Der frische Wind, den Haftis Azzlackbande ins hiesige Spiel brachte, ist langsam verflogen. Sogar in der fränkischen Kommunalpolitik weiß man anno 2014, wer oder was der Babo ist. Das Kanackiş, mit dem man dem fad gewordenen Straßenrap-Slang vor einigen Jahren neuen Glanz zu verleihen wusste, wurde seitdem oft kopiert, selten erreicht, aber in jedem Fall so ausführlich von Schulhof bis Feuilleton thematisiert, dass vom Newcomerstatus bei keinem seiner Schöpfer mehr die Rede sein darf. Trotzdem legt Veysel mit »Audiovisuell« sein erstes Album vor; ein Umstand, der auch der Tatsache geschuldet ist, dass im modernen Rapgeschäft das käuflich zu erwerbende Mixtape der Debüt-LP den Rang abläuft. »Inzwischen bin ich gechartet, Doppelseite JUICE/Zehntausend Tapes verkauft, vallah, das schmeckt gut«, resümiert Veysel auf »Zahnlücke«. Ohnehin sind die Nachwirkungen des Mitte 2013 veröffentlichten »43 Therapie« klar spürbar: Bei 17 Tracks kommt der Erstling in seiner Standard-Edition nicht über 45 Minuten hinaus. Schwer tut man sich bei der Suche nach Tracks, die aus dem gewohnten Verse-Hook-Verse-Hook-Schema ausbrechen. Somit haftet auch dem zweiten Release in Veysels Diskografie ein Mixtape-Feeling an, was sich jedoch wider Erwarten nicht als Argument gegen den Kauf von »Audiovisuell« anführen lässt. Kurzweilig wird über geschmackssicher selektierte Instrumentals das Leben im sozialen Brennpunkt samt all seiner Licht- und Schattenseiten beschrieben. Dabei leben Veysels Texte wie gewohnt eher von ihrer markanten Delivery und dem ureigenen Charme des Altendorfer Zaza-Kurden als von deren lyrischer Tiefe. Sowohl »Hello« als auch »Blockleben« erinnern mit ihrem Autotune-Einsatz an Booba anno »Lunatic«, während »Zwei Jungs im Benz« zusammen mit Xatar dank des breiten Funk-Samples wie die Titelmelodie der Kanak-Version von »Starsky & Hutch« klingt. Veysel verwaltet sein Standing im Azzlack-Camp weitestgehend souverän und ohne Zeichen von Stagnation.
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