehen lassen. Hat man es als Rapper heute einfacher in Saudi-Arabien?
Der Support ist besser geworden, steckt aber noch in den Kinderschuhen. Die Auftrittsmöglichkeiten sind gleich Null und HipHop gilt immer noch als Tabu. Ich habe ein paar Mal in Jiddah gespielt, aber seit meiner letzten Show hat sich niemand mehr gekümmert. Die Locations haben Sorge, dass sie keine Genehmigung bekommen oder dass nicht genügend Leute kommen. Es ist einfach zu lästig in Saudi-Arabien. Trotzdem werde ich hier weitermachen – auch wenn ich mein Geld mit Shows im Ausland verdiene.
Wann bist du das letzte Mal in deinem Heimatland aufgetreten?
Am saudischen Nationalfeiertag in Riad vor zwei Jahren. In Jiddah selbst aber 2008, mit einer Gruppe aus Kuwait. Es war eine unvergessliche Show. Alle sind glückselig nach Hause gegangen.
Wie unterscheidet sich saudischer Rap von Rap aus anderen arabischen Ländern, in denen die Künstler mehr Freiheiten haben?
Überall in Nahost ist HipHop ein großes Ding. Der Unterschied liegt darin, wie weit wir gehen können. Saudi-Arabien ist ein konservatives Land. Wir haben hier keine Presse- und Meinungsfreiheit. Aber wir respektieren das. Künstler in anderen Ländern haben zwar die Freiheit, sich selbst auszudrücken, machen aber viel mehr durch. In Syrien, Libyen, Tunesien, Ägypten und im Jemen hatten sie Revolutionen. Wir sind gesegnet, dass bei uns noch alles zusammenhält. Wenn du etwas zu sagen hast, sag es – aber es gibt Grenzen.
Ist die Unfreiheit nicht ein Nachteil für saudische Rapper?
Es ist ein Vor- und Nachteil zugleich. Mit Rap kann man viele Leute beeinflussen. Wenn du was Falsches sagst, werden dir die Leute zustimmen. Es ist also gut, dass das verhindert wird. Der Nachteil ist, dass viele gute Künstler auch positive Messages haben. Sie wollen die Massen erreichen, können ihr Ding aber nicht wirklich durchziehen. So ist es in Saudi-Arabien.
Du hast dein letztes Album »The Inevitable Change« [»Der unvermeidbare Wandel«; Anm. d. Verf.] genannt. Geht es da um Revolution?
Ich bin kein politischer Mensch. All das Chaos um uns herum langweilt mich. Es gibt Künstler, die so etwas unterstützen, aber zu denen gehöre ich nicht. Trotzdem thematisiere ich soziale Probleme. Als Mensch und Bürger ist das mein Recht. Nur mache ich das auf konstruktive Weise. Das Leitthema von »The Inevitable Change« liegt auf der Hand: Wandel ist unvermeidbar, aber es gibt guten Wandel und schlechten Wandel. Wenn du etwas verändern willst, dann fang bei dir selbst an. Und pass dabei auf, dass es in die richtige Richtung geht.
Dieses Jahr hast du »Umm El-Dunia« [»Mutter der Welt« Anm. d. Verf.] veröffentlicht. Der Titel ist ein Spitzname für Ägypten. Worum geht es in dem Song?
»Umm El-Dunia« drückt meine Liebe zu Ägypten aus. Alle Araber lieben Ägypten. Schon als Kleinkind haben mich meine Eltern nach Ägypten mitgenommen und auch während der Revolution von 2011 war ich dort. Ich wollte aber nicht über Politik, Revolution und so ein Zeug rappen. Darum geht es ja schon in so vielen Songs und ständig in den Nachrichten. Ich wollte, dass die Leute den Song hören und sagen: »Yeah, das ist das Ägypten, das wir kennen und lieben.«
Überall in Nahost ist HipHop ein großes Ding. Saudi-Arabien ist ein konservatives Land. Wir haben hier keine Presse- und Meinungsfreiheit. Aber wir respektieren das.
Wie hast du diesen ägyptischen Sound hinbekommen?
Was Musik und Produktion angeht, ist »Umm El-Dunia« ein Experiment. Der Künstler, mit dem ich zusammenarbeite, ist Teil einer Bewegung namens Mahraganat – einer neuen Musikrichtung, die unter jungen Leuten in Ägypten beliebt ist. Diese Jungs rappen und singen und drehen dabei das Auto-Tune bis zum Anschlag hoch.
Neben der Musik moderierst du im Fernsehen auch die Talentshow »Arabs Got Talent«. Wie beeinflusst der kommerzielle Erfolg deine Musik?
Ich komme über die Runden. Aber nur, weil ich im Fernsehen bin, bin ich nicht automatisch reich. Es gibt einen Unterschied zwischen Künstlern und Popstars. Ein Popstar macht, was die Industrie verlangt – wie eine Marionette. Das ist nicht mein Ding. Aber trotzdem muss man schlau sein. Nicht nur, weil man Geld machen will, sondern auch, weil man bekannt werden will. Ich habe einen Fuß im Business, der andere ist aber noch draußen. Ich gebe der Industrie, was sie will, aber wenn es um meine Musik geht, dann entscheide ich selbst, was ich mache.
Warum hast du zugestimmt, »Arabs Got Talent« zu moderieren?
Erstens mag ich die Show, zweitens war es eine Bühne für mich. Mit der Show komme ich in jedes Wohnzimmer, sie hat meinen Namen in die Welt hinausgetragen. Außerdem ist sie eine gute Bühne für HipHop allgemein: Breakdancer, MCs, DJs, Graffiti-Künstler und Beatboxer waren alle schon da. Als Botschafter für HipHop ist es meine Pflicht, da mitzumachen.
Was kommt als nächstes für dich?
Filme! Ich wäre gern der nächste Will Smith oder Denzel Washington. Hollywood ist ein Ziel. Außerdem würde ich gern in ein paar Filmen hier in Nahost mitspielen. Aber natürlich mache ich auch weiterhin Musik.
Hast du denn schon mal geschauspielert?
Ich habe bei einigen unabhängigen Filmen mitgemacht, als ich in den Staaten war. Und bei ein paar Stücken in der Schule. Die Leute haben gesagt, ich sei ein guter Schauspieler. Aber nach der Schule galt meine ganze Aufmerksamkeit der Musik.
Text: Jannis Hagmann
Foto: Universal Legends
Dieses Interview erschien als Teil unserer Serie »HipHop ʻRound The World« in JUICE #170 (hier versandkostenfrei nachbestellen). Alle weiteren Art im Rahmen von #HHRTW erschienenen Features und Interviews findest du hier.